hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 939

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, StB 19/19, Beschluss v. 08.08.2019, HRRS 2019 Nr. 939


BGH StB 19/19 - Beschluss vom 8. August 2019 (OLG Celle)

Verwerfung der Beschwerde gegen den Haftfortdauerbeschluss (Anforderungen an die Begründungstiefe von Haftfortdauerentscheidungen; dringender Tatverdacht; Unschuldsvermutung; Beschleunigungsgebot in Haftsachen).

§ 112 StPO; § 121 StPO; § 304 StPO; Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG; Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 104 GG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Beurteilung des dringenden Tatverdachts, die das erkennende Gericht während laufender Hauptverhandlung vornimmt, unterliegt im Haftbeschwerdeverfahren nur in eingeschränktem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht. Allerdings muss das Beschwerdegericht in die Lage versetzt werden, seine Entscheidung über das Rechtsmittel des Angeklagten auf einer hinreichend tragfähigen tatsächlichen Grundlage zu treffen, damit den erhöhten Anforderungen, die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an die Begründungstiefe von Haftfortdauerentscheidungen zu stellen sind, ausreichend Rechnung getragen werden kann.

2. Daraus folgt indes nicht, dass das Tatgericht alle bislang erhobenen Beweise in der von ihm zu treffenden Entscheidung einer umfassenden Darstellung und Würdigung unterziehen muss. Die abschließende Bewertung der Beweise durch das Oberlandesgericht und ihre entsprechende Darlegung ist den Urteilsgründen vorbehalten. Das Haftbeschwerdeverfahren führt insoweit nicht zu einem über die Nachprüfung des dringenden Tatverdachts hinausgehenden Zwischenverfahren, in dem sich das Tatgericht zu Inhalt und Ergebnis aller Beweiserhebungen erklären müsste.

3. Der Entzug der Freiheit eines einer Straftat lediglich ist nur ausnahmsweise zulässig. Den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlichen und zweckmäßig erscheinenden Freiheitsbeschränkungen muss - unter maßgeblicher Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit - der Freiheitsanspruch des noch nicht rechtskräftig verurteilten Beschuldigten als Korrektiv gegenübergestellt werden. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt in diesem Zusammenhang auch, dass die Dauer der Untersuchungshaft nicht außer Verhältnis zu der zu erwartenden Strafe steht, und setzt ihr unabhängig von der Straferwartung Grenzen.

4. Mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft vergrößert sich regelmäßig das Gewicht des Freiheitsanspruchs gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung. Daraus folgt, dass die Anforderungen an die Zügigkeit der Arbeit in einer Haftsache mit der Dauer der Untersuchungshaft steigen, aber auch die Anforderungen an den die Haftfortdauer rechtfertigenden Grund zunehmen.

5. Zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und einer Sicherstellung der etwaigen späteren Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft deshalb nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn deren Fortdauer auf vermeidbarer Verfahrensverzögerung beruht. Bei absehbar umfangreichen Verfahren ist stets eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende Hauptverhandlung mit im Grundsatz durchschnittlich mehr als einem Hauptverhandlungstag pro Woche notwendig. Insgesamt ist eine auf den Einzelfall bezogene Prüfung des Verfahrensablaufs durchzuführen. Zu würdigen sind dabei auch die voraussichtliche Gesamtdauer des Verfahrens und die für den Fall einer Verurteilung konkret im Raum stehende Straferwartung

Entscheidungstenor

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Haftbefehl des Oberlandesgerichts Celle vom 22. August 2017 - 4 StE 1/17 - in Verbindung mit dem Haftfortdauerbeschluss vom 16. Mai 2019 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

Der Angeklagte wurde am 8. November 2016 festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft, zunächst aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 28. Oktober 2016 (2 BGs 709/16) und nunmehr aufgrund des angefochtenen Haftbefehls des Oberlandesgerichts Celle vom 22. August 2017 (4 StE 1/17).

Gegenstand des ursprünglichen Haftbefehls war der Vorwurf, der Angeklagte habe im Juli und August 2015 eine Vereinigung im außereuropäischen Ausland unterstützt, deren Zwecke und Tätigkeiten darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 VStGB) zu begehen (strafbar gemäß § 129a Abs. 5 Satz 1, § 129b 1 2 Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB), indem er als Teil eines aus mehreren Personen bestehenden Netzwerks auf Anweisung des gesondert Verfolgten A. die Ausreise des gesondert Verfolgten O. nach Syrien organisiert habe, wo sich letzterer der Vereinigung „Islamischer Staat“ (im Folgenden: IS) angeschlossen habe.

Der Senat hat mit Beschluss vom 11. Januar 2017 (StB 41/16, juris) eine erste Haftbeschwerde des Angeklagten verworfen und mit Beschluss vom 1. Juni 2017 (AK 20-24/17, juris) die Haftfortdauer über sechs Monate hinaus angeordnet.

Nachdem der Generalbundesanwalt unter dem 4. Juli 2017 Anklage erhoben hatte, hat das Oberlandesgericht den Haftbefehl des Ermittlungsrichters durch Haftbefehl vom 25. August 2017 neu gefasst.

Dem Angeklagten wird nunmehr vorgeworfen, nicht nur die Ausreise des gesondert Verfolgten O., sondern durch dieselbe Handlung auch diejenige von S. gefördert und dadurch den IS unterstützt zu haben. In der Förderung der Ausreise S. s liege zugleich eine Beihilfe zu dessen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat durch Ausreise nach Syrien im Sinne von § 89a Abs. 2a, § 89a Abs. 1 StGB; dadurch, dass der Angeklagte dem S. 1.500 bis 2.000 € aushändigte, habe er sich zudem wegen Terrorismusfinanzierung in der Variante des § 89c Abs. 1 Nr. 8 StGB strafbar gemacht. Schließlich habe der Angeklagte O. und S. angestiftet, in drei Fällen jeweils dadurch einen Betrug zu begehen, dass sie mit drei Mobilfunkanbietern unter Vorspiegelung ihrer Zahlungsfähigkeit und -willigkeit Mobilfunkverträge abschlossen, um in den Besitz der hochwertigen Endgeräte zu gelangen (§ 263 Abs. 1, § 26 StGB).

Unter dem 5. September 2017 hat das Oberlandesgericht Celle die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Dabei hat es eine geringfügig von der Anklageschrift abweichende rechtliche Würdigung vorgenommen, die derjenigen in dem Haftbefehl vom 22. August 2017 entspricht, den Haftbefehl aufrechterhalten und die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet.

Der Senat hat mit Beschluss vom 21. September 2017 (AK 44-48/17) die Fortdauer der Untersuchungshaft über neun Monate hinaus angeordnet. Die Entscheidung ist ausschließlich auf den Tatvorwurf gestützt, der bereits Gegenstand der Haftfortdauerentscheidung vom 1. Juni 2017 war.

Die Hauptverhandlung hat am 26. September 2017 begonnen und dauert an. Zuletzt mit Beschluss vom 16. Mai 2019 (4 StE 1/17) hat das Oberlandesgericht in einem durch die Verteidiger des Angeklagten beantragten Haftprüfungsverfahren (§ 117 Abs. 1 StPO) den Haftbefehl aufrechterhalten und Haftfortdauer angeordnet. Im Hauptverhandlungstermin vom 25. Juni 2019 haben die Verteidiger des Angeklagten durch Verlesen ihres Schriftsatzes vom 18. Juni 2019 Beschwerde gegen den „Senatsbeschluss“ vom 16. Mai 2019 eingelegt. Das Oberlandesgericht hat der Haftbeschwerde mit Beschluss vom 28. Juni 2019 nicht abgeholfen und die Sache dem Senat vorgelegt.

II.

Die als Rechtsmittel gegen den letzten Haftfortdauerbeschluss des Oberlandesgerichts vom 16. Mai 2019 auszulegende Haftbeschwerde ist nach § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

1. Im Sinne eines dringenden Tatverdachts ist im gegenwärtigen Verfahrensstadium weiterhin von folgendem Sachverhalt auszugehen:

a) Der IS ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des heutigen Irak und die historische Region „ash Sham“ - die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie Palästina - umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden „Gottesstaat“ unter Geltung der Sharia zu errichten und dazu die schiitisch dominierte Regierung im Irak und das Regime des syrischen Präsidenten Assad zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als „Feind des Islam“ begreift; die Tötung solcher „Feinde“ oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht der IS als legitimes Mittel des Kampfes an.

Die Führung der Vereinigung, die sich mit dem Ausrufen des „Kalifats“ im Juni 2014 von ISIG in IS umbenannte - wodurch sie von der territorialen Selbstbeschränkung Abstand nahm - hat seit 2010 der „Emir“ Abu Bakr al Baghdadi inne. Al Baghdadi war von seinem Sprecher zum „Kalifen“ erklärt worden, dem die Muslime weltweit Gehorsam zu leisten hätten. Ihm unterstehen ein Stellvertreter sowie „Minister“ als Verantwortliche für einzelne Bereiche, so ein „Kriegsminister“ und ein „Propagandaminister“. Zur Führungsebene gehören außerdem beratende „Shura Räte“. Veröffentlichungen werden in der Medienabteilung „Al Furqan“ produziert und über die Medienstelle „al l’tisam“ verbreitet, die dazu einen eigenen Twitter-Kanal und ein Internetforum nutzt. Das auch von Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung besteht aus dem „Prophetensiegel“ (einem weißen Oval mit der Inschrift: „Allah - Rasul - Muhammad“) auf schwarzem Grund, überschrieben mit dem islamischen Glaubensbekenntnis. Die - zeitweilig - mehreren Tausend Kämpfer sind dem „Kriegsminister“ unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.

Die von ihr besetzten Gebiete teilte die Vereinigung in Gouvernements ein und richtete einen Geheimdienstapparat ein; diese Maßnahmen zielten auf das Schaffen totalitärer staatlicher Strukturen. Angehörige der syrischen Armee, aber auch von in Gegnerschaft zum IS stehenden Oppositionsgruppen, ausländische Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen sowie Zivilisten, die den Herrschaftsbereich des IS in Frage stellten, sahen sich Verhaftung, Folter und Hinrichtung ausgesetzt. Filmaufnahmen von besonders grausamen Tötungen wurden mehrfach vom ISIG bzw. IS zu Zwecken der Einschüchterung veröffentlicht. Darüber hinaus begeht die Vereinigung immer wieder Massaker an Teilen der Zivilbevölkerung und außerhalb ihres Machtbereichs Terroranschläge. So hat sie für Attentate in Europa, etwa in Frankreich, Belgien und Deutschland, die Verantwortung übernommen.

b) Der Angeklagte war in ein Netzwerk eingebunden, dem der Mitangeklagte A. vorstand und dessen Angehörige sich zum IS und dessen Ideologie bekannten. Sie animierten Personen in Deutschland durch Unterricht in radikalislamistischen Inhalten und Propaganda, sich dem IS anzuschließen und vermittelten diese Personen als Kämpfer in die vom IS kontrollierten Gebiete. Aufgabe des Angeklagten war es in Absprache mit dem Mitangeklagten A. und gemeinschaftlich handelnd mit dem Mitangeklagten Om., solche Personen, die sich zur Ausreise in das Herrschaftsgebiet des IS entschlossen hatten, bei der Organisation und Ausführung der Reise zu unterstützen.

Zu diesen Personen gehörten der gesondert Verfolgte O. und dessen guter Bekannter, der Zeuge S. O. wurden von den Mitangeklagten C. und Si. radikalislamistische Inhalte vermittelt; infolge dessen gelangte er zu der Überzeugung, es sei seine religiöse Pflicht, sich nach Syrien zu begeben, im Herrschaftsgebiet des IS zu leben und sich dieser Vereinigung anzuschließen, wobei er die Vorstellung hatte, den Aufbau des „Kalifats“ als Mediziner fördern zu wollen.

Nach Abschluss dieser Indoktrinierung trafen O. und S., der ebenfalls fest entschlossen war, in das Gebiet des IS auszureisen und sich dieser Vereinigung anzuschließen, um nach Durchlaufen einer militärischen Ausbildung als Kämpfer für den IS tätig zu werden, in H. mit A. zusammen, der ihre Ausreise nach Syrien in die Wege leiten sollte. Dieser verwies sie für die weitere organisatorische Abwicklung ihrer Ausreise an den Angeklagten und den Mitangeklagten Om., die er als in seinem Auftrag handelnde Helfer für die Ausreiseorganisation bezeichnete.

Diese wiesen O. und S. in Vollziehung eines Auftrags des Mitangeklagten A. an, betrügerisch Mobilfunkverträge abzuschließen, um in den Besitz hochwertiger Mobiltelefone und Tablet-PCs zu gelangen, die sie ihnen zur verdeckten Ausreisefinanzierung abkaufen würden. Dem kamen O. und S. Anfang August 2015 nach und händigten die Geräte in Aa. an den Mitangeklagten Om. aus, der O. 1.000 € und S. 1.500 bis 2.000 € übergab, womit sie ihre Ausreise finanzieren sollten.

Bei einem weiteren Treffen in H. teilten der Angeklagte und der Mitangeklagte Om. den gesondert Verfolgten O. und S. Telefonnummern von IS-Mitgliedern mit, die ihnen bei der Einreise nach Syrien behilflich sein würden; außerdem gaben sie ihnen Mobilfunknummern, unter denen sie mittels des Messengerdienstes Telegram ihre Ankunft in der Türkei mitteilen sollten. Schließlich gaben der Angeklagte und der Mitangeklagte Om. den gesondert Verfolgten O. und S. Anweisungen, wie sie sich auf ihrer Reise verhalten sollen.

S. reiste am 7. August 2015 gemeinsam mit seiner schwangeren Frau aus Deutschland in Richtung Türkei aus. Dort angekommen nahm er von einer Weiterreise nach Syrien Abstand, nachdem seine Frau am 27. August 2015 ein Kind geboren hatte und er den Aufenthalt in Syrien für seine Familie für zu gefährlich hielt; er verblieb in Istanbul.

Ebenfalls ab dem 7. August 2015 reiste der gesondert Verfolgte O. mit seiner Frau über Brüssel und Rhodos nach Alanya in der Türkei. Von dort teilte er wie verabredet dem Angeklagten seine Ankunft mit und kontaktierte das ihm von dem Angeklagten genannte IS-Mitglied unter der angegebenen Telefonnummer, das ihn wiederum an einen weiteren Schleuser verwies, mit deren Hilfe O. und seine Frau ein sogenanntes Safe-House in U. in der Türkei erreichten. Von dort wurden sie schließlich nach Syrien geschleust, wo sich O. dem IS als Mitglied anschloss.

Bereits im September 2015 entschloss er sich indes, aus dem Gebiet des IS zu fliehen, was ihm im Januar 2018 gelang.

2. Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus Folgendem:

a) Hinsichtlich der außereuropäischen Vereinigung IS beruht er für den hier relevanten Zeitraum auf islamwissenschaftlichen Gutachten sowie Behördenerklärungen der Geheimdienste und polizeilichen Auswertungsberichten.

b) Betreffend die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat ergibt sich der dringende Tatverdacht unter Zugrundelegung des Akteninhaltes und der bislang durch das Oberlandesgericht durchgeführten, in dessen Nichtabhilfebeschluss vom 28. Juni 2019 sowie den Beschlüssen vom 15. und 16. Mai 2019 mitgeteilten Beweisaufnahme im Wesentlichen aus der Aussage des Zeugen O., den Angaben einer Vertrauensperson „VP01", die sich über einen längeren Zeitraum hinweg im Umfeld des Angeklagten A. bewegte, sowie den weiteren in dem Beschluss vom 15. Mai 2019 genannten Beweismitteln. Im Einzelnen:

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschlüsse vom 5. Februar 2015 - StB 1/15, BGHR StPO § 304 Abs. 4 Haftbefehl 3 Rn. 5; vom 16. April 2013 - StB 6/13; vom 22. Oktober 2012 - StB 12/12, NJW 2013, 247, 248; vom 19. Dezember 2003 - StB 21/03, StV 2004, 143; vom 2. September 2003 - StB 11/03, NStZ-RR 2003, 368) unterliegt die Beurteilung des dringenden Tatverdachts, die das erkennende Gericht während laufender Hauptverhandlung vornimmt, im Haftbeschwerdeverfahren nur in eingeschränktem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht. Allein das Gericht, vor dem die Beweisaufnahme stattfindet, ist in der Lage, deren Ergebnisse aus eigener Anschauung festzustellen und zu würdigen sowie auf dieser Grundlage zu bewerten, ob der dringende Tatverdacht nach dem erreichten Verfahrensstand noch fortbesteht oder dies nicht der Fall ist. Das Beschwerdegericht hat demgegenüber keine eigenen unmittelbaren Erkenntnisse über den Verlauf der Beweisaufnahme. Allerdings muss das Beschwerdegericht in die Lage versetzt werden, seine Entscheidung über das Rechtsmittel des Angeklagten auf einer hinreichend tragfähigen tatsächlichen Grundlage zu treffen, damit den erhöhten Anforderungen, die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an die Begründungstiefe von Haftfortdauerentscheidungen zu stellen sind (BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2013 - 2 BvR 2098/12, StV 2013, 640, 24 25 642 f.), ausreichend Rechnung getragen werden kann. Daraus folgt indes nicht, dass das Tatgericht alle bislang erhobenen Beweise in der von ihm zu treffenden Entscheidung einer umfassenden Darstellung und Würdigung unterziehen muss. Die abschließende Bewertung der Beweise durch das Oberlandesgericht und ihre entsprechende Darlegung ist den Urteilsgründen vorbehalten. Das Haftbeschwerdeverfahren führt insoweit nicht zu einem über die Nachprüfung des dringenden Tatverdachts hinausgehenden Zwischenverfahren, in dem sich das Tatgericht zu Inhalt und Ergebnis aller Beweiserhebungen erklären müsste.

bb) Nach diesen Maßstäben hat das Oberlandesgericht in seinem Haftfortdauerbeschluss vom 16. Mai 2019 und dem Nichtabhilfebeschluss vom 28. Juni 2019, in denen jeweils auch auf den Beschluss vom 15. Mai 2019 betreffend den Mitangeklagten A. Bezug genommen wurde, hinreichend dargelegt, dass und aufgrund welcher Beweismittel die Beweisaufnahme den dringenden Tatverdacht im Sinne der im Haftbefehl vom 22. August 2017 beschriebenen Tatvorwürfe nach vorläufiger Würdigung bestätigt hat. Die detaillierten Ausführungen sind in sich schlüssig. Das Oberlandesgericht hat sich insbesondere auf annähernd 18 Seiten eingehend und kritisch mit den Angaben des Hauptbelastungszeugen O. auseinandergesetzt und dabei auch die durch die Verteidigung geäußerten Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussage und der Glaubwürdigkeit des Zeugen einbezogen. Im Ergebnis hat es nachvollziehbar erläutert, warum einzelne Aspekte, die vordergründig die Belastbarkeit der Aussage in Frage stellen könnten, in dem aktuellen Stadium der Beweisaufnahme nicht geeignet sind, die Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Zeugen O. nachhaltig zu erschüttern, und dabei die Aussagen von Zeugen, die den Angaben O. s widerstritten, ebenso kritisch gewürdigt, wie es Unklarheiten betreffend einen etwaigen Aufenthalt des O. in Mossul angesprochen hat. Schließlich hat es auch nicht aus dem Blick verloren, dass einzelne Angaben des Zeugen O. sich nicht durchgängig als wahrheitsgemäß herausgestellt haben. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat Bezug auf den Beschluss des Oberlandesgerichts vom 15. Mai 2019 betreffend den Angeklagten A. sowie auf die ergänzenden Ausführungen im Nichtabhilfebeschluss vom 28. Juni 2019.

In der Gesamtschau entziehen die von der Verteidigung vorgebrachten Umstände, die zum Teil bereits bei der ersten Beschwerdeentscheidung des Senats im Januar 2017 bekannt waren, den Aussagen des Zeugen O. den Beweiswert nicht in einem Maße, dass der dringende Tatverdacht gegen den Angeklagten entfallen würde. Eine detaillierte Würdigung muss zudem letztlich der Bewertung durch das Oberlandesgericht nach Abschluss der Beweisaufnahme vorbehalten bleiben.

3. In rechtlicher Hinsicht ergibt sich auf dieser Beweisgrundlage zunächst unverändert der dringende Tatverdacht, dass sich der Angeklagte wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 VStGB) zu begehen, nach § 129a Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB strafbar gemacht hat. Ihm war bekannt, dass O. und S. sich dem IS anschließen wollten. Indem er ihnen bei der Organisation ihrer - erfolgreichen - Ausreise und - jedenfalls mit Blick auf O. auch dem Anschluss an den IS - behilflich war, förderte er die terroristischen Ziele dieser Vereinigung.

Darüber hinaus besteht die hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich der Angeklagte durch die Unterstützung der Ausreise des S. wegen Terrorismusfinanzierung sowie Beihilfe zur Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat strafbar gemacht hat (§ 89a Abs. 2a i.V.m. § 89a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1, § 89c Abs. 1 Satz 1 Nr. 8, §§ 27, 52 StGB). Der Zeuge S. hat eine schwere staatsgefährdende Gewalttat dadurch vorbereitet, dass er es unternahm, zum Zwecke der Begehung einer solchen Gewalttat oder der in § 89a Abs. 2 Nr. 1 StGB genannten Handlungen aus der Bundesrepublik Deutschland auszureisen, um sich nach Syrien und damit in einen Staat zu begeben, in dem Unterweisungen von Personen im Sinne des § 89a Abs. 2 Nr. 1 StGB durchgeführt wurden (vgl. dazu im Einzelnen BGH, Beschluss vom 13. Juni 2019 - StB 13/19, juris Rn. 37). Indem der Angeklagte S. etwa durch die Übergabe von Telefonnummern und Vermittlung von Kontaktpersonen dabei unterstützte, leistete er zu dieser Tat Beihilfe; indem er ihm darüber hinaus zur Finanzierung der Ausreise 1.500 bis 2.000 € übergab, stellte er S. einen Vermögenswert im Sinne des § 89c Abs. 1 Satz 1 StGB zur Verfügung. Die Beihilfe zur Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat tritt nicht hinter dem Delikt der Terrorismusfinanzierung nach § 89c Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 StGB zurück, weil sich die Unterstützung S. s nicht in der Geldleistung erschöpfte (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juni 2019 - StB 13/19, juris Rn. 39).

Deutsches Strafrecht ist anwendbar, weil die Tathandlungen in Deutschland begangen wurden und der Angeklagte sich in Deutschland befindet.

Die nach § 129b Abs. 1 Sätze 2 und 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung liegt vor. Dahingestellt bleiben kann, ob die diesbezügliche Erklärung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz auch eine Ermächtigung im Sinne des § 89a Abs. 3 Satz 2, Abs. 4, § 89c Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 StGB beinhaltet, denn die gegenständlichen Taten nach § 89a Abs. 2a i.V.m. § 89a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1, § 89c Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 StGB sind Inlandstaten, weshalb es vorliegend insoweit keiner Verfolgungsermächtigung bedarf (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juni 2019 - StB 13/19, juris Rn. 41).

4. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr, § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Der Angeklagte hat im Fall seiner Verurteilung eine empfindliche Freiheitsstrafe zu erwarten, die - auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass zwischenzeitlich mehr als zweieinhalb Jahre Untersuchungshaft vollstreckt sind - einen erheblichen Fluchtanreiz begründet. Bei dem IS handelt es sich um eine besonders gefährliche und grausam vorgehende terroristische Vereinigung. Die Unterstützungshandlungen des Angeklagten waren auch schwerwiegend, weil er als Teil eines überregional agierenden Netzwerks dazu beitrug, dieser Vereinigung mehrere Mitglieder zur Verfügung zu stellen.

Mit Blick darauf steht nicht zu erwarten, dass der Angeklagte dem von der Straferwartung ausgehenden Fluchtanreiz widerstehen und sich den deutschen Strafverfolgungsbehörden freiwillig zur Verfügung stellen wird. Dies gilt insbesondere mit Blick darauf, dass er als kamerunischer Staatsangehöriger, der neben Deutsch auch Französisch und Arabisch spricht, aktiv für die Ausreise aus der Bundesrepublik und den Anschluss an den IS eintrat. Seine Kontaktpersonen im In- und Ausland waren mit der Schleusung ausreisewilliger Personen befasst, so dass zu befürchten ist, dass auch der Angeklagte im Fluchtfall auf ihre Unterstützung zurückgreifen und sich dem Strafverfahren entziehen wird. Der Zweck der Untersuchungshaft kann deshalb auch nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 StPO erreicht werden.

5. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht - auch angesichts der bereits über zweieinhalb Jahre währenden Untersuchungshaft und der zu erwartenden Gesamtdauer des Verfahrens - nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO). Das gilt auch mit Blick auf das in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistete Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit. Im Einzelnen:

a) Der Entzug der Freiheit eines einer Straftat lediglich Verdächtigen aufgrund der Unschuldsvermutung ist nur ausnahmsweise zulässig. Den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlichen und zweckmäßig erscheinenden Freiheitsbeschränkungen muss - unter maßgeblicher Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit - der Freiheitsanspruch des noch nicht rechtskräftig verurteilten Beschuldigten als Korrektiv gegenübergestellt werden. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt in diesem Zusammenhang auch, dass die Dauer der Untersuchungshaft nicht außer Verhältnis zu der zu erwartenden Strafe steht, und setzt ihr unabhängig von der Straferwartung Grenzen. Mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft vergrößert sich regelmäßig das Gewicht des Freiheitsanspruchs gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung. Daraus folgt, dass die Anforderungen an die Zügigkeit der Arbeit in einer Haftsache mit der Dauer der Untersuchungshaft steigen, aber auch die Anforderungen an den die Haftfortdauer rechtfertigenden Grund zunehmen (BGH, Beschluss vom 21. April 2016 - StB 5/16, NStZ-RR 2016, 217).

Das damit ausgesprochene Beschleunigungsgebot in Haftsachen erfordert, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die dem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen. Zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und einer Sicherstellung der etwaigen späteren Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft deshalb nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn deren Fortdauer auf vermeidbarer Verfahrensverzögerung beruht. Bei absehbar umfangreichen Verfahren ist stets eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende Hauptverhandlung mit im Grundsatz durchschnittlich mehr als einem Hauptverhandlungstag pro Woche notwendig. Insgesamt ist eine auf den Einzelfall bezogene Prüfung des Verfahrensablaufs durchzuführen. Zu würdigen sind auch die voraussichtliche Gesamtdauer des Verfahrens und die für den Fall einer Verurteilung konkret im Raum stehende Straferwartung (st. Rspr.; vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2013 - 2 BvR 2098/12 mwN, juris Rn. 39 ff.; BGH, aaO).

b) An diesen Anforderungen gemessen ist das Verfahren und insbesondere die Hauptverhandlung bislang mit der in Haftsachen gebotenen besonderen Beschleunigung geführt worden. Hinsichtlich der Förderung des Verfahrens bis zur Anklageerhebung wird Bezug genommen auf die Beschlüsse des Senats vom 1. Juni 2017 und 21. September 2017. Auch nach Anklageerhebung ist dem Verfahren mit der gebotenen Beschleunigung Fortgang gegeben worden. Nach Eröffnung des Hauptverfahrens am 5. September 2017 hat die Hauptverhandlung am 26. September 2017 begonnen. Seither wurde, unterbrochen durch maßvolle Urlaubspausen, die den berechtigten Regenerations- und Erholungsinteressen der Verfahrensbeteiligten Rechnung trugen, fast ausnahmslos an zwei Tagen in der Woche, meist ganztätig verhandelt. Es wurden 52 Zeugen und ein islamwissenschaftlicher Sachverständiger gehört. Die Vernehmung der Zeugen erstreckte sich - nicht zuletzt mit Blick auf eine umfangreiche Befragung durch die Verteidigung der insgesamt fünf Angeklagten - in einer Vielzahl von Fällen über mehrere Hauptverhandlungstage; allein die Vernehmung des Zeugen O. nahm 20 Terminstage in Anspruch. Überdies wurden umfangreiche Selbstleseverfahren durchgeführt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluss des Oberlandesgerichts vom 15. Mai 2019 betreffend den Mitangeklagten A. sowie auf den Nichtabhilfebeschluss vom 28. Juni 2019 Bezug genommen.

Auch die noch zu erwartende weitere Verfahrensdauer, die das Oberlandesgericht mit einem Jahr prognostiziert, steht der Verhältnismäßigkeit des weiteren Vollzugs der Untersuchungshaft mit Blick auf die im Raum stehende Straferwartung nicht entgegen.

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 939

Bearbeiter: Christian Becker