HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 686
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 39/17, Beschluss v. 09.06.2017, HRRS 2017 Nr. 686
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 29. November 2016 wird das Verfahren eingestellt.
2. Der Staatskasse fallen die insoweit entstandenen Kosten des Verfahrens zur Last. Es wird davon abgesehen, der Staatskasse die notwendigen Auslagen des Angeklagten aufzuerlegen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbs- und bandenmäßiger Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion in Tateinheit mit 28 tateinheitlichen Fällen des Computerbetrugs zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten verurteilt sowie eine Anrechnungsentscheidung hinsichtlich in Spanien erlittener Auslieferungshaft getroffen.
Mit seiner dagegen gerichteten Revision macht der Angeklagte u.a. das Verfahrenshindernis des Strafklageverbrauchs wegen einer bereits in Rumänien erfolgten rechtskräftigen Verurteilung geltend.
Das Rechtsmittel hat Erfolg und führt zur Einstellung des hiesigen Strafverfahrens. Der Angeklagte ist wegen derselben wie der hier gegenständlichen Tat bereits aufgrund der Entscheidung des Berufungsgerichts Craiova vom 27. September 2016 in Rumänien rechtskräftig verurteilt worden. Es besteht deshalb das Verfahrenshindernis des Strafklageverbrauchs gemäß Art. 54 Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ).
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts brachte ein unbekannt gebliebener Täter am 11. April 2009 auf Weisung des Angeklagten ein zuvor von dem Zeugen S. zusammengebautes Kartenlesegerät am Türöffner einer näher bezeichneten Bankfiliale in D. an, um so die auf den Magnetstreifen von Maestro-Zahlungskarten gespeicherten Daten auslesen zu können. Unmittelbar anschließend installierte ein weiterer Mittäter eine ebenfalls zuvor von S. aus vom Angeklagten zur Verfügung gestellten Bestandteilen gefertigte Videoleiste. Damit wurden die PIN-Eingaben der Bankkunden ausgespäht. Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt nach dem 11. April 2009 stellten der Angeklagte und weitere Mittäter - möglicherweise auch lediglich Mittäter auf Anweisung des Angeklagten - unter Nutzung der ausgespähten Daten Kartendubletten her.
Zwischen dem 17. und dem 20. April 2009 kam es jedenfalls durch die gesondert Verfolgten St. und G. sowie weitere unbekannt gebliebene Mittäter auf Weisung des Angeklagten unter Einsatz der Kartendubletten an näher bezeichneten Geldautomaten in Rumänien zu insgesamt 28 Bargeldabhebungen. Dabei wurde ein Gesamtbetrag von knapp 9.100 Euro erlangt.
2. Ausweislich der Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils hat der Zeuge S., auf dessen Angaben das Landgericht seine Überzeugung von dem festgestellten Sachverhalt stützt, u.a. ausgesagt, im April 2009 sei er mit dem gesondert Verfolgten G. von Rumänien aus nach Deutschland eingereist. Der ebenfalls gesondert Verfolgte St. sei auf einem anderen Reiseweg ebenfalls nach Deutschland gekommen und habe die für die Skimminggeräte benötigten Teile bei sich gehabt. Nach dem Zusammenbau der Gerätschaften habe man sich mit dem Angeklagten in H. getroffen. Durch diesen sei dort eine Wohnung angemietet worden. Im Anschluss an die Übergabe der Skimminggeräte an den Angeklagten sei die Gruppe für zwei Tage in H. geblieben, um dort für die Tatbegehung geeignete Banken auszukundschaften. Dies sei ebenso erfolglos geblieben, wie das Auskundschaften von Banken in Dr. und R. auf dem Rückweg nach Rumänien. Weiterhin hat S. ausgesagt, am Tag nach seiner Rückkehr in sein Heimatland habe sich der Angeklagte telefonisch bei ihm gemeldet und ihm mitgeteilt, dass man anderenorts erfolgreich Bankdaten ausgespäht habe. Abhebungen mit aufgrund der in D. erlangten Daten erstellten Kartendubletten seien dann u.a. durch G. und St. erfolgt.
Das in Deutschland geführte Strafverfahren gegen den Angeklagten war einzustellen, weil zu dessen Gunsten das Verbot der Doppelverfolgung aus Art. 54 SDÜ eingreift und dies - derzeit - ein durch den Senat von Amts wegen zu prüfendes Verfahrenshindernis bewirkt (BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2010 - 1 StR 57/10, BGHSt 56, 11; Urteil vom 12. Dezember 2013 - 3 StR 531/12, BGHSt 59, 120, 123 Rn. 10 mwN; siehe auch BGH, Beschluss vom 28. Dezember 2006 - 1 StR 534/06, NStZ-RR 2007, 179).
1. Die im hiesigen Strafverfahren gegenständliche prozessuale Tat ist bereits Gegenstand eines gegen den Angeklagten in Rumänien geführten Strafverfahrens gewesen. Das dortige Verfahren ist durch Entscheidung des Berufungsgerichts Craiova vom 27. September 2016 (Beschluss Nr.) rechtskräftig abgeschlossen worden, indem die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des erstinstanzlichen Gerichts in Gorj vom 24. Mai 2016 (Nr.) als unbegründet verworfen worden ist. In erster Instanz war der Angeklagte wegen betrügerischer Finanzoperationen (Art. 250 Abs. 1 rumänisches StGB), Nachmachen von Zahlungsinstrumenten (Art. 311 Abs. 2 rumänisches StGB), Besitz von Gerätschaften zum Nachmachen von Zahlungsinstrumenten (Art. 314 Abs. 2 rumänisches StGB), unberechtigtem Zugang zu Computersystemen (Art. 360 Abs. 1 und 3 rumänisches StGB), unerlaubter Handlungen mit Vorrichtungen oder Software (Art. 365 Abs. 1 und 2 rumänisches StGB) sowie wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung (Art. 367 Abs. 1 rumänisches StGB) zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden.
Ausweislich des durch den Senat eingeholten Gutachtens des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht ist der Angeklagte durch das vorgenannte Urteil auf der Grundlage von Art. 33 bis Art. 34 des rumänischen Strafgesetzbuchs von 1969 in Verbindung mit dem Art. 5 des am 1. Februar 2014 in Kraft getretenen rumänischen Strafgesetzbuchs vom 17. Juli 2009 unter Anwendung der lex mitior Regel im Wege der Gesamtstrafenbildung zu einer Hauptstrafe von drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Das Gericht hat die Vollstreckung dieser Strafe bei einer Bewährungszeit von fünf Jahren zur Bewährung ausgesetzt. Dem Angeklagten ist aufgegeben worden, zu von der Bewährungshilfe festgelegten Terminen bei dieser zu erscheinen. Darüber hinaus ist er unter anderem verpflichtet, jeden Wohnsitz- und Arbeitsplatzwechsel sowie jede den Zeitraum von acht Tagen überschreitende Reise mitzuteilen. Das erstinstanzliche Gericht hat dem Angeklagten eine zusätzliche Strafe in Gestalt des Verbots der Ausübung einiger in Art. 64 Abs. 1 Buchst. a) und b) des rumänischen Strafgesetzbuchs von 1969 aufgeführter Rechte sowie als Nebenstrafe ebenfalls das Verbot der Ausübung in dem genannten Artikel erfasster Rechte auferlegt. Die Nebenstrafe ist zur Bewährung ausgesetzt worden (Art. 71 Abs. 5 des rumänischen StGB von 1969).
2. Dieser Verurteilung liegt dieselbe Tat im Sinne von Art. 54 SDÜ zugrunde wie dem hier angefochtenen Urteil.
a) Nach der für die nationalen Gerichte verbindlichen Auslegung des Art. 54 SDÜ durch die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteile vom 11. Februar 2003 - C-187/01 und C-385/01 - Gözütok und Brügge -; vom 9. März 2006 - C-436/04 - Van Esbroeck -, NJW 2006, 1781; vom 28. September 2006 - C-467/04 - Gasparini -; vom 28. September 2006 - C-150/05 - Van Straaten -; vom 18. Juli 2007 - C-288/05 - Kretzinger -, NJW 2007, 3412 und vom 18. Juli 2007 - C-367/05 - Kraaijenbrink -, NStZ 2008, 164; Beschluss vom 22. Dezember 2008 - C-491/07 - Turansky -, NStZ-RR 2009, 109; Urteil vom 16. November 2010 - C-261/09 Mantello -, NJW 2011, 983) gilt im Rahmen dieser Vorschrift ein im Verhältnis zu den nationalen Rechtsordnungen eigenständiger, autonom nach unionsrechtlichen Maßstäben auszulegender Tatbegriff. Danach ist maßgebendes Kriterium für die Anwendung des Art. 54 SDÜ allein die Identität der materiellen Tat, verstanden als das Vorhandensein eines Komplexes konkreter, in zeitlicher und räumlicher Hinsicht sowie nach ihrem Zweck unlösbar miteinander verbundener Tatsachen. Das Verbot der Doppelbestrafung greift ein, wenn ein solcher Komplex unlösbar miteinander verbundener Tatsachen besteht und die verschiedenen Verfahren jeweils Tatsachen aus dem einheitlichen Komplex zum Gegenstand haben (BGH, Beschluss vom 9. Juni 2008 - 5 StR 342/04, NJW 2008, 2931, 2932 f.; Urteil vom 12. Dezember 2013 - 3 StR 531/12, BGHSt 59, 120, 125 f. Rn. 15). Auf materiellrechtliche Bewertungen, insbesondere darauf, ob die verschiedenen begangenen Delikte nach deutschem Recht sachlichrechtlich im Verhältnis von Tateinheit oder Tatmehrheit stehen, kommt es demnach nicht an (BGH aaO BGHSt 59, 120, 126 Rn. 15 aE).
Die nähere Auslegung dieses Tatbegriffs im Sinne des Art. 54 SDÜ hat sich in erster Linie am Zweck dieser Norm auszurichten, der darin besteht, die ungehinderte Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit der Unionsbürger zu sichern. Wer wegen eines Tatsachenkomplexes bereits in einem Vertragsstaat abgeurteilt ist, soll sich ungeachtet unterschiedlicher rechtlicher Maßstäbe in den einzelnen Staaten darauf verlassen können, dass er nicht - auch nicht unter einem anderen rechtlichen Aspekt - ein zweites Mal wegen derselben Tatsachen strafrechtlich verfolgt wird. Demgegenüber ist die Einordnung der Tatsachen nach den Strafrechtsordnungen der Vertragsstaaten unbeachtlich. Die Qualifizierung eines Tatsachenkomplexes als eine Tat im Sinne des Art. 54 SDÜ ist darüber hinaus von dem jeweils rechtlich geschützten Interesse unabhängig; denn dieses kann wegen der fehlenden Harmonisierung der nationalen Strafvorschriften von einem Vertragsstaat zum anderen unterschiedlich sein. Allein aus dem Umstand, dass die Taten durch einen einheitlichen Vorsatz auf subjektiver Ebene verbunden sind, lässt sich die Identität der Sachverhalte nicht herleiten; erforderlich ist vielmehr eine objektive Verbindung der zu beurteilenden Handlungen (vgl. EuGH, jeweils aaO sowie BGH aaO BGHSt 59, 120, 126 Rn. 16).
Ob im konkreten Fall nach diesen Kriterien eine einheitliche Tat anzunehmen ist, obliegt der Beurteilung durch die nationalen Gerichte (EuGH, Urteile vom 9. März 2006 - C-436/04 - Van Esbroeck -, NJW 2006, 1781 und vom 28. September 2006 - C-467/04 - Gasparini -; BGH aaO BGHSt 59, 120, 126 Rn. 17).
b) Bei Anwendung dieser Maßstäbe liegt hier eine einheitliche Tat im Sinne des Art. 54 SDÜ vor.
aa) Ausweislich des Urteils der Strafabteilung des Gerichts Gorj vom 24. Mai 2016 sowie der Entscheidung des Berufungsgerichts Craiova vom 27. September 2016 war der Angeklagte im Zeitraum zwischen 2008 und 2010 Anführer einer kriminellen Gruppe, der neben ihm u.a. auch der hiesige Zeuge S. sowie G., St. und weitere namentlich benannte Personen angehörten. Nach den weiteren Feststellungen der rumänischen Gerichte hat der Angeklagte die kriminelle Organisation u.a. dadurch unterstützt, dass er ihnen Skimming-Gerätschaften zur Verfügung gestellt hatte. Im April 2009 seien S., G. und St. nach H. gefahren, wo sie sich in der Wohnung eines weiteren Beteiligten getroffen hätten. Dort sei auch das weitere Vorgehen festgelegt worden. Am 12. April 2009 seien die Vorgenannten nach Rumänien zurückgereist. Von dem Angeklagten seien ihnen insgesamt 64 PIN-Codes telefonisch übermittelt worden. Diese Daten seien auf gefälschte Kreditkarten gebrannt und in Rumänien benutzt worden. Der Angeklagte habe einen weiteren Beteiligten eingesetzt, um Skimming-Geräte nach Deutschland zu bringen. Später seien dadurch hohe Geldsummen von „ATMs“ abgehoben worden.
bb) Auf der Grundlage der dem inländischen Urteil und den ausländischen Urteilen zugrundeliegenden Verfahrensgegenständen handelt es sich um denselben Komplex unlösbar miteinander verbundener Tatsachen. Maßgeblich dafür ist nämlich vor allem, ob die fraglichen Tatsachen in zeitlicher und räumlicher Hinsicht sowie nach ihrem Zweck unlösbar miteinander verbunden sind (etwa EuGH, Urteil vom 9. März 2006 - C-436/04 - Van Esbroeck -, NJW 2006, 1781; siehe auch Esser, Europäisches und Internationales Strafrecht, 2014, § 7 Rn. 27; Radtke in Böse [Hrsg.], Europäisches Strafrecht mit polizeilicher Zusammenarbeit [EnzEuR Band 9], 2013, § 12 Rn. 49; Zehetgruber, JR 2015, 184, 187). Sowohl die Verurteilung durch das Landgericht als auch diejenige durch die rumänischen Gerichte leiten das jeweils strafbare Verhalten jedenfalls auch aus den Geschehnissen im April 2009 in H. und anderen Orten in Deutschland sowie den sich an das Ausspionieren von Bankkundendaten in Deutschland und die anschließenden Abhebungen unter Verwendung von mit diesen Daten versehenen Kartendubletten in Rumänien ab. Zwar wird in dem Urteil der Strafabteilung des Gerichts in Gorj als Ort der Anbringung von Skimming-Gerätschaften nicht ausdrücklich eine Bankfiliale in D. bezeichnet. Die übrigen zugrunde gelegten tatsächlichen Umstände der Tatbegehung stimmen aber zumindest in Bezug auf das zur Verurteilung durch das Landgericht führende Geschehen überein. Grundlage in tatsächlicher Hinsicht ist jeweils die Einreise von näher benannten Bandenmitgliedern nach Deutschland, vor allem die Zusammenkunft u.a. von S., G. und St. in H., mit dem Ziel, dort unter Einsatz der von S. zusammengebauten, vom Angeklagten stammenden Gerätschaften an die Daten von Bankkunden zu gelangen. Beiden Verurteilungen liegt zugrunde, dass mit Hilfe dieser Skimming-Gerätschaften Bankkundendaten ab dem 11. April 2009 erlangt und auf den anschließend hergestellten Kartendubletten verwendet worden sind. Es ist übereinstimmend festgestellt worden, dass die Daten durch andere Bandenmitglieder als S., G. und St. erlangt worden sind. Die beiden Letztgenannten haben dann neben weiteren Beteiligten an Bankautomaten in Rumänien größere Geldbeträge unter Einsatz der Kartendubletten abgehoben.
Es steht der Annahme derselben Tat im Sinne von Art. 54 SDÜ nicht entgegen, dass der in Rumänien der Verurteilung zugrunde liegende Lebenssachverhalt umfänglicher ist als der Gegenstand (§§ 155, 264 StPO) des hiesigen Verfahrens und auch einen Zeitraum vor den in Deutschland abgeurteilten Geschehnissen umfasst. Der Verfahrensgegenstand im Inland wird jedenfalls vollständig von dem der Verurteilung in Rumänien zugrunde liegenden umfasst. Der für den Tatbegriff im Sinne von Art. 54 SDÜ maßgebliche unlösbare Tatsachenkomplex wird nicht dadurch aufgehoben, dass in den betroffenen Vertragsstaaten geringe Unterschiede bei den maßgeblichen tatsächlichen Umständen (etwa Zahl und Identität von Tatbeteiligten; Umfang von Handelsmengen bei BtM-Handel etc.) bestehen (vgl. EuGH, Urteil vom 28. September 2006 - C-150/05 - Van Straaten - Rn. 53). Erst recht kommt es für den Tatbegriff des Art. 54 SDÜ nicht auf die materiellrechtliche Bewertung des verfahrensgegenständlichen Sachverhalts durch Gerichte der beteiligten Mitgliedstaaten an (Radtke aaO § 12 Rn. 51).
Die Verurteilung des Angeklagten durch die rumänischen Gerichte bezieht sich auch nicht lediglich auf die Bildung einer kriminellen Vereinigung gemäß § 367 Abs. 1 des rumänischen Strafgesetzbuchs. Wie sich aus den Entscheidungen beider Instanzen in Rumänien auch ausweislich des dazu eingeholten Gutachtens des Max-Planck-Instituts ergibt, umfasst der Schuldspruch die Verurteilung wegen insgesamt sechs verschiedener Delikte. Für die Verwirklichung jeder der oben (Rn. 8) genannten Straftatbestände des rumänischen Strafrechts sind jeweils Einzelstrafen verhängt worden, die dann zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren zusammengeführt worden sind. Insbesondere der in Rumänien erfolgten Verurteilung aufgrund der Art. 250 Abs. 1, Art. 311 Abs. 2, Art. 314 Abs. 2, Art. 360 Abs. 1 und 3 sowie Art. 365 Abs. 1 und 2 des rumänischen StGB liegen tatsächliche Umstände zugrunde, auf die auch die inländische Verurteilung gestützt ist. Es kommt daher nicht darauf an, ob bei der Bestimmung der Reichweite des Begriffs der Tat im Sinne von Art. 54 SDÜ Einschränkungen vorzunehmen wären, wie sie für den innerstaatlichen Tatbegriff (§§ 155, 264 StPO) bei Organisationsdelikten angenommen werden (dazu BGH, Urteil vom 30. März 2001 - 3 StR 342/00, NStZ 2001, 436 ff. und Beschluss vom 9. Juli 2015 - 3 StR 537/14, BGHSt 60, 308 ff.). Deshalb bedarf es auf der Grundlage von Art. 35 EUV in Verbindung mit Art. 267 AEUV auch keiner Anfrage an den Gerichtshof der Europäischen Union, ob bei der Verurteilung im Erstverfolgungsstaat wegen eines Organisationsdelikts (hier: Art. 367 Abs. 1 des rumänischen Strafgesetzbuchs) der Tatbegriff des Art. 54 SDÜ dahingehend auszulegen wäre, dass Straftaten, die sich als Beteiligung an der Organisation darstellen, nicht von diesem erfasst wären.
c) Art. 54 SDÜ findet auch auf Abwesenheitsurteile, wie sie hier mit den verurteilenden Erkenntnissen in Rumänien vorliegen, Anwendung (EuGH, Urteil vom 11. Dezember 2008 - C-297/07 - Bourquain - Rn. 34, NStZ 2009, 454; siehe auch EuGH, Urteil vom 27. Mai 2014 - C-129/14 - Spasic -; siehe auch BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2010 - 1 StR 57/10, BGHSt 56, 11, 13 Rn. 7).
d) Mit der Entscheidung des Berufungsgerichts Craiova vom 27. September 2016 liegt eine rechtskräftige Aburteilung im Sinne von Art. 54 SDÜ vor.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union besteht eine solche dann, wenn durch die entsprechende Entscheidung im Erstverfolgungsstaat nach dessen Recht die Strafklage endgültig verbraucht ist (EuGH, Urteile vom 22. Dezember 2008 - C-491/07 - Turansky -, Slg. 2008 I-11039 Rn. 32; vom 16. November 2010 - C-261/09 - Mantello -, NJW 2011, 983, 985 Rn. 45; siehe auch bereits EuGH, Urteil vom 11. Februar 2003 - verbundene Rs. C-187/01 und C-385/01 - Gözütok und Brügge -, Slg. 2003, I-01345 Rn. 27-30). Diese Voraussetzung ist vorliegend gegeben. Ausweislich des Gutachtens des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht regelt Art. 6 der rumänischen Strafprozessordnung den Grundsatz ne bis in idem für das innerstaatliche Recht. Danach darf niemand für die Begehung einer Straftat verfolgt oder verurteilt werden, wenn gegen dieselbe Person zeitlich vorausgehend ein endgültiges strafrechtliches Urteil im Hinblick auf dieselbe Tathandlung ergangen ist, wobei es auf die materiellrechtliche Bewertung der Tathandlung nicht ankommt. Nach dem maßgeblichen rumänischen Recht ist gegen den Angeklagten mit der Verwerfung seiner Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil des Gerichts in Gorj durch die Entscheidung des Berufungsgerichts Craiova vom 27. September 2016 eine endgültige Verurteilung in Rumänien erfolgt. Der Senat hat unter Vermittlung des Europäischen Justiziellen Netzes (EJN) von den rumänischen Justizbehörden die Auskunft erhalten, dass das Urteil des Berufungsgerichts dem Angeklagten am 5. Oktober 2016 an eine Adresse in Rumänien und am 16. November 2016 an eine Adresse in Spanien zugestellt worden ist. Innerhalb der dafür gesetzlich vorgesehenen Frist von 30 Tagen ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel durch den Angeklagten eingelegt worden, so dass es innerstaatlich in Rumänien rechtskräftig geworden ist.
e) Die gegen den Angeklagten rechtskräftig verhängte Freiheitstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt ist, wird im Sinne von Art. 54 SDÜ „gerade vollstreckt“. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob dieses Element der Vollstreckungsbedingung bereits deshalb erfüllt ist, weil der Angeklagte zusätzlich und neben der genannten Hauptstrafe mit dem Verbot der Ausübung bestimmter Rechte belegt worden ist.
aa) Der Senat hält im Ergebnis an seiner Rechtsprechung fest, dass es für den unionsweiten Strafklageverbrauch auf die in Art. 54 SDÜ ausdrücklich statuierte Vollstreckungsbedingung auch nach dem Inkrafttreten der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GrCH) ankommt, obwohl der Wortlaut von Art. 50 GrCH diese Bedingung nicht ausdrücklich enthält (BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2010 - 1 StR 57/10, BGHSt 56, 11, 14 ff. Rn. 13 ff., aA etwa Böse, GA 2011, 504, 508 ff.; Merkel/Scheinfeld, ZIS 2012, 206, 210; siehe auch Weißer in Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, 3. Aufl., § 42 Rn. 131-133 sowie Duesberg, ZIS 2017, 66, 68 ff.). Der Gerichtshof der Europäischen Union hat mittlerweile entschieden, dass es sich bei der Vollstreckungsbedingung aus Art. 54 SDÜ um eine mit Art. 50 GrCH zu vereinbarende, durch Art. 52 Abs. 1 GrCH gedeckte Einschränkung des Grundsatzes ne bis in idem handelt (EuGH, Urteil vom 27. Mai 2014 - C-129/14 - Spasic -, NJW 2014, 3007, 3008 f. Rn. 55-58). Der sachlich legitimierende Grund für diese Einschränkung liegt in ihrem Zweck, zu verhindern, dass ein in einem Vertragsstaat rechtskräftig Verurteilter, wenn dieser Staat die verhängte Strafe nicht hat vollstrecken lassen, nicht mehr wegen derselben Tat in einem anderen Vertragsstaat verfolgt werden kann und so letztlich einer Strafe entginge (EuGH aaO Rn. 58 mwN).
bb) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union wird im Sinne von Art. 54 SDÜ eine Strafe auch dann „gerade vollstreckt“, wenn im Erstverfolgungsstaat auf eine Freiheitsstrafe erkannt worden ist, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist (EuGH, Urteil vom 18. Juli 2007 - C-288/05 - Kretzinger -, NJW 2007, 3412, 3414 Rn. 42 und 44). Dieses Teilelement der Vollstreckungsbedingung ist während des Laufs der Bewährungszeit verwirklicht (EuGH aaO Rn. 42).
Der Senat vertritt die Auffassung, dass die gegen den Angeklagten in Rumänien verhängte Bewährungsstrafe „gerade vollstreckt“ wird, obwohl er sich bis zum 9. Juni 2017 in deutscher Untersuchungshaft in dieser Sache befand und deshalb bislang nicht den ihm im Erstverfolgungsstaat aufgegebenen Bewährungsauflagen und/oder -weisungen nachkommen konnte. Zwar hat sich der Angeklagte nach den dem Senat zugänglichen Erkenntnissen während der gesamten Dauer des Strafverfahrens in Rumänien nicht dort aufgehalten, weshalb in beiden Instanzen in seiner Abwesenheit aber unter Mitwirkung eines Verteidigers verhandelt worden ist. Er hätte sich daher - unabhängig von der in Deutschland seit dem 6. Juni 2016 gegen ihn vollzogenen Untersuchungshaft - erst nach Rumänien begeben müssen, um die dortigen Bewährungsauflagen/ -weisungen zu erfüllen. Auch in einer solchen Konstellation gebietet der Gedanke, dass die Handlungsfreiheit eines Verurteilten erheblich beeinträchtigt ist, solange die Bewährungszeit läuft, die Annahme des Vollstreckungselements (vgl. dazu die Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston in der Rechtssache Kretzinger [Rs. C-288/05] vom 5. Dezember 2006 Rn. 49; siehe auch Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, 7. Aufl., § 10 Rn. 81), zumal die faktische Unmöglichkeit für den Angeklagten, sich nach Rumänien zu begeben, aus der in Deutschland gegen ihn nach der Überstellung durch die spanischen Justizbehörden seit dem 6. Juni 2016 vollzogenen Untersuchungshaft in dieser Sache resultierte.
Daran ändert im Ergebnis auch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache Spasic (Urteil vom 27. Mai 2014 - C-129/14, NJW 2014, 3007 ff.) nichts. Dort hat der EuGH entschieden, dass nach dem Widerruf der Bewährung einer zunächst ausgesetzten Freiheitsstrafe diese erst dann (wieder) im Sinne von Art. 54 SDÜ „gerade vollstreckt“ wird, wenn mit der Verbüßung im Erstverfolgungsstaat begonnen worden ist (EuGH aaO Rn. 83). Damit wäre der Zweitverfolgungsstaat in einer solchen Konstellation berechtigt, die durch seine Gerichtsbarkeit - regelmäßig in Unkenntnis der rechtskräftigen Verurteilung im Erstverfolgungsstaat - erfolgte, ebenfalls rechtskräftig festgesetzte Strafe wegen derselben Tat nach dem Bewährungswiderruf und vor der tatsächlichen Verbüßung der Strafe aus dem Urteil im Erstverfolgungsstaat zu vollstrecken. Und dies, obwohl der Verurteilte - anders als im Fall der nicht widerrufenen Bewährung - nicht mehr beeinflussen kann, ob und wann es zum Beginn der Verbüßung im Erstverfolgungsstaat kommt.
Ungeachtet dessen ist nach Auffassung des Senats durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union aber hinreichend geklärt, dass ohne weitere Differenzierungen eine in einem Vertragsstaat rechtskräftig verhängte Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt ist, während des Laufs der Bewährungszeit als im Sinne von Art. 54 SDÜ „gerade vollstreckt“ gilt. Es bedarf deshalb nicht der Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art. 35 Abs. 3 EUV i.V.m. Art. 267 AEUV.
f) Das Eingreifen des Doppelverfolgungsverbots aus Art. 54 SDÜ ist auch nicht durch Art. 55 Abs. 1 Buchst. a) SDÜ ausgeschlossen. Dabei bedarf keiner Entscheidungen, ob die von der Bundesrepublik Deutschland bei der Ratifikation des SDÜ erklärten Vorbehalte (BGBl. 1994 II S. 631) nach der Einbeziehung des Schengen-Besitzstandes in den Rahmen der Europäischen Union (siehe dazu Protokoll zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den Rahmen der Europäischen Gemeinschaft, ABl. EG Nr. C 340 vom 10. November 1997 S. 93) und nach dem Inkrafttreten der Charta der Grundrechte der Europäischen Union weiterhin Bestand haben (vgl. dazu näher Böse, Festschrift für H.-H. Kühne, 2013, S. 519, 521 ff. mwN). Denn der von der Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 55 Abs. 1 Buchst. a) erster Halbsatz SDÜ erklärte Vorbehalt greift vorliegend im Hinblick auf die Rückausnahme im zweiten Halbsatz der genannten Bestimmung ohnehin nicht. Die Tat - im Sinne des unionsrechtlichen Tatbegriffs - ist zumindest im Hinblick auf die verfahrensgegenständlichen Abhebungen an Geldautomaten zwischen dem 17. und dem 20. April 2009 mit den Kartendubletten auf rumänischem Staatsgebiet und damit auch im Erstverfolgungsstaat begangen worden (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Dezember 2006 - 1 StR 534/06, NStZ-RR 2007, 179).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO. Die Entscheidung über die notwendigen Auslagen des Angeklagten beruht auf § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO. Dabei hat der Senat seiner Ermessensausübung zugrunde gelegt, dass die Revision des Angeklagten ohne das Eingreifen des Verfahrenshindernisses aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts erfolgslos geblieben wäre (vgl. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 467 Rn. 16). Das Verfahrenshindernis ist zudem erst nach der Verkündung des Urteils des Landgerichts mit dem Ablauf der Frist für ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Berufungsgerichts Craiova eingetreten.
Eine Entscheidung über eine Entschädigung des Angeklagten für erlittene Strafverfolgungsmaßnahmen (§ 2 Abs. 1 StrEG) ist derzeit nicht veranlasst.
Eine Einstellung des Verfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses erfordert eine Entscheidung gemäß § 2 Abs. 1 StrEG lediglich dann, wenn es sich um ein dauerndes, also nicht oder nicht mehr ohne Weiteres behebbares Hindernis handelt (Meyer, StrEG, 10. Aufl., § 2 Rn. 28 und 29 mwN). Diese Voraussetzung liegt derzeit nicht vor. Das Eingreifen des Doppelverfolgungsverbots aus Art. 54 SDÜ erfordert - wie dargelegt - auch das Vollstreckungselement, das hier in der Variante einer ausländischen Strafe gegeben ist, die wegen der Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe „gerade vollstreckt“ wird. Sollte während des Laufs der durch die rumänischen Strafgerichte festgesetzten fünfjährigen Bewährungsfrist die Bewährung widerrufen, die verwirkte Freiheitsstrafe aber im Erstverfolgungsstaat dennoch nicht vollstreckt werden, wäre das Vollstreckungselement nicht mehr erfüllt. Dies eröffnete der Bundesrepublik Deutschland die Möglichkeit, die durch das hier angefochtene Urteil verhängte Freiheitsstrafe ihrerseits zu vollstrecken (vgl. EuGH, Urteil vom 27. Mai 2014 - C-129/14 - Spasic -, NJW 2014, 3007, 3010 Rn. 83). Ein endgültiges Verfahrenshindernis wird daher erst dann eintreten, wenn die Bewährungsfrist ohne Widerruf durch die rumänischen Gerichte verstrichen oder die in Rumänien verhängte Freiheitsstrafe nach erfolgtem Widerruf vollzogen worden sein wird.
Vor diesem Hintergrund wird die zuständige Staatsanwaltschaft das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen des Vollstreckungselements aus Art. 54 SDÜ durch Konsultationen der rumänischen Justizbehörden regelmäßig überwachen.
HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 686
Externe Fundstellen: StV 2018, 589
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede