HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 575
Bearbeiter: Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 403/21, Beschluss v. 10.02.2022, HRRS 2022 Nr. 575
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 21. Mai 2021 im Strafausspruch mit den Feststellungen zum Täter-Opfer-Ausgleich aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision der Angeklagten wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in neun Fällen, davon in sieben Fällen in Tateinheit mit Herstellen kinderpornografischer Schriften und mit Verbreiten kinderpornografischer Schriften, in einem Fall in Tateinheit mit Herstellen kinderpornografischer Schriften in zwei tateinheitlichen Fällen und mit Verbreiten kinderpornografischer Schriften in zwei tateinheitlichen Fällen und in einem Fall in Tateinheit mit Herstellen kinderpornografischer Schriften in vier tateinheitlichen Fällen und mit Verbreiten kinderpornografischer Schriften in vier tateinheitlichen Fällen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Angeklagten. Ihr Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Der Strafausspruch begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Ablehnung einer Strafrahmenverschiebung nach § 46a Nr. 1 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.
a) Ob das Tatgericht die Voraussetzungen des § 46a StGB annimmt, hat es in wertender Betrachtung zu entscheiden (vgl. nur BGH, Urteil vom 6. Februar 2008 - 2 StR 561/07 Rn. 7). Die - vorrangig den Ausgleich immaterieller Tatfolgen betreffende - Alternative des § 46a Nr. 1 StGB macht die Milderungsmöglichkeit davon abhängig, dass der Täter in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Tatopfer zu erreichen, die Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wiedergutgemacht oder dieses Ziel jedenfalls ernsthaft erstrebt hat. Das erfordert - in beiden Varianten - grundsätzlich einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer, in dessen Rahmen das Bemühen des Täters Ausdruck der Übernahme von Verantwortung ist und das Opfer die Leistungen des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptiert. Die Wiedergutmachung muss auf einen umfassenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen gerichtet sein (vgl. BGH, Urteile vom 24. August 2017 - 3 StR 233/17 Rn. 13 und vom 9. Mai 2017 - 1 StR 576/16 Rn. 9; Beschluss vom 28. Januar 2016 - 3 StR 354/15 Rn. 5; jeweils mwN). Bloß einseitige Bemühungen des Täters ohne den Versuch einer Einbindung des Opfers sind dagegen nicht ausreichend (vgl. BGH, Urteile vom 24. August 2017 - 3 StR 233/17 Rn. 13 und vom 19. Dezember 2002 - 1 StR 405/02, BGHSt 48, 134, 142 f. mwN).
Demnach ist ein kommunikativer Prozess grundsätzlich auch erforderlich, soweit es § 46a Nr. 1 StGB genügen lässt, dass der Täter die Wiedergutmachung seiner Tat ernsthaft erstrebt. Auch für diese Variante des Täter-Opfer-Ausgleichs kommt es darauf an, inwieweit der Täter das Opfer an diesem beteiligt und es sich auf freiwilliger Grundlage hierzu bereitfindet (vgl. BGH, Urteile vom 24. August 2017 - 3 StR 233/17 Rn. 14; vom 7. Dezember 2005 - 1 StR 287/05 Rn. 9; vom 28. Mai 2015 - 3 StR 89/15 Rn. 13). Lässt sich der Verletzte auf einen kommunikativen Prozess nicht ein, so hat dies der Täter - trotz der herabgesetzten Anforderungen an einen erfolgreichen Ausgleich - prinzipiell hinzunehmen; denn ohne Zustimmung des Opfers fehlt bereits die Basis für seine Bemühungen. Gegen den ausdrücklichen Willen des Verletzten darf die Eignung des Verfahrens für die Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs - zumindest im Grundsatz - nicht angenommen werden. Allein auf die Sicht „eines vernünftigen Dritten“ kommt es nicht an (vgl. BGH, Urteile vom 24. August 2017 - 3 StR 233/17 Rn. 14; vom 19. Dezember 2002 - 1 StR 405/02, aaO, S. 142 f.; vom 26. August 2003 - 1 StR 174/03 Rn. 8 und vom 7. Dezember 2005 - 1 StR 287/05 Rn. 9). Deshalb hat das Tatgericht regelmäßig insbesondere Feststellungen dazu zu treffen, wie sich das Opfer zu den Bemühungen des Täters gestellt hat (vgl. BGH, Urteile vom 24. August 2017 - 3 StR 233/17 Rn. 15; vom 9. September 2004 - 4 StR 199/04 Rn. 9 und vom 28. Mai 2015 - 3 StR 89/15 Rn. 11).
b) Ob diese tatbestandlichen Voraussetzungen des § 46a Nr. 1 StGB im Blick auf einen kommunikativen Prozess vorliegen, wird durch das Landgericht nicht hinreichend belegt. Im Übrigen sind die diesbezüglichen Ausführungen des Landgerichts teilweise widersprüchlich.
aa) Nach den Feststellungen des Landgerichts handelt es sich bei dem Opfer um die minderjährige Tochter der Angeklagten als Nebenklägerin, die infolge einer Erkrankung in ihrer geistigen Entwicklung verzögert sowie in ihrer Intelligenzleistung vermindert ist. Sie befindet sich derzeit bei einer Pflegefamilie (UA S. 5). Im Rahmen eines Adhäsionsvergleichs haben die Angeklagte und die für die Nebenklägerin handelnde Nebenklägervertreterin einen Adhäsionsvergleich über die Zahlung eines Betrags von 25.000 Euro geschlossen. Weiter hat die Angeklagte auch einen an die Nebenklägerin adressierten Entschuldigungsbrief formuliert, der für diese hinterlegt werden soll, um später bei therapeutischem Bedarf darauf zugreifen zu können (UA S. 10). Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass es an einem kommunikativen Prozess unter Einbeziehung des Opfers fehlt, da die Nebenklägerin weder unmittelbar in die Verhandlungen einbezogen noch über deren Verlauf oder Ergebnis informiert wurde (UA S. 24) und hat deshalb eine Strafrahmenverschiebung nach § 46a Nr. 1 StGB verneint.
bb) Diese fehlende Einbeziehung der Nebenklägerin wird durch die Feststellungen des Landgerichts nicht belegt.
So bleibt völlig offen, wie es konkret zum Abschluss des Adhäsionsvergleichs zwischen der Angeklagten und der Nebenklägerin gekommen ist. Zudem hat das Landgericht festgestellt, dass die Pflegemutter der Nebenklägerin den Inhalt der „Vorwürfe“ gegen die Angeklagte mitgeteilt hat, worauf die Nebenklägerin erklärt habe, dass sie sich das nicht vorstellen könne und es nicht so schlimm finde (UA S. 15 f.). Damit hat offensichtlich eine Kommunikation mit der Nebenklägerin über die Tatvorwürfe stattgefunden. Die Frage, ob die Nebenklägerin in diesem Rahmen oder später nicht doch in Bezug auf den von der Angeklagten beabsichtigten Ausgleich einbezogen wurde und sie davon Kenntnis erlangt hat, bleibt aber ebenso unerörtert wie die Frage, inwieweit diese Äußerungen der Nebenklägerin im Rahmen des § 46a StGB zu berücksichtigen sind. Die konkreten Umstände des Vergleichsabschlusses und der Einbeziehung der Nebenklägerin bedürfen daher einer neuen und eingehenderen Prüfung und Würdigung.
2. Die bisherigen Feststellungen zum Täter-Opfer-Ausgleich (§ 46a StGB) werden aufgehoben (§ 353 Abs. 2 StPO), um dem neuen Tatrichter insoweit insgesamt widerspruchsfreie eigene Feststellungen zu ermöglichen. Die übrigen Feststellungen zum Strafausspruch bleiben aufrechterhalten, da sie vom aufgezeigten Rechtsfehler nicht berührt werden. Der neue Tatrichter kann ergänzende Feststellungen treffen, die mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 575
Bearbeiter: Christoph Henckel