Bearbeiter: Rocco Beck
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 768/94, Urteil v. 30.03.1995, HRRS-Datenbank, Rn. X
I. Die Revision der Angeklagten P. Z. gegen das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 16. September 1994 wird verworfen.
Die Angeklagte hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.
II. Auf die Revision des Angeklagten I. Z. wird das vorgenannte Urteil, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat die Eheleute Z. jeweils wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt; gegen die Angeklagte P. Z. hat es eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten, gegen I. Z. eine solche von vier Jahren und sechs Monaten verhängt.
Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Angeklagte fühlte sich mit der Versorgung ihrer beiden Kinder, eines Säuglings und der knapp drei Jahre alten Tochter S. überfordert. Durch ihren Ehemann, einen Libanesen, der tagsüber seiner Arbeit nachging und die Abende und Wochenenden außerhalb der Familie im Kreise seiner Landsleute verbrachte, erhielt sie keine Unterstützung. Enttäuschung und Aggressionen reagierte sie an ihrer Tochter ab. In der Zeit von Mitte Oktober 1992 bis Mai 1993 mißhandelte sie das Kind mit zunehmender Heftigkeit und Häufigkeit, zuletzt täglich, durch Schläge und Tritte. Die Schläge, die sich gegen den Leib und die Extremitäten des Kindes richteten, führte sie mit der flachen Hand, aber auch mit Gegenständen wie Pantoffeln oder einem Stock aus. Infolgedessen erlitt S. einen Bruch des Schlüsselbeins und der Elle sowie zahlreiche Blutergüsse.
Der Angeklagte war bei den Mißhandlungen nicht zugegen. Von einzelnen Vorfällen erlangte er Kenntnis durch seinen Bruder, der sich mehrere Monate in der Familienwohnung aufhielt. Er reagierte darauf mit dem Hinweis, "P. sei die Mutter von S.". Als sein Bruder ihn auf die blauen Flecken am Körper des Kindes aufmerksam machte, forderte er seine Ehefrau auf, "sie solle weggehen". Dieser Aufforderung, die Familie zu verlassen, kam sie jedoch nicht nach. Mahnungen des Angeklagten, sie solle das Kind nicht mehr mißhandeln, zeigten ebenfalls keinen Erfolg. Als die Angeklagte das Kind einmal in Gegenwart ihres Ehemannes verprügelte, griff er ein und hielt sie von weiteren Tätlichkeiten ab.
Am 7. Mai 1993 schlug die Angeklagte ihre Tochter in Abwesenheit ihres Ehemannes derart heftig mit der flachen Hand ins Gesicht, daß das Kind mit dem Kopf gegen eine Anrichte fiel. Es erlitt ein schweres Schädelhirntrauma, an dessen Folgen es wenige Tage später verstarb.
Mit ihren Revisionen rügen die Angeklagten die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
I. Die Revision der Angeklagten P. Z.
1. Soweit die Angeklagte das Verfahren beanstandet, ohne dies näher auszuführen, ist die Rüge unzulässig, da sie nicht der in § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO vorgeschriebenen Form entspricht.
2. Die auf die Sachrüge erfolgte Überprüfung des Urteils hat keinen die Angeklagte beschwerenden Rechtsfehler aufgedeckt.
a) Zu Recht sieht das Landgericht bei der Angeklagten P. Z. neben dem Tatbestand der Körperverletzung mit Todesfolge (§ 226 StGB) auch den der Mißhandlung einer Schutzbefohlenen (§ 223 b StGB) in der Handlungsalternative des Quälens als verwirklicht an.
b) Im Ergebnis ebenfalls zutreffend wertet es im Rahmen dieses Tatbestandes sämtliche Mißhandlungen des Kindes in dem angeklagten Tatzeitraum von Mitte Oktober 1992 bis zum 7. Mai 1993 als eine Tat. Quälen im Sinne des § 223 b StGB bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender erheblicher Schmerzen oder Leiden (BGH LM Nr. 3 zu § 223 b StGB). In der letztgenannten Begehungsform wird dieses Tatbestandsmerkmal somit typischerweise durch Vornahme mehrerer Handlungen verwirklicht; die ständige Wiederholung macht erst den besonderen Unrechtsgehalt dieser Form der Körperverletzung aus. Für die Zusammenfassung einer Vielzahl von Einzelakten zu einer Tat bedarf es daher weder eines Rückgriffs auf die Rechtsfiguren der fortgesetzten Handlung (offengelassen in BGHSt 40, 138, 164 f) noch der Bewertungseinheit.
c) Rechtlichen Bedenken begegnet indessen die Annahme des Landgerichts, die Mißhandlung einer Schutzbefohlenen trete wegen Gesetzeskonkurrenz hinter die Körperverletzung mit Todesfolge zurück. Die von der Strafkammer vertretene Rechtsauffassung entspricht der vom Bundesgerichtshof in Bezug genommenen Rechtsprechung des Reichsgerichts, wonach § 223 b StGB - ohne daß hinsichtlich der einzelnen Alternativen der Vorschrift differenziert wird - "durch das Verbrechen gegen den § 226 StGB als schwerere Begehungsform der einheitlichen 'Körperverletzung' aufgezehrt" wird (BGHSt 4, 113, 117; RGSt 70, 357, 359; 74, 309). Hieran kann jedoch zumindest für Sachverhalte wie den hier zu beurteilenden nicht festgehalten werden:
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt Gesetzeseinheit nur vor, wenn der Unrechtsgehalt einer Handlung durch einen von mehreren dem Wortlaut nach anzuwendenden Straftatbeständen erschöpfend erfaßt wird. Die Verletzung des durch einen Straftatbestand geschützten Rechtsguts muß eine - wenn auch nicht immer notwendige, so doch regelmäßige - Erscheinungsform des anderen Tatbestandes sein (vgl. BGHSt 39, 100, 108 m.w.N.). Dies trifft auf das Verhältnis von § 223 b StGB (in der Tatbestandsalternative des Quälens) zu § 226 StGB nicht zu. Zwar wird Quälen in aller Regel durch eine Körperverletzung bewirkt werden, die auch Tatbestandsvoraussetzung des § 226 StGB ist. Der über § 223 StGB hinausgehende zusätzliche Unrechtsgehalt der Mißhandlung Schutzbefohlener, der sich zum einen aus der abhängigen Stellung des Opfers gegenüber dem Täter ergibt, zum anderen - bei den Tatbestandsmerkmalen des Quälens und der rohen Mißhandlung - aus der das Opfer besonders belastenden Form der Körperverletzung, wird vom Tatbestand der Körperverletzung mit Todesfolge jedoch nicht erfaßt; dieser knüpft weder an die Beziehung zwischen Täter und Opfer noch an die Begehungsweise der Körperverletzung an, sondern stellt ausschließlich auf die eingetretene Todesfolge ab. Der Klarstellungsfunktion des Schuldspruchs, der das gesamte tatbestandsmäßig erfaßte Unrecht einer Tat zum Ausdruck bringen soll (BGHSt 31, 380; 39, 100, 108), wird hier nur durch die Annahme einer zwischen § 223 b StGB und § 226 StGB bestehenden Tateinheit hinreichend Rechnung getragen (ebenso Hirsch in LK 10. Aufl. § 223 b Rdn. 23; Stree in Schönke/Schröder StGB 24. Aufl. § 223 b Rdn. 17; Vogler in Festschrift für Bockelmann S. 722; a.A. Dreher/Tröndle StGB 47. Aufl. § 223 b Rdn. 15; Lackner StGB 20. Aufl. § 223 b Rdn. 10).
Durch die vom Landgericht vertretene gegenteilige Auffassung wird die Angeklagte jedoch nicht beschwert.
d) Entgegen der Auffassung der Revision durfte die Strafkammer bei der Strafzumessung das in einem Teilakt mit der Körperverletzung mit Todesfolge zusammentreffende, sich über mehrere Monate erstreckende Quälen des Kindes zu Lasten der Angeklagten berücksichtigen. Dies würde selbst dann gelten, wenn die einzelnen Mißhandlungen - wie die Revision meint - rechtlich selbständige Handlungen und nicht - wie ausgeführt - Bestandteil eines zu der abgeurteilten Tat in Idealkonkurrenz stehenden Delikts wären. Bei der Bewertung des Schuldumfangs darf der Tatrichter auch solche Umstände einbeziehen, die mit dem eigentlichen Tatgeschehen in keinem unmittelbaren Zusammenhang stehen, aber gleichwohl geeignet sind, Rückschlüsse auf den Unrechtsgehalt der Tat, die Persönlichkeit und die Gesinnung des Täters zu ziehen (vgl. BGH NStZ 1981, 99; MDR 1983, 984). Es liegt auf der Hand, daß das anhaltend aggressive, lieblose Verhalten gegenüber ihrer Tochter Aufschluß über die Gesinnung gibt, aus der heraus die Angeklagte die letzte, zum Tode des Kindes führende Gewalthandlung begangen hat.
Den Urteilsgründen kann nicht entnommen werden, daß die Strafkammer die Körperverletzung, die Tatbestandsmerkmal sowohl des § 223 b StGB als auch des § 226 StGB ist, der Angeklagten doppelt angelastet hätte (vgl. hierzu BGHSt 39, 100, 109). Ebensowenig besteht die von der Revision geäußerte Besorgnis, das Landgericht habe sich bei der Bemessung der Strafe von Gesichtspunkten leiten lassen, die nur beim Totschlag Berücksichtigung finden dürften; die in den Urteilsgründen verwendete Formulierung, die Angeklagte habe ihr Kind, "wenn auch ungewollt, totgeschlagen" reicht für eine derartige Annahme nicht aus.
II. Die Revision des Angeklagten I. Z.
1. Sofern mit dem Hinweis auf einen Verstoß gegen die §§ 261, 267 StPO ungeachtet der ausdrücklich auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision eine Verfahrensrüge erhoben werden sollte, wäre diese jedenfalls mangels hinreichender Form gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO unzulässig.
2. Die Sachrüge führt jedoch zur Aufhebung des Urteils, soweit es den Angeklagten I. Z. betrifft.
Das Landgericht geht davon aus, der Angeklagte habe den Tatbestand des § 226 StGB und - in Gesetzeskonkurrenz - den des § 223 b StGB, jeweils durch Unterlassen, erfüllt.
a) Soweit sie die Garantenstellung des Angeklagten und die daraus abgeleitete Handlungspflicht betrifft, begegnet diese rechtliche Bewertung keinen Bedenken.
Die Garantenstellung des Angeklagten ergibt sich daraus, daß er der Vater des Opfers war. Damit traf ihn die Verpflichtung, Gefahren für Leib oder Leben seines Kindes abzuwehren. Da er seine Ehefrau nicht ständig überwachen konnte und Ermahnungen keine Wirkung zeigten, hätte er dies nur durch eine vollständige Trennung der Mutter von dem Kind erreichen können. Nach den Feststellungen zeigte die Ehefrau sich freiwillig nicht bereit, die Familie zu verlassen. Eine anderweitige Unterbringung des Kindes - etwa in einem Heim - wäre ohne die Einwilligung der für das Kind neben ihrem Ehemann sorgeberechtigten Angeklagten nur unter Einschaltung öffentlicher Stellen durchführbar gewesen. Dem Angeklagten blieb daher lediglich die Möglichkeit, das strafbare Tun seiner Ehefrau der Polizei oder dem Jugendamt zu offenbaren, um auf diese Weise eine sichere Trennung zwischen Mutter und Tochter herbeizuführen. Ein solches Vorgehen hätte zu endgültiger Zerrüttung der Ehe, Auseinanderfallen des Familienverbandes, Heimunterbringung der Kinder und strafrechtlicher Verfolgung der Ehefrau, mithin schwerwiegenden Nachteilen nicht nur für den Angeklagten, sondern für sämtliche Familienmitglieder führen können. Das Landgericht hält dies für zumutbar. Angesichts der dem Angeklagten aus Berichten seines Bruders bekannten Häufigkeit der Mißhandlungen des hilflosen Kleinkindes ist diese Wertung aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden (vgl. auch BGH NStZ 1984, 164).
b) Indem er nicht in der geforderten Weise eingeschritten ist und dadurch Schädigungen des Kindes verhindert hat, hat der Angeklagte durch Unterlassen das seiner Fürsorgepflicht unterstehende Kind im Sinne des § 223 b StGB gequält (vgl. BGH NStZ 1991, 234; a.A. Hirsch in LK aaO Rdn. 17, der ein Quälen durch Unterlassen grundsätzlich ausschließt).
Jedoch hätte der Erörterung bedurft, ob sich der Angeklagte der ihn hier konkret treffenden Handlungspflicht und der Zumutbarkeit normgerechten Handelns bewußt war. Während nämlich die Pflicht zur Unterlassung strafbarer Handlungen in der Regel selbstverständlich und für jedermann leicht erkennbar ist, versteht sich die Pflicht zum Handeln nicht von selbst (Jescheck in LK StGB 11. Aufl. vor § 13 Rdn. 100). Die Möglichkeit eines - vermeidbaren - Ver- oder besser Gebotsirrtums kann hier insbesondere deshalb nicht von vornherein ausgeschlossen werden, weil die gebotene Einschaltung öffentlicher Stellen wegen der damit für alle Familienmitglieder verbundenen schweren Belastungen bis an die Grenze des Zumutbaren ging. Auch eine von islamischem Gedankengut geprägte Vorstellung des Angeklagten über die Stellung der Mutter im Verhältnis zu ihren Töchtern mag insoweit von Bedeutung gewesen sein.
c) Soweit die Strafkammer den Tatbestand der Körperverletzung mit Todesfolge als erfüllt ansieht, halten ihre Ausführungen im subjektiven Bereich rechtlicher Überprüfung ebenfalls nicht stand.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gilt § 226 StGB nur für solche Körperverletzungen, denen die spezifische Gefahr anhaftet, zum Tode des Opfers zu führen (BGHSt 31, 96, 98). Deshalb reicht es zur Erfüllung des Tatbestandes nicht aus, daß sich der Vorsatz des Unterlassungstäters auf eine - wie auch immer geartete - Körperverletzung des aktiv Handelnden bezieht. Vielmehr muß seine Vorstellung gerade auf eine Körperverletzung gerichtet sein, die nach Art, Ausmaß und Schwere den Tod des Opfers besorgen läßt (vgl. BGH NStE Nr. 1 zu § 226 StGB).
Ob dies bei dem Angeklagten zum Zeitpunkt, als er zum Schutze seiner Tochter hätte tätig werden müssen, der Fall war, läßt sich den Urteilsgründen nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit entnehmen. Zwar hat der Angeklagte danach "seit mindestens Ende Oktober 1992 (gewußt), daß seine Frau das Kind immer wieder in massiver Weise schlug, trat und mißhandelte" (UA 9). Umstände, die diese allgemeine Feststellung konkretisieren würden, teilt das Landgericht jedoch nicht in hinreichendem Maße mit. Fest steht lediglich, daß der Angeklagte "blaue Flecke" am Körper des Kindes bemerkt hat. Auch heftigen Schlägen oder Tritten, die Hämatome hervorrufen, haftet aber nicht notwendig das Risiko eines tödlichen Ausgangs an. Vielmehr bedarf es des Hinzutretens weiterer gefahrerhöhender Umstände. Diese waren hier objektiv in zweifacher Hinsicht gegeben: Zum einen richteten sich die Angriffe der Mutter gegen den besonders empfindlichen Kopfbereich des Kleinkindes, zum anderen erfolgten die Schläge unbeherrscht ohne Rücksicht auf eine besondere Gefahrensituation infolge der örtlichen Gegebenheiten (Stellung des Kindes unmittelbar neben einem Schrank). Da der Angeklagte die Mißhandlungen - mit Ausnahme eines Vorfalls, bei dem die Mutter das Kind gegen die Beine schlug - niemals unmittelbar miterlebt hat, bedarf es der Darlegung, ob sich seine Vorstellung von den in seiner Abwesenheit zu erwartenden Tätlichkeiten seiner Ehefrau auch auf die oben angeführten gefahrerhöhenden Momente bezogen hat.
d) Sollte der neue Tatrichter erneut zu einer Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge gelangen, so stünde dieses Delikt aus den unter I. dargelegten Gründen zur Mißhandlung Schutzbefohlener in Tateinheit.
Externe Fundstellen: BGHSt 41, 113; NJW 1995, 2045; NStZ 1996, 35; StV 1995, 460
Bearbeiter: Rocco Beck