HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1096
Bearbeiter: Holger Mann
Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvQ 49/24, Beschluss v. 28.06.2024, HRRS 2024 Nr. 1096
Die Übergabe des Antragstellers an die Behörden der Republik Ungarn wird bis zur Entscheidung über die noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Wochen, einstweilen untersagt.
Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin wird mit der Durchführung der einstweiligen Anordnung beauftragt. Sie wird angewiesen, durch geeignete Maßnahmen eine Übergabe des Antragstellers an die ungarischen Behörden zu verhindern und seine Rückführung in die Bundesrepublik Deutschland zu erwirken.
Der Antragsteller, ein deutscher Staatsangehöriger, begehrt die einstweilige Untersagung seiner Überstellung an die Behörden der Republik Ungarn auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls.
Die am 28. Juni 2024 gegen 11:00 Uhr gemäß § 32 Abs. 5 Satz 1 BVerfGG bekanntgegebene Entscheidung wird gemäß § 32 Abs. 5 Satz 2 BVerfGG wie folgt begründet:
1. Dem Antragsteller wird von den ungarischen Behörden zur Last gelegt, seit dem Jahr 2017 Mitglied einer kriminellen Vereinigung zu sein, deren Ziel es gewesen sein soll, Sympathisanten der extremen Rechten in zahlenmäßiger Überlegenheit koordiniert und unter Einsatz vor allem von Teleskopschlagstöcken anzugreifen. In der Zeit vom 9. bis zum 11. Februar 2023 soll er gemeinsam mit weiteren Personen Sympathisanten der rechtsextremen Szene oder von ihnen hierfür gehaltene Personen in Budapest angegriffen und verletzt haben.
2. Der Antragsteller wurde am 11. Dezember 2023 aufgrund eines Europäischen Haftbefehls des Zentralen Bezirksgerichts Buda vom 8. November 2023 gemäß § 19 IRG sowie eines in einem Ermittlungsverfahren der Generalstaatsanwaltschaft Dresden ausgestellten Haftbefehls des Amtsgerichts Dresden vom selben Tag in Berlin festgenommen. Er wurde dem Amtsgericht Dresden zur Eröffnung des Haftbefehls vorgeführt. Mit Schreiben vom 29. Februar 2024 wurde der Antragsteller darüber informiert, dass das gegen ihn bei der Generalstaatsanwaltschaft Dresden zum Aktenzeichen 371 Js 42/23 geführte Ermittlungsverfahren durch den Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof übernommen worden war. Zum Aktenzeichen 2 BJs 84/24-2 sei wegen der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und weiterer Straftaten (gewaltsame Angriffe auf vermeintliche Angehörige der rechten Szene anlässlich der Veranstaltung „Tag der Ehre“ in Budapest im Februar 2023) gegen ihn ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden.
3. Mit Beschluss vom 1. März 2024 ordnete das Kammergericht nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG die Auslieferungshaft gegen den Antragsteller an.
a) Das Kammergericht sei für die Anordnung der Auslieferungshaft örtlich zuständig, da der Antragsteller in seinem Bezirk auch zum Zweck der Auslieferung ergriffen worden sei.
b) Die Auslieferung des Antragstellers erscheine nicht von vornherein unzulässig nach § 15 Abs. 2 IRG. Bei den ihm zur Last gelegten Taten handele es sich um auslieferungsfähige Handlungen im Sinne der § 3, § 81 Nr. 4 IRG, bei denen die beidseitige Strafbarkeit nicht zu prüfen sei. Hindernisse, die der Auslieferung der verfolgten Person endgültig entgegenstehen könnten, seien derzeit nicht ersichtlich.
aa) Der Auslieferung stehe nicht entgegen, dass der Antragsteller die deutsche Staatsangehörigkeit habe. Die Auslieferung eines Deutschen zum Zweck der Strafverfolgung an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union sei nach § 80 IRG zulässig, wenn die vom Verfolgten gewünschte Rücküberstellung zur Vollstreckung gesichert sei (§ 80 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IRG), die Tat einen maßgeblichen Bezug zum ersuchenden Staat (§ 80 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 IRG) oder zumindest keinen maßgeblichen Bezug zum Inland (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 IRG) aufweise und die weiteren Voraussetzungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 IRG vorlägen. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin habe angekündigt, die Auslieferung nur unter Rücküberstellungsvorbehalt zu bewilligen. Bei der nach § 80 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 IRG erforderlichen Prüfung des maßgeblichen Bezugs der Taten zum ersuchenden Staat beziehungsweise zum Inland sei von einem sogenannten Mischfall auszugehen. Die danach gebotene Abwägung ergebe, dass die Entscheidungen der Generalstaatsanwaltschaften Berlin und Dresden, dem ungarischen Verfahren vor dem von der Generalstaatsanwaltschaft Dresden geführten, ebenfalls die Angriffe auf die in Ungarn Geschädigten (jedoch nicht den Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung) betreffenden Ermittlungsverfahren den Vorzug zu geben, nicht zu beanstanden seien. Die in dem Europäischen Haftbefehl zur Last gelegten Taten beträfen im Übrigen nicht die - die Verbindung nach Deutschland bildende - Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, sondern die in Budapest begangenen Körperverletzungshandlungen zum Nachteil von fünf Geschädigten.
bb) Ebenso wenig würden voraussichtlich die Haftbedingungen in Ungarn der Auslieferung entgegenstehen, da Ungarn über der Europäischen Menschenrechtskonvention und den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen entsprechende Haftanstalten verfüge und bereit sei, auf Anfrage eine Unterbringung in diesen Anstalten zuzusichern. Entsprechende Erklärungen zur Gewährleistung menschenrechtskonformer Haftbedingungen sowohl während der Untersuchungshaft als auch während etwaiger, bis zur Rücküberstellung vollzogener Strafhaft einschließlich einer Beschreibung der Haftbedingungen in den voraussichtlichen Haftanstalten würden von den ungarischen Behörden noch einzuholen sein. Die durch die Rechtsbeistände vorgetragenen Schilderungen der Haftbedingungen in Ungarn allgemein sowie konkret einer bereits in Ungarn inhaftierten Person gäben zu einer anderen Beurteilung keine Veranlassung. Die Person sei noch in Ungarn ergriffen und inhaftiert worden. Ihre Untersuchungshaft stehe damit nicht unter dem Schutz besonderer, von den ungarischen Justizbehörden gegenüber den deutschen Behörden abgegebener Zusicherungen.
cc) Auch die Selbstbezeichnung des Antragstellers als non-binär hindere die Auslieferung nicht. Der Senat verkenne hierbei nicht, dass die Politik der aktuellen ungarischen Regierung als gender-, homo- und transfeindlich bezeichnet werden müsse und früher in Ungarn erreichte Maßnahmen zur Gleichbehandlung von Homosexuellen und Transpersonen in diskriminierender Weise wieder abgebaut würden. Die Politik der ungarischen Regierung folge damit dem Muster auch anderer populistischer Regime, durch die Stigmatisierung von Homosexuellen und Transpersonen ein innergesellschaftliches Feindbild zu schaffen und so die Geschlossenheit ihrer Anhänger zu stärken. Jedoch lägen dem Senat keine Erkenntnisse vor - und solche würden von den Rechtsbeiständen auch nicht vorgetragen -, dass sich diese Politik in der konkreten Behandlung von sich als non-binär verstehenden Personen in ungarischen Justizvollzugsanstalten auswirke. Ungeachtet dessen, dass sich danach das Erfordernis der Einholung von Auskünften nicht aufdränge, erachte der Senat es - auch zur Vermeidung von Verzögerungen durch eine sich später doch als erforderlich erweisende Nachfrage - für sachgerecht, die ungarischen Behörden im Zusammenhang mit der Einholung von Auskünften und Zusicherungen zu den Haftbedingungen auch um Auskunft zu ersuchen, ob es in der Vergangenheit Übergriffe von Gefängnispersonal oder Mitgefangenen auf sich als non-binär verstehende, homosexuelle und/oder transsexuelle Gefangene gegeben habe, wie gegebenenfalls auf solche Übergriffe reagiert worden sei und welche Maßnahmen zum Schutz von sich als non-binär verstehenden Personen, Homosexuellen und/oder Transsexuellen vor Übergriffen in den Haftanstalten, in denen der Antragsteller voraussichtlich untergebracht werden würde, vorgesehen seien.
dd) Ebenso wenig erwachse ein Auslieferungshindernis aus den von den Rechtsbeiständen des Verfolgten gerügten rechtsstaatlichen Mängeln des ungarischen Justizsystems. Ein generelles Auslieferungshindernis käme insoweit nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 25. Juli 2018 - C-216/18 PPU - nur in Betracht, wenn der Europäische Rat unter den Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 EUV eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung der in Art. 2 EUV genannten Grundsätze wie derjenigen, die der Rechtsstaatlichkeit inhärent seien, festgestellt hätte. Eine solche Feststellung sei bisher aber nicht getroffen. Solange ein solcher Beschluss des Europäischen Rates nicht vorliege, könne der Vollstreckungsmitgliedstaat einem Europäischen Haftbefehl eines Ausstellungsmitgliedstaats auf der Grundlage von Art. 1 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl EU Nr. L 190 vom 18. Juli 2002, S. 1) in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 (ABl EU Nr. L 81 vom27. März 2009, S. 24) geänderten Fassung (im Folgenden: Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl <RbEuHb>) nur unter außergewöhnlichen Umständen keine Folge leisten. Dies könne dann der Fall sein, wenn es ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme gebe, dass der Verfolgte nach seiner Übergabe einer echten Gefahr ausgesetzt sein werde, dass sein Grundrecht auf ein unabhängiges Gericht verletzt und damit der Wesensgehalt seines Grundrechts auf ein faires Verfahren (Art. 47 Abs. 2 GRCh) angetastet werde. Nach diesen Maßstäben sei vorliegend ein Auslieferungshindernis zu verneinen. Dem Antragsteller würden Delikte der allgemeinen Gewaltkriminalität zur Last gelegt, und es sei nichts ersichtlich oder vorgetragen, was Anlass zu der Besorgnis geben könne, dass es in diesem Verfahren zu staatlichen Eingriffen in die richterliche Unabhängigkeit und damit zu einer Verletzung des Grundrechts auf ein faires Verfahren kommen könne.
ee) Schließlich stehe entgegen dem Vorbringen des Antragstellers auch die Höhe der im Falle der Verurteilung in Ungarn drohenden Strafe der Auslieferung nicht entgegen. Zwar sei die mögliche Gesamtstrafe unter Berücksichtigung der Straferhöhungsregelungen der § 81 und § 91 Abs. 1 des ungarischen Strafgesetzbuches mit 24 Jahren höher als die nach deutschem Recht höchstmögliche Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren. Jedoch sei der damit im ungarischen Recht eröffnete Strafrahmen von demjenigen nach deutschem Recht nicht derart unterschiedlich, dass er als schlechthin unerträglich im Sinne der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung angesehen werden könne.
c) Die Anordnung der Auslieferungshaft sei erforderlich, weil die Gefahr bestehe, dass sich der Antragsteller, sollte er auf freien Fuß gelangen, dem Auslieferungsverfahren oder der Durchführung der Auslieferung entziehen werde.
4. Am 15. März 2024 teilte die Generalstaatsanwaltschaft Berlin dem Antragsteller gemäß § 79 Abs. 2 Satz 3 IRG ihre Absicht mit, die Auslieferung zum Zwecke der Strafverfolgung nach Ungarn unter der Bedingung zu bewilligen, dass er im Falle seiner Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe auf seinen Wunsch an die Bundesrepublik Deutschland zurücküberstellt werde, um diese Strafe in Deutschland zu verbüßen.
5. Mit Schriftsatz vom 26. März 2024 nahm der Antragsteller hierzu Stellung. Es sei davon auszugehen, dass im Falle einer Auslieferung und Inhaftierung wesentliche Grundsätze der deutschen Rechtsordnung verletzt würden und daher Rechtshilfe- und insbesondere Auslieferungshindernisse bestünden. Der Antragsteller bezog sich insoweit auf eidesstattliche Versicherungen ehemals in ungarischen Haftanstalten inhaftierter Personen und auf Berichte der Nichtregierungsorganisation Hungarian Helsinki Committee (HHC). Diese weise seit Jahren darauf hin, dass die ungarischen Justizvollzugsanstalten heillos überfüllt seien und es ein chronisches Problem mit Bettwanzen gebe. Zuletzt habe das italienische Berufungsgericht in Mailand eine Auslieferung nach Ungarn abgelehnt. Die ungarische Regierung versuche, den Strafprozess zu beeinflussen und die Kritik an Prozessbedingungen als linke Kampagne zu relativieren.
6. Bei der am 28. März 2024 durch das Amtsgericht Dresden durchgeführten richterlichen Vernehmung nach § 28 IRG erhob der Antragsteller Einwendungen gegen seine Überstellung und erklärte sich mit der vereinfachten Auslieferung nicht einverstanden.
7. Mit E-Mail vom 9. April 2024 übermittelte die Generalstaatsanwaltschaft Berlin eine Anfrage an die ungarischen Justizbehörden. Sie bat um eine Zusicherung durch die den Europäischen Haftbefehl ausstellende Justizbehörde, dass der Antragsteller im Fall seiner Auslieferung während der gesamten Dauer der Untersuchungshaft und gegebenenfalls der nach einer Verurteilung zu einer freiheitsentziehenden Maßnahme sich anschließenden Strafvollstreckung - bis zu dem Zeitpunkt einer Rücküberstellung - in einer Haftanstalt untergebracht werden würde, die der Europäischen Menschenrechtskonvention und den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen genüge. Außerdem bat sie um folgende Auskünfte:
1. Hat es in den letzten Jahren in Ungarn gewalttätige oder sonstige Übergriffe von Gefängnispersonal oder von Mitgefangenen auf sich als non-binär verstehende, homosexuelle und/oder transsexuelle Gefangene gegeben?
2. Sollten sich solche Vorfälle ereignet haben, wie haben die staatlichen Organe auf solche Übergriffe gegebenenfalls reagiert?
3.Welche Maßnahmen zum Schutz von sich als non-binär verstehenden Personen, Homosexuellen und/oder Transsexuellen vor weiteren Übergriffen existieren in den Haftanstalten, in denen die oben genannte verfolgte Person voraussichtlich untergebracht werden wird?
8. Mit Verbalnote vom 29. April 2024 übermittelte das Justizministerium der Republik Ungarn eine Garantieerklärung der Landeskommandantur des Justizvollzugs. Bei der Europäischen Menschenrechtskonvention, bei der UNO-Empfehlung über die Mindestgrundsätze für die menschenwürdige Behandlung von inhaftierten Personen sowie bei der Empfehlung des Europarates über Europäische Strafvollzugsgrundsätze handele es sich um Richtlinien, denen sich Ungarn als Mitgliedstaat der Europäischen Union angeschlossen habe und die in die Erfüllung der Aufgaben der ungarischen Justizorgane allmählich integriert worden seien. Art. XV der ungarischen Verfassung sehe vor, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich seien und Ungarn die Grundrechte jedem Menschen gewähre, ohne jegliche Ungleichbehandlung, insbesondere ohne Unterscheidung nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Behinderung, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Meinung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögenslage, Geburt oder sonstiger Lage. Die Organisation des Justizvollzugs führe kein Register über die Geschlechtsidentität der Gefangenen. Es seien keine gewaltsamen oder sonstigen Übergriffe bekannt, die mit der Geschlechtsidentität der betroffenen Person in Verbindung gebracht werden könnten. Die Organisation des Justizvollzugs betreibe auf der Grundlage des Gesetzes Nr. CCXL aus dem Jahre 2013 über die Vollstreckung von Strafen ein Risikoanalyse- und Risikomanagementsystem, um das Rückfall- und Haftrisiko des Verurteilten zu erfassen, zu bewerten und die Managementmöglichkeiten auszuwählen, die am besten darauf reagieren könnten. Ergebe die Risikoanalyse eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Verurteilte „in einen ausgelieferten Status in der Haftgemeinschaft gelangt“ (gemeint ist wohl die Gefährdung einer Person durch andere Gefangene), lege die Justizvollzugsanstalt, in der die Strafe vollzogen werde, bei der Unterbringung, der Beförderung, der Beschäftigung und der Einbeziehung in andere Wiedereingliederungsprogramme verstärktes Gewicht auf die Verhinderung möglicher Gräueltaten. Der Ethikkodex für den Strafvollzug besage in Ziffer 4, dass sich die Mitglieder des Personals bei der Ausübung ihrer Tätigkeit jeglicher Diskriminierung zu enthalten und mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern hätten, dass andere Personen Instrumente der Diskriminierung einsetzen könnten. Die Informationen über die Garantieübernahme würden in der Registrierungsakte jedes Gefangenen manuell oder elektronisch festgehalten. Da zentrale Vorschriften fehlten, könne bei dem Übergabeverfahren nicht eindeutig prognostiziert werden, in welcher ungarischen Justizvollzugsanstalt der Antragsteller zuerst untergebracht werde. Es sei gesetzlich bestimmt, dass jedem Gefangenen sechs Kubikmeter Luftraum sowie bei Einzelunterbringung mindestens sechs Quadratmeter und bei Gemeinschaftsunterbringung mindestens vier Quadratmeter Wohnraum zur Verfügung stünden. Den in Ungarn akkreditierten Konsularbeamten und Diplomaten des betreffenden Staates werde - aufgrund vorheriger Abstimmungen - die Möglichkeit gewährt, die betreffende Justizvollzugsanstalt zu betreten beziehungsweise die Haftbedingungen zu besichtigen; Konsulatsmitarbeiter dürften den Gefangenen dort besuchen.
9. Am 2. Mai 2024 beantragte die Generalstaatsanwaltschaft Berlin, die Überstellung für zulässig zu erklären.
10. Mit Schriftsatz vom 27. Mai 2024 beantragte der Antragsteller, die Unzulässigkeit der Auslieferung festzustellen.
Es sei zu befürchten, dass er im Falle seiner Auslieferung nach Ungarn in einer Justizvollzugsanstalt inhaftiert werde, die den europäischen Mindeststandards nicht genüge. Ein sich insoweit aufdrängendes Auslieferungshindernis könne nur dadurch ausgeräumt werden, dass die ungarischen Justizbehörden eine einzelfallbezogene und völkerrechtlich verbindliche Zusicherung abgäben und die konkrete Haftanstalt bezeichneten. Die vollstreckende Justizbehörde könne sich vorliegend auf eine allgemeine Zusicherung bereits deshalb nicht verlassen, weil hinsichtlich mehrerer Haftanstalten konkrete Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass die Haftbedingungen gegen Art. 4 GRCh verstießen. In der Verbalnote vom 29. April 2024 lasse das Justizministerium der Republik Ungarn konkrete Zusicherungen, das heißt solche, die über die Schilderung der allgemeinen Rechtslage hinausgingen, vermissen. Soweit der Landeskommandantur des Justizvollzugs keine gewaltsamen oder sonstigen Übergriffe auf Personen mit non-binärer Identität bekannt seien, könne dies nur bedeuten, dass diesbezüglich kein funktionierendes Sanktionssystem bestehe. In der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 18. Januar 2024 (2024/2512<RSP>) zur Lage in Ungarn und Einfrierung von EU-Geldern heiße es diesbezüglich, dass sich die Lage verschiedener schutzbedürftiger Gruppen, insbesondere auch LGBTIQ+-Personen, in Ungarn verschlechtert habe. Zudem handele es sich vorliegend nicht um Delikte der allgemeinen Gewaltkriminalität, die keinen Anlass zur Besorgnis von staatlichen Eingriffen in die richterliche Unabhängigkeit böten. Bei der insofern im Rahmen von § 83b Abs. 1 Nr. 1 IRG vorzunehmenden Ermessensausübung müssten auch die besonders gewichtigen Rechtspositionen des Antragstellers beachtet werden. Er verlöre durch eine Auslieferung und die damit einhergehende faktische Abgabe des Verfahrens an einen anderen Mitgliedstaat nicht nur seinen deutschen gesetzlichen Richter sowie die materiellen und prozessualen Schutzgarantien der deutschen Rechtsordnung, sondern überdies seinen Verteidiger und die Chance, sich in der eigenen Sprache zu verteidigen. Eine Schutzbedürftigkeit sei auch dann anzunehmen, wenn - wie hier - die dem Europäischen Haftbefehl zugrundeliegende Tat in Deutschland zusammen mit anderen Taten im Wege einer Gesamtstrafenbildung abgeurteilt werden könne.
11. Mit Schreiben vom 29. Mai 2024 übermittelte der Antragsteller einen aktuellen Bericht des HHC vom 27. Mai 2024.
12. Mit Schreiben vom 14. Juni 2024 bat die Generalstaatsanwaltschaft Berlin nach einer entsprechenden Verfügung des Kammergerichts vom 10. Juni 2024 das ungarische Justizministerium um eine Klarstellung, ob die bisherigen Aussagen zu den Haftbedingungen in der Strafhaft auch die Haftbedingungen in der Untersuchungshaft umfassten. Zudem bat die Generalstaatsanwaltschaft um die Beantwortung der mit E-Mail vom 9. April 2024 gestellten Fragen zum Schutz von sich als non-binär verstehenden Gefangenen auch in Bezug auf die Untersuchungshaft.
13. Mit Schreiben vom 17. Juni 2024 teilte das Justizministerium Ungarn mit, dass sich die bisher abgegebene Garantieerklärung auch auf die Haftbedingungen in der Untersuchungshaft beziehe.
14. Der Antragsteller erklärte in einem Schriftsatz vom 20. Juni 2024, dass Zusicherungen, die über die Schilderung der allgemeinen Rechtslage hinausgingen, weiterhin nicht erfolgt seien. Eine konkrete Haftanstalt sei immer noch nicht benannt worden. Auch seien keine Auskünfte zu den konkreten Umständen einer Vorführung vor Gericht erfolgt. Mit dem am 17. Februar 2024 in Kraft getretenen Gesetz zur Änderung der sächsischen Vollzugsgesetze sei in allen sächsischen Vollzugsgesetzen eine Regelung zum Umgang mit Gefangenen unterschiedlichen Geschlechts aufgenommen worden, damit insbesondere den Bedürfnissen transsexueller, intergeschlechtlicher und nicht-binärer Gefangener oder Gefangener mit diversem oder offenem Geschlechtseintrag Rechnung getragen werden könne. Im Falle einer Überstellung des Antragstellers drohe auch diesbezüglich ein erheblicher Rechtsverlust, da offensichtlich eine vergleichbare Regelung in Ungarn nicht bestehe. Ganz im Gegenteil sei der Verbalnote des ungarischen Justizministeriums vom 29. April 2024 zu entnehmen, dass die Organisation des Justizvollzugs generell kein Register über die Geschlechtsidentität der Gefangenen führe. Demzufolge seien auch keine Maßnahmen zum Schutz entsprechender Personen vor Übergriffen möglich.
15. Am selben Tag übermittelte die Oberstaatsanwaltschaft Hauptstadt Budapest, Abteilung Ermittlungsaufsicht, eine Erklärung, die dem Antragsteller - so seine Darstellung - nicht weitergeleitet wurde.
16. Das Kammergericht erklärte die Auslieferung des Antragstellers mit Beschluss vom 27. Juni 2024 für zulässig. Dieser Beschluss ging dem Bevollmächtigten des Antragstellers eigenen Angaben zufolge am selben Tag um 17:26 Uhr zu.
a) Bei den dem Antragsteller zur Last gelegten Taten handele es sich um auslieferungsfähige strafbare Handlungen im Sinne der § 3, § 81 Nr. 4 IRG.
b) Hindernisse, die der Auslieferung entgegenstünden, seien nicht ersichtlich.
aa) Der Auslieferung stehe weiterhin nicht entgegen, dass der Antragsteller die deutsche Staatsangehörigkeit habe. Die Ankündigung der Generalstaatsanwaltschaft Berlin, die Auslieferung nur unter Rücküberstellungsvorbehalt zu bewilligen, sei zwischenzeitlich durch die ausdrückliche Garantieerklärung des ungarischen Justizministeriums vom 15. April 2024 ergänzt worden, wonach der Antragsteller im Falle einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden Maßregel in dem gegen ihn im Ausstellungsmitgliedstaat geführten Strafverfahren auf ein entsprechendes Ersuchen zur Verbüßung derselben in den Vollstreckungsmitgliedstaat rücküberstellt werden würde. Auch ergebe die in dem vorliegenden Mischfall nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 IRG vorzunehmende Abwägung der widerstreitenden Interessen im Einzelfall, dass das schutzwürdige Vertrauen des Antragstellers in seine Nichtauslieferung nicht überwiege.
bb) Ebenso wenig resultiere ein Auslieferungshindernis aus § 73 IRG wegen Verstoßes gegen den europäischen ordre public.
(1) Die Haftbedingungen in Ungarn stünden der Auslieferung nicht entgegen. Zwar treffe es zu, dass die mit Verbalnote des ungarischen Justizministeriums vom 29. April 2024 übermittelte Garantieerklärung der Landeskommandantur des Justizvollzugs ohne Bezugnahme auf den konkreten Einzelfall ausschließlich die allgemeine Rechtslage und die - für alle dort untergebrachten Gefangenen geltenden - Haftbedingungen in den Justizvollzugsanstalten Ungarns beschreibe und nicht ausdrücklich menschenrechtskonforme Haftbedingungen für den Antragsteller völkerrechtlich verbindlich zusichere. Dies entspreche aber den Regelungen des Rahmenbeschlusses 2002/583/JI und sei in keiner Weise zu beanstanden.
Der Umstand, dass die ungarischen Behörden (zunächst) nicht mitgeteilt hätten, in welcher Haftanstalt der Antragsteller im Vollzug der Untersuchungshaft untergebracht sein werde, auch wenn es sich naheliegend (und insoweit bestätigt durch eine nachgelieferte Erklärung der Oberstaatsanwaltschaft Hauptstadt Budapest, Abteilung Ermittlungsaufsicht, vom 20. Juni 2024) um eine solche in Budapest handeln dürfte, da dort die die Ermittlungen führende Staatsanwaltschaft ihren Sitz habe, stehe der Zulässigkeit der Auslieferung nicht entgegen. Die fehlende Benennung der konkreten Vollzugsanstalt sei unschädlich, da Ungarn über der Europäischen Menschenrechtskonvention und den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen entsprechende Haftanstalten verfüge. Es lägen keinerlei konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass die Haftbedingungen in einer bestimmten Haftanstalt insgesamt gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstießen beziehungsweise dass es in irgendeiner Anstalt keine Abteilung oder keinen Bereich gebe, in dem die beschriebenen Haftbedingungen gewährleistet werden könnten. Die von den ungarischen Behörden abgegebene Garantieerklärung könne nach zwischenzeitlich senatsbekannt durchgeführten bilateralen Konsultationen unter Beteiligung des Auswärtigen Amtes und des Bundesministeriums der Justiz (wieder) für belastbar erachtet werden. Auch dem durch die Rechtsbeistände vorgelegten aktuellen „Sachverständigengutachten über die Haftbedingungen in Ungarn“ des HHC und den von ihnen vorgetragenen Schilderungen der Haftbedingungen in Ungarn allgemein und insbesondere in Haftanstalten in Budapest lasse sich Gegenteiliges nicht entnehmen. Zwar beklage das HHC, dass die Fähigkeit des ungarischen Strafvollzugssystems, den Insassen ausreichend persönlichen Freiraum zur Verfügung zu stellen, in den letzten Jahren wieder deutlich abgenommen habe. Dass es in irgendeiner Haftanstalt nicht möglich sei, einem Gefangenen, dem eine entsprechende Garantie erteilt worden sei, einen der Europäischen Menschenrechtskonvention und den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen genügenden Haftraum zur Verfügung zu stellen, lasse sich den Ausführungen aber nicht entnehmen. Im Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass die in der Garantieerklärung mitgeteilten Haftbedingungen für die Unterbringung des Antragstellers in jedem Verfahrensstadium verbindlich seien und ein diesbezüglicher Verstoß vor den Gerichten des Ausstellungsmitgliedstaats geltend gemacht werden könne.
Die Einhaltung der von Ungarn erteilten Garantien, über deren Abgabe jede Justizvollzugsanstalt, in der der Antragsteller nach seiner Überstellung untergebracht werde, durch die entsprechende Eintragung in der Registrierungsakte informiert werde, könne (zusätzlich) auch vom Vollstreckungsmitgliedstaat kontrolliert werden. Insoweit garantierten die ungarischen Behörden, dass die in Ungarn akkreditierten deutschen Konsularbeamten und Diplomaten die Möglichkeit hätten, die Justizvollzugsanstalt, in welcher der Antragsteller nach seiner Überstellung untergebracht sein werde, zu betreten und im Hinblick auf die Haftbedingungen zu besichtigen sowie die ausgelieferte Person dort zu besuchen. Die dadurch garantierte Kontrolle der Haftbedingungen spreche dafür, dass auch die Haftbedingungen im Übrigen, die in der Garantieerklärung nicht ausdrücklich beschrieben, in den Schilderungen der Gefangenen aber angesprochen seien, wie etwa die hygienischen Verhältnisse sowie die Qualität und Quantität des Essens, aber auch die Umstände der Vorführung der verfolgten Person vor das Gericht, dem europäischen ordre public entsprechend ausgestaltet würden, soweit die Zustände im Haftraum nicht vom Verhalten der Gefangenen abhingen. Sollte dies - entgegen den Erwartungen des Senats - nicht der Fall sein, stehe es dem Antragsteller offen, sich mit seiner Beschwerde an die deutsche Botschaft oder direkt an die Generalstaatsanwaltschaft Berlin als Bewilligungsbehörde zu wenden, damit diese gegebenenfalls (neuerliche) bilaterale Beratungen anstoßen und Abhilfe schaffen könne.
(2) Auch die Selbstbezeichnung des Antragstellers als non-binär hindere die Auslieferung nicht. Soweit die Landeskommandantur des Justizvollzugs mit der am 29. April 2024 durch das ungarische Justizministerium übersandten Garantieerklärung mitgeteilt habe, ihr seien keine gewaltsamen oder sonstigen Übergriffe bekannt, die mit der Geschlechtsidentität der betroffenen Person in Verbindung gebracht werden könnten, stehe dies erkennbar im Zusammenhang mit dem Umstand, dass ein Register über die Geschlechtsidentität der Gefangenen nicht geführt werde. Es stehe auch im Einklang mit der in dem bereits erwähnten Sachverständigengutachten des HHC niedergelegten (wenig überraschenden) Erkenntnis, dass sich von derartigen Übergriffen von Gefängnispersonal oder Mitgefangenen betroffene, sich als non-binär verstehende, homo- oder transsexuelle Personen nur in den seltensten Fällen mit Beschwerden an die Behörden wendeten. Dass derartige Übergriffe tatsächlich vorkämen und (auch) auf die als gender-, homo- und transfeindliche Politik der aktuellen ungarischen Regierung und die entsprechende Rhetorik in den ungarischen Medien zurückzuführen sein dürften, werde durch die Erkenntnisse des HHC belegt und durch die genannte Erklärung nicht in Abrede gestellt. Dass die ungarischen Behörden danach keine Erkenntnisse dazu hätten, warum gewaltsame oder sonstige Übergriffe auf inhaftierte Personen in ungarischen Gefängnissen erfolgten, ob diese in der sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität der betroffenen Personen begründet oder durch die politische oder sonstige Meinung des Opfers, seine nationale oder soziale Herkunft oder sonstige Lage oder durch eine Äußerung im Einzelfall oder Differenzen persönlicher Art ausgelöst worden seien, bedeute jedoch nicht, dass auf die bekannt gewordenen Übergriffe staatlicherseits nicht reagiert worden wäre oder dass keinerlei Maßnahmen zum Schutz vor derartigen Übergriffen in den Haftanstalten Ungarns bestünden. Vielmehr habe die Garantieerklärung diesbezüglich mitgeteilt, dass in allen Haftanstalten Ungarns eine Risikoanalyse hinsichtlich jeglicher Gefährdungslagen (aus Gründen der sexuellen Orientierung, der geschlechtlichen Identität, der politischen Meinung der inhaftierten Person, ihrer Herkunft oder aus sonstigen Gründen) erfolge und im Rahmen eines Risikomanagementsystems die Maßnahmen ausgewählt würden, mit denen am besten auf ein erkanntes Risiko reagiert werden könne. Im Falle des Antragstellers werde sich die Garantieübernahme aus dessen Registrierungsakte ergeben und zu einer besonders sorgfältigen Risikoanalyse veranlassen, in deren Rahmen auch dem Umstand Rechnung getragen werde, dass er sich als non-binär verstehe. Das Gefängnispersonal sei nach dem Ethikkodex für den Strafvollzug verpflichtet, sich bei der Ausübung seiner Tätigkeit jeglicher Diskriminierung zu enthalten und mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern, dass Mitgefangene eine inhaftierte Person diskriminierten oder unterdrückten. Die Einhaltung (auch) dieser staatlichen Vorgaben in Bezug auf den Antragsteller sei mit der genannten Erklärung der ungarischen Behörden garantiert und könne ebenfalls durch den Vollstreckungsmitgliedstaat kontrolliert werden; Verstöße des Gefängnispersonals hingegen könne der Antragsteller vor den Gerichten des Ausstellungsmitgliedstaats geltend machen.
17. In der Nacht vom 27. auf den 28. Juni 2024 wurde mit der Überstellung des Antragstellers an die ungarischen Behörden begonnen. Er wurde am 28. Juni 2024um6:50 Uhr zwecks Durchlieferung nach Ungarn von den deutschen an die österreichischen Behörden übergeben.
1. Mit seinem am 28. Juni 2024 gegen 7:38 Uhr eingegangenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung kündigt der Antragsteller die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde gegen die Zulässigkeitsentscheidung des Kammergerichts vom 27. Juni 2024 an und rügt eine Verletzung von Art. 16 Abs. 2, Art. 19 Abs. 4, Art. 101 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG sowie Art. 4 GRCh.
Er beantragt den Erlass einer einstweiligen Anordnung - wegen besonderer Dringlichkeit im Sinne des § 32 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG ohne Anhörung -, mit der zunächst die Generalstaatsanwaltschaft Berlin und das Landeskriminalamt Sachsen angewiesen werden, seine Überstellung derzeit nicht umzusetzen, ihn insbesondere nicht außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes zu verbringen und nicht an ungarische Behörden zu übergeben. Ein vollständig begründeter Eilantrag nach § 32 BVerfGG könne dann innerhalb kurzer Frist - soweit erforderlich, binnen weniger Tage - eingereicht werden. In diesem werde beantragt werden, der Generalstaatsanwaltschaft Berlin aufzugeben, die am 28. Juni 2024 eingeleitete und für den gleichen Tag vorgesehene Überstellung nach Ungarn abzubrechen und bis zur endgültigen Entscheidung über die zu erhebende Verfassungsbeschwerde, längstens für sechs Monate, das Überstellungsverfahren auszusetzen und ihn nicht an den um Überstellung ersuchenden Mitgliedstaat Ungarn zu übergeben. Hilfsweise werde beantragt werden, für die Zeit bis zur endgültigen Entscheidung über die zu erhebende Verfassungsbeschwerde, längstens aber für sechs Monate, eine andere geeignete Anordnung gegenüber der Generalstaatsanwaltschaft Berlin zu erlassen, die seinem grundrechtlich geschützten Interesse Geltung verschaffe.
Aufgrund des vorgeschilderten Verfahrensgangs, insbesondere unter Berücksichtigung des Zeitablaufs zwischen der Festnahme im Dezember 2023 und der Entscheidung vom 27. Juni 2024, sei kein Grund ersichtlich, warum binnen 24 Stunden nach Entscheidung durch das Kammergericht eine sofortige Ausantwortung an den ersuchenden Mitgliedstaat Ungarn erfolgen müsse. Es müsse daher angenommen werden, dass eine Vereitelung jeglicher Rechtsschutzmöglichkeiten beabsichtigt sei. In das Recht aus Art. 19 Abs. 4 GG werde durch diese Verhinderung der Ermöglichung der Anrufung des Bundesverfassungsgerichts erheblich eingegriffen.
Die zu erhebende Verfassungsbeschwerde sei nicht unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Vorliegend hätten die Befürchtungen nicht ausgeräumt werden können, dass der Antragsteller nach einer Überstellung für die Dauer der Untersuchungshaft unter Bedingungen untergebracht werde, welche den Anforderungen der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze für die Behandlung Gefangener vom 11. Januar 2006 nicht entsprächen. Der Rechtsweg sei erschöpft und der Grundsatz der Subsidiarität gewahrt. Ihm stehe die Möglichkeit, mithilfe eines Antrags nach § 77 IRG in Verbindung mit § 33a StPO die nachträgliche Gewährung rechtlichen Gehörs zu den von ihm als übergangen angesehenen Gesichtspunkten zu erwirken, nicht offen. Eine Anhörungsrügewäre lediglich eine formelhafte Wiederholung des bereits erfolgten Vortrags. Es sei nicht davon auszugehen, dass das Kammergericht vor dem Hintergrund der schon vorgetragenen Argumente, die bereits in der Zulässigkeitsentscheidung vom 27. Juni 2024 gewürdigt worden seien, zu einer anderen Entscheidung gelangte. Aus demselben Grund könne er auch nicht darauf verwiesen werden, einen Antrag auf Aufschub der Überstellung in entsprechender Anwendung von § 33 Abs. 4 IRG zu stellen.
2. Unmittelbar nach Eingang des Antrags informierte das Bundesverfassungsgericht die Generalstaatsanwaltschaft gegen 8:30 Uhr hierüber und erfragte den Verfahrensstand. Dabei teilte die Generalstaatsanwaltschaft Berlin mit, der Antragsteller sei gegen 6:50 Uhr an die österreichischen Behörden übergeben worden.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat Erfolg.
1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG erfüllt sind, ist wegen der weittragenden Folgen einer einstweiligen Anordnung regelmäßig ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 55, 1 <3>; 82, 310 <312>; 94, 166 <216 f.>; 104, 23 <27>; 106, 51 <58>; 132, 195 <232 Rn. 86>). Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die in der Hauptsache begehrte Feststellung oder der in der Hauptsache gestellte Antrag erwiese sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 89, 38 <43 f.>; 103, 41 <42>; 118, 111 <122>; 140, 225 <226 f. Rn. 7>; 154, 1 <10 Rn. 25> - Abwahl des Vorsitzenden des Rechtsausschusses - eA; stRspr). Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen abwägen, die einträten, wenn einerseits eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Antrag in der Hauptsache aber Erfolg hätte, und andererseits die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, dem Antrag in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 105, 365 <371>; 106, 351 <355>; 108, 238 <246>; 125, 385 <393>; 126, 158 <168>; 129, 284 <298>; 132, 195 <232 f. Rn. 87>; 154, 1 <10 Rn. 25>; stRspr).
2. Hiernach ist dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu entsprechen.
a) Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig.
aa) Der Antrag ist nicht deshalb unzulässig, weil der Bevollmächtigte des Antragstellers zum Zeitpunkt der Einreichung des Antrags (noch) keine Vollmacht im Sinne des § 22 Abs. 2 BVerfGG vorgelegt hat.
Mit Blick auf das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist die Nachreichung der Vollmacht schon deshalb zulässig, weil die Erteilung und Übersendung einer schriftlichen Vollmacht im Original angesichts der Gesamtumstände, insbesondere des Beginns der Überstellung nur wenige Stunden nach Bekanntgabe der Zulässigkeitsentscheidung und des damit verbundenen erheblichen Zeitdrucks, unter dem der Erlass einer einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Untersagung seiner Überstellung beantragt werden musste, nicht möglich und angesichts des bereits laufenden Vollzugs der Überstellung eine sofortige Entscheidung über die einstweilige Anordnung geboten war, um den Eintritt irreversibler Tatsachen - die Übergabe an die ungarischen Behörden - noch zu verhindern (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 6. Mai 2016 - 2 BvR 890/16 -, Rn. 16).
bb) Die Unzulässigkeit folgt auch nicht daraus, dass mit dem Erlass der beantragten Anordnung die Hauptsache in unzulässiger Weise vorweggenommen oder eine Anordnung getroffen würde, die nicht Inhalt der Entscheidung des Hauptsacheverfahrens sein könnte.
(1) (a) Durch eine einstweilige Anordnung darf die Hauptsache grundsätzlich nicht vorweggenommen werden (vgl. BVerfGE 34, 160 <162>; 46, 160 <163 f.>; 67, 149 <151>; 147, 39 <46 f. Rn. 11>; 152, 63 <65 Rn. 5> - Einstweilige Anordnung PSPP II; stRspr), denn sie soll lediglich einen Zustand vorläufig regeln, nicht aber die Hauptsache präjudizieren (vgl. BVerfGE 8, 42 <46>; 15, 219 <221>; 147, 39 <47 Rn. 11>; 152, 63 <66 Rn. 5>; 159, 40 <58 Rn. 53> - Normenkontrolle Wahlrechtsreform 2020 - eA). Eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache ist anzunehmen, wenn der beantragte Inhalt der einstweiligen Anordnung und das Rechtsschutzziel in der Hauptsache, wenn nicht deckungsgleich, so doch zumindest vergleichbar sind, wenn also die stattgebende einstweilige Anordnung mit dem Zeitpunkt ihres Erlasses einen Zustand in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht zu verwirklichen erlaubt, der erst durch die zeitlich spätere Entscheidung in der Hauptsache hergestellt werden soll (vgl. BVerfGE 147, 39 <47 Rn. 12>; 152, 63 <66 Rn. 6>; 159, 40 <58 f. Rn. 54>). Die Vorwegnahme der Hauptsache steht indes der Zulässigkeit eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ausnahmsweise dann nicht entgegen, wenn eine Entscheidung in der Hauptsache voraussichtlich zu spät käme und dem Antragsteller in anderer Weise ausreichender Rechtsschutz nicht mehr gewährt werden könnte (vgl. BVerfGE 34, 160 <163>; 46, 160 <163 f.>; 67, 149 <151>; 108, 34 <40>; 111, 147 <153>; 130, 367 <369>; 132, 195 <233 Rn. 88>; 143, 65 <87 f. Rn. 36>; 147, 39 <47 Rn. 11>; 152, 63 <66 Rn. 5>; 155, 357 <374 Rn. 38> - AfD - Finanzierung Desiderius-Erasmus-Stiftung - eA; 157, 332 <375 Rn. 69> - ERatG - eA; 160, 177 <185 Rn. 19> - Parlamentarisches Fragerecht zum Bundesamt für Verfassungsschutz - eA; 165, 296 <327 Rn. 104> - Wiederholungswahl Berlin - eA; 166, 304 <324 f. Rn. 74> - Gebäudeenergiegesetzänderung - eA).
(b) Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist auch dann regelmäßig unzulässig, wenn das Bundesverfassungsgericht eine entsprechende Rechtsfolge im Verfahren der Hauptsache nicht bewirken könnte (vgl. BVerfGE 7, 99 <105>; 14, 192 <193>; 16, 220 <226>; 151, 58 <64 Rn. 13> - Änderung Parteienfinanzierung - Eilantrag; 154, 1 <9 Rn. 22>; 155, 357 <374 Rn. 38>; 159, 1 <8 Rn. 22> - Vorschlagsrecht zur Wahl eines Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages - eA; 159, 14 <21 Rn. 24> - Wahl eines Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages - eA), es sei denn, die Anordnung ist zur Vermeidung der Schaffung vollendeter Tatsachen im Sinne einer endgültigen Vereitelung des geltend gemachten Rechts ausnahmsweise zulässig, da anderenfalls die einstweilige Anordnung ihre Funktion grundsätzlich nicht erfüllen könnte (vgl. - mit Blick auf das Organstreitverfahren - BVerfGE 154, 1 <9 Rn. 22>; 155, 357 <375 Rn. 40>; 159, 14 <22 f. Rn. 26>; 162, 188 <200 Rn. 31> - Bestimmung von Ausschussvorsitzenden im Deutschen Bundestag - eA).
(2) Hieran gemessen bestehen keine Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit des Antrags. Der Antragsteller begehrt keine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache. Die mit dem Antrag auf einstweilige Anordnung einerseits und dem Antrag im noch einzuleitenden Hauptsacheverfahren andererseits verfolgten Rechtsschutzziele sind weder deckungsgleich noch in der Sache vergleichbar. Mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt der Antragsteller, seine Überstellung an die Republik Ungarn lediglich vorläufig zu untersagen. Hierdurch wird die Entscheidung über die - noch zu erhebende - Verfassungsbeschwerde gegen die Zulässigkeitsentscheidung des Kammergerichts nicht präjudiziert. Würde der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wegen Vorwegnahme der Hauptsache zurückgewiesen, wäre eine Entscheidung in der Hauptsache erst nach der erfolgten Überstellung des Antragstellers nach Ungarn möglich und käme insofern zu spät.
Soweit der Antrag gegen seine Übergabe an die ungarischen Behörden und - bei verständiger Auslegung angesichts seiner bereits erfolgten Übergabe an die österreichischen Behörden - auf seine Rückholung aus Österreich in die Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist, wird eine Anordnung beantragt, die zwar grundsätzlich nicht Folge des Verfassungsbeschwerdeverfahrens sein könnte (vgl. § 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 1 und 2 BVerfGG). Im vorliegenden Fall ist die beantragte Anordnung aber ausnahmsweise zulässig, um zu vermeiden, dass mit Abschluss des Überstellungsverfahrens vollendete Tatsachen, die der Möglichkeit eines effektiven verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes entgegenstünden, geschaffen werden und dem Antragsteller irreversible Nachteile drohen. Anderenfalls könnte die einstweilige Anordnung ihre Funktion nicht erfüllen.
b) Die - noch zu erhebende - Verfassungsbeschwerde gegen die Zulässigkeitsentscheidung des Kammergerichts wäre weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet.
aa) Gründe für eine von vornherein bestehende Unzulässigkeit sind nicht ersichtlich. Der Rechtsweg ist erschöpft, denn die Entscheidung des Kammergerichts ist unanfechtbar nach § 13 Abs. 1 IRG. Ein Verstoß gegen die Anforderungen, die sich aus dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde ergeben, ist nicht ersichtlich. Der Antragsteller hat im fachgerichtlichen Verfahren sowohl zu den Haftbedingungen als auch zu seiner möglichen Gefährdung aufgrund seiner Geschlechtsidentität vorgetragen. Vor dem Hintergrund der konkreten zeitlichen Abläufe war es ihm vorliegend nicht zumutbar (vgl. BVerfGE 79, 1 <23 f.>; 99, 202 <211>; 110, 177 <189>), gegenüber dem Kammergericht nach dem Ergehen der Zulässigkeitsentscheidung auf eine erneute Entscheidung nach § 33 IRG hinzuwirken (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom4. September 2023 - 2 BvR 1239/23 -, Rn. 10). Dies gilt umso mehr, als er keine neuen Tatsachen, die er nicht bereits im fachgerichtlichen Verfahren vorgetragen hatte, hätte vorbringen können. Soweit - auf Grundlage seines Vortrags - eine Verletzung seines Rechts auf rechtliches Gehör im Raum steht, weil ihm das Schreiben der Oberstaatsanwaltschaft Hauptstadt Budapest vom 20. Juni 2024 nicht weitergeleitet wurde, kann er angesichts der bereits laufenden Überstellung nicht auf die Erhebung einer Gehörsrüge nach § 77 Abs. 1 IRG in Verbindung mit § 33a StPO verwiesen werden.
bb) Die Verfassungsbeschwerdewäre auch nicht offensichtlich unbegründet. Es bedarf weiterer verfassungsgerichtlicher Prüfung, ob das Kammergericht vorliegend die Bedeutung und Tragweite von Art. 4 GRCh und die damit verbundenen Aufklärungspflichten in Bezug auf die den Antragsteller in Ungarn erwartenden Haftbedingungen in ausreichendem Maße beachtet hat (vgl. BVerfGE 156, 182 <200 ff. Rn. 42 ff.> - Rumänien II; EuGH, Urteil vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality <Mängel des Justizsystems>, C-216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 37; Urteil vom 25. Juli 2018, Generalstaatsanwaltschaft <Haftbedingungen in Ungarn>, C-220/18 PPU, EU:C:2018:589, Rn. 50; Urteil vom 15. Oktober 2019, Dorobantu, C-128/18, EU:C:2019:857, Rn. 47).
(1) So wird zu klären sein, ob das Kammergericht seinen Aufklärungspflichten angesichts des ausführlichen Vortrags des Antragstellers im fachgerichtlichen Verfahren zu den Haftbedingungen unter Verweis auf fachgerichtliche Rechtsprechung, eidesstattliche Erklärungen ehemals in ungarischen Haftanstalten inhaftierter Personen und aktuelle Berichte des HHC gerecht geworden ist. Hiergegen könnte sprechen, dass es die Garantieerklärung der Landeskommandantur des Justizvollzugs ohne Bezugnahme auf den konkreten Einzelfall als ausreichend ansah und ausführte, den vom Antragsteller vorgetragenen Angaben lasse sich nicht entnehmen, dass es in irgendeiner Haftanstalt in Ungarn nicht möglich wäre, einem Gefangenen einen den Anforderungen der Europäischen Menschenrechtskonvention entsprechenden Haftraum zur Verfügung zu stellen. Dass Verstöße gegen die mitgeteilten Haftbedingungen vor den Gerichten des den Europäischen Haftbefehl ausstellenden Staates geltend gemacht werden können, führt jedenfalls nicht ohne Weiteres dazu, dass eine Überstellung trotz bestehender Gefahr unmenschlicher Haftbedingungen zulässig wäre (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 16. August 2018 - 2 BvR 237/18 -, Rn. 29; EuGH, Urteil vom 25. Juli 2018, Generalstaatsanwaltschaft <Haftbedingungen in Ungarn>, C-220/18 PPU, EU:C:2018:589, Rn. 75).
(2) Überdies bedarf es der näheren Überprüfung, ob das Kammergericht auf der Grundlage der vorliegenden Auskünfte der ungarischen Behörden davon ausgehen durfte, dass der Schutz des Antragstellers, der sich als non-binär identifiziert, hinreichend gewährleistet werden wird. Dies erscheint zumindest zweifelhaft. Die Annahme des Kammergerichts, wonach eine Risikoanalyse „hinsichtlich jeglicher Gefährdungslagen (aus Gründen der sexuellen Orientierung, der geschlechtlichen Identität, der politischen Meinung der inhaftierten Person, ihrer Herkunft oder aus sonstigen Gründen)“ erfolgen würde, ergibt sich jedenfalls in dieser Spezifität nicht aus der Garantieerklärung der Landeskommandantur des Justizvollzugs. Dort heißt es lediglich, dass die Justizvollzugsanstalt bei der Unterbringung, der Beförderung, der Beschäftigung und der Einbeziehung in andere Wiedereingliederungsprogramme verstärktes Gewicht auf die Verhinderung möglicher Gräueltaten lege, wenn die Risikoanalyse eine hohe Wahrscheinlichkeit ergebe, dass der Verurteilte „in einen ausgelieferten Status in der Haftgemeinschaft gelangt“. Das Kammergericht scheint das System zur Vermeidung von Risiken für Gefangene in ungarischen Justizvollzugsanstalten mit Blick auf die in der Garantieerklärung in Bezug genommenen Verbote allgemeiner und besonderer Diskriminierung in der ungarischen Verfassung sowie das im Ethikkodex für den Strafvollzug enthaltene Diskriminierungsverbot und das Gebot, Diskriminierung zu unterbinden, auch angesichts der besonderen Lage des Antragstellers als ausreichend anzusehen.
c) Die Erfolgsaussichten der - noch zu erhebenden - Verfassungsbeschwerde sind mithin offen. Die danach gebotene Folgenabwägung führt im vorliegenden Fall zum Erlass der einstweiligen Anordnung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG.
aa) (1) Die nach § 32 Abs. 1 BVerfGG erforderliche Folgenabwägung geht zugunsten des Antragstellers aus. Die Folgen, die einträten, wenn der Antragsteller an die ungarischen Behörden übergeben würde, sich später aber herausstellte, dass die Überstellung rechtswidrig war, wiegen schwerer als die Folgen, die entstünden, wenn die Übergabe des Antragstellers einstweilen untersagt bliebe, sich später aber herausstellte, dass sie ohne Rechtsverstoß hätte durchgeführt werden können. Denn im erstgenannten Fall wäre dem Antragsteller eine erfolgreiche Geltendmachung seiner Einwände gegen die Überstellung voraussichtlich nicht mehr möglich. Demgegenüber könnte der Antragsteller, sollte sich die geplante Übergabe als rechtmäßig erweisen, zu einem späteren Zeitpunkt an die ungarischen Behörden übergeben werden. Sein Aufenthalt in Deutschland würde sich lediglich bis zu einem solchen späteren Termin verlängern.
(2) Hinzu kommt im vorliegenden Fall, dass die Durchführung des Überstellungsverfahrens erheblichen Bedenken hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit den Anforderungen eines effektiven Rechtsschutzes ausgesetzt ist und die Umsetzung der einstweiligen Anordnung eine mögliche Vertiefung der insoweit im Raum stehenden Grundrechtsverstöße verhindern kann. Das Gebot effektiven Rechtsschutzes zeitigt Wirkungen auch auf das Verwaltungs- oder behördliche Verfahren, welches nicht so angelegt sein darf, dass es den Rechtsschutz vereitelt oder unzumutbar erschwert (vgl. in Bezug auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG BVerfGE 35, 382 <401 f.>; 37, 150 <153>; 100, 313 <364>; 109, 279 <364>; 118, 168 <207>; 128, 282 <311>). Aus den Grundrechten ergeben sich Anforderungen an das Verfahren, die den Grundrechtsschutz gewährleisten sollen (vgl. BVerfGE 52, 380 <389 f.>; 128, 282 <311>; 146, 294 <312 Rn. 33>). So können die rechtzeitige Ankündigung einer Maßnahme (vgl. mit Blick auf Zwangsbehandlungen BVerfGE 128, 282 <311>; 129, 269 <283>; 133, 112 <140 Rn. 70>; 146, 294 <312 Rn. 33>) oder eine gewisse Wartezeit bis zum Vollzug einer Maßnahme (vgl. mit Blick auf die Aushändigung einer Ernennungsurkunde im Beamtenrecht BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Juli 2007 - 2 BvR 206/07 -, Rn. 18; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 24. September 2007 - 2 BvR 1586/07 -, Rn. 7; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom9. Juli 2009 - 2 BvR 706/09 -, Rn. 3; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 2. Dezember 2010 - 2 BvR 1067/10 -, Rn. 2; vgl. auch BVerfGK 5, 205 <210 f.> zur Notarstellenbesetzung) erforderlich sein, damit die Möglichkeit der Gewährung effektiven Rechtsschutzes besteht. Im vorliegenden Fall hatte der Antragsteller nach derzeitigem Erkenntnisstand vor dem Beginn der Überstellung keine realistische Möglichkeit, die Zulässigkeitsentscheidung des Kammergerichts mit seinen Rechtsbeiständen zu besprechen und die im Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen ausdrücklich vorgesehenen, wenngleich keine aufschiebende Wirkung entfaltenden Rechtsbehelfe wie einen Antrag auf eine erneute Zulässigkeitsentscheidung nach § 33 IRG oder die Rüge einer Verletzung rechtlichen Gehörs nach § 77 Abs. 1 IRG in Verbindung mit § 33a StPO sowie verfassungsgerichtliche Rechtsschutzmöglichkeiten zu prüfen und hiervon gegebenenfalls vor Beginn der Durchführung der Überstellung Gebrauch zu machen.
(3) Schließlich ist zu berücksichtigen, dass eine wirksame Wahrnehmung der Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts, wie vom Grundgesetz vorgesehen, erfordert, dass das Bundesverfassungsgericht den Fachgerichten gegenüber seine grundrechtsspezifische Kontrollfunktion wahrnehmen kann (vgl. BVerfGE 152, 216 <241 Rn. 62> - Recht auf Vergessen II). Die Verfassungsbeschwerde ergänzt den fachgerichtlichen Rechtsschutz bewusst um eine eigene verfassungsgerichtliche Kontrolle. Mit ihr soll zusätzlich und bundeseinheitlich eine auf die grundrechtliche Perspektive spezialisierte Kontrolle gegenüber den Fachgerichten eröffnet werden, um so den Grundrechten gegenüber dem einfachen Recht ihr spezifisches Gewicht zu sichern und den Bürgerinnen und Bürgern diesbezüglich besonderen Schutz zukommen zu lassen (BVerfGE 152, 216 <241 Rn. 63>). Als Garant eines umfassenden innerstaatlichen Grundrechtsschutzes hat das Bundesverfassungsgericht die Fachgerichte diesbezüglich zu kontrollieren (BVerfGE 152, 216 <243 Rn. 66>).
(4) Eine Verzögerung der Überstellung aus Gründen eines effektiven Rechtsschutzes steht auch nicht im Konflikt mit unionsrechtlichen Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls. Sie ermöglicht vielmehr eine verfassungsgerichtliche Kontrolle, ob das Fachgericht seinen unionsrechtlichen Aufklärungspflichten nach Art. 4 GRCh gerecht geworden ist. Ausweislich des zwölften Erwägungsgrundes achtet der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl die Grundrechte und wahrt die in Art. 6 EUV anerkannten Grundsätze, die auch in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zum Ausdruck kommen. Er belässt jedem Mitgliedstaat die Freiheit zur Anwendung seiner verfassungsmäßigen Regelung des Anspruchs auf ein ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren. Vor diesem Hintergrund schließt Art. 25 RbEuHb, wonach jeder Mitgliedstaat - vorbehaltlich der Übermittlung der im Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl genannten Angaben - die Durchlieferung einer gesuchten Person zu Zwecken der Übergabe durch sein Hoheitsgebiet bewilligt, nicht aus, dass sich die Bundesrepublik Deutschland vor Abschluss des Überstellungsverfahrens um eine Rückholung des Antragstellers bemüht, um die Einhaltung unionsrechtlicher Sachverhaltsaufklärungspflichten, die Voraussetzung einer unionsrechtskonformen Überstellung ist, zu überprüfen.
bb) Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin muss daher als nach § 13 Abs. 2 IRG für die Durchführung der Überstellung zuständige Bewilligungsbehörde während des - nach der Erkenntnislage des Bundesverfassungsgerichts im Entscheidungszeitpunkt - gegenwärtig noch laufenden Überstellungsverfahrens durch geeignete Maßnahmen eine Übergabe des Antragstellers an die ungarischen Behörden verhindern und seine Rückführung in die Bundesrepublik Deutschland erwirken, damit eine verfassungsgerichtliche Überprüfung der Zulässigkeitsentscheidung des Kammergerichts vor dem Vollzug der Übergabe möglich bleibt.
cc) Soweit das Bundesverfassungsgericht am 28. Juni 2024 um 11:47 Uhr durch die Generalstaatsanwaltschaft Berlin darüber informiert wurde, dass der Antragsteller bereits um 10:00 Uhr von den österreichischen an die ungarischen Behörden übergeben worden sei, konnte dieser Umstand bei der gegen 10:50 Uhr erfolgenden Beschlussfassung des Bundesverfassungsgerichts keine Berücksichtigung finden.
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1096
Bearbeiter: Holger Mann