HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 934
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 95/20, Beschluss v. 18.06.2020, HRRS 2020 Nr. 934
Die Sache wird an das Oberlandesgericht Karlsruhe zurückgegeben.
Die Vorlegungssache betrifft die Frage, ob gegen den Beschluss des Amtsgerichts, mit dem nach Einspruch des Einziehungsbetroffenen gegen einen selbständigen Einziehungsbescheid gemäß § 29a Abs. 5 OWiG ohne mündliche Verhandlung entschieden wurde, die Rechtsbeschwerde oder die sofortige Beschwerde das statthafte Rechtsmittel ist.
1. Der Einziehungsbetroffene ist verantwortlicher Geldspielgeräteaufsteller in einer Spielhalle in K., wo er im Oktober und November 2016 sechs Geldspielgeräte trotz abgelaufener Zulassung betrieb. Durch das unerlaubte fahrlässige Weiterbetreiben der Spielgeräte erzielte er Einnahmen in Höhe von 20.436,80 Euro. Das eingeleitete Bußgeldverfahren stellte die Stadtverwaltung K. gemäß § 47 Abs. 1 OWiG ein. Zugleich ordnete sie mit Bescheid vom 9. August 2017 die selbständige Einziehung der Taterträge an (§ 29a Abs. 5 OWiG). Hiergegen legte der Einziehungsbetroffene Einspruch ein. Mit Urteil vom 3. Mai 2018 hat das Amtsgericht Konstanz daraufhin die „Einziehung eines Geldbetrages“ von 20.436,80 Euro angeordnet.
2. Auf die Rechtsbeschwerde des Einziehungsbetroffenen hat das Oberlandesgericht Karlsruhe dieses Urteil - nicht aber die getroffenen Feststellungen - mit der Begründung aufgehoben, das Amtsgericht habe bei der Bemessung der Taterträge Aufwendungen nicht in Abzug gebracht, und die Sache zu neuer Entscheidung an das Amtsgericht Konstanz zurückverwiesen. Mit Schreiben vom 17. April 2019 hat das Amtsgericht den Beteiligten mitgeteilt, dass es nunmehr ohne Hauptverhandlung durch Beschluss zu entscheiden beabsichtige (§ 72 OWiG), gegen den nur die Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 1 Satz 1 OWiG zulässig sei. Nachdem die Staatsanwaltschaft Konstanz und der Einziehungsbetroffene sich mit einer Entscheidung im Beschlusswege einverstanden erklärt hatten, hat das Amtsgericht Konstanz durch Beschluss vom 3. September 2019 den einzuziehenden Betrag auf 10.000 Euro festgesetzt. Hiergegen hat der Einziehungsbetroffene erneut Rechtsbeschwerde eingelegt, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.
3. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hält die Rechtsbeschwerde für statthaft und möchte über diese entscheiden. Hieran sieht es sich durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Oberlandesgerichte Köln, Zweibrücken und Düsseldorf gehindert, die stattdessen die sofortige Beschwerde für gegeben hielten. Zugleich meint das Oberlandesgericht Karlsruhe auch dieser Ansicht - welche zur Zuständigkeit des Landgerichts Konstanz (Kammer für Bußgeldsachen) führen würde - nicht folgen zu können, weil das Oberlandesgericht Stuttgart die Rechtsbeschwerde als das statthafte Rechtsmittel ansehe. Mit Beschluss vom 12. Februar 2020 hat das Oberlandesgericht Karlsruhe daher dem Bundesgerichtshof folgende Rechtsfrage zur Beantwortung vorgelegt:
„Ist gegen den Beschluss des Amtsgerichts, mit dem nach Einspruch des Einziehungsbetroffenen gegen einen selbständigen Einziehungsbescheid gemäß § 29a Abs. 5 OWiG ohne mündliche Verhandlung entschieden wurde, die Rechtsbeschwerde oder die sofortige Beschwerde das statthafte Rechtsmittel?“ Der Generalbundesanwalt beantragt, die Vorlagefrage dahin zu beantworten, dass die sofortige Beschwerde das statthafte Rechtsmittel sei.
Die Voraussetzungen für eine Vorlage nach § 121 Abs. 2 GVG i.V. mit § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG sind nicht gegeben.
Das Oberlandesgericht Karlsruhe ist durch Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und anderer Oberlandesgerichte nicht gehindert, über das Rechtsmittel des Einziehungsbetroffenen wie beabsichtigt zu entscheiden. Der vorlegende Bußgeldsenat ist als Rechtsbeschwerdegericht mit einer besonderen Prozesslage befasst, die auf die rechtliche Beurteilung wesentlichen Einfluss hat. Es fehlt daher an einer auf dieselbe Rechtsfrage bezogenen Abweichung (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 24. April 1986 - 2 StR 565/85, BGHSt 34, 71, 74 ff.; LR/Franke, StPO, 26. Aufl., § 121 GVG Rn. 64a; KK-Feilcke, StPO, 8. Aufl., § 121 GVG Rn. 34; Kissel/Mayer, GVG, 9. Aufl., § 121 Rn. 21, 26).
1. Für eine (Außen-)Divergenz von vornherein unmaßgeblich sind jene obergerichtlichen Entscheidungen, die im selbständigen Einziehungsverfahren nach dem OWiG die Rechtsbeschwerde gemäß § 79 OWiG für das statthafte Rechtsmittel gegen amtsgerichtliche Beschlüsse halten (OLG Stuttgart, wistra 2009, 167 f. und Beschluss vom 20. Mai 2011 - 1 Ss 193/11, unveröffentlicht; vgl. ferner OLG Karlsruhe, Beschluss vom 20. Juni 2016 - 1 (8) SsBs 269/15 - AK 99/15). Denn das vorlegende Gericht möchte insbesondere gestützt auf § 71 Abs. 1, §§ 72, 87 Abs. 3 Satz 2 OWiG zum selben Ergebnis gelangen (vgl. allgemein dazu BGH, Beschlüsse vom 14. Dezember 1999 - 5 AR (VS) 2/99 Rn. 6 und vom 23. Februar 1977 - IV ARZ (Vz) 2/77 Rn. 6).
2. a) Nach der - aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts zutreffenden - Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 29. April 1983 - 2 ARs 118/83, BGHSt 31, 361 zum gleichgeregelten selbständigen Rückerstattungsverfahren des WiStG aF; vgl. auch BGH, Beschluss vom 19. März 1993 - 2 ARs 43/93, BGHSt 39, 162) und anderer Oberlandesgerichte (OLG Köln, wistra 1993, 39; OLG Zweibrücken, MDR 1994, 404; vgl. ferner OLG Düsseldorf, NVwZ 1996, 934, 935; OLG Hamburg, StraFo 2011, 57 bei einem Vorgehen nach § 82 Abs. 2, § 47 Abs. 2 OWiG) ist das statthafte Rechtsmittel gegen einen amtsgerichtlichen Beschluss im selbständigen Einziehungsverfahren nach dem OWiG die sofortige Beschwerde, über die das Landgericht (Kammer für Bußgeldsachen, § 46 Abs. 7 OWiG) zu befinden hat.
Dies folgt aus § 87 Abs. 3 Satz 2, Abs. 5, § 46 Abs. 1 OWiG i.V. mit § 436 Abs. 2, § 434 Abs. 2 StPO. Der selbständige Einziehungsbescheid steht nur hinsichtlich seiner Form und der Anfechtungsmöglichkeit einem Bußgeldbescheid gleich, wohingegen §§ 71 ff. OWiG für das Hauptverfahren und daher auch §§ 79 ff. OWiG zum Rechtsbeschwerdeverfahren unanwendbar sind. Vielmehr ist insoweit im Einklang mit dem Willen des Gesetzgebers (BT-Drucks. V/1269, S. 113 und 10/318, S. 38) auf die Regelungen der StPO zum selbständigen Einziehungsverfahren zurückzugreifen. Danach entscheidet das Tatgericht durch einen gemäß § 434 Abs. 2 StPO der sofortigen Beschwerde unterliegenden Beschluss, durch Urteil aufgrund einer mündlichen Verhandlung nur dann, wenn dies beantragt oder gerichtlich angeordnet wurde. Für deren Durchführung sind nach § 434 Abs. 3 Satz 1, zweiter Halbsatz StPO, § 46 Abs. 1 OWiG die in §§ 71 ff. OWiG enthaltenen Vorschriften über die Hauptverhandlung sinngemäß heranzuziehen. Folglich ist gegen ein ergangenes Urteil die Rechtsbeschwerde statthaft (vgl. BayObLG, NStZ-RR 1998, 23; OLG Koblenz, ZfSch 2007, 108; OLG Düsseldorf, NVwZ 1996, 934, 935; KK-Schmidt, StPO, 8. Aufl., § 434 Rn. 12; Ganter in BeckOK OWiG, 26. Ed., § 87 Rn. 62). So lag es hier im ersten Rechtsgang.
b) Die zuvor genannten Entscheidungen (eingangs 2. a)) verhalten sich ausnahmslos zur Anfechtung eines im ersten Rechtsgang erlassenen Beschlusses des Amtsgerichts. Zu der hier relevanten Frage, welches Rechtsmittel gegen einen Beschluss im selbständigen Einziehungsverfahren nach einer teilweisen Urteilsaufhebung und Zurückverweisung durch das Rechtsbeschwerdegericht gegeben ist, liegt hingegen soweit ersichtlich keine obergerichtliche Rechtsprechung vor, wonach auch in diesem Fall die sofortige Beschwerde statthaft ist (vgl. OLG Düsseldorf, NVwZ 1996, 934, 936 mit Hinweisen zu §§ 77, 77a OWiG und zur Fassung der Urteilsgründe; s. auch OLG Hamm, NVwZ 1993, 508, 509; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 18. März 2019 - 2 Rb 9 Ss 852/18 Rn. 30).
3. Die aufgezeigte Rechtsfrage ist auch nicht deshalb mit der Vorlagefrage identisch, weil wegen der Gleichheit des Rechtsproblems die Entscheidung ohne Rücksicht auf die Verschiedenheit der Fälle und der anwendbaren Vorschriften nur einheitlich ergehen könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2001 - 4 StR 93/01, BGHSt 47, 181, 183; LR/Franke, StPO, 26. Aufl., § 121 GVG Rn. 64; SK-StPO/Frister, 5. Aufl., § 121 GVG Rn. 22; KK-Feilcke, StPO, 8. Aufl., § 121 GVG Rn. 34; jeweils mwN). Vielmehr liegt unter Beachtung der Art der vorgelegten Rechtsfrage (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. November 1991 - 4 StR 350/91, BGHSt 38, 106, 108 f. und vom 31. Oktober 1978 - 5 StR 432/78, BGHSt 28, 165, 167 f.) ein in wesentlichen Belangen abweichender Sachverhalt vor, bei dem auch nach der Rechtsansicht u.a. des Bundesgerichtshofs (BGHSt 31, 361) die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde gemäß § 79 OWiG nicht von vornherein ausscheidet. Denn im Rahmen dieser Ansicht führt die erfolgte Urteilsaufhebung - insbesondere da die Feststellungen aufrechterhalten worden sind - zu dem Problem, ob es dem Tatgericht noch im zweiten Rechtsgang möglich ist, im Rahmen von § 434 StPO die Verfahrensart zu wechseln und den Rechtsmittelzug zu ändern. Sollte dies hier zu verneinen sein, würde es im Urteilsverfahren bei dem Verweis von § 434 Abs. 3 Satz 1, zweiter Halbsatz StPO auf §§ 71 ff. OWiG bleiben. Für diesen Fall hätte das Amtsgericht gleichermaßen einen urteilsersetzenden Beschluss nach § 72 OWiG erlassen, gegen den in Übereinstimmung mit dem Oberlandesgericht Karlsruhe die Rechtsbeschwerde statthaft wäre.
4. Die Sache ist damit zur eigenen Entscheidung an den vorlegenden Bußgeldsenat zurückzugeben.
HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 934
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2020, 322
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede