hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 183

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 300/21, Beschluss v. 28.10.2021, HRRS 2022 Nr. 183


BGH 4 StR 300/21 - Beschluss vom 28. Oktober 2021 (LG Münster)

Adhäsionsverfahren; Ersatzanspruch Dritter bei Tötung (besonderes persönliches Näheverhältnis: Intensität der tatsächlich gelebten sozialen Beziehung, Vermutung, Feststellung und Belegung in den Urteilsgründen); Bindung an die Parteianträge (Zinsausspruch; Beachtung von Amts wegen).

§ 403 StPO; § 844 Abs. 3 BGB; § 308 ZPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Nach § 844 Abs. 3 Satz 1 BGB hat der Ersatzpflichtige dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Für das Vorliegen eines besonderen persönlichen Näheverhältnisses ist die Intensität der tatsächlich gelebten sozialen Beziehung maßgeblich.

2. Ein solches besonderes persönliches Näheverhältnis wird gemäß § 844 Abs. 3 Satz 2 BGB vermutet, wenn der Hinterbliebene der Ehegatte, der Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war. Soweit die Vermutung nicht greift, setzt das besondere persönliche Näheverhältnis den Nachweis einer tatsächlich gelebten sozialen Beziehung voraus, deren Intensität der Verbundenheit entspricht, wie sie zu den in § 844 Abs. 3 Satz 2 BGB bezeichneten nahen Familienangehörigen typischerweise besteht. Dies ist in den schriftlichen Urteilsgründen festzustellen und tragfähig zu belegen.

3. Das Verbot des § 308 Abs. 1 ZPO gilt auch im Adhäsionsverfahren und ein Verstoß gegen dieses Verbot ist im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachten.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Münster (Westf.) vom 7. September 2020 im Adhäsionsausspruch dahin geändert, dass

a) der Angeklagte verurteilt wird, an die Adhäsionsklägerin 2.800 Euro zu zahlen;

b) im Übrigen von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag vom 27. August 2020 abgesehen wird.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

3. Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels, die im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen der Neben- und Adhäsionsklägerin und die durch das Adhäsionsverfahren entstandenen besonderen Kosten zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags und vorsätzlicher Körperverletzung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Außerdem hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen. Im Adhäsionsverfahren hat das Landgericht den Angeklagten verurteilt, an die Adhäsionsklägerin 5.800 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 4. September 2020 zu zahlen, und „festgestellt, dass der Anspruch auf einer unerlaubten Handlung beruht“. Im Übrigen hat das Landgericht von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag abgesehen. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Zum Schuld- und Strafausspruch hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsbegründung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

2. Die Adhäsionsentscheidung kann indes nur bestehen bleiben, soweit der Angeklagte zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von insgesamt 2.800 Euro an die Adhäsionsklägerin wegen der drei Körperverletzungshandlungen zu ihrem Nachteil verurteilt ist. Die Zuerkennung von Hinterbliebenengeld in Höhe von 3.000 Euro, der Zinsausspruch und der Feststellungsausspruch begegnen hingegen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Nach § 844 Abs. 3 Satz 1 BGB hat der Ersatzpflichtige dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Für das Vorliegen eines besonderen persönlichen Näheverhältnisses ist die Intensität der tatsächlich gelebten sozialen Beziehung maßgeblich (vgl. BT-Drucks. 18/11397, S. 12 f.; BGH, Beschluss vom 18. Mai 2020 - 6 StR 48/20, Rn. 4; MüKo-BGB/Wagner, 8. Aufl., § 844 Rn. 101; BeckOGK/Eichelberger, Stand: 01.09.2021, § 844 BGB Rn. 221). Ein solches besonderes persönliches Näheverhältnis wird gemäß § 844 Abs. 3 Satz 2 BGB vermutet, wenn der Hinterbliebene der Ehegatte, der Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war. Soweit die Vermutung nicht greift, setzt das besondere persönliche Näheverhältnis den Nachweis einer tatsächlich gelebten sozialen Beziehung voraus, deren Intensität der Verbundenheit entspricht, wie sie zu den in § 844 Abs. 3 Satz 2 BGB bezeichneten nahen Familienangehörigen typischerweise besteht (vgl. BT-Drucks. 18/11397, S. 12 f.; Erman/Wilhelmi, BGB, 16. Aufl., § 844 Rn. 20; BeckOGK/Eichelberger, Stand: 01.09.2021, § 844 BGB Rn. 218, 221). Dies ist in den schriftlichen Urteilsgründen festzustellen und tragfähig zu belegen (vgl. MüKo-StPO/Wenske, § 267 Rn. 519 mwN).

Die Urteilsgründe ergeben auch nicht im Gesamtzusammenhang das Vorliegen eines besonderen Näheverhältnisses im Sinne von § 844 Abs. 3 BGB zwischen der Adhäsionsklägerin und dem Getöteten zum Zeitpunkt der Verletzungshandlung. Danach ging die von dem Angeklagten - ihrem Ehemann - seit dem 19. November 2019 getrennt lebende Adhäsionsklägerin etwa ab dem 25. November 2019 eine intime Liebesbeziehung mit dem späteren Tatopfer ein, die beide noch geheim halten wollten. Das spätere Tatopfer bestritt deshalb auch gegenüber seinen Freunden die Beziehung. In der Woche vor der Tötungshandlung am 8. Februar 2020 kam der Geschädigte lediglich täglich abends zu der Adhäsionsklägerin und übernachtete bei ihr. Diesen Feststellungen lässt sich nicht entnehmen, dass die Adhäsionsklägerin in einer Beziehung zu dem Getöteten lebte, die in ihrer Intensität den in § 844 Abs. 3 Satz 2 BGB genannten Fällen entspricht. Infolgedessen ist der Adhäsionsausspruch aufzuheben, soweit das Landgericht den Angeklagten zur Zahlung eines Hinterbliebenengeldes von 3.000 Euro an die Adhäsionsklägerin verurteilt hat.

b) Der Zinsausspruch kann ebenfalls nicht bestehen bleiben. Die Adhäsionsklägerin hat eine Verzinsung der geltend gemachten Beträge nicht beantragt. Das Verbot des § 308 Abs. 1 ZPO gilt auch im Adhäsionsverfahren und ein Verstoß gegen dieses Verbot ist im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachten (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Mai 2009 - 2 StR 168/09 Rn. 3).

c) Ein Interesse an der beantragten Feststellung, dass der Anspruch der Adhäsionsklägerin „auf einer unerlaubten Handlung beruht“, ist nicht dargetan. Soweit der Feststellungsantrag auf die Rechtsfolgen der § 850f Abs. 2 ZPO, § 302 Nr. 1 InsO gerichtet sein sollte, ist dieses Ziel nur durch die Feststellung einer „vorsätzlichen“ unerlaubten Handlung zu erreichen. Dies hat die Adhäsionsklägerin jedoch nicht beantragt. Eine entsprechende Ergänzung durch den Senat kommt nicht in Betracht, da sich dies zum Nachteil des Angeklagten auswirken würde. Im Übrigen fehlt es an jeglicher Begründung des Feststellungsausspruchs im Urteil.

3. Eine Zurückverweisung der Sache nur zur teilweisen Erneuerung des Adhäsionsverfahrens scheidet aus. Daher ist auch im Umfang der Aufhebung gemäß § 406 Abs. 1 Satz 3 StPO von einer Entscheidung abzusehen (vgl. Senat, Beschluss vom 13. Oktober 2021 - 4 StR 121/21 Rn. 12; Beschluss vom 30. März 2021 - 4 StR 433/20 Rn. 5).

Der geringfügige Erfolg der Revision lässt es nicht unbillig erscheinen, den Angeklagten mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO). Die Entscheidung über die Kosten und die ausscheidbaren Auslagen für das Adhäsionsverfahren folgt aus § 472a StPO.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 183

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2022, 123

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß