HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 746
Bearbeiter: Holger Mann
Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 852/20, Beschluss v. 11.05.2023, HRRS 2023 Nr. 746
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).
Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundenen Verfassungsbeschwerde gegen Entscheidungen des Landgerichts Essen und des Oberlandesgerichts Hamm im Rahmen eines Exequaturverfahrens, mit denen die Vollstreckung einer in Italien verhängten Freiheitsstrafe für zulässig erklärt wurde.
Das Schwurgericht zweiter Instanz Turin - 2. Senat - hatte den Beschwerdeführer wegen fahrlässiger Brandstiftung in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung und vorsätzlicher Entfernung oder Unterlassung der Aufstellung von Sicherheitseinrichtungen gegen Arbeitsunfälle gemäß Art. 437 Abs. 1, Art. 449 und Art. 589 des italienischen Strafgesetzbuchs mit Urteil vom 29. Mai 2015 - Urteil Nr. 5/15 -, rechtskräftig seit dem 13. Mai 2016, zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren und acht Monaten verurteilt, die im Exequaturverfahren in eine fünfjährige Freiheitsstrafe umgewandelt wurde.
Der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer rügt, dass die angegriffenen Entscheidungen gegen das Schuldprinzip verstießen, weil in den zugrundeliegenden italienischen Entscheidungen auf den Nachweis seiner konkret-individuellen Verantwortlichkeit verzichtet worden sei. Daneben sei der Grundsatz des fairen Verfahrens und des rechtlichen Gehörs verletzt worden, weil während des Verfahrens bestimmte Unterlagen nicht ins Deutsche übersetzt worden seien. Das Oberlandesgericht habe darüber hinaus im Vorfeld des angegriffenen Beschlusses nicht darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer einer erhöhten Darlegungslast hinsichtlich seines Einwandes unterliege, sein Recht auf ein faires Verfahren sei in dem in Italien gegen ihn geführten Strafverfahren verletzt worden. Er sieht sich in seinen Grundrechten aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 6 Abs. 3 EMRK, Art. 103 Abs. 1 GG sowie Art. 48 Abs. 2 und Art. 49 Abs. 1 GRCh verletzt.
Dem Justizministerium Nordrhein-Westfalen ist unter dem 8. Juli 2020 Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegeben worden. Das Ministerium hat von einer Stellungnahme abgesehen.
Mit Beschluss vom 14. Juli 2020 wurde dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stattgegeben und die Erklärung der Zulässigkeit der Vollstreckung des gegen den Beschwerdeführer ergangenen Urteils des Schwurgerichts zweiter Instanz Turin - 2. Senat - vom 29. Mai 2015 - Urteil Nr. 5/15 - durch Beschluss des Landgerichts Essen vom 17. Januar 2019 - I StVK 1900/17 - ausgesetzt. Mit Beschlüssen vom 8. Januar, 7. Juli und 21. Dezember 2021 sowie vom 9. Juni und 24. November 2022 wurde die einstweilige Anordnung bis zur Entscheidung über die Hauptsache, längstens für die Dauer von sechs Monaten, gemäß § 32 Abs. 6 Satz 2 BVerfGG wiederholt.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG), weil sie unzulässig ist. Sie genügt nicht den Substantiierungsanforderungen gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG.
1. Den angegriffenen Exequaturentscheidungen liegen gemäß § 84 IRG europäische Rechtsakte insbesondere in Gestalt des Rahmenbeschlusses 2008/909/JI des Rates vom 27. November 2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der Europäischen Union (ABl L 327 vom 5. Dezember 2008, S. 27) zugrunde. In solchen Fällen ist grundsätzlich zunächst der Grundrechtsmaßstab zu bestimmen, anhand dessen die fachgerichtliche Rechtsanwendung überprüft wird. Beruhen die angegriffenen Entscheidungen auf einer unionsrechtlich volldeterminierten Regelung, erfolgt die Überprüfung nicht anhand deutscher Grundrechte, sondern anhand der Unionsgrundrechte (vgl. BVerfGE 152, 216 <233 ff. Rn. 42 ff.>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 1. Dezember 2020 - 2 BvR 1845/18 u.a. -, Rn. 36). Handelt es sich hingegen um eine europarechtlich nicht vollständig determinierte Materie, prüft das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich auch dann am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes, wenn der Anwendungsbereich des Unionsrechts betroffen ist (vgl. BVerfGE 152, 152 <169 Rn. 42).
Ob Exequaturentscheidungen deutscher Gerichte auf teil- oder volldeterminierter unionaler Rechtsgrundlage beruhen, ist bislang in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht entschieden. Einer abschließenden Beurteilung bedarf es auch im vorliegenden Fall nicht. Denn die Verfassungsbeschwerde ist ungeachtet der Frage, ob Exequaturentscheidungen deutscher Gerichte, die aufgrund strafrechtlicher Verurteilungen im unionalen Ausland ergehen, anhand europäischer oder deutscher Grundrechte zu überprüfen sind, nicht in einer den Substantiierungsanforderungen gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG genügenden Weise begründet. Offenbleiben kann deswegen auch, ob die fehlende Auseinandersetzung des Beschwerdeführers mit den den angegriffenen Entscheidungen zugrundeliegenden europäischen Rechtsakten und dem hieraus abzuleitenden Determinierungsgrad für sich schon zur Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde wegen fehlender Substantiierung führt.
2. Zu einer ordnungsgemäßen Begründung im Sinne von § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG gehört, dass der die Grundrechtsverletzung enthaltende Vorgang substantiiert und schlüssig vorgetragen wird (vgl. BVerfGE 99, 84 <87>; 108, 370 <386 f.>; 113, 29 <44>; 130, 1 <21>). Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung, bedarf es in der Regel einer ins Einzelne gehenden argumentativen Auseinandersetzung mit ihr und ihrer Begründung. Es muss deutlich werden, inwieweit gerade durch die angegriffene Maßnahme das bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll (vgl. BVerfGE 99, 84 <87>; 108, 370 <386 f.>; 130, 1 <21>; 140, 229 <232 Rn. 9>). Zur Begründung gehört demgemäß eine Auseinandersetzung mit den angegriffenen instanzgerichtlichen Entscheidungen auf der Ebene des Verfassungsrechts am Maßstab der als verletzt gerügten grundrechtlichen Positionen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Juli 2018 - 2 BvR 1207/18 -, Rn. 16). Werden mehrere gerichtliche Entscheidungen angegriffen, muss sich der Beschwerdeführer mit dem Inhalt jeder einzelnen Entscheidung auseinandersetzen. Genügt sein Vortrag hinsichtlich einzelner von mehreren angegriffenen Entscheidungen den Anforderungen an eine substantiierte Begründung nicht, so ist die Verfassungsbeschwerde insoweit unzulässig (vgl. BVerfGE 82, 43 <49>; 96, 171 <180>; 116, 24 <35 f.>; 128, 90 <99>; 151, 67 <84 f. Rn. 49>; BVerfGK 1, 145 <156>; 17, 319 <326>).
Geht die angegriffene Entscheidung ausdrücklich auf die verfassungsrechtlich relevanten Fragen ein, spricht dies dafür, dass die Bedeutung grundrechtlicher Gewährleistungen nicht verkannt wurde. Daher ist es nicht ausreichend, wenn der Beschwerdeführer den angegriffenen Entscheidungen nur seine eigene Sichtweise entgegenstellt, ohne deutlich zu machen, weshalb die angegriffene Entscheidung verfassungsrechtlich fehlerhaft sein soll.
3. Diesen Anforderungen genügt die Verfassungsbeschwerde nicht. Der Beschwerdeführer legt weder in Bezug auf die Unionsgrundrechte (a) noch mit Blick auf grundgesetzliche Gewährleistungen (b) die Möglichkeit einer Verletzung seiner geltend gemachten Rechte substantiiert dar.
a) Hinsichtlich des Unionsrechts beschränkt der Beschwerdeführer sich darauf, einzelne Artikel der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zu benennen, ohne sich mit diesen auch nur ansatzweise inhaltlich zu befassen. Vielmehr konzentriert sich der Vortrag des Beschwerdeführers im Wesentlichen darauf, im Rahmen einer Identitätsrüge eine Unterschreitung des durch Art. 1 Abs. 1 GG gewährleisteten Mindeststandards in dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren in Italien geltend zu machen sowie eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 6 EMRK durch das Oberlandesgericht zu rügen. Eine Verletzung einzelner Gewährleistungen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union kann seinem Vortrag nicht entnommen werden.
b) Auch soweit der Beschwerdeführer sich auf grundgesetzliche Gewährleistungen beruft, verfehlt er sowohl hinsichtlich einer Verletzung der Menschenwürdegarantie gemäß Art. 1 Abs. 1 GG (aa), als auch bezüglich eines Eingriffs in den Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 6 EMRK (bb) die durch § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG vorgegebenen Begründungsanforderungen.
aa) Eine Verletzung des Schutzgehalts von Art. 1 Abs. 1 GG ist nicht dargetan. Auf die Vollstreckbarkeit des Urteils des Schwurgerichts zweiter Instanz Turin - 2. Senat - vom 29. Mai 2015 findet der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens Anwendung (1). Dieser steht grundsätzlich der Prüfung einer Verletzung grundrechtlicher Gewährleistungen entgegen. Tatsachen, die geeignet wären, den Geltungsanspruch dieses Grundsatzes vorliegend zu erschüttern, hat der Beschwerdeführer nicht in einer den Substantiierungsanforderungen genügenden Weise vorgetragen (2).
(1) Im unionsrechtlichen Rechtshilfeverkehr gilt der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens. Demgemäß ist davon auszugehen, dass in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und des Menschenrechtsschutzes eingehalten wurden. Ausnahmen sind nur in besonders gelagerten Fällen gerechtfertigt (vgl. BVerfGE 60, 348 <355 f.>; 63, 197 <206>; 109, 13 <33>; 109, 38 <59>; 140, 317 <349 Rn. 68>).
(2) Der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens entbindet deutsche Behörden und Gerichte aber nicht von der Verpflichtung, die Einhaltung der Grundsätze des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG sicherzustellen. Der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens kann daher nur so lange Geltung beanspruchen, wie er nicht durch entgegenstehende Tatsachen erschüttert wird (vgl. BVerfGE 109, 13 <35 f.>; 109, 38 <61>; 140, 317 <349 Rn. 68>). Dies ist der Fall, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die unverzichtbaren Anforderungen an den Schutz der Menschenwürde nicht eingehalten wurden (vgl. BVerfGE 140, 317 <351 Rn. 74>). Davon ist insbesondere auszugehen, wenn ein zu vollstreckendes ausländisches Strafurteil in Abwesenheit des Verfolgten ergangen ist (vgl. BVerfGE 59, 280 <282 ff.>; 63, 332 <337>; 140, 317 <349 Rn. 69>).
Demgemäß hätte der Beschwerdeführer, soweit er sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen das zu vollstreckende Urteil des Schwurgerichts Turin wendet, substantiiert darlegen müssen, dass dieses unter Verletzung unverzichtbarer Anforderungen an den Schutz der Menschenwürde ergangen ist. Eine derartige Unterschreitung des durch Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG garantierten Mindeststandards ergibt sich aus seinem Vortrag aber weder mit Blick auf seine überwiegende Abwesenheit bei der Verhandlung seiner Strafsache vor den italienischen Gerichten (a) und die unvollständige Übersetzung einzelner Verfahrensdokumente (b), noch in Bezug auf die Beachtung des Schuldgrundsatzes (c).
(a) Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, er habe nur zwei Tage an der 94-tägigen erstinstanzlichen Hauptverhandlung teilgenommen und sich bestreitend zu den Strafvorwürfen eingelassen, ist eine Unterschreitung der sich aus Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG ergebenden Anforderungen nicht ersichtlich. Zwar darf der Verfolgte nicht zum bloßen Objekt eines ihn betreffenden staatlichen Verfahrens gemacht werden, sondern muss die Möglichkeit haben, auf das Verfahren einzuwirken, sich persönlich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu äußern, entlastende Umstände vorzutragen sowie deren Nachprüfung und Berücksichtigung zu erreichen (vgl. BVerfGE 140, 317 <347 Rn. 61>). Dem ist vorliegend jedoch Rechnung getragen. Der Beschwerdeführer hatte Kenntnis von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen und war, soweit er nicht persönlich anwesend war, nach seinem eigenen Vortrag durchgehend anwaltlich vertreten. In der mündlichen Verhandlung wurde ihm trotz seiner italienischen Sprachkenntnisse eine Dolmetscherin zur Seite gestellt, sodass er nach seiner eigenen Einlassung Aussagen zu komplizierten technischen und rechtlichen Gegebenheiten in seiner Muttersprache tätigen konnte. Der Beschwerdeführer war demgemäß in der Lage, in einer der Menschenwürdegarantie genügenden Weise auf das Verfahren einzuwirken und entlastende Umstände vorzutragen. Daher bestehen trotz der teilweisen Abwesenheit des Beschwerdeführers in den mündlichen Verhandlungen seiner Strafsache gegen die insoweit gemäß § 84b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 1a), 3 IRG einfachrechtlich zulässige Vollstreckung des Urteils des Schwurgerichts Turin keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Daran ändert auch der Hinweis des Beschwerdeführers nichts, dass im Exequaturverfahren zunächst fehlerhafte Angaben zur Anwesenheit des Beschwerdeführers in den Verhandlungen vor den italienischen Gerichten gemacht wurden. Dies ist für die verfassungsrechtliche Beurteilung der Zulässigkeit der Vollstreckung des italienischen Strafurteils ohne Belang.
(b) Nichts anderes gilt, soweit der Beschwerdeführer darauf verweist, dass einzelne Dokumente während des Verfahrens nicht übersetzt worden seien.
Zwar ist davon auszugehen, dass jede angeklagte Person das Recht hat, in einer ihr verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden (Art. 6 Abs. 3 Buchstabe a EMRK). Der Beschwerdeführer verhält sich aber bereits nicht zu der Frage, inwieweit dieses Recht von dem durch Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG garantierten Mindeststandard in einer Weise umfasst ist, der den Geltungsanspruch des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens zu erschüttern vermag. Hinzu kommt, dass er selbst vorträgt, auf seine Intervention hin seien „zahlreiche Dokumente übersetzt“ worden, ohne diese im Einzelnen zu benennen. Daher ist nicht nachvollziehbar, ob diejenigen Dokumente, denen die gegen den Beschwerdeführer erhobenen Beschuldigungen zu entnehmen sind, auch in deutscher Sprache vorlagen, sodass bereits aus diesem Grund eine Art. 1 Abs. 1 GG berührende Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens ausgeschlossen sein könnte.
Vor allem aber setzt der Beschwerdeführer sich unzureichend mit der diesbezüglichen Argumentation des Oberlandesgerichts im angegriffenen Beschluss vom 23. Januar 2020 auseinander. Demgemäß hat er den Einwand fehlender Übersetzung bereits in den in Italien gegen ihn gerichteten Verfahren wiederholt geltend gemacht. Die italienischen Gerichte hätten sich damit sorgfältig auseinandergesetzt und in ihren Entscheidungen - soweit sie den Anträgen nicht gefolgt seien - auf die „ausgezeichneten Kenntnisse“ der italienischen Sprache des Beschwerdeführers verwiesen.
Der Beschwerdeführer erklärt hierzu, dass er zwar über sprachliche Vorkenntnisse verfüge, diese aber nicht ausreichten, um die Verfahrensdokumente hinreichend zu erfassen. Dies genügt den Substantiierungsanforderungen nicht. Der Beschwerdeführer hätte vielmehr angesichts der gerichtlichen Bewertungen konkret darlegen müssen, wie weit seine - unstreitig vorhandenen - italienischen Sprachkenntnisse reichen und warum diese zur Erfassung der Verfahrensdokumente nicht genügten. Auch hätte er sich - zumal angesichts seiner durchgehenden anwaltlichen Vertretung - dazu verhalten müssen, welche konkreten Verteidigungsmöglichkeiten ihm durch die Unterlassung der Übersetzung einzelner verfahrensrelevanter Dokumente nicht zur Verfügung standen. Ohne diesen Vortrag ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Oberlandesgericht in der fehlenden Übersetzung einzelner Dokumente keinen Umstand sah, der bei der zu treffenden Exequaturentscheidung den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zu erschüttern geeignet ist.
(c) Auch die Berufung des Beschwerdeführers auf eine Verletzung des Schuldgrundsatzes durch das zu vollstreckende Urteil genügt den Begründungsanforderungen nicht. Der Beschwerdeführer trägt insoweit vor, dass es sowohl an einer Feststellung der Kausalität als auch der Fahrlässigkeit des ihm vorgeworfenen Unterlassens fehlt.
(aa) Er setzt sich dabei aber bereits nicht mit der Frage auseinander, inwiefern das in Art. 1 Abs. 1 GG verankerte Schuldprinzip eine erneute Überprüfung der im - ausländischen - Erkenntnisverfahren getroffenen Tatsachenfeststellungen und rechtlichen Bewertungen durch das tatfernere Vollstreckungsgericht gebietet oder auch nur erlaubt. Soweit der Beschwerdeführer den in den italienischen Urteilen angelegten Fahrlässigkeitsmaßstab als solchen angreift, hätte es zudem einer Erörterung der Frage bedurft, ob und, wenn ja, welche Mindestanforderungen aus dem in Art. 1 Abs. 1 GG wurzelnden Schuldprinzip für eine Verurteilung wegen fahrlässiger Unterlassung folgen. Auch dazu verhält der Beschwerdeführer sich nicht.
(bb) Nicht nachvollziehbar ist der Vortrag, die italienischen Gerichte hätten auf die Feststellung der Kausalität des Unterlassens und der dem Beschwerdeführer zuzurechnenden konkret-individuellen Fahrlässigkeit verzichtet. Wie das Oberlandesgericht in seiner angefochtenen Entscheidung ausführlich dargelegt hat, setzen sich die italienischen Gerichte sowohl mit der Frage der Kausalität des Unterlassens des Beschwerdeführers als auch mit seiner Garantenstellung und dem Fahrlässigkeitsvorwurf intensiv auseinander.
(cc) Hinzu kommt, dass das Oberlandesgericht auf der Grundlage der in dem italienischen Strafverfahren getroffenen Feststellungen eine Sanktionierbarkeit der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Tat nach deutschem Recht unter dem Gesichtspunkt der fahrlässigen Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Brandstiftung (§§ 222, 306d Abs. 1 in Verbindung mit § 306a Abs. 1 Nr. 3, §§ 13, 52 StGB) als gegeben ansieht. Auch dies steht der Annahme einer Verletzung des aus der Menschenwürde sich ergebenden Schuldprinzips durch das italienische Straferkenntnis entgegen.
(dd) Soweit der Beschwerdeführer demgegenüber aus einzelnen tatsächlichen Feststellungen in den italienischen Urteilen folgert, dass eine individuelle - objektive oder subjektive - Fahrlässigkeit nicht vorgelegen habe, setzt er lediglich seine rechtliche Bewertung an die Stelle derjenigen der Gerichte. Der Beschwerdeführer stellt insoweit vor allem in Abrede, dass das Brandereignis für ihn vorhersehbar gewesen sei, da vorherige Brände sich hiervon deutlich unterschieden hätten und er über den Zustand des Werkes und die dort bestehenden Brandgefahren nicht informiert beziehungsweise bewusst getäuscht worden sei. Verfassungsrechtliche Relevanz hinsichtlich der Beachtung des Schuldgrundsatzes kommt dem nicht zu. Die Gerichte sind in Kenntnis der in den vom Beschwerdeführer zitierten Urteilspassagen dargelegten Umstände zu dem Ergebnis gelangt, dass dieser fahrlässig gehandelt hat. Dies mag der Beschwerdeführer anders beurteilen. Eine Infragestellung des aus der Menschenwürde abzuleitenden Schuldgrundsatzes kann dem jedoch nicht entnommen werden.
(d) Insgesamt fehlt es daher an der substantiierten Darlegung von Anhaltspunkten, die geeignet wären, den Geltungsanspruch des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens im vorliegenden Fall zu erschüttern. Es ist verfassungsrechtlich daher unbedenklich, dass in den angegriffenen Entscheidungen von der Vollstreckbarkeit des Urteils des Schwurgerichts zweiter Instanz Turin - 2. Senat - vom 29. Mai 2015 ausgegangen wurde.
bb) Auch eine eigenständige Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör durch den angegriffenen Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 23. Januar 2020 hat der Beschwerdeführer nicht hinreichend dargelegt. Er macht insoweit geltend, er habe auf die durch das Oberlandesgericht angenommene „erhöhte Darlegungslast“ bezüglich seines Einwands hingewiesen werden müssen, sein Recht auf ein faires Verfahren sei durch die fehlende Übersetzung relevanter Dokumente verletzt worden.
Die Rüge eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist aber nur dann hinreichend substantiiert, wenn der Beschwerdeführer darlegt, was er bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs ergänzend vorgetragen hätte (vgl. BVerfGE 28, 17 <20>; 72, 122 <132>; 91, 1 <25 f.>; 112, 185 <206>). Dies hat der Beschwerdeführer hier versäumt. Ungeachtet weiterer Bedenken genügt der Sachvortrag des Beschwerdeführers daher bereits aus diesem Grund den Substantiierungsanforderungen nicht.
4. Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 746
Bearbeiter: Holger Mann