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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1074

Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 145/22, Beschluss v. 07.09.2022, HRRS 2022 Nr. 1074


BGH 3 StR 145/22 - Beschluss vom 7. September 2022 (LG Wuppertal)

Schwere Zwangsprostitution (Gewerbsmäßigkeit).

§ 232 StGB; § 232a StGB

Leitzsätze des Bearbeiters:

Das Qualifikationsmerkmal der Gewerbsmäßigkeit ist nur erfüllt, wenn der Täter den Straftatbestand des § 232a Abs. 1 StGB mehrfach verwirklicht beziehungsweise bei seiner Tathandlung den Vorsatz hat, zukünftig weitere Taten der Zwangsprostitution zwecks Generierung einer fortdauernden Einnahmequelle zu begehen. Die Absicht der fortdauernden Ausnutzung einer durch eine einmalige Einwirkung auf das Tatopfer veranlassten Prostitutionstätigkeit genügt zur Erfüllung des Qualifikationsmerkmals der Gewerbsmäßigkeit nicht.

Entscheidungstenor

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 3. August 2021 werden verworfen.

Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten S. unter Freispruch im Übrigen wegen schwerer Zwangsprostitution in Tateinheit mit Zuhälterei in zwei Fällen, versuchter schwerer Zwangsprostitution in zwei Fällen, versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie „unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln als eine Person über 21 Jahre an eine Person unter 18 Jahren“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und acht Monaten verurteilt. Ferner hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unter Anordnung eines teilweisen Vorwegvollzugs der Strafe angeordnet. Den Angeklagten D. hat das Landgericht wegen erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung und Körperverletzung sowie wegen schwerer Zwangsprostitution zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Hinsichtlich beider Angeklagten hat die Strafkammer zudem Einziehungsentscheidungen getroffen. Gegen ihre Verurteilungen wenden sich die Angeklagten mit ihren auf Verfahrensrügen sowie die Sachrüge gestützten Revisionen. Die Rechtsmittel sind unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Verfahrensrügen dringen aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts dargelegten Gründen nicht durch.

2. Die auf die Sachrügen hin veranlasste umfassende materiellrechtliche Überprüfung des Urteils lässt keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten erkennen. Der Erörterung bedarf lediglich Folgendes:

a) Die Erwägungen, mit denen das Landgericht auf der Basis rechtsfehlerfrei getroffener Feststellungen eine Strafbarkeit des Angeklagten D. wegen schwerer Zwangsprostitution bejaht hat, sind nicht tragfähig.

aa) Der diesbezüglichen Verurteilung des Angeklagten D. liegen folgende vom Landgericht getroffene Feststellungen zu Grunde: Der Angeklagte S. hatte die damals 17 Jahre alte Nebenklägerin im März 2019 dazu veranlasst, in W. die Prostitution aufzunehmen, von ihm im Detail gesteuert auszuüben und den überwiegenden Teil ihrer Einnahmen an ihn auszukehren. Um ihrer Situation zu entfliehen, begab sich die Nebenklägerin im Juni 2019 gegen den Willen und ohne Kenntnis des Angeklagten S. nach K. und verblieb dort. Nachdem der Angeklagte S. den neuen Aufenthaltsort der Nebenklägerin herausgefunden hatte, beschlossen die miteinander befreundeten Angeklagten, die Nebenklägerin aus K. nach W. zurückzuholen, um sie gegen ihren Willen dazu zu bringen, dort erneut der Prostitution nachzugehen und den Großteil ihrer hieraus erzielten Einnahmen beiden Angeklagten zu überlassen. Die Angeklagten wollten sich hierdurch eine fortdauernde Einnahmequelle verschaffen. Weil sie annahmen, die Nebenklägerin könne misstrauisch werden, sofern der Angeklagte S. mit ihr in Kontakt träte, verabredete sich der Angeklagte D. mit ihr in K. und spiegelte ihr wahrheitswidrig vor, sich alleine mit ihr treffen zu wollen. Am 29. Juli 2019 fuhren die beiden Angeklagten gemeinsam mit zwei weiteren Männern nach K. Kurz vor dem mit der Nebenklägerin vereinbarten Treffpunkt verließ der Angeklagte S. den Pkw, damit die Nebenklägerin ihn nicht sogleich entdecken konnte. Der Angeklagte D. traf sodann auf die Nebenklägerin und veranlasste sie, in seinen Pkw zu steigen. Anschließend kam der Angeklagte S. hinzu, der sich bis dahin verborgen gehalten hatte. Die Angeklagten erklärten der Nebenklägerin bewusst wahrheitswidrig, sie habe 6.000 € Schulden bei ihnen und müsse diese nunmehr in W. durch erneute Prostitutionstätigkeit „abarbeiten“. Unter dem Eindruck einer von den Angeklagten nicht zuletzt durch den „Auftritt“ von vier zum Teil besonders kräftig gebauten Männern bewusst geschaffenen subtilen Bedrohungssituation ging die Nebenklägerin davon aus, sich dem Ansinnen der Angeklagten nicht entziehen zu können, und ließ sich von diesen nach W. bringen, wo sie fortan bis Anfang 2020 in einem Hotelzimmer auf Geheiß der Angeklagten an mindestens fünf Tagen pro Woche erneut der Prostitution nachging. Wie von den Angeklagten verlangt, überließ sie von ihren Einnahmen, die sich auf durchschnittlich 250 € je „Arbeitstag“ beliefen, pro Tag im Durchschnitt 115 € dem Angeklagten S. und 50 € dem Angeklagten D.

bb) Die Strafkammer hat das Agieren des Angeklagten D. als schwere Zwangsprostitution gemäß § 232a Abs. 1 und 4 Alternative 1 i.V.m. § 232 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 Alternative 1 StGB gewertet. Sie hat angenommen, dass der Angeklagte D. gewerbsmäßig handelte, als er am 29. Juli 2019 auf die Nebenklägerin einwirkte, weil er sich durch ihre Prostitutionstätigkeit eine fortdauernde Einnahmequelle von einigem Umfang verschaffen wollte.

Damit hat das Landgericht verkannt, dass Gewerbsmäßigkeit im Sinne des § 232 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 Alternative 1 StGB nur vorliegt, wenn der Täter sich Einnahmen aus einer wiederholten Tatbegehung verschaffen will. Das Qualifikationsmerkmal ist mithin nur erfüllt, wenn der Täter den Straftatbestand des § 232a Abs. 1 StGB mehrfach verwirklicht beziehungsweise bei seiner Tathandlung den Vorsatz hat, zukünftig weitere Taten der Zwangsprostitution zwecks Generierung einer fortdauernden Einnahmequelle zu begehen (vgl. BGH, Urteil vom 12. April 2018 - 4 StR 336/17, NStZ-RR 2018, 375, 376; Beschlüsse vom 22. Februar 2011 - 4 StR 622/10, juris; vom 28. August 2008 - 4 StR 327/08, juris Rn. 3; Fischer, StGB, 69. Aufl., § 232 Rn. 34). Die Absicht der fortdauernden Ausnutzung einer durch eine einmalige Einwirkung auf das Tatopfer veranlassten Prostitutionstätigkeit genügt dagegen zur Erfüllung des Qualifikationsmerkmals der Gewerbsmäßigkeit nicht.

Nach den von der Strafkammer getroffenen Feststellungen wirkte der Angeklagte D. einzig im Zusammenhang mit der Verbringung der Nebenklägerin von K. nach W. auf sie ein und veranlasste sie bei dieser Gelegenheit einmalig, erneut der Prostitution nachzugehen. Anders als hinsichtlich des Angeklagten S. lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen, dass er von vornherein beabsichtigte, durch weitere Taten gemäß § 232a Abs. 1 StGB die Nebenklägerin erneut dazu zu bringen, sich zu prostituieren, sollte sie sich entschließen, ihre Tätigkeit zu beenden.

b) Der Subsumtionsfehler der Strafkammer begründet aber im Ergebnis keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten D. Denn die Feststellungen des angefochtenen Urteils belegen seine Strafbarkeit wegen schwerer Zwangsprostitution gemäß § 232a Abs. 1 und 3 StGB: Sein Agieren am 29. Juli 2019 in K. erfüllt die Qualifikationsmerkmale der Drohung mit einem empfindlichen Übel sowie der List des § 232a Abs. 3 StGB (vgl. zum Merkmal der List BGH, Beschluss vom 4. August 2020 - 3 StR 132/20, BGHR StGB § 232a Abs. 3 List 1 Rn. 19 ff.).

Mithin ist der Angeklagte D. im Ergebnis zutreffend wegen schwerer Zwangsprostitution verurteilt worden, wenngleich sich die Strafbarkeit aus § 232a Abs. 1 und 3 StGB und nicht - wie von der Strafkammer angenommen - aus § 232a Abs. 1 und 4 Alternative 1 i.V.m. § 232 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 Alternative 1 StGB ergibt.

c) Der Schuldspruch kann daher bestehen bleiben. § 265 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen. Denn es ist auszuschließen, dass der Angeklagte, der in der Hauptverhandlung von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht hat, sich mit Erfolg anders als geschehen verteidigt hätte, wenn er auf die Möglichkeit der dargelegten abweichenden rechtlichen Beurteilung seines Tathandelns hingewiesen worden wäre.

d) Die abweichende rechtliche Grundlage der Verurteilung des Angeklagten D. wegen schwerer Zwangsprostitution hat auf die für diese Tat verhängte Einzelstrafe und auf die Gesamtstrafe keine Auswirkungen. Denn der eröffnete Strafrahmen liegt jeweils bei Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. Es ist auszuschließen, dass die Strafkammer, hätte sie statt des Qualifikationsmerkmals der Gewerbsmäßigkeit die Verwirklichung der Qualifikationsmerkmale der Drohung mit einem empfindlichen Übel und der List angenommen, eine geringere Einzelstrafe und eine niedrigere Gesamtstrafe gegen den Angeklagten verhängt hätte.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1074

Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede