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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1112

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 6/20, Beschluss v. 14.05.2020, HRRS 2020 Nr. 1112


BGH 1 StR 6/20 - Beschluss vom 14. Mai 2020 (LG Lübeck)

Einkommensteuerhinterziehung (Begriff des (Mit-)Unternehmers; Schätzung der verkürzten Steuerbeträge).

§ 370 Abs. 1 AO; § 15 EStG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt eine Schätzung im Steuerstrafverfahren dann in Betracht, wenn zwar feststeht, dass der Steuerpflichtige einen Besteuerungstatbestand erfüllt hat, aber ungewiss ist, welches Ausmaß die Besteuerungsgrundlagen haben (st. Rspr.) Das Gericht kann die Höhe der hinterzogenen Steuerbeträge auch auf Grundlage der Richtwerte für Rohgewinnaufschlagsätze aus der Richtsatzsammlung des Bundesministeriums der Finanzen pauschal schätzen. Dies ist nur zulässig, wenn sich eine konkrete Ermittlung als nicht möglich erweist und ausgehend von der vorhandenen Tatsachenbasis andere Schätzungsmethoden nicht in Betracht kommen.

2. Für die Frage, wer von mehreren Personen, die an einer gewerblichen Tätigkeit beteiligt sind, ertragsteuerlich als Unternehmer anzusehen ist, kommt es dabei weder auf die von den Beteiligten ausdrücklich gewählte Bezeichnung ihrer Rechtsbeziehungen noch auf den Rechtsschein, der nach außen etwa durch die gewerbepolizeiliche Anmeldung gesetzt wird, an; (Mit-)Unternehmer im Sinne von § 15 EStG ist vielmehr, wer nach dem Gesamtbild der Verhältnisse eine (Mit-)Unternehmerinitiative entfalten kann und das (Mit-)Unternehmerrisiko trägt. Die Merkmale der (Mit-)Unternehmerinitiative und des (Mit-)Unternehmerrisikos können im Einzelfall mehr oder weniger ausgeprägt sein, müssen jedoch beide vorliegen. Dies ist unter Berücksichtigung aller die rechtliche und wirtschaftliche Stellung einer Person insgesamt bestimmenden Umstände durch das Tatgericht zu würdigen. Nach diesen Grundsätzen ist regelmäßig von einer Mitunternehmerschaft zwischen dem das Einzelunternehmen faktisch Beherrschenden und den eingesetzten Strohleuten auszugehen, die auf Rechnung des Hintermanns den Betrieb führen, weil deren Vertretungsmacht unbeschränkt ist (Mitunternehmerinitiative) bzw. weil diese das Risiko der vollen persönlichen Haftung im Außenverhältnis tragen (Mitunternehmerrisiko).

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 10. Juli 2019 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben

a) im Schuldspruch in den Fällen 3, 6 und 9 der Urteilsgründe (Einkommensteuerverkürzung 2009, 2010 und 2011),

b) im gesamten Strafausspruch.

2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten V. S. wegen Steuerhinterziehung in neun Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten, die Angeklagte D. wegen Steuerhinterziehung in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten sowie die Angeklagte F. S. wegen Steuerhinterziehung in drei Fällen ebenfalls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der gegen die Angeklagten D. und F. S. verhängten Strafen hat es zur Bewährung ausgesetzt. Zudem hat das Landgericht bei allen Angeklagten jeweils zwei Monate der verhängten Strafen wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung für vollstreckt erklärt.

Die jeweils auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten erzielen mit den Sachrügen den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen sind sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

Das Landgericht hat Folgendes festgestellt und gewertet:

1. Der Angeklagte V. S. betrieb seit dem Jahr 2000 einen Dönerimbiss in guter Lage im H. Hauptbahnhof. Nach Ermittlungen der Steuerfahndung veräußerte er den Betrieb im Jahr 2006 an seine Nichte, die Angeklagte D., die ihn in der Folge nach außen, insbesondere gegenüber dem Finanzamt, als Einzelunternehmerin fortführte. Ende des Jahres 2010 verkaufte die Angeklagte D. das Einzelunternehmen an die Ehefrau des Angeklagten V. S., die Angeklagte F. S., die den Imbiss bis zum Jahr 2013 weiterbetrieb. Tatsächlich führte in der gesamten Zeit überwiegend der Angeklagte V. S. die Geschäfte des Imbissbetriebes fort, traf alle wesentlichen Entscheidungen, trat nach außen gegenüber Kunden und Geschäftspartnern als Entscheidungsträger auf, stellte die Arbeitnehmer ein, verwaltete die Geschäftskasse und führte das Tagesgeschäft; hingegen waren die Angeklagten D. und F. S. nur selten im Betrieb und beschränkten sich im Wesentlichen darauf, die erforderlichen Unterlagen zu unterzeichnen sowie die Steuerberaterin zu beauftragen und die Buchhaltungsarbeiten zu besprechen. Über die Geschäftskonten waren indes nur die Angeklagten D. und F. S. verfügungsbefugt.

Sämtliche Waren bezog der Imbissbetrieb seit dem Jahr 2008 ausschließlich von der Di. GmbH. Mindestens 20 % der gelieferten Waren wurden mit Kenntnis der Angeklagten im jeweiligen Warenwirtschaftssystem der Di. GmbH vom Kundenkonto des Imbissbetriebes auf ein Bar- oder Lagerverkaufskonto umgebucht. In diesem Umfang erzielte der Imbissbetrieb zusätzliche Einnahmen, die die Angeklagten D. und F. S. in den Steuererklärungen für das Einzelunternehmen (Umsatz- und Gewerbesteuer) und in ihren persönlichen Einkommensteuerklärungen nicht angaben. Der Angeklagte V. S. verschwieg in seinen Einkommensteuererklärungen Einnahmen aus dem Imbissbetrieb gänzlich.

2. Die Höhe der nicht erklärten Umsätze bzw. Gewinne des Imbissbetriebes hat das Landgericht geschätzt. Dabei hat es zunächst den in den jährlichen Gewinnermittlungen enthaltenen Wareneinsatzbetrag - ausgehend von Erkenntnissen aus der Auswertung der Protokolldateien des Warenwirtschaftssystems der Di. GmbH für einen Zeitraum von ca. zehn Monaten - um 20 % erhöht und sodann den Erlös und den hinzugeschätzten Erlös jeweils auf Grundlage der Richtsatzsammlung ermittelt, indem es einen Rohgewinnaufschlag von 150 % - einen unterdurchschnittlichen Wert für Imbissbetriebe - beim Erlös auf den korrigierten Wareneinsatz und beim hinzugeschätzten Erlös auf den hinzugeschätzten Wareneinsatz aufgeschlagen hat.

Die einzelnen Taten betreffen jeweils die Umsatz (Taten 1, 4 und 7), Gewerbe (Taten 2, 5 und 8) und Einkommensteuer (Taten 3, 6 und 9) für die Jahre 2009 bis 2011. Die entsprechenden Steuererklärungen gab für die Jahre 2009 und 2010 die Angeklagte D., für das Jahr 2011 die Angeklagte F. S. ab; darin erklärten sie die Einkünfte aus dem Imbissbetrieb jeweils nicht vollständig. Die Einkommensteuerverkürzungen berechnet das Landgericht anhand der Einkommensverhältnisse der jeweils Erklärenden. Für die Jahre 2010 und 2011 geht das Landgericht bei der Bestimmung des Umfangs der verkürzten Umsatzsteuer (Taten 4 und 7) nicht - entsprechend der eigenen Schätzung auf Grundlage der eingereichten Umsatzsteuererklärungen - davon aus, dass die „Schwarzeinkäufe“ zu 80 % zu einem Umsatzsteuersatz von 7 % und zu 20 % zu einem solchen von 19 % verkauft wurden, sondern legt stattdessen ein Verhältnis von 75 zu 25 zugrunde.

II.

Die auf die Sachrügen gebotene Überprüfung des Urteils führt zu dessen Aufhebung im aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang.

1. Die Verurteilung wegen der Hinterziehung von Einkommensteuer (Taten 3, 6 und 9 der Urteilsgründe) hält der sachlichrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Das Landgericht hat die Grundsätze der (Mit-)Unternehmerschaft nicht bedacht. Die Feststellungen belegen nicht, dass die Einkünfte aus dem Imbissbetrieb den Angeklagten D. und F. S. zuzurechnen sind (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2, Abs. 2 EStG). Insoweit kommt in Betracht, dass - zumindest überwiegend - der Angeklagte V. S. die gewerblichen Einkünfte in seine Einkommensteuererklärungen aufzunehmen hatte; seine Erklärungen sind indes nicht von der Anklage umfasst.

a) Für die Frage, wer von mehreren Personen, die an einer gewerblichen Tätigkeit beteiligt sind, ertragsteuerlich als Unternehmer anzusehen ist, kommt es dabei weder auf die von den Beteiligten ausdrücklich gewählte Bezeichnung ihrer Rechtsbeziehungen noch auf den Rechtsschein, der nach außen etwa durch die gewerbepolizeiliche Anmeldung gesetzt wird, an; (Mit-)Unternehmer im Sinne von § 15 EStG ist vielmehr, wer nach dem Gesamtbild der Verhältnisse eine (Mit-)Unternehmerinitiative entfalten kann und das (Mit-)Unternehmerrisiko trägt. Die Merkmale der (Mit-)Unternehmerinitiative und des (Mit-)Unternehmerrisikos können im Einzelfall mehr oder weniger ausgeprägt sein, müssen jedoch beide vorliegen. Dies ist unter Berücksichtigung aller die rechtliche und wirtschaftliche Stellung einer Person insgesamt bestimmenden Umstände durch das Tatgericht zu würdigen (BGH, Beschluss vom 8. Juli 2014 - 1 StR 29/14 Rn. 15; BFH, Urteile vom 17. Mai 2006 - VIII R 21/04 Rn. 24 ff. und vom 4. November 2004 - III R 21/02 Rn. 13, BFHE 207, 321; jeweils mwN). Nach diesen Grundsätzen ist regelmäßig von einer Mitunternehmerschaft zwischen dem das Einzelunternehmen faktisch Beherrschenden und den eingesetzten Strohleuten auszugehen, die auf Rechnung des Hintermanns den Betrieb führen, weil deren Vertretungsmacht unbeschränkt ist (Mitunternehmerinitiative; BGH aaO Rn. 16) bzw. weil diese das Risiko der vollen persönlichen Haftung im Außenverhältnis tragen (Mitunternehmerrisiko; BFH, Urteil vom 4. November 2004 - III R 21/02 Rn. 17, 25, BFHE 207, 321, 325, 327; Beschluss vom 10. Dezember 2009 - X B 106/09 Rn. 4 f.; Madauß, NZWiSt 2013, 332, 334).

b) An diesen Maßstäben gemessen ist eine Alleinunternehmerschaft der Angeklagten D. und F. S. (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) nicht belegt. Im Gegenteil hat das Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellt, dass im gesamten Tatzeitraum der Angeklagte V. S. tatsächlich den Imbissbetrieb beherrschte sowie die Angeklagten D. und F. S. eher als von ihm eingesetzte „Strohfrauen“ einzuordnen sind (vgl. zur faktischen Unternehmensbeherrschung bei Einzelunternehmen BGH, Urteil vom 9. April 2013 - 1 StR 586/12, BGHSt 58, 218 Rn. 83 mwN). Während der Angeklagte damit ertragsteuerlich als Unternehmer anzusehen ist, wäre dies im Hinblick auf die Angeklagten D. und F. S. im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu klären gewesen. Im Falle einer Mitunternehmerschaft wären zur Ermittlung der von den Angeklagten D. und F. S. jeweils verkürzten Einkommensteuer die von ihnen gewerblich erzielten Gewinne entsprechend ihrer tatsächlichen Teilhabe am betrieblichen Ergebnis - erforderlichenfalls im Wege der Schätzung - einzustellen gewesen (BGH, Beschluss vom 8. Juli 2014 - 1 StR 29/14 Rn. 24; Madauß, NZWiSt 2013, 332, 334).

c) Soweit der Angeklagte V. S. in seinen Einkommensteuererklärungen seine gewerblichen Einkünfte verschwieg, sind für die „dadurch“ (§ 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1 AO) zu seinen Gunsten zu niedrig festgesetzten Einkommensteuerschulden die unrichtigen Erklärungen der Angeklagten D. und F. S. nicht mitursächlich: Die unrichtigen Festsetzungen im Einkommensteuerschuldverhältnis zum Angeklagten beruhen allein auf seinen Angaben; daran könnten sich die beiden Mitangeklagten allenfalls beteiligt haben (§ 25 Abs. 2 StGB; § 27 StGB).

d) Nach alledem bedarf es der umfassenden tatgerichtlichen Aufklärung, ob und in welchem Umfang die Angeklagten D. und F. S. Einkünfte aus dem Imbissbetrieb erzielten. Wegen ihrer unbeschränkten Haftung im Außenverhältnis, ihrer Beratungen mit der Steuerberaterin und ihrer Verfügungsbefugnis über die Geschäftskonten ist nicht auszuschließen, dass tragfähige Feststellungen zu Einkünften aus Mitunternehmerschaft aufgrund tatsächlicher wirtschaftlicher Leistung und Teilhabe möglich sind. Nach den rechtsfehlerfreien und damit aufrechtzuerhaltenen Feststellungen gaben die Angeklagten D. und F. S. nicht nur ihre Namen für einen rechtlichen Mantel, unter welchem allein der Angeklagte V. S. mit der Folge gehandelt hätte, dass sämtliche Einkünfte allein ihm zuzurechnen wären (vgl. Madauß, NZWiSt 2013, 332, 335; zu besonderen Fallgestaltungen [Prägung durch persönliche Arbeitsleistung, geringe Kapitalintensität, geringes wirtschaftliches Risiko] BFH, Urteil vom 4. November 2004 - III R 21/02 Rn. 18 f., BFHE 207, 321, 325 f.).

2. In den Fällen der Umsatz- und Gewerbesteuerverkürzungen hat jedenfalls der Schuldspruch Bestand (dazu unter a); gleichwohl unterliegen die zugehörigen Einzelstrafen wegen weiterer Rechtsfehler der Aufhebung (dazu unter b).

a) Die ungeklärt gebliebene Frage der Mitunternehmerschaft wirkt sich bei den Unternehmensteuern nicht aus.

aa) Gegen wen als Unternehmer eines Gewerbebetriebs Umsatzsteuer festzusetzen ist (§ 2 Abs. 1 UStG), ist unabhängig von der Frage zu beurteilen, wer in ertragsteuerlicher Hinsicht das Gewerbe führt und damit zur Gewerbe- und Einkommensteuer zu veranlagen ist (BFH, Beschlüsse vom 12. November 2019 - V B 44/18 Rn. 3 und vom 20. Februar 2004 - V B 152/03 Rn. 8; jeweils mwN). Umsatzsteuerschuldner nach § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG sind bei den bar abgewickelten Lebensmittelumsätzen die Angeklagten D. und F. S., weil sie nach außen „formell“ die Betriebsinhaberschaft innehatten (sogenannte „Laden-Rechtsprechung“; vgl. BFH, Urteile vom 16. März 2000 - V R 44/99 Rn. 15, BFHE 191, 97, 100 und vom 9. April 1970 - V R 80/66 Rn. 9, BFHE 98, 564, 565 f.; Beschluss vom 2. Januar 2018 - XI B 81/17 Rn. 20). Da es keine umsatzsteuerrechtliche Mitunternehmerschaft gibt (BGH, Beschluss vom 8. Juli 2014 - 1 StR 29/14 Rn. 9), bleibt es dabei, dass die Angeklagten gemäß ihrem Tatplan zugunsten des Einzelunternehmens durch das Verschweigen von Ausgangsumsätzen jeweils die Festsetzung zu niedriger Umsatzsteuerzahllasten bewirkten (§ 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 150 Abs. 1 Satz 3, § 168 Satz 1 AO, § 18 Abs. 3 UStG, § 25 Abs. 2, § 53 StGB).

Im Übrigen lässt es beim Straftatbestand der Steuerhinterziehung den Schuldspruch grundsätzlich unberührt, wenn lediglich der Verkürzungsumfang unrichtig bestimmt ist, die Verwirklichung des Tatbestandes aber sicher von den Feststellungen getragen wird (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2016 - 1 StR 505/16 Rn. 11 mwN). Dies ist hier der Fall. Auf Grund des vom Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellten Umfangs der „Schwarzeinkäufe“ schließt der Senat jeweils aus, dass durch die verfahrensgegenständlichen Taten keine Steuerverkürzung eingetreten ist.

bb) Auch der Schuldspruch bezüglich der Gewerbesteuerverkürzungen bleibt von dem aufgezeigten Rechtsfehler unberührt:

(1) Auf die unvollständigen Gewerbesteuererklärungen sind unrichtige, gleichwohl wirksame Gewerbesteuerbescheide gegen das Einzelunternehmen ergangen. Die „offiziell“ nach außen aufgetretenen Inhaberinnen des Imbissbetriebs waren Steuerschuldnerinnen der Gewerbesteuer (§ 5 Abs. 1 Satz 1, 2 GewStG; vgl. BFH, Urteile vom 29. März 2007 - IV R 55/05 Rn. 15, BFHE 217, 103, 205 und vom 13. Mai 1998 - VIII R 81/96 Rn. 34 mN; Madauß, NZWiSt 2013, 332, 336). Die mit dem Angeklagten V. S. gebildete Innengesellschaft ist gewerbesteuerlich bedeutungslos; § 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG ist insoweit nicht anwendbar.

(2) Selbst wenn man allein den Angeklagten V. S. als Einzelunternehmer ansähe, bliebe es im Ergebnis bei Gewerbesteuerverkürzungen. Denn dann bewirkten die Angeklagten D. und F. S. gemäß dem gemeinsamen Tatplan (§ 25 Abs. 2 StGB) zumindest mit ihren Erklärungen, dass gegen den Angeklagten V. S., der keine Gewerbesteuererklärungen abgab und dem Finanzamt als Unternehmer mithin unbekannt war, die Gewerbesteuerschulden weder rechtzeitig noch der Höhe nach richtig festgesetzt wurden (§ 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1 AO).

b) Die zugehörigen Strafaussprüche haben jedoch keinen Bestand.

aa) Im Ausgangspunkt geht die Strafkammer allerdings zutreffend davon aus, dass sie ihre Überzeugung von der Höhe der nicht erklärten Umsätze bzw. Gewinne des Imbissbetriebes aufgrund eigener Schätzung bilden durfte.

(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt eine Schätzung im Steuerstrafverfahren dann in Betracht, wenn zwar feststeht, dass der Steuerpflichtige einen Besteuerungstatbestand erfüllt hat, aber ungewiss ist, welches Ausmaß die Besteuerungsgrundlagen haben (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 5. September 2019 - 1 StR 12/19 Rn. 26 mwN). So verhält es sich hier. Nach den Urteilsfeststellungen bezog der Imbissbetrieb 20 % mehr an Waren und erzielte in diesem Umfang zusätzliche Einnahmen, die die Angeklagten in den Steuererklärungen nicht angaben. Eine konkrete Berechnung der Besteuerungsgrundlagen war nicht möglich, weil die Aufzeichnungen des Imbissbetriebes wegen der dort nicht erfassten „Schwarzeinkäufe“ unzutreffend waren.

(2) Das Landgericht durfte die Besteuerungsgrundlagen auch gestützt auf die Richtwerte für Rohgewinnaufschlagsätze aus der Richtsatzsammlung des Bundesministeriums der Finanzen pauschal schätzen. Dies ist nur zulässig, wenn sich eine konkrete Ermittlung als nicht möglich erweist und ausgehend von der vorhandenen Tatsachenbasis andere Schätzungsmethoden nicht in Betracht kommen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 2019 - 1 StR 265/18 Rn. 39; Beschluss vom 20. Dezember 2016 - 1 StR 505/16 Rn. 16; jeweils mwN). Da die Angeklagten die Schwarzeinkäufe nicht erfassen ließen und die sachliche Unrichtigkeit der Aufzeichnungen des Imbissbetriebes mithin feststand (vgl. Rüsken in Klein, AO, 15. Aufl., § 158 Rn. 6, § 162 Rn. 25), mussten diese - vorliegend namentlich die Gewinnermittlungen nach § 4 Abs. 3 EStG - auch für die Schätzung nicht herangezogen werden. Andere - genauere - Schätzungsmethoden waren ausgehend von der vorhandenen Tatsachenbasis nicht ersichtlich.

(3) Gegen den vom Landgericht gewählten Rohgewinnaufschlagsatz von 150 % ist ebenfalls nichts zu erinnern, zumal er deutlich unter dem jeweiligen jährlichen Mittelwert für Imbissbetriebe von 186 % im Jahr 2009 beziehungsweise 213 % in den Jahren 2010 und 2011 liegt und in den Urteilsgründen - insbesondere unter Verweis auf die sehr gute Lage des Imbissbetriebes - nachvollziehbar begründet wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Dezember 2016 - 1 StR 505/16 Rn. 17 und vom 29. Januar 2014 - 1 StR 561/13 Rn. 20).

(4) Schließlich ist auch nicht zu beanstanden, dass das Landgericht nicht nur den hinzugeschätzten Wareneinsatz, sondern auch den erklärten Wareneinsatz um den genannten Rohgewinnaufschlagsatz erhöht hat. Insofern lässt sich dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe entnehmen, dass das Landgericht die dafür in den Umsatzsteuererklärungen angegebenen Erlöse ebenfalls für unzutreffend hält, was angesichts der im Vergleich zu den durchschnittlichen Rohgewinnaufschlagsätzen niedrigen Zuschläge von nur ca. 60 bis 70 % und den sachlich unrichtigen Aufzeichnungen nachvollziehbar erscheint.

bb) Indes ist - worauf bereits der Generalbundesanwalt in seinen Antragsschriften hingewiesen hat - die Berechnung der hinterzogenen Umsatzsteuer für die Jahre 2010 (Tat 4) und 2011 (Tat 7) fehlerhaft, da das Landgericht zwar zunächst den Anteil der Umsätze mit einer Umsatzsteuer von 7 % rechtsfehlerfrei auf 80 % geschätzt hat, im Rahmen der Berechnung für die genannten Besteuerungszeiträume jedoch tatsächlich von einem Verhältnis 75 zu 25 ausgegangen ist und daher die hinterzogene Umsatzsteuer mit 57.130 € statt 45.463 € (Tat 4) sowie 78.250 € statt 65.569 € (Tat 7) zu hoch berechnet hat.

cc) Vor allem sind die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts hinsichtlich aller Angeklagten insgesamt rechtsfehlerhaft und in sich widersprüchlich:

(1) Dies gilt zunächst für die Strafrahmenwahl in den Fällen 2 und 8 der Urteilsgründe; hier ist die Strafkammer jeweils unzutreffend vom Vorliegen der Voraussetzungen eines Regelbeispiels ausgegangen, obwohl die Grenze des großen Ausmaßes der Steuerverkürzung gemäß § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO, die die Rechtsprechung bei 50.000 € zieht (st. Rspr.; BGH, Urteil vom 27. Oktober 2015 - 1 StR 373/15, BGHSt 61, 28 Rn. 32 ff.), nicht erreicht war und der Verkürzungsbetrag im Fall 2 nur bei 32.228 € und im Fall 8 bei 40.220 € lag. Ursache ist augenscheinlich, dass die im Rahmen der Strafzumessung gewählten Fallbezeichnungen mit denen der Feststellungen zur Sache nicht übereinstimmen. Dies führt des Weiteren dazu, dass auch die Strafzumessung im engeren Sinn insgesamt widersprüchlich und daher rechtsfehlerhaft ist.

(2) Infolge der fehlerhaften Fallbezeichnungen werden zum einen im Hinblick auf die Angeklagten D. und F. S. einerseits nicht für sämtliche Taten, an denen sie beteiligt waren, Einzelstrafen ausgeworfen - hinsichtlich D. fehlen insoweit die Fälle 3 und 6, hinsichtlich F. S. die Fälle 7 und 8 - und andererseits Einzelstrafen für solche Taten verhängt, an denen sie nicht beteiligt waren - hinsichtlich D. Fälle 7 und 8 und hinsichtlich F. S. Fall 3. Zum anderen verhalten sich im Hinblick auf alle Angeklagten die Einzelstrafen nicht stimmig zum jeweiligen Hinterziehungsbetrag, obwohl es sich insofern nach dem Ausgangspunkt des Landgerichts um das einzige maßgebliche Unterscheidungskriterium handelt.

dd) Von den fehlerhaften Strafzumessungserwägungen sind jeweils sämtliche Strafaussprüche betroffen. Sie unterliegen daher der Aufhebung. Dies entzieht auch den daraus gebildeten Gesamtstrafen die Grundlage. Der Senat hebt sämtliche den Rechtsfolgenaussprüchen zugrundeliegenden Feststellungen - auch diejenigen zum Umfang der Umsatzsteuerverkürzung 2009 und der Gewerbesteuerverkürzungen - auf (§ 353 Abs. 2 StPO), um dem neuen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen zu den Rechtsfolgeaussprüchen zu ermöglichen. Es ist nicht auszuschließen, dass das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht bei der umfassenden Aufklärung, wem der drei Angeklagten welche gewerblichen Einkünfte zuzurechnen sind, neue Erkenntnisse zum Umfang der Erlöse des Imbissbetriebs gewinnt.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1112

Externe Fundstellen: NStZ 2021, 298

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede