HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 617
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, StB 17/21, Beschluss v. 21.04.2021, HRRS 2021 Nr. 617
Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 15. März 2021 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts führt gegen den Angeklagten ein Strafverfahren wegen des Vorwurfs der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung u.a. („Gruppe S. "). Die Hauptverhandlung findet seit dem 13. April 2021 statt, wobei regelmäßig zwei Fortsetzungstermine pro Woche zunächst bis zum 5. Juli 2022 vorgesehen sind. Dem Angeklagten sind Rechtsanwalt R. aus W. und Rechtsanwalt Dr. F. aus B. als Pflichtverteidiger bestellt.
Mit Schriftsatz von Rechtsanwalt Re. aus We. vom 14. Dezember 2020 beantragte der Angeklagte, ihm jenen als „weiteren notwendigen Verteidiger beizuordnen“. Durch Beschluss vom 3. Februar 2021 lehnte der Vorsitzende des Oberlandesgerichtssenats den Antrag ab; der Beschluss wurde den drei Rechtsanwälten am 9., 11. und 13. Februar 2021 zugestellt.
Mit Schriftsatz von Rechtsanwalt Re. vom 9. März 2021 beantragte der Angeklagte erneut dessen Bestellung zum Pflichtverteidiger. Diesen Antrag lehnte der Vorsitzende des Oberlandesgerichtssenats mit Beschluss vom 15. März 2021 ab. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit der sofortigen Beschwerde, die er, nachdem der Generalbundesanwalt ihre Verwerfung beantragt hatte, ergänzend begründet hat.
Die gemäß § 142 Abs. 7 Satz 1, § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO statthafte (vgl. BGH, Beschluss vom 31. August 2020 - StB 23/20, NJW 2020, 3736 Rn. 8) und auch im Übrigen zulässige (§ 306 Abs. 1, § 311 Abs. 1 und 2 StPO) sofortige Beschwerde ist unbegründet.
1. Ihrem Erfolg in der Sache steht bereits die Rechtskraft des vorausgegangenen Beschlusses des Oberlandesgerichts vom 4. Februar 2021 entgegen.
Nach der seit dem 13. Dezember 2019 geltenden Vorschrift des § 142 Abs. 7 Satz 1 StPO ist die Bestellung eines Pflichtverteidigers oder ihre Ablehnung mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar. Gemäß § 311 Abs. 2 StPO ist das Rechtsmittel binnen einer Woche nach der Bekanntmachung (§ 35 StPO) der Entscheidung einzulegen. Nach Ablauf der Wochenfrist erwächst das Erkenntnis in Rechtskraft. Mit der Ausgestaltung des Rechtsmittels als sofortiger Beschwerde wollte der Gesetzgeber erreichen, dass im Vergleich zur alten Rechtslage „schneller Klarheit herrscht"; es soll verhindert werden, dass die Beschwerde „zu irgendeinem Zeitpunkt im späteren Verfahren“ eingelegt wird „und dann zu einer Verfahrensverzögerung führen kann“ (BT-Drucks. 19/13829 S. 44).
Mit diesem gesetzgeberischen Anliegen ist es unvereinbar, wenn der Angeklagte, dessen Antrag auf Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers abgelehnt worden ist, nach Eintritt der Rechtskraft aufgrund eines neuerlichen inhaltsgleichen Antrags eine Neubeurteilung der Sach- und Rechtslage durch das Ausgangsgericht und anschließend durch das Beschwerdegericht erwirken könnte. Vielmehr ist in Bedacht zu nehmen, dass nach allgemeinen Grundsätzen die nachträgliche Änderung oder Aufhebung rechtskräftiger Erkenntnisse nur ausnahmsweise in Betracht kommt (vgl. LR/Matt, StPO, 26. Aufl., Vor § 304 Rn. 55 ff.). Daher kann der Angeklagte den weiteren Antrag auf Pflichtverteidigerbeiordnung und die sofortige Beschwerde gegen dessen Ablehnung grundsätzlich nicht erfolgreich auf Umstände stützen, die bereits Gegenstand der Erstentscheidung waren, anderenfalls diese Entscheidung trotz des Eintritts der Rechtskraft der Sache nach einer rechtlichen Kontrolle unterzogen würde. Vielmehr ist der Erfolg davon abhängig, dass sich eine wesentliche Veränderung der zugrundeliegenden tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse ergeben hat. Solches ist hier weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
2. Ungeachtet dessen begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass der Vorsitzende des Oberlandesgerichtssenats die Bestellung eines dritten Verteidigers nicht als im Sinne des § 144 Abs. 1 StPO zur Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens, insbesondere wegen dessen Umfang oder Schwierigkeit, erforderlich erachtet hat. Der Vorsitzende hat die Grenzen seines Beurteilungsspielraums zu den tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift nicht überschritten (zu deren Auslegung und zum vom Beschwerdegericht anzulegenden Prüfungsmaßstab vgl. BGH, Beschluss vom 31. August 2020 - StB 23/20, NJW 2020, 3736 Rn. 12 ff., 15 ff.).
- Die lediglich abstrakte Gefahr einer Infektion mit dem Covid-19-Virus, die aktuell für die Bevölkerung insgesamt zum allgemeinen Lebensrisiko gehört (s. BGH, Beschluss vom 17. November 2020 - 3 ARs 14/20, NStZ-RR 2021, 22, 23), führt nicht dazu, dass die Entscheidung des Vorsitzenden des Oberlandesgerichtssenats, keinen dritten (Sicherungs-)Verteidiger zu bestellen, als unvertretbar zu bewerten wäre (vgl. auch OLG Celle, Beschluss vom 11. Mai 2020 - 5 StS 1/20, NStZ 2021, 123 Rn. 17; hierzu BGH, Beschluss vom 9. Juli 2020 - StB 21/20, juris Rn. 4).
- Eine Gleichbehandlung mit dem Mitangeklagten K. kann der Beschwerdeführer schon deswegen nicht mit Erfolg geltend machen, weil - ausweislich des mit der abschließenden Stellungnahme vorgelegten Beiordnungsbeschlusses vom 4. Februar 2021 - der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts aufgrund konkreter Umstände in der Person eines der Verteidiger dieses Mitangeklagten besorgt hat, dass eine durchgehende Verteidigung durch ihn nicht gewährleistet ist.
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 617
Bearbeiter: Christian Becker