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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 568

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 219/18, Beschluss v. 27.11.2018, HRRS 2019 Nr. 568


BGH 3 StR 219/18 - Beschluss vom 27. November 2018 (LG Duisburg)

Verhängung der Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen (Unergiebigkeit des objektiven Tatunrechts für das Vorliegen schädlicher Neigungen; Heranziehen von Vorverurteilungen).

§ 17 Abs. 2 JGG

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 6. September 2017, soweit es ihn betrifft, im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Nötigung unter Einbeziehung eines weiteren Urteils zu der Einheitsjugendstrafe von zehn Monaten verurteilt. Die Aussetzung der Strafe zur Bewährung hat es versagt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und deshalb unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Mit der Sachrüge hat das Rechtsmittel den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die auf die Sachbeschwerde gebotene umfassende materiellrechtliche Prüfung des Urteils hat zum Schuldspruch keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

2. Der Ausspruch über die Jugendstrafe hat dagegen keinen Bestand. Das Landgericht hat bereits seine Annahme, die Verhängung der Jugendstrafe sei wegen der beim Angeklagten vorhandenen schädlichen Neigungen erforderlich (§ 17 Abs. 2 JGG), nicht rechtsfehlerfrei begründet. Darüber hinaus hält die konkrete Bemessung der Jugendstrafe revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Schädliche Neigungen im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG sind erhebliche Anlage- oder Erziehungsmängel, die ohne längere Gesamterziehung des Täters die Gefahr weiterer Straftaten begründen. Sie können in der Regel nur bejaht werden, wenn erhebliche Persönlichkeitsmängel schon vor der Tat, wenn auch unter Umständen verborgen, angelegt waren. Sie müssen schließlich auch noch zum Urteilszeitpunkt bestehen und weitere Straftaten des Angeklagten befürchten lassen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 17. Juli 2012 - 3 StR 238/12, NStZ 2013, 287).

Diese Voraussetzungen werden durch die Feststellungen nicht belegt.

aa) Soweit das Landgericht darauf abgestellt hat, dass der Angeklagte, der mit der abgeurteilten Nötigung die Freundin des durch Körperverletzungshandlungen seines mitangeklagten Halbbruders Geschädigten davon abgehalten hatte, ihrem Freund zu Hilfe zu kommen, das „sozialethisch vorwerfbare Vorverhalten“ seines Halbbruders gebilligt und die körperliche Auseinandersetzung zwischen diesem und dem Geschädigten gefördert habe, um seinem Halbbruder „eine Machtdemonstration zur Steigerung seines Selbstwertgefühls zu ermöglichen“, betrifft dies, auch wenn sich das Landgericht insoweit einer psychologisierenden Wortwahl bedient hat, überwiegend das objektive Tatunrecht und ist deshalb für das Vorliegen schädlicher Neigungen weitgehend unergiebig (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Mai 2016 - 3 StR 78/16, NStZ 2016, 682).

bb) Ob das Landgericht - neben der Begehung der Tat als solcher - auch die Vorverurteilungen des Angeklagten herangezogen hat, um das Vorliegen schädlicher Neigungen bereits zum Zeitpunkt der Tat am 13. April 2013 zu belegen, ergeben die Urteilsgründe nicht. Zwar hat das Landgericht angeführt, dass der Angeklagte mit „hoher Rückfallgeschwindigkeit“ eine Vielzahl von Straftaten - oftmals mit erheblichem Gewaltpotential - begangen habe. Doch hat es nicht deutlich gemacht, ob die „persönliche Entwicklung“ des Angeklagten, „wie sie sich in den Vorverurteilungen ersehen“ lasse, zum Beleg des Vorliegens schädlicher Neigungen bereits zum Tatzeitpunkt oder allein dafür dienen soll, dass der Angeklagte „auch heute“, also zum Zeitpunkt des Urteils, noch erhebliche Persönlichkeitsmängel aufweist. Für diese nach dem obigen Maßstab geforderte klarstellende Unterscheidung hätte aber umso mehr Anlass bestanden, als der Angeklagte zum Tatzeitpunkt lediglich zweimal mit einer Verwarnung sowie der Verhängung einer Arbeitsauflage bzw. eines Freizeitarrests vorgeahndet war, während er nach Begehung der verfahrensgegenständlichen Tat noch dreimal mit jugendrichterlichen Zuchtmitteln, Jugendarrest und zuletzt - mit dem einbezogenen Urteil vom 4. Mai 2016 - mit einem Schuldspruch belegt worden ist.

b) Zudem weist die Bemessung der Jugendstrafe einen Rechtsfehler auf. Das Landgericht hat insoweit berücksichtigt, dass der Angeklagte mehrfach vorbestraft sei und „unter laufender Bewährung“ stehe. Der Vorbehalt der Verhängung einer Jugendstrafe zur Bewährung wurde allerdings erst mehr als drei Jahre nach Begehung der hier abgeurteilten Tat mit der einbezogenen Verurteilung vom 4. Mai 2016 ausgesprochen, so dass die „laufende“ Bewährung weder unter erzieherischen Gesichtspunkten noch hinsichtlich der bei der Festsetzung der Höhe der Jugendstrafe zu berücksichtigenden Belange des Schuldausgleichs zu beachten war. Denn weder bei der hier abgeurteilten noch bei der der Verurteilung vom 4. Mai 2016 zugrundeliegenden Tat war der Angeklagte bewährungsbrüchig.

Der Strafausspruch hat somit keinen Bestand. Es kann mithin offenbleiben, ob das Landgericht wegen des Umstandes, dass die an sich gebotene Einbeziehung der amtsgerichtlichen Urteile vom 30. August 2013 und 26. September 2014 nach § 31 Abs. 2 Satz 1 JGG wegen der Vollstreckung der darin verhängten jugendstrafrechtlichen Sanktionen nicht mehr möglich war, einen Härteausgleich hätte vornehmen müssen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. Mai 2006 - 3 StR 136/06, juris Rn. 6; vom 20. August 2015 - 3 StR 214/15, NStZ 2016, 101).

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 568

Bearbeiter: Christian Becker