HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 108
Bearbeiter: Holger Mann
Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvQ 2/25, Beschluss v. 21.01.2025, HRRS 2025 Nr. 108
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betrifft die Untätigkeit des Landgerichts Regensburg in einem Verfahren auf dem Gebiet des Strafvollzugs.
1. Der Antragsteller verbüßt seit Juni 2018 eine zehnjährige Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts München I vom 9. März 2015 in der Justizvollzugsanstalt Straubing. Mit dem Strafurteil wurde zudem die Unterbringung des Antragstellers in der Sicherungsverwahrung angeordnet.
2. Mit Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 10. Juni 2023 wandte sich der Antragsteller gegen die Versagung von Vollzugslockerungen durch die Justizvollzugsanstalt Straubing. Die zuständige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg holte daraufhin eine Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt ein, auf die der Antragsteller mit Schreiben vom 31. Juli 2023 erwiderte. Seitdem erging im fachgerichtlichen Verfahren - soweit ersichtlich - weder eine Entscheidung, noch kam es zu sonstigen verfahrensfördernden Schritten.
3. Auf die Verzögerungsrüge des Antragstellers vom 23. Oktober 2023 teilte die zuständige Einzelrichterin mit Schreiben vom 25. Oktober 2023 mit, eine Entscheidung sei aufgrund der hohen Arbeitsbelastung der Kammer durch zahlreiche fristgebundene Verfahren noch nicht möglich gewesen. Das den Antragsteller betreffende Verfahren werde aber priorisiert behandelt.
4. Die weitere Verzögerungsrüge des Antragstellers vom 28. Januar 2024 blieb ausweislich der vorgelegten Unterlagen unbeantwortet.
5. Am 16. April 2024 erhob der Antragsteller „Dienst- und Sachaufsichtsbeschwerde“ gegen die zuständige Einzelrichterin der Strafvollstreckungskammer. Mit Schreiben vom 10. Juni 2024 teilte die Verwaltung des Landgerichts dem Antragsteller mit, es bestehe kein Anlass für Maßnahmen im Wege der Dienstaufsicht. Im Rahmen ihrer dienstlichen Äußerung habe die zuständige Richterin angegeben, der mangelnde Abschluss des Verfahrens sei auf die Belastungssituation der Kammer in den Jahren 2023 und 2024 zurückzuführen. Die Kammer habe zahlreiche vorrangige Verfahren zu führen. Eine priorisierte, möglichst zeitnahe Bearbeitung des Verfahrens sei jedoch weiterhin beabsichtigt.
6. Auf die dazu vorgelegte Gegenvorstellung des Antragstellers vom 11. August 2024 teilte das Landgericht mit Schreiben vom 16. Oktober 2024 mit, die zuständige Richterin habe am 1. Oktober 2024 angegeben, ein genauer Zeitpunkt, bis zu dem eine Entscheidung ergehen werde, könne weiterhin nicht genannt werden. Es solle aber noch im Jahr 2024 über den Antrag entschieden werden.
Mit seinem am 9. Januar 2025 eingegangenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung rügt der Antragsteller insbesondere die Verletzung seines Rechts auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG und begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der das Landgericht verpflichtet werden solle, unverzüglich über seinen gerichtlichen Antrag vom 10. Juni 2023 zu entscheiden.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist abzulehnen.
1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.
Als Mittel des vorläufigen Rechtsschutzes hat die einstweilige Anordnung auch im verfassungsgerichtlichen Verfahren die Aufgabe, die Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern; sie soll auf diese Weise dazu beitragen, Wirkung und Bedeutung einer erst noch zu erwartenden Entscheidung in der Hauptsache zu sichern und zu erhalten (vgl. BVerfGE 42, 103 <119>). Deshalb bleiben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht, es sei denn, die Hauptsache erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 89, 38 <44>; 103, 41 <42>; 118, 111 <122>; stRspr). Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, so hat das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich im Rahmen einer Folgenabwägung die Nachteile abzuwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 105, 365 <371>; 106, 351 <355>; 108, 238 <246>; 125, 385 <393>; 132, 195 <232 f. Rn. 87>; stRspr).
2. a) Der Erlass einer einstweiligen Anordnung scheidet hier nicht bereits deshalb aus, weil die Verfassungsbeschwerde von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre. Da das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers - soweit ersichtlich - seit inzwischen mehr als 17 Monaten unbearbeitet geblieben ist, liegt hier eine Verletzung seines Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG nahe. Die Untätigkeit über einen derart langen Zeitraum kann nicht durch Personalmangel oder eine außergewöhnlich hohe Verfahrensbelastung gerechtfertigt werden. Dem Gericht steht zwar für die Bearbeitung anhängiger Verfahren grundsätzlich ein Ermessensspielraum zu, innerhalb dessen es aufgrund eigener Gewichtung Prioritäten in Abweichung von der Reihenfolge des Eingangs setzen kann (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 29. März 2005 - 2 BvR 1610/03 -, Rn. 12; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 10. Januar 2023 - 1 BvR 1346/22, 1 BvR 1349/22 -, Rn. 12; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 24. März 2023 - 2 BvR 116/23 -, Rn. 19). Auf Umstände, die innerhalb des staatlichen Verantwortlichkeitsbereichs liegen, wie etwa eine allgemein angespannte Personalsituation, kann sich der Staat zur Rechtfertigung der überlangen Dauer eines Verfahrens jedoch nicht berufen. Er muss vielmehr alle notwendigen Maßnahmen treffen, damit Gerichtsverfahren innerhalb angemessener Zeit beendet werden können (vgl. BVerfGE 36, 264 <274 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 2. Juli 2003 - 2 BvR 273/03 -, Rn. 13; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 29. März 2005 - 2 BvR 1610/03 -, Rn. 13; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 10. Januar 2023 - 1 BvR 1346/22, 1 BvR 1349/22 -, Rn. 15; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 24. März 2023 - 2 BvR 116/23 -, Rn. 20).
b) Der Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung kommt dennoch nicht in Betracht, weil die vorzunehmende Folgenabwägung zulasten des Antragstellers ausfällt. Für die Beurteilung der Erforderlichkeit einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG ist ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 93, 181 <186>). Dies gilt nicht nur im Hinblick darauf, dass einstweilige Anordnungen des Bundesverfassungsgerichts weittragende Folgen haben können (vgl. BVerfGE 3, 41 <44>; stRspr), sondern auch im Hinblick auf die besondere Funktion und Organisation des Bundesverfassungsgerichts. Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 32 BVerfGG ist - anders als der von Art. 19 Abs. 4 GG geprägte vorläufige Rechtsschutz im fachgerichtlichen Verfahren - nicht darauf angelegt, einen möglichst lückenlosen vorläufigen Rechtsschutz zu bieten (vgl. BVerfGE 94, 166 <216 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Dezember 2013 - 2 BvR 2541/13 -, Rn. 5 m.w.N.). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt danach nur unter wesentlich engeren Voraussetzungen in Betracht als die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch die Fachgerichte. Insbesondere sind, wenn eine einstweilige Anordnung zur Abwendung eines geltend gemachten schweren Nachteils erstrebt wird, erheblich strengere Anforderungen an die Schwere des Nachteils zu stellen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Dezember 2013 - 2 BvR 2541/13 -, Rn. 5 m.w.N.). Nach diesen strengen Maßstäben liegen die Voraussetzungen für ein Eingreifen des Bundesverfassungsgerichts im Verfahren des Eilrechtsschutzes gegenwärtig nicht vor. Aus dem Vorbringen des Antragstellers ergibt sich nicht, dass eine einstweilige Anordnung zur Abwehr schwerer Nachteile für ihn derzeit dringend geboten ist.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 108
Bearbeiter: Holger Mann