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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 544

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 462/21, Urteil v. 15.03.2023, HRRS 2023 Nr. 544


BGH 2 StR 462/21 - Urteil vom 15. März 2023 (LG Köln)

Mord (Verdeckungsabsicht: zu verdeckende Vortat, bedingter Vorsatz, Unterlassen, Misshandlung Schutzbefohlener, Handlung von Anfang an mit bedingtem Tötungsvorsatz, Zweifelsgrundsatz; Versuch; Unterlassen: Abgrenzung zum positiven Tun; grausame Tatbegehung); Misshandlung von Schutzbefohlenen (böswillige Vernachlässigung).

§ 211 StGB; § 225 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Böswillig im Sinne von § 225 Abs. 1 3. Alternative StGB handelt, wer seine Pflicht für einen anderen zu sorgen, aus einem verwerflichen Beweggrund vernachlässigt; das Gesinnungsmerkmal der Böswilligkeit ist gekennzeichnet durch feindseliges Verhalten aus Bosheit, Lust an fremdem Leid, Hass und anderen verwerflichen Gründen, etwa auch aus Geiz und Eigensucht; Gleichgültigkeit, Abgestumpftheit oder Schwäche sowie Überforderung wegen mangelnder Reife reichen hingegen in der Regel nicht aus.

2. Der Annahme eines Verdeckungsmordes steht grundsätzlich nicht entgegen, dass sich bereits die zu verdeckende Vortat gegen Leib und Leben des Opfers richtet oder die Tat mit bedingtem Vorsatz und durch Unterlassen begangen wurde. Auch kann für eine Absicht der Eltern, die vorangehende Misshandlung Schutzbefohlener durch den Tod des Opfers zu verdecken, und damit für das Vorliegen des Mordmerkmals der Verdeckungsabsicht sprechen, dass sie niemanden mehr zu dem Kind ließen, weil sie die lebensbedrohliche Verschlechterung des Zustandes des Kindes bemerkten und weil sie die Einschaltung des Jugendamtes fürchteten, und dass sie Dritten gegenüber wahrheitswidrige Angaben zum Gesundheitszustand des Kindes machten.

3. Um eine zu verdeckende „andere Straftat“ (§ 211 Abs. 2 StGB) handelt es sich dann nicht, wenn der Täter nur diejenige Tat verdecken will, die er gerade begeht. Handelte der Täter bereits von Anfang an mit (bedingtem) Tötungsvorsatz, ist für die Annahme eines Verdeckungsmordes kein Raum. Es fehlt folglich an einer für das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht erforderlichen „anderen“ Straftat, wenn der Täter das Tatopfer zunächst mit (bedingtem) Tötungsvorsatz misshandelt und es anschließend unterlässt, zur Verdeckung dieses Geschehens Maßnahmen zur Rettung des überlebenden Opfers einzuleiten; ist diese Möglichkeit nicht auszuschließen, muss sie wegen des Zweifelsgrundsatzes gegebenenfalls zugunsten des Angeklagten angenommen werden.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 31. Mai 2021 in den Strafaussprüchen aufgehoben; die Feststellungen bleiben aufrechterhalten.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit schwerer Misshandlung einer Schutzbefohlenen zu Freiheitsstrafen verurteilt, die Angeklagte F. zu neun Jahren, den Angeklagten S. zu sieben Jahren. Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen der Angeklagten mit der Sachrüge, diejenige der Angeklagten F. auch mit Verfahrensbeschwerden. Die Rechtsmittel haben in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen sind sie unbegründet.

I.

Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Am 21. November 2014 gebar die Angeklagte F. ihre Tochter A., das spätere Tatopfer, zu der sie von Anfang an keine Bindung aufbauen konnte. Ab dem zweiten Lebensjahr kümmerte sich die Angeklagte immer weniger um A., ließ diese häufig und lange allein in ihrem Zimmer im Bett liegen. A. erhielt zu wenig Nahrung und zu wenig persönliche Zuwendung in Form von Ansprache, Beschäftigung und Anregungen, wodurch sie abmagerte, sich ihr Längenwachstum verlangsamte und sich ihre kognitiven, sprachlichen, motorischen und feinmotorischen Fähigkeiten nicht altersgerecht entwickelten. Die Angeklagte erkannte diese negative Entwicklung. Ihr war auch bewusst, dass A. unter Hungergefühlen und der Zurückweisung litt. Die durch die Unterversorgung und Vernachlässigung entstehenden körperlichen und seelischen Schäden nahm sie angesichts ihrer ablehnenden Haltung gegenüber A. in Kauf.

Bei einer U7a-Untersuchung im November 2017 zeigte A. einen weiteren erheblichen Gewichtsabfall. Im Juli 2018 erfolgte - auf Intervention des Kindergartens, den A. sporadisch besuchte - eine diagnostische Abklärung in einem Sozialpädiatrischen Zentrum. Hierbei gab die Angeklagte wahrheitswidrig an, der Kindsvater sei kleinwüchsig gewesen, um die Vernachlässigung A. s zu vertuschen. Im Dezember 2018 (U8-Untersuchung) wurden für Gewicht und Größe von A. Werte festgestellt, die im Vergleich zu anderen Mädchen in ihrem Alter unter der 3% Perzentile lagen.

Im Februar 2019 zog der Angeklagte S. bei der Angeklagten F. - ein und nahm zunehmend auch die Stellung eines Familienvaters ein. Den Kontakt zu A. empfand er jedoch als unbefriedigend, er empfand sie als lästig und überließ daher der Angeklagten F. die Versorgung, deren Unzulänglichkeit und deren negative Folgen für das Kind er aber erkannte und billigend in Kauf nahm. Spätestens seit Mai 2020 - die Angeklagte F. war vom Angeklagten S. schwanger - war dem Angeklagten bewusst, dass er für das Wohl aller Familienangehörigen im Sinne einer Garantenstellung verantwortlich war.

In der Folgezeit kümmerten sich die Angeklagten noch weniger um A., sie musste täglich lange Zeit im Bett ihres wahrscheinlich abgedunkelten Zimmers verbringen, bekam keine regelmäßigen und ausreichenden Mahlzeiten und kaum Zuwendung und Zusprache; es kam immer wieder zu Kotverschmierungen der Matratze, da A. sich selbst die Windel auszog und mit ihrem Kot spielte. Ab etwa Mitte Juni 2020 versorgten die Angeklagten A. nur noch in sehr eingeschränktem Umfang mit Nahrungsmitteln, was zu einem weiteren erheblichen Gewichtsverlust und einem alarmierenden, massiven körperlichem Abbau führte. Dies erkannten die Angeklagten auch. Indes änderten sie weder die Versorgung von A. noch suchten sie ärztliche oder sonstige Hilfe. Am 11. Juni 2020 riefen die Angeklagten wegen einer oberflächlichen Hautverletzung, deren Ursache nicht feststellbar war, einen Rettungswagen. Die gerufenen Sanitäter sahen keine Notwendigkeit, A. in ein Krankenhaus zu bringen und beließen sie „entsprechend dem Wunsch der Angeklagten in der Wohnung“.

Ab dem 1. August 2020 erkannten die Angeklagten aufgrund des nunmehr kritischen Gewichtsverlustes und der erheblichen Verschlechterung des Zustands von A. (sie konnte nicht mehr selbst laufen oder stehen), dass deren Gesundheitszustand infolge der chronischen und massiven Unterernährung mittlerweile lebensbedrohlich war und jederzeit mit dem Tod des Kindes gerechnet werden musste. Den Angeklagten war auch bewusst, dass A. bei ihren Bewegungen erhebliche Schmerzen erlitt. Die Hinzuziehung ärztlicher Hilfe zogen sie nicht in Betracht, aus Sorge, dass die schlechte Versorgung des Kindes behördenbekannt würde und eine Inobhutnahme auch des erwarteten dritten Kindes nach sich ziehen könnte. Den Tod A. s nahmen sie dabei - im Gegensatz zu der vorangegangenen Zeit, in der A. zwar dünn, aber nicht lebensbedrohlich abgemagert erschien und in der Lage war, sich selbständig fortzubewegen - nunmehr billigend in Kauf. Zudem fügten sie A. auch weiterhin seelisches Leid zu, indem sie sie über Stunden in ihrem Kinderbett im abgedunkelten Zimmer ließen ohne Ansprache oder sonstige Zuwendung. Ihnen war bewusst, dass A. hierunter litt, dies war ihnen jedoch gleichgültig.

Am 1. August 2020 schickte die Angeklagte F. ihrer Mutter zwei mittels Filter bearbeitete Fotos, die A. zeigen, wobei der Abmagerungszustand („Haut und Knochen“) deutlich sichtbar ist. Wahrheitswidrig behauptete sie, mit A. beim Arzt gewesen zu sein, es bestehe Verdacht auf Muskeldystrophie, welche sie ausführlich und als tödlich verlaufende Krankheit darstellte. Über den Zustand von A. machte die Angeklagte F. auch am 10. August 2020 gegenüber der Familienhelferin und am 21. August 2020 gegenüber einer Mitarbeiterin des Kindergartens falsche Angaben. An diesem Tag behaupteten die Angeklagten bei einem Hausbesuch des Jugendamtes, das Kind sei nicht zuhause, obgleich sie es innerhalb der Wohnung vor den Mitarbeitern des Jugendamtes versteckt hielten.

A. wurde schließlich auf Intervention des vom Kindergarten eingeschalteten Jugendamtes am 27. August 2020 zu einem Kinderarzt gebracht und von dort ob ihres lebensbedrohlichen Zustands umgehend in ein Krankenhaus. A. wurde nach medizinischer Versorgung in einer heilpädagogischen Einrichtung untergebracht. Ob sie die auf die Mangelversorgung zurückzuführenden körperlichen und kognitiven Entwicklungsverzögerungen jemals aufholen kann, ist unklar.

2. Die Strafkammer hat das Verhalten der Angeklagten als gemeinschaftlich begangenen versuchten Mord durch Unterlassen in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1 StGB) gewürdigt. Die Angeklagten hätten mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, wobei die Strafkammer den Zeitpunkt für dessen Vorliegen „zu ihrer zweifelsfreien Überzeugung“ erst ab dem 1. August 2020 angenommen hat. Die Angeklagten handelten überdies - mit Blick auf die Schmerzen von A. - nicht nur grausam, sondern „spätestens seit dem 1. August 2020 mit der Absicht […], die vorausgegangene Misshandlung der ihnen als Schutzbefohlene unterstellten A. zu verdecken“; indes hätten die Angeklagten weder heimtückisch noch aus niedrigen Beweggründen gehandelt. Tateinheitlich hierzu hätten die Angeklagten durch ihr Verhalten in dem von der Anklage umfassten Zeitraum A. gequält und roh misshandelt - die Angeklagte F. sie überdies böswillig vernachlässigt - und hierdurch in die Gefahr des Todes gebracht.

II.

Die von der Revision der Angeklagten F. erhobenen Verfahrensbeanstandungen dringen nicht durch.

1. Soweit die Revision beanstandet, das Landgericht habe dem Amtsermittlungsgrundsatz nicht genüge getan, weil es weder eine Mitarbeiterin des Kinderarztes, bei der die Angeklagte F. einen Termin für den 2. September 2020 vereinbart hatte, ermittelt noch diese gehört habe (RB S. 9), genügt die Rüge nicht den Darlegungserfordernissen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.

Eine zulässig erhobene Aufklärungsrüge setzt voraus, dass der Revisionsführer eine bestimmte Beweistatsache, ein bestimmtes Beweismittel und die Umstände angibt, aufgrund derer sich der Tatrichter zu der vermissten Beweiserhebung hätte gedrängt sehen müssen (vgl. Senat, Beschluss vom 12. März 2013 - 2 StR 34/13 mwN). Der Revisionsbegründung ist keine dieser Voraussetzungen zu entnehmen: Sie teilt schon keine bestimmte Tatsache mit, die sich aus einer Zeugenbefragung ergeben hätte, noch gibt sie Umstände an, warum sich die Strafkammer zu der vermissten Beweiserhebung über die erhobenen Beweise hinaus hätte gedrängt sehen müssen.

2. Die Revision der Angeklagten F. beanstandet des Weiteren eine Verletzung des § 261 StPO, weil das Landgericht im Wege des Selbstleseverfahrens eingeführte Chatnachrichten in den Urteilsgründen nicht gewürdigt habe, sich folglich „erkennbar nicht mit sämtlichen Umständen des hier vorliegenden Falles auseinandergesetzt“ habe (RB S. 18).

Die Rüge ist jedenfalls unbegründet. Das Revisionsvorbringen, das angegriffene Urteil lasse „an keiner Stelle erkennen, dass sich das Landgericht mit diesen Nachrichten der Angeklagten befasst und diese gewertet hat“, trifft nicht zu. Zu den von der Revision aus dem Chatverlauf in Bezug genommenen Aussagen des Angeklagten S. („du machst für beide Kinder genau das selbe“, „Du kannst doch nix dafür das nix bei der kleinen drin bleibt“) befassen sich die Urteilsgründe ausdrücklich mit der Frage, ob A. in gleichem Umfang wie ihr im Jahr 2016 geborener Bruder versorgt wurde und ob sie sich ständig erbrach, wenn man sie fütterte. Dass sich die sachverständig beratene Strafkammer davon überzeugte, dass beides entgegen den Behauptungen im Chatverlauf nicht der Fall war, verletzt die Pflicht zur erschöpfenden Beweiswürdigung ebenso wenig wie der Umstand, dass die Strafkammer hiervon ausgehend keinen Anlass sah, den von der Revision als übergangen monierten Auszug aus dem Chatverlauf näher als geschehen zu erörtern.

III.

Die auf die Sachrüge beider Angeklagter gebotene Nachprüfung des angefochtenen Urteils deckt nur zum Strafausspruch einen durchgreifenden Mangel auf. Das Landgericht hat die Verwirklichung zweier Mordmerkmale - grausame Tatbegehung und Verdeckungsabsicht - strafschärfend berücksichtigt, das Vorliegen einer Verdeckungsabsicht indes nicht rechtsfehlerfrei dargetan.

1. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung der Angeklagten wegen versuchten Mordes durch grausame Tatbegehung.

Die auch insoweit sachverständig beratene Strafkammer hat nachvollziehbar und anhand zumindest möglicher Schlüsse einen bedingten Tötungsvorsatz der beiden Angeklagten für den Zeitraum ab 1. August 2020 belegt. Sie hat ferner rechtsfehlerfrei dargetan, dass A. in diesem Zeitraum aufgrund der ihr vorenthaltenen Nahrung an erheblichen Schmerzen litt; sie hat sich - sachverständig beraten - die Überzeugung davon verschafft, dass A. einen Muskelabbau erlitt, so dass sie jedenfalls über einen längeren Zeitraum bis zum 27. August 2020 schon bei einfachster Bewegung Schmerz verspürte und nicht stehen und laufen konnte. Dieser den Angeklagten bekannte und bewusste Zustand A. s - sie verzog bei jeder Bewegung schmerzhaft das Gesicht - belegt hinreichend eine gefühllose und unbarmherzige Gesinnung der Angeklagten und deren Billigung von Tatumständen, welche es bedingen, dass dem Opfer durch die Tötungshandlung besondere Schmerzen oder Qualen im Sinne des Mordmerkmals „grausam“ (§ 211 Abs. 2 StGB; dazu vgl. MüKo-StGB/Schneider, 4. Aufl., § 211 Rn. 136 mwN) zugefügt werden.

2. Der Schuldspruch hat auch insoweit Bestand, als die Angeklagten, deren Fürsorge und Obhut die im gemeinsamen Haushalt lebende A. unterstand, wegen tateinheitlich verwirklichter schwerer Misshandlung einer Schutzbefohlenen nach § 225 Abs. 1, Abs. 3 Ziffer 1 StGB verurteilt sind.

a) Ohne Rechtsfehler erblickt die Strafkammer ein Quälen und eine rohe Misshandlung im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB darin, dass die Angeklagten durch die dauerhaft mangelnde Nahrungszufuhr nicht nur ein anfängliches Hungergefühl bei A. (ein fortdauerndes quälendes Hungergefühl hat die Strafkammer nicht festzustellen vermocht), sondern für einen längeren Zeitraum erhebliche Bewegungsschmerzen verursachten, und dass sie A. in diesem Zeitraum (belegt durch Zeugenaussagen und den Durchsuchungsbericht) auch ohne Ansprache und Zuwendung allein „über Stunden in ihrem Kinderbett im angedunkelten Zimmer liegen ließen“, was seelisches Leid verursachte.

Zwar lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen, ab welchem Zeitpunkt die Strafkammer die objektiven und subjektiven Voraussetzungen des § 225 StGB für gegeben erachtet hat; weder verhält sich die Strafkammer hierzu ausdrücklich, noch ist dies dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe zu entnehmen. Für den Zeitraum ab dem 1. August 2020 sind sie indes rechtsfehlerfrei belegt. Dass beiden Angeklagten in diesem Zeitraum nicht nur der körperliche Abbau, sondern auch das seelische Leid von A. bewusst war, und sie dies fortwährend ignorierten, belegt hinreichend, dass die Angeklagten das - notwendig als Hemmung wirkende - Gefühl für das Leiden der Misshandelten verloren hatten, das sich bei jedem menschlich und verständlich Denkenden eingestellt haben würde, mithin ihre gefühllose Gesinnung.

b) Soweit die Strafkammer hinsichtlich der Angeklagten F. eine Misshandlung zusätzlich in einer böswilligen Vernachlässigung sieht, ist diese zwar nicht für einen Zeitraum vor dem 11. Juni 2020, wohl aber für einen vor dem 27. August 2020 belegt.

Böswillig im Sinne von § 225 Abs. 1 3. Alternative StGB handelt, wer seine Pflicht für einen anderen zu sorgen, aus einem verwerflichen Beweggrund vernachlässigt; das Gesinnungsmerkmal der Böswilligkeit ist gekennzeichnet durch feindseliges Verhalten aus Bosheit, Lust an fremdem Leid, Hass und anderen verwerflichen Gründen, etwa auch aus Geiz und Eigensucht; Gleichgültigkeit, Abgestumpftheit oder Schwäche sowie Ãœberforderung wegen mangelnder Reife reichen hingegen in der Regel nicht aus (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 - 3 StR 633/14, NStZ-RR 2015, 369, 371). Hiervon ist die Strafkammer zutreffend ausgegangen und hat bei der von ihr vorgenommenen Würdigung maßgeblich auf die grundsätzlich ablehnende Haltung der Angeklagten ihrer Tochter gegenüber abgestellt, von der sie sich überzeugt hat. Hiergegen ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern.

c) Rechtsfehlerfrei hat sich die Strafkammer - sachverständig beraten - auch die Überzeugung davon verschafft, dass die konkrete Gefahr bestand, dass A. infolge des Verhaltens der Angeklagten ums Leben kommt (§ 225 Abs. 3 Nr. 1 StGB); es war vielmehr „überraschend, dass A. so lange“ überlebte. Die durch die Misshandlung verursachte Todesgefahr für A. war von dem jedenfalls ab dem 1. August 2020 gegebenen bedingten (Tötungs-)Vorsatz der Angeklagten (s.o.) umfasst.

d) Die versuchte Tötung steht zur vollendeten schweren Misshandlung von A. in Tateinheit (§ 52 StGB; vgl. BGH, Urteil vom 24. September 1998 - 4 StR 272/98, BGHSt 44, 196; vgl. auch Senat, Urteil vom 16. April 2014 - 2 StR 608/13).

3. Indes begegnet die Annahme der Strafkammer, die Angeklagten hätten ab dem 1. August 2020 auch mit der Absicht gehandelt, die schwere Misshandlung von A. zu verdecken, durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Insoweit lassen die Urteilsgründe besorgen, dass das Landgericht den Zweifelsgrundsatz nicht beachtet hat.

a) Der Annahme eines Verdeckungsmordes steht grundsätzlich nicht entgegen, dass sich bereits die zu verdeckende Vortat gegen Leib und Leben des Opfers richtet (vgl. Senat, Urteil vom 2. Dezember 1987 - 2 StR 559/87, BGHSt 35, 116; BGH, Urteil vom 10. Oktober 2002 - 4 StR 185/02, NStZ 2003, 259, 260 mwN) oder die Tat mit bedingtem Vorsatz und durch Unterlassen begangen wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 10. März 2000 - 1 StR 675/99, NJW 2000, 1730). Auch kann für eine Absicht der Eltern, die vorangehende Misshandlung Schutzbefohlener durch den Tod des Opfers zu verdecken, und damit für das Vorliegen des Mordmerkmals der Verdeckungsabsicht sprechen, dass sie - wie hier - niemanden mehr zu dem Kind ließen, weil sie die lebensbedrohliche Verschlechterung des Zustandes des Kindes bemerkten und weil sie die Einschaltung des Jugendamtes fürchteten, und dass sie Dritten gegenüber wahrheitswidrige Angaben zum Gesundheitszustand des Kindes machten (vgl. Senat, Urteil vom 3. September 2008 - 2 StR 305/08, juris Rn. 24).

b) Um eine zu verdeckende „andere Straftat“ (§ 211 Abs. 2 StGB) handelt es sich jedoch dann nicht, wenn der Täter nur diejenige Tat verdecken will, die er gerade begeht. Handelte der Täter bereits von Anfang an mit (bedingtem) Tötungsvorsatz, ist für die Annahme eines Verdeckungsmordes kein Raum (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 22. September 2020 - 6 StR 134/20; Urteil vom 9. Februar 2017 - 3 StR 415/16, NStZ 2017, 342; Senat, Beschluss vom 14. März 2017 - 2 StR 370/16, NStZ-RR 2017, 209, 210 je mwN; aA MüKo-StGB/Schneider, 4. Aufl., § 211 Rn. 255 f.). Es fehlt folglich an einer für das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht erforderlichen „anderen“ Straftat, wenn der Täter das Tatopfer zunächst mit (bedingtem) Tötungsvorsatz misshandelt und es anschließend unterlässt, zur Verdeckung dieses Geschehens Maßnahmen zur Rettung des überlebenden Opfers einzuleiten; ist diese Möglichkeit nicht auszuschließen, muss sie wegen des Zweifelsgrundsatzes gegebenenfalls zugunsten des Angeklagten angenommen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 22. September 2020 - 6 StR 134/20).

c) Dies hat das Landgericht nicht hinreichend bedacht, wenn es im Hinblick auf den Tötungsvorsatz zugunsten der Angeklagten von einem Zeitraum ab dem 1. August 2020 ausgeht, dem Tag, an dem der lebensbedrohliche Zustand des Tatopfers auf einem Lichtbild deutlich erkennbar ist. Ob - mit Blick auf eine Verdeckungsabsicht - ein wenigstens bedingter Tötungsvorsatz nicht ausschließbar auch schon zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen haben könnte, nimmt das Landgericht nicht in den Blick. Dies ist nach den Urteilsgründen auch nicht ausgeschlossen, zumal der auf dem von der Strafkammer in Bezug genommenen Lichtbild erkennbare Zustand von A. nicht erst an diesem Tag entstand, sondern - wie die Strafkammer an anderer Stelle festgestellt hat - die Angeklagten die Versorgung von A. mit Nahrungsmitteln bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt und dann ab Juni 2020 immer weiter einschränkten, sie deren massiven körperlichen Abbau erkannten und ihnen auch bewusst war, dass dieser alarmierend war.

d) Die Urteilsgründe erlauben dem Senat auch nicht den sicheren Schluss, die von der Strafkammer als zu verdeckende Tat angesehene „Misshandlung der ihnen als Schutzbefohlene unterstellten A.“ (UA S. 104) habe zu einem Zeitpunkt begonnen, als die Angeklagten noch nicht mit zumindest bedingtem Tötungsvorsatz handelten. Zwar erscheint es nach den Urteilsgründen durchaus möglich, dass die Angeklagten mit Verdeckungsabsicht handelten. Es ist aber weder Aufgabe des Revisionsgerichts, sich aus der detailreich in einer Chronologie nacherzählten Entwicklung von A. die Umstände herauszusuchen, die die Wertung der Strafkammer tragen könnten, noch ist es ihm möglich, der Verurteilung wegen Verdeckungsmordes eine andere als die von der Strafkammer angenommene Verdeckungstat (etwa die festgestellte Körperverletzung) zugrunde zu legen; dem steht auch § 265 StPO entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2011 - 1 StR 582/10, NJW 2011, 1301).

4. Der aufgezeigte Rechtsfehler zieht die Aufhebung des Strafausspruchs nach sich.

a) Die Strafkammer hat bei beiden Angeklagten das Handeln in Verdeckungsabsicht strafschärfend berücksichtigt. Der Senat kann daher nicht völlig ausschließen, dass die Strafe - auch wenn sie angemessen erscheint - auf dem aufgezeigten Rechtsfehler beruht.

b) Die auch ansonsten rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen sind vom Rechtsfehler nicht betroffen und haben Bestand. Das neue Tatgericht kann gegebenenfalls ergänzende, zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehende Feststellungen treffen, namentlich zum Vorstellungsbild der Angeklagten vor dem 1. August 2020, zu dem sich die bisherigen Urteilsgründe nicht abschließend verhalten.

5. Das neue Tatgericht wird gegebenenfalls auch Gelegenheit haben, zu prüfen, ob der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit mit Blick auf die festgestellten Bemühungen, hilfsbereite Personen am Einschreiten zugunsten des Kindes zu hindern, eine Einordnung des Verhaltens der Angeklagten als positives Tun erlaubt. Es wird gegebenenfalls auch die Voraussetzungen der „anderen niedrigen Beweggründe“ im Sinne des § 211 StGB näher in den Blick nehmen und erörtern können (vgl. Senat, Urteil vom 3. September 2008 - 2 StR 305/08, NStZ-RR 2009, 173).

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 544

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede