HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1033
Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 195/23, Beschluss v. 12.07.2023, HRRS 2023 Nr. 1033
1. Auf die Revision des Angeklagten K. wird das Urteil des Landgerichts Stade vom 26. Oktober 2022 im Maßregelausspruch aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten dieses Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten K. und die Revision des Angeklagten L. werden verworfen. Es wird davon abgesehen, dem Angeklagten L. die durch sein Rechtsmittel entstandenen Kosten und Auslagen aufzuerlegen. Er hat die dem Neben- und Adhäsionskläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen sowie die besonderen Kosten des Adhäsionsverfahrens in der Revisionsinstanz zu tragen.
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit versuchter Brandstiftung und versuchter Brandstiftung mit Todesfolge verurteilt, den Angeklagten K. zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und den Angeklagten L zu einer Jugendstrafe von sieben Jahren. Außerdem hat es gegen den Angeklagten K. die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug von Freiheitsstrafe angeordnet sowie eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten K. hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie - ebenso wie das auf die Sachrüge gestützte Rechtsmittel des Angeklagten L. - unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Während die Schuld- und Strafaussprüche sowie die Adhäsionsentscheidung auf die durch die Sachrügen veranlasste umfassende revisionsgerichtliche Überprüfung keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben haben, unterliegt der den Angeklagten K. betreffende Maßregelausspruch durchgreifenden sachlich-rechtlichen Bedenken.
a) Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
aa) Der seit mehreren Jahren täglich etwa zwei Gramm Marihuana konsumierende Angeklagte K. übergab gemeinsam mit dem Angeklagten L. dem Nebenkläger 200 Euro. Dafür sollte dieser ihnen etwa 25 Gramm Marihuana kaufen. Als sie auch einige Tage später vom Nebenkläger keine Rückmeldung erhalten hatten, fühlten sie sich von ihm betrogen. Dies wollten sie nicht dulden. Nachdem sie am Abend zusammen Marihuana konsumiert und sich über eine Antwort des Nebenklägers („Kommt doch, zeigt mal Eure Eier du Lutscher“) auf ihre Nachfrage geärgert hatten, beschlossen sie, sich zu rächen.
Sie bauten unter Verwendung von Benzin und einer leeren Glasfasche einen Brandsatz. Diesen sollte der Angeklagte K. gegen Mitternacht gegen die Tür des Wohnwagens werfen, in dem der Nebenkläger auf dem Grundstück seiner Eltern lebte. K. sollte mit seinem Mobiltelefon ein Video von dem Feuer aufnehmen, das beide sich später zusammen ansehen wollten. Ihnen kam es darauf an, den Wohnwagen schnell in Brand zu setzen und zu zerstören, wobei ihnen bewusst war, dass der dort wahrscheinlich schlafende Nebenkläger dabei sterben könnte; dies nahmen sie billigend in Kauf.
K. begab sich gegen 0:30 Uhr zum Tatort und warf den Brandsatz gegen den Wohnwagen. Das Feuer bedeckte nach wenigen Augenblicken dessen gesamte Außenseite. Daraufhin zog er sich zurück und fertigte mehrere Videos mit seinem Mobiltelefon an. Der Nebenkläger konnte durch seinen Stiefvater unter Einsatz einer Axt aus dem Wohnwagen befreit werden, bevor dieser bis auf das Fahrgestell abbrannte.
bb) Das sachverständig beratene Landgericht hat angenommen, dass das beim Angeklagten K. diagnostizierte Abhängigkeitssyndrom den Hang im Sinne von § 64 StGB begründe und auch der symptomatische Zusammenhang vorliege. Zwar sei die Tat nicht „unmittelbarer Ausdruck“ dieser Störung und auch weder im Rausch noch unter substanzbedingter Enthemmung begangen worden. Sie weise aber, da sie „vor dem Hintergrund der Beschaffung von Betäubungsmitteln begangen worden sei“, Symptomwert auf.
b) Die Maßregelanordnung hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung nicht stand, weil das Landgericht das Vorliegen eines symptomatischen Zusammenhangs mit unzureichenden Erwägungen bejaht hat.
aa) Ein symptomatischer Zusammenhang ist nach ständiger Rechtsprechung zu bejahen, wenn der Hang zum Missbrauch von Alkohol oder anderen berauschenden Mitteln allein oder zusammen mit anderen Umständen dazu beigetragen hat, dass der Täter eine erhebliche rechtswidrige Tat begangen hat und dies bei unverändertem Suchtverhalten auch für die Zukunft zu besorgen ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. September 1999 - 3 StR 393/99, BGHR StGB § 64 Zusammenhang, symptomatischer 2; vom 19. Mai 2009 - 3 StR 191/09, BGHR StGB § 64 Zusammenhang, symptomatischer 5 mwN; LK-StGB/Cirener, 13. Aufl., § 64 Rn. 40 mwN). Bei Taten, die nicht auf die Erlangung von Rauschmitteln selbst oder von Geld zu deren Beschaffung abzielen, bedarf die Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs allerdings besonderer hierfür sprechender Umstände (vgl. BGH, Urteil vom 18. Februar 1997 - 1 StR 693/96, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Rausch 1; Beschlüsse vom 12. März 2014 - 4 StR 572/13, StV 2015, 219; vom 1. Juni 2021 - 6 StR 113/21, StV 2022, 165). Insbesondere bei Konflikttaten oder bei Taten, denen eine Provokation des Täters durch das Opfer vorausging, liegt ein solcher Zusammenhang wenig nahe (vgl. BGH, Urteil vom 20. September 2011 - 1 StR 120/11, NStZ-RR 2012, 72, 74; Beschluss vom 23. November 2021 - 2 StR 380/21, NStZ-RR 2022, 41). Soll der Symptomwert damit begründet werden, dass sich der Täter nur wegen seines übermäßigen Konsums berauschender Substanzen in dem „sozialen Milieu“ aufgehalten hat, in dem es zu der Tat kam , bedarf es konkreter Feststellungen und einer am Fall orientierten Bewertung (vgl. BGH, Beschluss vom 21. April 2015 - 4 StR 92/15, NJW 2015, 2898, 2900; zum sogenannten indirekten symptomatischen Zusammenhang vgl. auch BGH, Beschluss vom 14. Januar 2014 - 1 StR 531/13, LK-StGB/Cirener, aaO., Rn. 48; MüKo-StGB/van Gemmeren, 4. Aufl., § 64 Rn. 39).
bb) Dem wird die lediglich allgemein gehaltene und nicht durch bestimmte Tatsachen belegte Erwägung des Landgerichts nicht gerecht. Zwar hat die Strafkammer im Ausgangspunkt zutreffend in den Blick genommen, dass die Tat weder der Beschaffung von Betäubungsmitteln noch der Rückerlangung des an den Nebenkläger zum Zwecke des Betäubungsmittelerwerbs gezahlten Geldbetrages dienen sollte. Soweit sie aber auf den „Hintergrund der Beschaffung von Betäubungsmitteln“ und damit auf das „soziale Milieu“ abgestellt hat, in dem sich der drogenkonsumierende Angeklagte aufhält, hat sie nicht erkennbar in Bedacht genommen, dass die Tat nach den Urteilsfeststellungen allein aus Verärgerung über das - auch provokative - Verhalten des Nebenklägers und insbesondere mit dem Ziel der Rache begangen worden ist. Dass der tatauslösende Konflikt seinerseits symptomatischer Ausdruck des Hangs ist, hat das Landgericht ebenfalls nicht beweiswürdigend belegt.
2. Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Aufhebung der Maßregel entzieht zugleich der Anordnung des Vorwegvollzugs die Grundlage. Die zugehörigen Feststellungen können bestehen bleiben, weil reine Wertungsfehler vorliegen. Sie können um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen.
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1033
Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede