HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 571
Bearbeiter: Holger Mann
Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 1713/21, Beschluss v. 20.04.2022, HRRS 2022 Nr. 571
1. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 2. August 2021 - III-3 AR 28/21 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 Grundgesetz, soweit die Überstellung für zulässig erklärt wurde; er wird in diesem Umfang aufgehoben.
2. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 10. September 2021 - III-3 AR 28/21 - wird insoweit gegenstandslos.
3. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Düsseldorf zurückverwiesen.
4. Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren und für das Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.
5. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 15.000 (in Worten: fünfzehntausend) Euro und für das einstweilige Anordnungsverfahren auf 7.500 (in Worten: siebentausendfünfhundert) Euro festgesetzt.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Überstellung des Beschwerdeführers, eines afghanischen Staatsangehörigen, zur Vollstreckung einer Maßregel nach Schweden.
1. Der Beschwerdeführer leidet an einer paranoiden Schizophrenie, die in Afghanistan nicht behandelt werden konnte. Im Jahr 2017 reiste er in Schweden ein, wo er im Zustand einer schwerwiegenden psychiatrischen Störung verschiedene rechtswidrige Taten, unter anderem Bedrohungen und eine Sachbeschädigung auf einer Polizeiwache, beging. Aufgrund dessen wurde er durch das Oberlandesgericht Svea am 6. März 2018 zu einer freiheitsentziehenden Maßregel der „rechtspsychiatrischen Fürsorge“ verurteilt. Die Maßregel wurde teilweise vollstreckt. Unter Ausnutzung von Lockerungen reiste der Beschwerdeführer am 4. April 2019 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Den am 15. April 2019 gestellten Asylantrag nahm er später zurück. Mit Bescheid vom 16. November 2020 stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge fest, dass das Asylverfahren erledigt sei. Es liege allerdings ein Abschiebungsverbot nach Afghanistan vor, weil der Beschwerdeführer dort nicht die erforderliche medizinische Versorgung erhalten würde. In Deutschland steht der Beschwerdeführer unter gesetzlicher Betreuung.
2. Das Überstellungsersuchen stützt sich auf den Europäischen Haftbefehl der schwedischen Staatsanwaltschaft vom 15. April 2019, durch den die Festnahme des Beschwerdeführers zur Vollstreckung der gegen ihn durch das genannte Urteil des Oberlandesgerichts Svea verhängten freiheitsentziehenden Maßregel der „rechtspsychiatrischen Fürsorge“ gesichert werden soll.
3. Der Beschwerdeführer war aufgrund eines Beschlusses des Amtsgerichts Oberhausen vom 8. April 2021 nach § 10 des Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKG NRW) vom 8. April 2021 bis zum 5. Mai 2021 im evangelischen Klinikum Niederrhein untergebracht.
4. Nach einem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft vom 20. April 2021 auf Erlass eines Auslieferungshaftbefehls machte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 21. April 2021 geltend, dass seine Verhandlungs-und Reisefähigkeit nicht gegeben sei. Er befinde sich in einer akuten Krise und dürfe nicht aus seinem Behandlungssetting herausgerissen werden. Er habe sich seit seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland wiederholt freiwillig in psychiatrische Behandlung begeben.
5. Das Oberlandesgericht Düsseldorf ordnete mit Beschluss vom 26. April 2021 die Auslieferungshaft mit der Maßgabe an, dass die Unterbringung des Beschwerdeführers aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts Oberhausen vom 8. April 2021 dem Vollzug der Auslieferungshaft vorgehe. Die Voraussetzungen der Auslieferungshaft lägen vor.
6. Nachdem am 5. Mai 2021 die Unterbringung beendet war, wurde der Beschwerdeführer in der Klinik festgenommen und nach Verkündung des Auslieferungshaftbefehls und richterlicher Vernehmung durch das Amtsgericht Oberhausen in die Justizvollzugsanstalt Düsseldorf eingeliefert. Er erklärte sich mit dem vereinfachten Verfahren nicht einverstanden und verzichtete nicht auf die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität.
7. Mit Schriftsatz vom 5. Mai 2021 beantragte der Beschwerdeführer, den Auslieferungshaftbefehl außer Vollzug zu setzen, damit er in einer psychiatrischen Klinik stationär weiterbehandelt werden könne. Eine Veränderung des zwischenzeitlich gesicherten Behandlungssettings könne seinen Gesundheitszustand erheblich gefährden und den erreichten Behandlungserfolg zunichtemachen. Zudem sei er absprachefähig. Ergänzend trug er am 6. Mai 2021 vor, dass nach den ärztlichen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. (DGPPN) die Aufrechterhaltung einer therapeutischen Beziehung unter Einbeziehung der Bezugspersonen und des Umfeldes eine zentrale Komponente seiner Behandlung sei.
8. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragte mit Schriftsatz vom 6. Mai 2021, die Außervollzugsetzung des Auslieferungshaftbefehls abzulehnen. Aus dem Festnahmevermerk ergebe sich, dass der Chefarzt der Klinik vorher mitgeteilt habe, aus medizinischer Sicht bestehe kein Anlass, von der Festnahme abzusehen. Es lägen auch sonst keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beschwerdeführer haftunfähig, auslieferungsunfähig oder nicht verhandlungsfähig sei. Sein Gesundheitszustand stehe einer Überstellung nicht entgegen. Insbesondere könne er bei Verschlechterung seines Zustandes im Justizvollzugskrankenhaus versorgt werden.
9. Die Klinik teilte der Generalstaatsanwaltschaft mit Schreiben vom 7. Mai 2021 mit, dass im Rahmen der Unterbringung eine Stabilisierung eingetreten sei, weiterhin aber die Notwendigkeit einer engmaschigen ärztlichen Betreuung und Begleitung des Patienten bestehe. Die Ärzte könnten nicht ausschließen, dass bei einer etwaigen Verschlechterung des Zustandsbildes, wie sie unter Umständen bei Zunahme der psychosozialen Belastung im Rahmen der drohenden Auslieferung eintreten könnte, eine Intensivierung der medizinischen Betreuung notwendig wäre.
10. Mit Schriftsätzen vom 11. Mai 2021 an die Justizvollzugsanstalt und das Oberlandesgericht beantragte die Betreuerin unter Verweis auf die in der Haft eingetretene Dekompensation des Beschwerdeführers seine sofortige Verlegung in ein psychiatrisches Krankenhaus. Ihm drohe der Wiedereintritt eines akut psychotischen Zustands, weil er seine Medikamente in der Justizvollzugsanstalt nicht regelmäßig nehme, was ihr eine Mitarbeiterin des medizinischen Dienstes bestätigt habe. Zudem habe er in der Vergangenheit in akuten Krankheitsphasen wiederholt Suizidversuche unternommen.
11. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragte mit Schreiben vom 12. Mai 2021, den Antrag der Betreuerin zurückzuweisen. Die Voraussetzungen für die Auslieferungshaft seien gegeben, eine Abteilungsleiterin in der Justizvollzugsanstalt habe die Haftfähigkeit des Beschwerdeführers bestätigt und dieser habe dem dortigen Arzt gegenüber am 12. Mai 2021 angegeben, seine Medikamente täglich einzunehmen.
12. Das Oberlandesgericht lehnte den Antrag auf Außervollzugsetzung mit Beschluss vom 12. Mai 2021 ab und ordnete Haftfortdauer an. Die psychiatrische Erkrankung des Beschwerdeführers schließe die Haftfähigkeit nicht aus. Die Justizvollzugsanstalt sei im Umgang mit psychisch kranken Gefangenen hinreichend erfahren. Der Beschwerdeführer sei in einem besonders gesicherten Haftraum untergebracht und werde regelmäßig beobachtet. Er sei vom Anstaltsarzt als haftfähig eingestuft worden. Zudem könne einer Verschlechterung seines Gesundheitszustands durch eine Verlegung in das Justizvollzugskrankenhaus begegnet werden.
13. In der Justizvollzugsanstalt kam es in den folgenden Tagen zu einer akuten Exazerbation der bestehenden paranoiden Schizophrenie. Der Beschwerdeführer verweigerte die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme. Eine Kontaktaufnahme mit ihm war nicht mehr möglich. In diesem Zustand war er nach Beurteilung des Anstaltsarztes nicht mehr haftfähig, sodass das Oberlandesgericht auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft den Auslieferungshaftbefehl und die Haftfortdauerentscheidung mit Beschluss vom 18. Mai 2021 aufhob.
14. Auf Betreiben der Betreuerin des Beschwerdeführers genehmigte das Amtsgericht - Betreuungsgericht - Ratingen mit Beschluss vom 18. Mai 2021 im Wege der einstweiligen Anordnung die geschlossene Unterbringung des Beschwerdeführers nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB bis längstens zum 29. Juni 2021.
15. Mit Schreiben vom 17. Juni 2021 teilte die Klinik der Generalstaatsanwaltschaft mit, dass unter Berücksichtigung der Krankenvorgeschichte von einem überdauernden Krankheitsbild auszugehen sei. Das bedeute, dass eine Unterbrechung der Pharmakotherapie mit dem Risiko verbunden sei, dass erneute psychotische Krankheitsphasen aufträten. In remittiertem Zustand spreche unter alleiniger Betrachtung der zugrundeliegenden Erkrankung nichts gegen eine Ingewahrsamnahme und einen Transport nach Schweden. Dabei sollte eine kontinuierliche Medikamenteneinnahme und deren Überwachung sichergestellt sein. Die Verlegung des Beschwerdeführers nach Schweden zur Maßregelvollstreckung stelle aber einen starken psychosozialen Belastungsfaktor dar, insbesondere vor dem individuellen Hintergrund von traumatischen Erfahrungen während seiner Aufenthaltszeit in Schweden. Die Klinik würde daher eine derartige Maßnahme nicht empfehlen, zumal nicht abzusehen sei, ob der Beschwerdeführer infolge des erwähnten psychosozialen Stresses nicht derartig dekompensiere, dass Suizidgedanken aufkommen könnten. Für eine objektivere Beurteilung zur Frage der Transportfähigkeit empfehle es sich, einen neutralen Sachverständigen einzuschalten.
16. Mit Schreiben vom 25. Juni 2021 teilte die Klinik der Generalstaatsanwaltschaft mit, dass es beim Beschwerdeführer zu einer deutlichen Verbesserung des psychopathologischen Befunds gekommen sei und er auf die offene Station der Klinik verlegt werden könne. Eine stationäre Weiterbehandlung sei weiter indiziert, da bisher nur eine Teilremission der Erkrankung vorliege. Da die Nähe zu vertrauten Bezugspersonen und die Kontinuität in den persönlichen und therapeutischen Beziehungen sehr förderlich seien, sei die Fortsetzung der stationären Behandlung im gewohnten Setting unbedingt sinnvoll.
17. Die Generalstaatsanwaltschaft teilte dem Verfahrensbevollmächtigten des Beschwerdeführers mit Schreiben vom 25. Juni 2021 mit, dass sie die Überstellung für zulässig halte; Bewilligungshindernisse lägen nicht vor. Insbesondere seien die Voraussetzungen für die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland nicht gegeben.
18. Mit Schriftsatz vom 30. Juni 2021 regte der Beschwerdeführer gegenüber der Generalstaatsanwaltschaft an, die schwedischen Stellen über seinen Gesundheitszustand zu informieren, um zu überprüfen, ob das Auslieferungsersuchen aufrechterhalten bleibe. Es ergäben sich Zweifel an der Verhältnismäßigkeit. Im Falle einer Überstellung bestehe die Gefahr einer Dekompensation des Gesundheitszustands. Die Klinik „empfehle die Überstellung nicht“, zumal nicht absehbar sei, ob der Beschwerdeführer in Folge des psychosozialen Stresses nicht derartig dekompensiere, dass Suizidgedanken aufkommen könnten. Für eine objektive Beurteilung habe die Klinik die Hinzuziehung eines Sachverständigen empfohlen. Wie von der Klinik angeregt, bedürfe es auch der Einholung eines psychiatrischen Gutachtens zu den Fragen der Auslieferungsfolgen und der Transportfähigkeit. Zugleich übermittelte der Beschwerdeführer den Schriftverkehr zwischen seiner Betreuerin und den schwedischen Stellen, wonach letztere an der Auslieferung festhalten wollten. Es könne aber ein Antrag auf Übernahme der Vollstreckung durch Deutschland gestellt werden. Ergänzend teilte der Beschwerdeführer mit, dass mit Blick auf seine seelische Erkrankung besondere Umstände für die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland vorlägen.
19. Mit Schriftsatz vom 21. Juli 2021 beantragte die Generalstaatsanwaltschaft, die Überstellung für zulässig zu erklären. Der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers und die vom Verfahrensbevollmächtigten befürchtete Suizidgefahr stünden einer Auslieferung nicht entgegen. Es sei in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Auslieferung eines psychisch erkrankten Verfolgten im Hinblick auf den ordre public-Vorbehalt des § 73 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG unzulässig sein könne. Dies sei der Fall, wenn der Verfolgte dauerhaft transport- und haftunfähig sei und schon die Unterbrechung der ärztlichen Kontrolle und Behandlung geeignet sei, Lebensgefahr zu begründen. Das Oberlandesgericht Hamm (Beschluss vom 26. März 2009 - (2) 4 AuslA 170/07 (88/09) -) und das Oberlandesgericht Stuttgart (Beschluss vom 4. Juli 2002 - 3 Ausl 96/2000 -) hielten diese Grundsätze für übertragbar auf Konstellationen, in denen es um die Auslieferung psychisch Erkrankter gehe, die aufgrund ihrer Erkrankung real suizidgefährdet seien, insbesondere wenn die Suizidgefahr beziehungsweise deren Erhöhung gerade auf die drohende Auslieferung zurückzuführen sei. Diese Voraussetzungen lägen nicht vor. Anhaltspunkte für eine (dauerhafte) Haft- oder Transportunfähigkeit des Beschwerdeführers bestünden nicht. Die Klinik habe mit Stellungnahme vom 17. Juni 2021 mitgeteilt, dass in remittiertem Zustand nichts gegen eine Ingewahrsamnahme und einen Transport spreche. Es sei nicht zu besorgen, dass eine kontinuierliche Medikamenteneinnahme während des Transports oder während des Maßregelvollzugs in Schweden nicht sichergestellt werden könne. Den ärztlichen Stellungnahmen sei keine reale Suizidgefahr zu entnehmen.
20. Mit angegriffenem Beschluss vom 2. August 2021, zugestellt am 16. August 2021, erklärte das Oberlandesgericht die Auslieferung mit der Maßgabe für zulässig, dass der Beschwerdeführer von der schwedischen Regierung nicht nach Afghanistan abgeschoben werden dürfe. Der Europäische Haftbefehl genüge den formellen Voraussetzungen und die materiellen Auslieferungsvoraussetzungen seien erfüllt. Insbesondere verbiete sich die Auslieferung nicht im Hinblick auf den psychopathologischen Zustand des Beschwerdeführers. Zwar könnten Erkrankungen, die im Falle einer Auslieferung oder Haft eine Lebensgefahr nach sich zögen, seinen grundrechtlichen Schutz nach Art. 2 Abs. 1 GG verletzen, wenn der Verfolgte dauerhaft haftund transportunfähig und schon die Unterbrechung der ärztlichen Kontrolle und Behandlung geeignet sei, Lebensgefahr zu begründen. Derart weitreichende Gefahren bestünden im vorliegenden Fall jedoch nicht. Nach den Mitteilungen der behandelnden Ärzte in der Klinik habe sich der Zustand des Beschwerdeführers im Verlauf seiner dortigen stationären Unterbringung zuletzt so weit gebessert, dass seine Überstellung verantwortbar erscheine. Den ärztlichen Stellungnahmen sei zu entnehmen, dass unter der Wirkung einer kontinuierlichen medikamentösen Behandlung erneute Exazerbationen der Schizophrenie unterbunden werden konnten. Der Beschwerdeführer sei soweit stabilisiert worden, dass seine Behandlung nach dem Ende der geschlossenen Unterbringung auf einer offenen Station fortgesetzt werden könne.
In derart remittiertem Zustand spreche die überdauernde Grunderkrankung für sich genommen nicht gegen eine Ingewahrsamnahme des Beschwerdeführers und seinen Transport nach Schweden. Eine wirkliche Gefahr, dass er im Rahmen der Durchführung der Überstellung so sehr gestresst werde, dass er suizidale Gedanken entwickele, halte das Oberlandesgericht nicht für gegeben. Dagegen spreche, dass eine . auch nur kurzfristige . Inhaftierung des Beschwerdeführers zur Sicherung seiner Überstellung aktuell weder angeordnet sei noch notwendig erscheine im Hinblick darauf, dass seine Betreuerin mit Schriftsatz vom 17. Mai 2021 erklärt habe, es bestehe keine Fluchtgefahr, da der Beschwerdeführer freiwillig der Weisung der Generalstaatsanwaltschaft Folge leisten werde. Darüber hinaus werde er nicht zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe ausgeliefert, sondern zum Zwecke seiner gesundheitlichen Rehabilitation in „rechtspsychiatrische Fürsorge“ übernommen.
Die Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft, keine Bewilligungshindernisse nach § 83b IRG geltend zu machen, weise keine Rechtsfehler auf. Der Beschwerdeführer habe den in der Regel erforderlichen fünfjährigen ununterbrochenen Aufenthaltszeitraum, um als Inlandsausländer nach § 83b Abs. 2 IRG zu gelten, nicht erfüllt. Sein Aufenthalt in Deutschland sei geprägt durch mehrere stationäre Unterbringungen, die seiner Behandlung dienten. Hierin und in der engen persönlichen Beziehung zu seiner Betreuerin seien keine besonderen Umstände zu erkennen, die die Annahme rechtfertigten, es habe sich ausnahmsweise eine ähnlich intensive Bindung an Deutschland entwickelt, wie sie . nach etwa fünf Jahren . durch die normale Begründung eines Wohnsitzes und den Aufbau von familiären, sozialen und beruflichen Beziehungen entstehe.
21. Mit Bescheid vom 12. August 2021 bewilligte die Generalstaatsanwaltschaft die Überstellung.
22. Mit Schriftsatz vom 19. August 2021 beantragte der Beschwerdeführer eine erneute Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung. Der Beschluss vom 2. August 2021 sei unter Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ergangen, da ihm der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft zuvor nicht zur Stellungnahme übermittelt worden sei. Darüber hinaus befasse sich der Beschluss nicht mit der Frage, ob der Zweck der Maßregelvollstreckung nicht bereits erreicht sei und die Auslieferung die Gesundheit des Beschwerdeführers in unzumutbarer Weise beinträchtigen werde. Bei den übergangenen Erwägungen handele es sich um neue Umstände im Sinne des § 33 IRG. Zudem würden Familienangehörige des Beschwerdeführers aus Afghanistan nunmehr in Deutschland aufgenommen werden.
23. Die Generalstaatsanwaltschaft nahm mit Schreiben vom 20. August 2021 Stellung. Das rechtliche Gehör sei nicht verletzt, da sich der Beschwerdeführer bereits umfangreich zur Frage der Zulässigkeit der Auslieferung geäußert habe. Der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft habe keine neuen Tatsachen enthalten. Im Übrigen stelle der künftige Aufenthalt enger Familienangehöriger des Beschwerdeführers die Zulässigkeitsentscheidung nicht infrage, da dieser eine besondere Bindung an Deutschland nicht belege.
24. Mit Schriftsätzen vom 30. August 2021 und 9. September 2021 vertiefte und ergänzte der Beschwerdeführer sein Vorbringen. Sein Gesundheitszustand habe sich stabilisiert und er sei in die ambulante Behandlung entlassen worden, wo er zweimal monatlich zur Überprüfung der Medikamenteneinnahme vorstellig werde. Bereits 2017 habe er sich in einer psychotischen Krise lebensgefährdend selbst verletzt, er habe die dem Auslieferungsverfahren zugrundeliegende Sachbeschädigung begangen, um die Scherben einer beschädigten Lampe zu Selbstverletzungen zu nutzen. Er beantragte, ein psychiatrisches Gutachten in Auftrag zu geben, das sich mit der Frage der Haft- und Transportfähigkeit sowie damit befasse, mit welchen gesundheitlichen Folgen . insbesondere mit Blick auf mögliche Selbstgefährdungen . eine etwaige zwangsweise Überstellung nach Schweden zur weiteren Maßregelvollstreckung einhergehen würde.
Der Beschwerdeführer reagiere auf Freiheitsentzug mit suizidalen Handlungen. Angesichts dieser Lage sei die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens erforderlich. Es bestünden durchaus Anhaltspunkte für das Vorliegen einer „echten Gefahr“ im Sinne der Aranyosi-Rechtsprechung (unter Bezugnahme auf EuGH, Urteil vom 5. April 2016, C-404/15). Deshalb hätte sich das Oberlandesgericht mit der Frage befassen müssen, ob sich aus den Unionsgrundrechten ein Auslieferungshindernis ergebe. Im Zweifel hätte es die Sache dem Gerichtshof der Europäischen Union vorlegen müssen.
25. Mit angegriffenem Beschluss vom 10. September 2021, zugestellt am 21. September 2021, wies das Oberlandesgericht den Antrag, die Auslieferung für unzulässig zu erklären, zurück. Es ergäben sich keine neuen Umstände im Sinne des § 33 IRG. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liege bereits nicht vor, weil der Verfahrensbevollmächtigte zwischenzeitlich umfassende Akteneinsicht erhalten habe. Darüber hinaus habe das Gericht das gesamte Vorbringen des Beschwerdeführers zur Kenntnis genommen und bei seinen Entscheidungen berücksichtigt.
Mit der psychischen Erkrankung des Beschwerdeführers habe sich das Gericht bereits in seinem Beschluss vom 2. August 2021 befasst. Dem Entlassungsbericht der Klinik vom 6. Juli 2021 sei zu entnehmen, dass ein Anhaltspunkt für eine akute Eigen- oder Fremdgefährdung zu diesem Zeitpunkt nicht bestanden habe. Daher genüge der Hinweis auf frühere . vor der weiteren gesundheitlichen Stabilisierung . stattgefundene Dekompensationen nicht. Die dargestellten Umstände und die Stellungnahmen der behandelnden Ärzte stellten eine ausreichende Tatsachengrundlage dar, sodass auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens sowie die Beiziehung von Akten aus der Justizvollzugsanstalt verzichtet werden könne. Der Einwand, die Vollstreckung der freiheitsentziehenden Maßregel in Schweden sei nicht mehr verhältnismäßig, könne im Auslieferungsverfahren nicht berücksichtigt werden, da eine sachlich-rechtliche Überprüfung des ausländischen Urteils grundsätzlich nicht stattfinde.
1. Mit am 16. September 2021 erhobener Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 Satz 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 101 Abs. 1 Satz 2, Art. 103 Abs. 1 GG sowie Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 GRCh.
Er sei zu dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, die Auslieferung für zulässig zu erklären, vor der angegriffenen Entscheidung am 2. August 2021 nicht gehört worden. Das Gericht sei seinem Vortrag zu den erheblichen überstellungsbedingten Gesundheitsgefährdungen nicht nachgegangen. Ob der Zweck der Maßregelvollstreckung hierzulande bereits erreicht sei und die mit der Auslieferung einhergehenden Veränderungen des sozialen Umfelds die Gesundheit des Beschwerdeführers unzumutbar zu beeinträchtigen drohten, werde nicht thematisiert. Der Schutz von dessen Gesundheit verlange, dass eine auslieferungsbedingte - und naheliegend massive - Verschlechterung seines Gesundheitszustandes gar nicht erst eintrete. Unberücksichtigt bleibe, dass eine Dekompensation seines Gesundheitszustandes und eine lebensbedrohliche Selbstgefährdung während der Vollstreckung der Auslieferungshaft bereits stattgefunden hätten. Auch zum damaligen Zeitpunkt sei das Oberlandesgericht davon ausgegangen, dass eine Gesundheitsbeeinträchtigung nicht ernsthaft zu befürchten sei. Die Aufklärungspflicht hätte vor diesem Hintergrund die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens erfordert. Ohne eine fachärztliche Bewertung der überstellungsbedingten Gesundheitsgefahren fehle es an einer belastbaren Grundlage für die Beurteilung, ob eine Überstellung zum Zweck der Gesundung des Beschwerdeführers in der schwedischen Maßregel im Hinblick darauf verhältnismäßig sei, dass sich sein Gesundheitszustand gerade durch die Überstellung verschlechtern werde.
Das Oberlandesgericht hätte zudem der Frage nachgehen müssen, ob sich unter Beachtung des europäischen Grundrechtsschutzes ein Auslieferungshindernis aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergebe. Durch die Zulässigkeitsentscheidung sei der Beschwerdeführer erheblichen auslieferungsbedingten Gesundheitsgefährdungen ausgesetzt. Eine Vollstreckungsübernahme durch die deutschen Behörden sei grundrechtsschonender.
Zudem hätte das Oberlandesgericht die Sache im Zweifel dem Gerichtshof der Europäischen Union vorlegen müssen, weil die insoweit geltenden materiellen Maßstäbe weder klar noch geklärt seien. Bestünden - wie vorliegend - Anhaltspunkte für eine auslieferungsbedingte Verletzung wesentlicher Grundrechte des Betroffenen, hätten die Gerichte dem - auch auf der Grundlage der europarechtlichen Vorgaben - nachzugehen.
2. Mit Schriftsatz vom 23. September 2021 hat der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und seine Verfassungsbeschwerde auf den zwischenzeitlich ergangenen Beschluss des Oberlandesgerichts vom 10. September 2021 erweitert.
3. Mit Beschluss vom 11. Oktober 2021 hat die 1. Kammer des Zweiten Senats zur Verfahrenssicherung eine einstweilige Anordnung erlassen und die Übergabe des Beschwerdeführers an die schwedischen Behörden bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Monaten, einstweilen untersagt. Die einstweilige Anordnung ist mit Beschluss vom 30. März 2022 längstens für die Dauer von sechs Wochen wiederholt worden.
4. Das Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen hat von einer Stellungnahme abgesehen.
5. Die Akten des fachgerichtlichen Verfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, soweit dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG angezeigt ist (vgl. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. Demnach ist die zulässige Verfassungsbeschwerde insoweit offensichtlich begründet (vgl. § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
1. Die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 2. August 2021 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.
a) aa) Bei Zweifelsfragen über die Anwendung und Auslegung von Unionsrecht haben die Fachgerichte diese zunächst dem Gerichtshof der Europäischen Union vorzulegen. Dieser ist gesetzlicher Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. BVerfGE 73, 339 <366 f.>; 82, 159 <192>; 126, 286 <315>; 128, 157 <186 f.>; 129, 78 <105>; 135, 155 <230 Rn. 177>; stRspr). Unter den Voraussetzungen des Art. 267 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sind die nationalen Gerichte von Amts wegen gehalten, den Gerichtshof anzurufen (vgl. BVerfGE 82, 159 <192 f.>; 128, 157 <187>; 129, 78 <105>; 135, 155 <230 f. Rn. 177>; stRspr). Kommt ein deutsches Gericht seiner Pflicht zur Anrufung im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nicht nach oder stellt es ein Vorabentscheidungsersuchen, obwohl eine Zuständigkeit des Gerichtshofs nicht gegeben ist (vgl. BVerfGE 133, 277 <316 Rn. 91>), kann dem Rechtsschutzsuchenden des Ausgangsrechtsstreits der gesetzliche Richter entzogen sein (vgl. BVerfGE 73, 339 <366 ff.>; 126, 286 <315>; 135, 155 <231 Rn. 177>).
(1) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982, C.I.L.F.I.T., C-283/81, Slg. 1982, S. 3415 ff. Rn. 21) muss ein nationales letztinstanzliches Gericht seiner Vorlagepflicht nachkommen, wenn sich in einem bei ihm schwebenden Verfahren eine Frage des Unionsrechts stellt, es sei denn, das Gericht hat festgestellt, dass diese Frage nicht entscheidungserheblich ist, dass die betreffende unionsrechtliche Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war oder dass die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (vgl. BVerfGE 82, 159 <193>; 128, 157 <187>; 129, 78 <105 f.>; 135, 155 <231 Rn. 178>; 140, 317 <376 Rn. 125>; 147, 364 <379 Rn. 38>).
(2) Das Bundesverfassungsgericht beanstandet die Auslegung und Anwendung von Normen, die die gerichtliche Zuständigkeitsverteilung regeln, jedoch nur, wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheinen und offensichtlich unhaltbar sind (vgl. BVerfGE 29, 198 <207>; 82, 159 <194>; 126, 286 <315>; 135, 155 <231 Rn. 179>). Durch die grundrechtsähnliche Gewährleistung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG wird das Bundesverfassungsgericht nicht zu einem Kontrollorgan, das jeden einem Gericht unterlaufenen, die Zuständigkeit des Gerichts berührenden Verfahrensfehler korrigieren müsste. Vielmehr ist das Bundesverfassungsgericht gehalten, seinerseits die Kompetenzregeln zu beachten, die den Fachgerichten die Kontrolle über die Befolgung der Zuständigkeitsordnung übertragen (vgl. BVerfGE 82, 159 <194>; 135, 155 <231 Rn. 179>; 147, 364 <379 f. Rn. 39>).
bb) Diese Grundsätze gelten auch für die unionsrechtliche Zuständigkeitsvorschrift des Art. 267 Abs. 3 AEUV. Daher stellt nicht jede Verletzung der unionsrechtlichen Vorlagepflicht zugleich einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dar (vgl. BVerfGE 29, 198 <207>; 82, 159 <194>; 126, 286 <315>; 135, 155 <231 f. Rn. 180>). Das Bundesverfassungsgericht überprüft nur, ob die Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsregel des Art. 267 Abs. 3 AEUV bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 126, 286 <315>; 128, 157 <187>; 129, 78 <106>; 135, 155 <232 Rn. 180>). Durch die zurückgenommene verfassungsrechtliche Prüfung behalten die Fachgerichte bei der Auslegung und Anwendung von Unionsrecht einen Spielraum eigener Einschätzung und Beurteilung, der demjenigen bei der Handhabung einfachrechtlicher Bestimmungen der deutschen Rechtsordnung entspricht. Das Bundesverfassungsgericht wacht allein über die Einhaltung der Grenzen dieses Spielraums (vgl. BVerfGE 126, 286 <316> m.w.N.). Ein „oberstes Vorlagenkontrollgericht“ ist es nicht (vgl. BVerfGE 126, 286 <316>; 135, 155 <232 Rn. 180>; 147, 364 <380 Rn. 40>).
(1) Die Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV wird in den Fällen offensichtlich unhaltbar gehandhabt, in denen ein letztinstanzliches Hauptsachegericht eine Vorlage trotz der - seiner Auffassung nach bestehenden - Entscheidungserheblichkeit der unionsrechtlichen Frage überhaupt nicht in Erwägung zieht, obwohl es selbst Zweifel hinsichtlich der richtigen Beantwortung der Frage hegt und das Unionsrecht somit eigenständig fortbildet (grundsätzliche Verkennung der Vorlagepflicht; vgl. BVerfGE 82, 159 <195>; 126, 286 <316>; 128, 157 <187>; 129, 78 <106>; 135, 155 <232 Rn. 181>). Dies gilt erst recht, wenn sich das Gericht hinsichtlich des (materiellen) Unionsrechts nicht hinreichend kundig macht. Es verkennt dann regelmäßig die Bedingungen für die Vorlagepflicht (vgl. BVerfGE 147, 364 <380 f. Rn. 41>; BVerfGK 8, 401 <405>; 11, 189 <199>; 13, 303 <308>; 17, 108 <112>). Alle Fachgerichte haben sich bei Auslegung und Anwendung des Unionsrechts selbstständig mit der Frage auseinanderzusetzen, ob in Bezug auf eine entscheidungserhebliche Norm des Unionsrechts weiterer Klärungsbedarf und - damit verbunden - die Notwendigkeit einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union besteht (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 6. Oktober 2017 - 2 BvR 987/16 -, Rn. 18). Eine Verkennung der Vorlagepflicht ist auch anzunehmen, wenn das Gericht offenkundig einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht auswertet. Um eine Kontrolle am Maßstab des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG zu ermöglichen, hat es die Gründe für seine Entscheidung über die Vorlagepflicht anzugeben (vgl. BVerfGE 147, 364 <381 Rn. 41>).
(2) Gleiches gilt in den Fällen, in denen das letztinstanzliche Hauptsachegericht in seiner Entscheidung bewusst von der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu entscheidungserheblichen Fragen abweicht und gleichwohl nicht oder nicht neuerlich vorlegt (bewusstes Abweichen ohne Vorlagebereitschaft; vgl. BVerfGE 82, 159 <195>; 126, 286 <316 f.>; 128, 157 <187 f.>; 129, 78 <106>; 135, 155 <232 Rn. 182>).
(3) Liegt zu einer entscheidungserheblichen Frage des Unionsrechts einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union hingegen noch nicht vor, hat die bestehende Rechtsprechung die entscheidungserhebliche Frage möglicherweise noch nicht erschöpfend beantwortet oder erscheint eine Fortentwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht nur als entfernte Möglichkeit (Unvollständigkeit der Rechtsprechung), wird Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt, wenn das letztinstanzliche Hauptsachegericht den ihm in solchen Fällen notwendig zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschreitet (vgl. BVerfGE 82, 159 <195 f.>; 126, 286 <317>; 128, 157 <188>; 129, 78 <106 f.>; 135, 155 <232 f. Rn. 183>). Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn die Fachgerichte das Vorliegen eines „acte clair“ oder eines „acte éclairé“ willkürlich bejahen. Das Gericht muss sich daher hinsichtlich des materiellen Unionsrechts hinreichend kundig machen. Etwaige einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union muss es auswerten und seine Entscheidung hieran orientieren (vgl. BVerfGE 82, 159 <196>; 128, 157 <189>; 135, 155 <233 Rn. 184>; 147, 364 <381 f. Rn. 43>). Auf dieser Grundlage muss das Fachgericht unter Anwendung und Auslegung des materiellen Unionsrechts (vgl. BVerfGE 135, 155 <233 Rn. 184>) die vertretbare Überzeugung bilden, dass die Rechtslage entweder von vornherein eindeutig („acte clair“) oder durch Rechtsprechung in einer Weise geklärt ist, die keinen vernünftigen Zweifel offenlässt („acte éclairé“; vgl. BVerfGE 129, 78 <107>; 135, 155 <233 Rn. 184>). Unvertretbar gehandhabt wird Art. 267 Abs. 3 AEUV im Falle der Unvollständigkeit der Rechtsprechung insbesondere dann, wenn das Fachgericht eine von vornherein eindeutige oder zweifelsfrei geklärte Rechtslage ohne sachliche Begründung bejaht (vgl. BVerfGE 82, 159 <196>; 135, 155 <233 Rn. 185>; 147, 364 <382 Rn. 43>).
b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das Oberlandesgericht Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt. Das Gericht hätte nicht ohne Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union entscheiden dürfen, dass trotz der Gefahr einer Verschlechterung des Gesundheitszustands des Beschwerdeführers kein Auslieferungshindernis bestehe. Die Voraussetzungen der Vorlagepflicht lagen vor.
aa) Das Verfahren der Überstellung im Anwendungsbereich des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI über den Europäischen Haftbefehl ist vollständig unionsrechtlich determiniert (vgl. BVerfGE 140, 317 <343 Rn. 52>; 147, 364 <382 Rn. 46>; 156, 182 <197 Rn. 35>).
bb) Das Oberlandesgericht ist ein zur Vorlage verpflichtetes Gericht im Sinne von Art. 267 Abs. 3 AEUV, weil seine Entscheidungen im Überstellungsverfahren nicht mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können.
cc) Der Sachverhalt wirft zum einen die entscheidungserhebliche Frage auf, ob Art. 1 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl im Licht des Art. 3 Abs. 1 GRCh (Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit) dahin auszulegen ist, dass der vollstreckenden Justizbehörde eigene Aufklärungs- und Prüfungspflichten obliegen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der betroffenen Person, die an einer psychischen Krankheit leidet, durch die Überstellung die konkrete Gefahr einer (weiteren) schweren Gesundheitsschädigung droht. Zum anderen stellt sich die Frage, ob im Falle einer solchen konkreten Gefahr ein Überstellungshindernis vorliegt.
Die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu diesen entscheidungserheblichen Fragen ist nicht vollständig. Bislang hat der Gerichtshof weder die Frage, ob und in welchem Maße eigene Aufklärungs- und Prüfungspflichten des mit einem Überstellungsersuchen befassten Gerichts aus Art. 3 GRCh abzuleiten sind, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der betroffenen Person durch die Überstellung die konkrete Gefahr einer (weiteren) schweren psychischen Gesundheitsschädigung droht, noch die Frage, ob in einem solchen Fall die Überstellung abgelehnt werden darf, abschließend geklärt.
Ein vom Gerichtshof der Europäischen Union bislang noch nicht entschiedenes Vorabentscheidungsersuchen des italienischen Corte Costituzionale vom 22. November 2021 betrifft die Frage, ob Art. 1 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI über den Europäischen Haftbefehl im Lichte der Art. 3, Art. 4 und Art. 35 GRCh dahin auszulegen ist, dass die vollstreckende Justizbehörde den Ausstellungsstaat um Informationen ersuchen muss, die es ermöglichen, das Bestehen der Gefahr, dass sich der Krankheitszustand der betroffenen Person im Falle einer Übergabe möglicherweise erheblich verschlechtern wird, auszuschließen (vgl. Rechtssache C-699/21, ABl EU vom 14. Februar 2022, C 73/14). Die Frage, ob und in welchem Maße eigene Aufklärungs- und Prüfungspflichten des mit dem Überstellungsersuchen befassten Gerichts bestehen, ist allerdings nicht Gegenstand des Vorlageverfahrens, weil das mit dem Überstellungsersuchen befasste Berufungsgericht im italienischen Ausgangsverfahren auf der Grundlage eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens bereits zu der Überzeugung gelangt war, dass die Übergabe der Person, die an einer schweren, chronischen und möglicherweise irreversiblen Krankheit leide, die Gefahr eines schweren Gesundheitsschadens mit sich bringen könnte (vgl. Zusammenfassung des Vorabentscheidungsersuchens C-699/21, Rn. 2 f., abrufbar unter: https://curia.europa.eu/jcms/jcms/j_6/de).
Auch auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die im Einzelfall den Inhalt der Charta bestimmt (vgl. Art. 52 Abs. 3 GRCh; vgl. BVerfGE 152, 216 <244 Rn. 70>; 156, 182 <199 Rn. 39>), kann nur teilweise zurückgegriffen werden. Der Gerichtshof hat festgestellt, dass in Auslieferungsfällen ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK vorliegen kann, wenn gewichtige Gründe dafür angeführt werden, dass für den Betroffenen bei Auslieferung eine reale Gefahr („a real risk“) besteht, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden. Um eine solche Gefahr auszuschließen, hat er dem mit einem Auslieferungsersuchen befassten Gericht eigene Aufklärungs- und Prüfungspflichten auferlegt, wenn hinreichende Anhaltspunkte für eine fehlende Reisefähigkeit aufgrund einer physischen oder psychischen Erkrankung vorliegen (vgl. EGMR, Khachaturov v. Armenia, Urteil vom 24. Juni 2021, Nr. 59687/17, §§ 84 ff. m.w.N.). Gleiches gilt für die vorhersehbaren Folgen für den Gesundheitszustand des Betroffenen, die bei einer Abschiebung oder Auslieferung mit dem Ortswechsel verbunden sind (vgl. EGMR [GK], Paposhvili v. Belgium, Urteil vom 13. Dezember 2016, Nr. 41738/10, §§ 183 ff.). Die Prüfung der mit der Auslieferung verbundenen spezifischen Risiken muss insbesondere auf einer aktuellen fachkundigen Einzelfallbeurteilung des Gesundheitszustands der betroffenen Person beruhen, die auch die Bedingungen der geplanten Übergabe in der spezifischen Auslieferungssituation berücksichtigt (vgl. EGMR, Khachaturov v. Armenia, Urteil vom 24. Juni 2021, Nr. 59687/17, § 91). Dies spricht zwar dafür, dass dem mit der Auslieferung befassten Gericht die eingehende Prüfung einer realen Gefahr für den Gesundheitszustand des Betroffenen unter Rückgriff auf externe Sachkunde obliegt. Eine Antwort auf die Frage, ob und unter welchen Umständen die Überstellung an einen anderen Mitgliedstaat nach den Bestimmungen des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI über den Europäischen Haftbefehl im Falle der Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit abgelehnt werden darf, lässt sich daraus allerdings nicht herleiten.
dd) Angesichts der Unvollständigkeit einschlägiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union sind auch keine Ausnahmen von der unionsrechtlichen Vorlagepflicht des Oberlandesgerichts ersichtlich. Insbesondere konnte das Gericht vor diesem Hintergrund nicht von einer richtigen Anwendung des Unionsrechts ausgehen, die derart offenkundig ist, dass für vernünftige Zweifel kein Raum bliebe („acte clair“).
ee) Die Gründe, aus denen das Oberlandesgericht nach Heranziehung der Stellungnahmen der Klinikärzte vom 17. und 25. Juni 2021 offenbar davon ausgegangen ist, dass es seinen Aufklärungs- und Prüfungspflichten aus Art. 3 und möglicherweise Art. 4 GRCh genügt habe, sind nicht nachvollziehbar. In beiden angegriffenen Entscheidungen werden unionsrechtliche Grundrechte weder erwähnt noch deren Anwendung erörtert. Weshalb sich das Gericht mit den vom Beschwerdeführer vorgetragenen Bedenken der behandelnden Ärzte, insbesondere mit den aufgrund des Ortswechsels einhergehenden Folgen, nicht konkret auseinandergesetzt hat, kann seinen Ausführungen nicht entnommen werden. Vor dem Hintergrund des bisherigen Verlaufs des Überstellungsverfahrens, insbesondere der Exazerbation der seit Langem bestehenden paranoiden Schizophrenie des Beschwerdeführers während des Vollzugs der Auslieferungshaft, bleibt offen, weshalb das Oberlandesgericht von der Hinzuziehung eines Sachverständigen abgesehen hat, obwohl dies sowohl vom Beschwerdeführer als auch in der Stellungnahme der Klinik vom 17. Juni 2021 unter Hinweis auf die Gefahr einer Dekompensation seines Gesundheitszustands angeregt worden war und im Schreiben der Klinik vom 25. Juni 2021 die Bedeutung der Nähe zu vertrauten Bezugspersonen sowie die Kontinuität in den persönlichen und therapeutischen Beziehungen für seinen Gesundheitszustand besonders hervorgehoben worden waren.
2. Da die Verfassungsbeschwerde bereits wegen der Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG Erfolg hat, bedarf es keiner Entscheidung, ob der angegriffene Beschluss weitere Grundrechte des Beschwerdeführers verletzt.
Gemäß § 93c Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2, § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG ist festzustellen, dass der Beschwerdeführer durch den Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 2. August 2021 - III-3 AR 28/21 - in seinem Grundrecht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt worden ist. Der Beschluss ist daher gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben; die Sache wird an das Oberlandesgericht Düsseldorf zurückverwiesen (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2, § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG).
Mit der Aufhebung der Zulässigkeitsentscheidung vom 2. August 2021 wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 10. September 2021 insoweit gegenstandslos.
Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Die Festsetzung des Gegenstandswerts für die anwaltliche Tätigkeit stützt sich auf § 37 Abs. 2 Satz 2, § 14 Abs. 1 RVG in Verbindung mit den Grundsätzen über die Festsetzung des Gegenstandswerts im verfassungsgerichtlichen Verfahren (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 571
Bearbeiter: Holger Mann