Bearbeiter: Rocco Beck
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 350/91, Beschluss v. 05.11.1991, HRRS-Datenbank, Rn. X
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom 27. September 1990 wird verworfen.
Der Betroffene hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen wegen vorsätzlicher Überschreitung der auf 60 km/h begrenzten zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 74 km/h eine Geldbuße von 400,-- DM festgesetzt und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Nach den Feststellungen befuhr der nicht durch Eintragungen im Verkehrszentralregister vorbelastete Betroffene am 1. Mai 1990 kurz nach 14.00 Uhr als Führer eines Personenkraftwagens die BAB A 44 in Richtung Dortmund. Bei km 12,650 wurde durch eine Radarmessung festgestellt, daß der Betroffene die dort durch Zeichen 274 StVO auf 60 km/h beschränkte Höchstgeschwindigkeit - nach Berücksichtigung eines Toleranzwertes von 5 km/h - um 74 km/h überschritt. Der Meßstelle ging ein sogenannter Geschwindigkeitstrichter voraus, in dessen Verlauf die zulässige Höchstgeschwindigkeit zunächst auf 100 km/h, dann auf 80 km/h und schließlich auf 60 km/h herabgestuft war, weil sich im weiteren Verlauf der Fahrbahn häufig Unfälle ereignet hatten. Der Betroffene überschritt die zulässige Höchstgeschwindigkeit, weil er es wegen eines Kundenbesuches eilig hatte.
Bei der Bemessung der Geldbuße hat der Tatrichter den für eine fahrlässige Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um mehr als 60 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften im Bußgeldkatalog vorgeschriebenen Regelsatz als angemessen angesehen und auf eine Erhöhung wegen vorsätzlicher Begehungsweise verzichtet. Zur Anordnung des Fahrverbots hat das Amtsgericht ausgeführt:
"Ein Fahrverbot von 1 Monat war gemäß § 25 StVG, § 2 Abs. I der seit dem 01.01.1990 in Kraft getretenen Bußgeldkatalogverordnung vom 04.07.1989 unverzichtbar. (...) Es sind keine Gründe ersichtlich, die es rechtfertigen würden, hier keinen Regelfall anzunehmen. Der Betroffene hat gezeigt, daß er aus bloßer Terminnot bereit ist, die für die Sicherheit des Straßenverkehrs wichtigen Vorschriften der Geschwindigkeitsbeschränkung bewußt in erheblicher Weise zu überschreiten. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß mit der Neuregelung des Bußgeldkataloges erreicht werden soll, daß das zu schnelle Fahren als Unfallursache Nr. 1 eingedämmt wird. Dies ist nur zu erreichen, wenn von den gegebenen Möglichkeiten der Verhängung eines Fahrverbotes auch Gebrauch gemacht wird. Die bloße Erhöhung der Geldbuße war zur Einwirkung auf den Betroffenen nicht ausreichend."
Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, mit der er insbesondere geltend macht, daß die Anordnung des Fahrverbots nicht ausreichend begründet sei. Der Generalstaatsanwalt bei dem Oberlandesgericht Hamm hat beantragt, die Rechtsbeschwerde gemäß § 79 Abs. 3 OWiG, § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen. Der zur Entscheidung über das Rechtsmittel berufene 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm beabsichtigt, die Rechtsbeschwerde zu verwerfen, soweit sie sich gegen den Schuldspruch richtet, dagegen das Urteil des Amtsgerichts im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und die Sache insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Nach seiner Ansicht stellt die Begründung des Fahrverbots in dem angefochtenen Urteil "weitgehend pauschal auf einen anzunehmenden Regelfall und nicht auf eine Einzelfallprüfung unter Abwägung aller dafür maßgebenden Tatumstände" ab. Eine solche Prüfung und die darauf beruhende tatrichterliche Feststellung, "daß der durch das Fahrverbot angestrebte erzieherische Erfolg auch mit einer erhöhten Geldbuße nicht erreicht werden kann", hält das Oberlandesgericht auch nach Inkrafttreten der Bußgeldkatalogverordnung in jedem Einzelfall für erforderlich. Daher könne das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch wegen unzureichender Feststellungen keinen Bestand haben.
An der beabsichtigten Entscheidung sieht sich das Oberlandesgericht Hamm durch den Beschluß des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 7. November 1990 - 2 Ss (OWi) 316/90 - (OWi) 72/90 - (veröffentlicht in VRS 80, 367 = DAR 1991, 111) gehindert, das die Auffassung vertritt, durch die Bußgeldkatalogverordnung sei das Fahrverbot als auch die Gerichte bindende R e g e l maßnahme eingeführt worden und deshalb sei die vom vorlegenden Gericht vermißte konkrete Einzelfallprüfung nicht erforderlich, wenn der Tatrichter unter den Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 und 2 BKatV einen dort normierten Regelfall annimmt.
Das Oberlandesgericht Hamm hat deshalb die Sache gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 121 Abs. 2 GVG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung über folgende Rechtsfrage vorgelegt:
"Bedarf es der tatrichterlichen Feststellung, daß der durch das Fahrverbot angestrebte Erfolg auch mit einer erhöhten Geldbuße nicht erreicht werden kann, dann nicht (mehr), wenn wegen der Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung ein im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 BKatV qualifizierter Fall einer groben Pflichtverletzung vorliegt?"
Der Senat bejaht die Zulässigkeit der Vorlegung nach § 121 Abs. 2 GVG. Der Sachverhalt, der der Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf zugrundeliegt, unterscheidet sich allerdings von dem, den das vorlegende Oberlandesgericht Hamm zu beurteilen hat. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hatte über einen Fall zu entscheiden, der durch eine fahrlässige Begehungsweise und eine Geschwindigkeitsüberschreitung von "nur" 51 km/h gekennzeichnet war und damit in den Bereich des Regelfalles der Bußgeldkatalog-Verordnung (BKatV) vom 4. Juli 1989 (BGBl I 1989 S. 1305) fiel. Ein Regelfall liegt bei fahrlässiger Begehung unter gewöhnlichen Tatumständen vor (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 1 BKatV). Dagegen hat das Oberlandesgericht Hamm nicht über einen solchen Regelfall, sondern über einen besonderen Sachverhalt zu entscheiden, der durch eine vorsätzliche grob verkehrswidrige und rücksichtslose Verhaltensweise gekennzeichnet ist. Für diesen Sachverhalt bedarf es keines Rückgriffs auf die BKatV; vielmehr läßt sich die Anordnung des Fahrverbots unmittelbar nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG beurteilen.
Da jedoch die Auffassung des Oberlandesgerichts Hamm, auch auf diesen Sachverhalt seien die Kriterien der BKatV zur Anwendung zu bringen, soweit es die Höhe und/oder Dauer der zu verhängenden Rechtsfolgen betrifft, nicht unvertretbar ist, und das Gewicht tatsächlicher Unterschiede im Zusammenhang mit der Art der Rechtsfrage, die es zu entscheiden gilt, bewertet werden muß (BGHSt 28, 165, 167), ist die Zulässigkeit der Vorlegung zu bejahen (vgl. KK 2. Aufl. Rdn. 44 zu § 121 GVG). Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, selbständig in der Sache zu entscheiden (BGH VRS 30, 298, 300; vgl. KK aaO Rdn. 48 m.w.Nachw.). Entgegen der Auffassung des vorlegenden Oberlandesgerichts ist die Rechtsbeschwerde unbegründet (§ 79 Abs. 3 OWiG in Verbindung mit § 349 Abs. 2 StPO). Die Überprüfung des Urteils des Amtsgerichts aufgrund der Sachrüge hat Rechtsfehler im Schuldspruch nicht aufgedeckt. Auch der Rechtsfolgenausspruch hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Der Erörterung bedarf allein die Verhängung des Fahrverbots.
Der Betroffene hat vorsätzlich die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h um mehr als das Doppelte (74 km/h) an einer durch einen vorausgehenden sogenannten Geschwindigkeitstrichter als besonders unfallträchtig ausgewiesenen Stelle überschritten, weil er einen geschäftlichen Termin einhalten wollte. Damit ist die Geschwindigkeitsüberschreitung nicht nur objektiv als besonders schwerwiegender Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung gekennzeichnet, sondern auch subjektiv das Verhalten des Betroffenen als rücksichtslos beschrieben. Denn er hat sich aus eigensüchtigen Motiven, um im Geschäftsverkehr keine Nachteile zu erleiden, über die Sicherheitsbelange der Allgemeinheit in besonders verkehrsgefährdender Weise hinweggesetzt. Das sind die Fälle, die der Gesetzgeber neben einer Geldbuße auch mit einem Fahrverbot (§ 25 StVG) - wie geschehen - geahndet wissen will. Wenn das vorlegende Oberlandesgericht der Auffassung ist, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1969 (BVerfGE 27, 36 = NJW 1969, 1623) dahin auslegen zu müssen, daß für die Anordnung eines Fahrverbots wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers in jedem Einzelfall - und damit auch bei einem durch grobe Verkehrswidrigkeit und Rücksichtslosigkeit gekennzeichneten Verkehrsverstoß wie im vorliegenden Fall - die tatrichterliche Feststellung unerläßlich sei, daß der "mit dieser Sanktion angestrebte Erfolg im Einzelfall auch mit einer empfindlichen ... Geldbuße nicht erreicht werden kann", so könnte der Senat dem in dieser Allgemeinheit nicht folgen. Denn nichts spricht dafür, daß das Bundesverfassungsgericht, das das Fahrverbot als wirksame Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme - auch für Ersttäter - in den Massenverfahren des Straßenverkehrsrechts im Ordnungswidrigkeitenbereich für verfassungsrechtlich unbedenklich gehalten hat, dieses erzieherische Instrument durch überhöhte Anforderungen an seine Verhängung in der Praxis zu einem "stumpfen Schwert" hat entwerten wollen. Nur ein Fahrverbot kann im Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts auf Verkehrssünder, wie den Betroffenen des vorliegenden Falles, die notwendige Warn- und Erziehungsfunktion ausüben. Erhöhte Geldbußen sind, wie die tägliche Praxis zeigt, für diesen Täterkreis ohne Wirkung. Die Feststellung des Amtsgerichts, "die bloße Erhöhung der Geldbuße war zur Einwirkung auf den Betroffenen nicht ausreichend", trägt deshalb die angeordnete Maßnahme. Im Hinblick auf den mitgeteilten Sachverhalt genügen die knappen Ausführungen des Amtsgerichts zu den verhängten Sanktionen - die keineswegs unverhältnismäßig sind und deshalb keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegen - den Anforderungen, die in Massenverfahren im Ordnungswidrigkeitenbereich an Entscheidungsbegründungen zu stellen sind. Die Rechtsbeschwerde ist somit als unbegründet zurückzuweisen.
Der Generalbundesanwalt hat beantragt zu entscheiden:
"Der tatrichterlichen Feststellung, daß der durch das Fahrverbot angestrebte Erfolg auch mit einer erhöhten Geldbuße nicht erreicht werden kann, bedarf es dann nicht mehr, wenn wegen der Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung ein im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 BKatV qualifizierter Fall einer groben Pflichtverletzung vorliegt."
Externe Fundstellen: BGHSt 38, 106; NJW 1992, 449
Bearbeiter: Rocco Beck