HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1317
Bearbeiter: Holger Mann
Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 554/20, Beschluss v. 05.10.2020, HRRS 2020 Nr. 1317
Der Beschluss des Amtsgerichts Augsburg vom 22. Januar 2020 - 04 Cs 306 Js 132363/19 - und der Beschluss des Landgerichts Augsburg vom 25. Februar 2020 - 3 Qs 72/20 - verletzen den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes, Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes und aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes.
Der Beschluss des Amtsgerichts Augsburg vom 22. Januar 2020 - 04 Cs 306 Js 132363/19 - und der Beschluss des Landgerichts Augsburg vom 25. Februar 2020 - 3 Qs 72/20 - werden aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Augsburg zurückverwiesen.
Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten. Dadurch erledigt sich der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
1. Dem Beschwerdeführer wird zur Last gelegt, am 17. Juli 2019 in einer Bankfiliale in Augsburg durch mehrmaliges Einschlagen auf einen Bankautomaten diesen derart beschädigt zu haben, dass ein Schaden in Höhe von knapp 3.000 Euro entstand. Der Automat hatte zuvor die EC-Karte des Beschwerdeführers eingezogen.
2. Das Amtsgericht Augsburg - Betreuungsgericht - hatte bereits zuvor am 10. Juli 2019 einen Facharzt für Neurologie und Psychiatrie mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens zum Zustand des Beschwerdeführers beauftragt, nachdem dessen Mutter die Einrichtung einer Betreuung angeregt hatte. Diese hatte eine psychotische Störung mit zunehmender Verschlechterung der Situation und erkennbarer Verwahrlosung der Wohnung des Beschwerdeführers geschildert.
Nachdem der Sachverständige den Beschwerdeführer erst am 29. August 2019 in seiner Wohnung persönlich antreffen und explorieren konnte, erstattete er am 4. September 2019 sein schriftliches Gutachten, in dem er zu dem Ergebnis kam, bei dem Beschwerdeführer bestehe eine akute Exazerbation einer bereits im Vorfeld chronifiziert verlaufenden Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis. Die medizinischen Unterlagen zum Beschwerdeführer belegten eine psychotische Vorerkrankung über Jahre mit klinischem Vollbild mit Stimmenhören, wahnhaftem Erleben und desintegriertem Verhalten. Ein derart hochgradig psychotischer Zustand bestehe auch aktuell. Der Beschwerdeführer habe krankheitsbedingt keine Einsicht in die Natur seiner Situation und könne seinen Willen nicht krankheitsunabhängig frei bestimmen. Er sei insbesondere nicht imstande, seine Lebensgrundlagen zu sichern; eine rechtserhebliche Verständigung sei mit ihm nicht möglich. Aufgrund der bestehenden Eigen- und Fremdgefährdung empfahl der Sachverständige neben der Einrichtung einer Betreuung auch die Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus.
3. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft erließ das Amtsgericht Augsburg - Strafrichter - am 19. September 2019 wegen der Beschädigung des Bankautomaten einen Strafbefehl wegen Sachbeschädigung gegen den Beschwerdeführer und verhängte gegen ihn eine Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen zu je 15 Euro. Der Strafbefehl wurde dem Beschwerdeführer ausweislich der Postzustellungsurkunde am 21. September 2019 durch Einlegen in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt.
4. Am 11. Oktober 2019 ordnete das Betreuungsgericht die vorläufige Unterbringung des Beschwerdeführers im Bezirkskrankenhaus Augsburg an und beauftragte den Sachverständigen mit der Erstattung eines weiteren Gutachtens. Mit Beschluss vom 16. Oktober 2019 ordnete das Betreuungsgericht zudem eine rechtliche Betreuung für den Beschwerdeführer an. Der Aufgabenkreis des bestellten Betreuers umfasst neben der Aufenthaltsbestimmung und Gesundheitsfürsorge unter anderem die Vertretung gegenüber Behörden und in Vermögensangelegenheiten.
5. Nach einer Untersuchung des Beschwerdeführers am 25. Oktober 2019 ließ der Sachverständige in seinem Gutachten vom 4. November 2019 im Ergebnis offen, ob bei dem Beschwerdeführer eine drogeninduzierte oder eine endogene schizophrene Psychose vorliege. Der Beschwerdeführer sei jedenfalls nicht in der Lage, Einsicht in die Natur seiner Situation, seiner Erkrankung und auch seiner Selbstgefährdung zu erlangen; es bestünden die medizinischen Voraussetzungen für eine beschützende Unterbringung in einem Bezirkskrankenhaus nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB.
6. Nachdem der Strafbefehl dem Betreuer des Beschwerdeführers bekannt geworden war, wendete sich dieser am 28. Oktober 2019 an die Staatsanwaltschaft Augsburg und übersandte unter anderem das im Rahmen des Betreuungsverfahrens erstattete Gutachten vom 4. September 2019 sowie die Beschlüsse über die Betreuerbestellung und über die vorläufige Unterbringung des Beschwerdeführers.
7. Mit Schreiben vom 19. November 2019 beantragte der vom Betreuer des Beschwerdeführers zwischenzeitlich bevollmächtigte Verteidiger Akteneinsicht und legte Einspruch gegen den Strafbefehl vom 19. September 2019 ein. Zudem beantragte er vorsorglich die Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist und die Bestellung als Pflichtverteidiger. Er kündigte an, für den Fall der Bestellung sein Wahlmandat niederzulegen.
Der Beschwerdeführer leide unter einer psychotischen Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis. Nach den medizinischen Unterlagen im Betreuungsverfahren bestehe bei dem erst 1993 geborenen Beschwerdeführer bereits seit Jahren eine psychotische Vorerkrankung mit klinischem Vollbild der Schizophrenie. Nach nervenärztlicher Einschätzung sei er hochgradig psychotisch, seine Einsicht wahnhaft verzerrt und er befinde sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit, weshalb für ihn eine Betreuung eingerichtet worden sei und er sich in Unterbringung befinde. Es erscheine deshalb wahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer bei Begehung der Tat im Juli 2019 schuldunfähig gewesen sei. Der Strafbefehl sei wegen der Prozessunfähigkeit des Beschwerdeführers nicht wirksam zugestellt worden. Hilfsweise sei ihm Wiedereinsetzung zu gewähren, da er die Folgen des Strafbefehlsverfahrens nicht erfasst habe und der Beschwerdeführer daher ohne sein Verschulden gehindert gewesen sei, die Einspruchsfrist einzuhalten. Da der Beschwerdeführer hoch psychotisch und nicht in der Lage sei, sich selbst zu verteidigen, liege ein Fall notwendiger Verteidigung vor.
8. Mit Beschluss vom 22. Januar 2020 verwarf das Amtsgericht Augsburg den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und den Einspruch gegen den Strafbefehl als unzulässig.
Der Wiedereinsetzungsantrag erweise sich bereits als unzulässig, da er nicht binnen der Wochenfrist des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO eingelegt worden sei. Die Betreuung des Beschwerdeführers bestehe seit dem 16. Oktober 2019 und der Wiedereinsetzungsantrag sei erst am 19. November 2019 bei Gericht eingegangen.
Der Einspruch sei verspätet eingelegt worden. Ausweislich der Postzustellungsurkunde sei der Strafbefehl dem Beschwerdeführer am 21. September 2019 zugestellt worden. Diese Zustellung sei auch wirksam. Der Beschwerdeführer stehe erst seit dem 16. Oktober 2019 unter Betreuung, so dass die persönliche Zustellung wirksam sei. Der Einspruch sei wiederum erst am 19. November 2019, mithin verspätet eingegangen.
9. Der Verteidiger des Beschwerdeführers legte gegen den Beschluss des Amtsgerichts mit Schreiben vom 25. Januar 2020 sofortige Beschwerde ein und hielt an seinem Bestellungsantrag fest.
Der Beschluss des Amtsgerichts Augsburg erweise sich als eminent verfassungs- beziehungsweise menschenrechtswidrig. Der Beschwerdeführer sei für das Gericht erkennbar schwer psychisch krank und die Tat selbst, wie auch das Unvermögen, Einspruch einzulegen, seien eine unmittelbare Folge der bei ihm bestehenden Erkrankung. Ihm den Einspruch aus formalen Gründen zu versagen, verhindere eine effektive Verteidigung und verstoße gegen Art. 19 Abs. 4 GG. Jedenfalls stelle das Wiederaufnahmeverfahren keinen zureichenden Ersatz dar. Die Zustellung an einen Prozessunfähigen sei unwirksam. Selbst wenn der Betreuer falsch oder zu spät reagiert habe, könne dies keine tragfähige Begründung dafür sein, den Beschwerdeführer zu bestrafen. Die Betreuung sei erst kurz nach der Unterbringung des Beschwerdeführers übernommen worden und eine Kommunikation mit ihm nicht möglich gewesen. Der Strafbefehl sei in der verwahrlosten Wohnung des untergebrachten Beschwerdeführers nicht sogleich aufgefunden worden. Er sei dem Betreuer erst später von der Mutter des Beschwerdeführers übergeben worden, woraufhin dieser sich unverzüglich an die Staatsanwaltschaft gewandt habe. Das Gericht könne von dem Betreuer nicht erwarten, dass er die Modalitäten des Wiedereinsetzungsverfahrens kenne, zumal er sich aufgrund der zahlreichen anderen Aufgaben nicht direkt habe anwaltliche Hilfe suchen können. Der Betreuer sei nicht dazu berufen und auch nicht in der Lage, den Beschwerdeführer zu verteidigen. Es liege außerdem ein Fall notwendiger Verteidigung vor, da sich der hochgradig psychotische Beschwerdeführer nicht selbst verteidigen könne.
10. Mit Beschluss vom 25. Februar 2020 verwarf das Landgericht Augsburg die sofortige Beschwerde und lehnte den Antrag auf Bestellung des Verteidigers ab.
Die sofortige Beschwerde habe keinen Erfolg, da die angefochtene Entscheidung der Sach- und Rechtslage entspreche und ihre Begründung durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräftet werde. Sowohl der Wiedereinsetzungsantrag als auch der Einspruch gegen den Strafbefehl seien in rechtlich nicht zu beanstandender Weise durch das Amtsgericht Augsburg, dessen Begründung beigetreten werde, jeweils wegen Verspätung als unzulässig verworfen worden. Die Nichtbescheidung des Bestellungsantrages stehe der Ablehnung der beantragten Bestellung gleich, weshalb die Beschwerde zwar zulässig sei. Es liege aber kein Fall notwendiger Verteidigung im Sinne des § 140 Abs. 1 und Abs. 2 StPO vor. Aus den in der Akte befindlichen Unterlagen und dem Beschwerdevorbringen sei nicht ersichtlich, dass sich der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Tat und deren anschließender Aburteilung im Strafverfahren nicht hätte selbst verteidigen können.
11. Gegen die Beschwerdeentscheidung wandte sich der Bevollmächtige am 4. März 2020 mit der Anhörungsrüge, die er mit einem weiteren Schreiben als Gegenvorstellung ergänzte.
Der Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör sei verletzt, weil sich das Gericht nicht annähernd mit der mehrseitigen Beschwerdeschrift auseinandergesetzt habe. In der Akte befinde sich ein vollständiges psychiatrisches Gutachten zum Beschwerdeführer, wonach dieser nicht in der Lage sei, sich um irgendetwas zu kümmern, geschweige denn sich selbst zu verteidigen. Die Annahme, der Beschwerdeführer könne zielgerichtet irgendwelche Verteidigungshandlungen vornehmen, sei vollkommen abwegig. Hierauf sei mehrfach hingewiesen worden. Soweit darauf abgestellt werde, dass die zivilrechtlich angeordnete Betreuung keinen Anhaltspunkt dafür biete, dass sich der Beschwerdeführer nicht selbst verteidigen könne, sei dies unhaltbar. Der Beschwerdeführer sei geschlossen untergebracht, sodass eine Verteidigung generell unmöglich sei.
12. Am 17. März 2020 beschloss das Landgericht Augsburg, dass es mit dem Beschluss vom 25. Februar 2020 „sein Bewenden“ habe.
Eine Verletzung rechtlichen Gehörs sei in Bezug auf den Beschluss vom 25. Februar 2020 nicht ersichtlich. Die Kammer habe nach sorgfältiger Prüfung des Beschwerdevorbringens dieses für unbehelflich erachtet und dementsprechend den angegriffenen Beschluss gefasst. Die Kammer weise ergänzend darauf hin, dass der Strafbefehl des Amtsgerichts Augsburg dem Beschwerdeführer am 21. September 2019 wirksam zugestellt worden sei und somit die Einspruchsfrist des § 410 StPO in Gang gesetzt habe, welche am 8. Oktober 2019 abgelaufen sei. Nur sofern die Versäumung einer Frist unverschuldet erfolge, sei nach § 44 StPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Nach der Rechtsprechung begründeten krankhafte Störungen der Geistestätigkeit eine unverschuldete Säumnis regelmäßig nur, wenn sie mit Verhandlungsunfähigkeit einhergingen. Verhandlungsfähigkeit setze nicht Geschäftsfähigkeit voraus und liege auch dann vor, wenn die Verteidigungsfähigkeit eingeschränkt sei, gleichwohl aber durch Hilfen ausgeglichen werden könne. Die Tatsache, dass der Beschwerdeführer unter rechtliche Betreuung gestellt worden sei, führe daher alles in allem nicht zur Annahme der Verhandlungsunfähigkeit des Beschwerdeführers.
Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der Bevollmächtigte des Beschwerdeführers gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts Augsburg vom 22. Januar 2020 und des Landgerichts Augsburg vom 25. Februar 2020 und rügt eine Verletzung der Grundrechte des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 und aus Art. 103 Abs. 1 GG.
Zur Begründung wiederholt und ergänzt er das Vorbringen aus dem fachgerichtlichen Verfahren. Der Beschwerdeführer sei ausweislich der Sachverständigengutachten hochgradig krank. Er sei infolgedessen nicht in der Lage gewesen, sich selbst zu verteidigen. Die Entscheidung über die notwendige Verteidigung könne nicht gleichzeitig mit der Verwerfung des Wiedereinsetzungsantrages getroffen werden. Soweit das Amtsgericht Augsburg hinsichtlich der Unzulässigkeit des Wiedereinsetzungsantrages auf den Zeitpunkt der Betreuerbestellung am 16. Oktober 2019 abgestellt habe, werde dies der Subjektstellung des Beschwerdeführers im Strafverfahren nicht gerecht. Der Betreuer sei kein Verteidiger des Beschwerdeführers und eine etwaig verschuldete Versäumnis des Betreuers könne nicht zu dessen Lasten gehen. Durch die Erkrankung des Beschwerdeführers hätten gute Gründe für die Wiedereinsetzung vorgelegen, die den Gerichten gegenüber auch unter Vorlage der Gutachten angegeben worden seien. Die Gerichte hätten sich aber mit der Erkrankung des Beschwerdeführers und dem Inhalt der im Betreuungsverfahren eingeholten Gutachten nicht auseinandergesetzt.
Auf Antrag des Bevollmächtigten hat die Kammer am 7. Mai 2020 eine einstweilige Anordnung nach § 32 BVerfGG erlassen und die Vollstreckung der Geldstrafe aus dem Strafbefehl vom 19. September 2019 bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Monaten, ausgesetzt.
1. Zu der Verfassungsbeschwerde hat der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof Stellung genommen. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hat von der Gelegenheit zur Stellungnahme keinen Gebrauch gemacht.
Der Generalbundesanwalt ist der Ansicht, die Verwerfung des Einspruchs des Beschwerdeführers gegen den Strafbefehl verletze diesen in seinem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz und in seinem Recht auf ein faires Verfahren. Die Fachgerichte hätten sich neben der Behandlung des Wiedereinsetzungsantrages auch mit der logisch vorrangigen und von Amts wegen zu prüfenden Frage, ob die Zustellung des Strafbefehls an den Beschwerdeführer wirksam gewesen sei, befasst. Im Hinblick auf die Zustellung hätten sie allerdings allein darauf abgestellt, dass der Beschwerdeführer in diesem Zeitpunkt noch nicht unter Betreuung gestanden habe. Die Frage der Verhandlungsfähigkeit des Empfängers, die persönliche Voraussetzung für die Wirksamkeit der Zustellung sei, sei von den Fachgerichten nicht thematisiert worden. Das Landgericht Augsburg habe den Begriff der Verhandlungsfähigkeit lediglich im Hinblick auf eine für die Wiedereinsetzung nach § 44 StPO erforderliche unverschuldete Fristversäumung erörtert. Die diesbezüglichen Ausführungen ließen allerdings jede konkrete Auseinandersetzung mit der durch die Sachverständigengutachten belegten individuellen Situation des Beschwerdeführers vermissen. Aufgrund des in den Gutachten dokumentierten Gesundheitszustands erscheine es fernliegend, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Zustellung des Strafbefehls im Stande gewesen sei, die Bedeutung des Vorgangs seinem Wesen nach zu erfassen und eine sachgerechte Verteidigung in die Wege zu leiten. In diesem Fall sei die Zustellung unwirksam gewesen, so dass die Einspruchsfrist nicht in Gang gesetzt worden sei. Soweit die Fachgerichte den Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung abgelehnt hätten, scheide eine eigenständige Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG aus, weil die Ablehnung notwendige Konsequenz der rechtlichen Bewertung durch die Fachgerichte gewesen sei.
2. Der Bevollmächtigte des Beschwerdeführers hat sich der Stellungnahme des Generalbundesanwalts weitgehend angeschlossen.
3. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben der Kammer vorgelegen.
Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen, da dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt erscheint (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine der Verfassungsbeschwerde stattgebende Entscheidung der Kammer sind gegeben, da die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt sind und die zulässige Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet ist. Soweit das Amtsgericht und das Landgericht Augsburg den Einspruch des Beschwerdeführers verworfen haben, verletzen die Entscheidungen den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten aus Art. 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Soweit die Fachgerichte den Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers abgelehnt haben, ist der Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein faires Verfahren verletzt (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG).
1. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, da die Fachgerichte den Einspruch des Beschwerdeführers gegen den Strafbefehl ohne hinreichende Prüfung und Begründung als verspätet und damit als unzulässig bewertet haben. Auf den Einspruch hin haben die Gerichte nicht geprüft, ob die Zustellung des Strafbefehls vom 19. September 2019 infolge einer Verhandlungsunfähigkeit des Beschwerdeführers unwirksam gewesen ist. Hierfür lagen zahlreiche sich aufdrängende Anhaltspunkte vor, mit denen sich die Fachgerichte nicht auseinandergesetzt haben. Dem Beschwerdeführer ist insoweit der durch Art. 19 Abs. 4 GG garantierte effektive Rechtsschutz ebenso versagt worden wie sein verfassungsrechtlich verbürgter Anspruch auf rechtliches Gehör und sein Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.
a) aa) Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet dem Einzelnen ein Recht auf effektiven Rechtsschutz im Sinne eines Anspruchs auf lückenlose tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 35, 263 <274>; 40, 272 <274 f.>; 53, 115 <127, 128>; 81, 123 <129>; 96, 27 <39, 40>). Der Zugang zum Gericht darf nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 40, 272 <275>; stRspr). Dieser vom Bundesverfassungsgericht vor allem im Bereich der Wiedereinsetzung bei Versäumung einer gesetzlichen Frist konkretisierte Maßstab gilt in gleicher Weise für die Auslegung und Anwendung prozessrechtlicher Fristvorschriften (vgl. BVerfGE 41, 323 <326, 327>). Denn gesetzliche Fristen gewährleisten Rechtssicherheit nicht nur im Interesse der Allgemeinheit an zügigem Fortgang und Abschluss eines gerichtlichen Verfahrens; sie dienen zugleich auch dem Interesse des Einzelnen, sein weiteres prozessuales Vorgehen zur Durchsetzung seiner Rechte zu planen, und räumen ihm damit eine zeitlich exakt begrenzte Überlegensfrist ein. Fristvorschriften sind daher gleichsam Grundvoraussetzung und zeitliche Grenze zur Verwirklichung effektiven Rechtsschutzes im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG und zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Sinne des Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. März 2001 - 2 BvR 2211/97 -, juris, Rn. 12).
Dies gilt in besonderem Maße auch für die Einspruchsfrist im summarischen Strafbefehlsverfahren nach §§ 407 ff. StPO, die dem Einzelnen den - ersten - Zugang zum Gericht eröffnet. Im Strafbefehlsverfahren sind diese einander ergänzenden verfassungsrechtlichen Garantien durch den Rechtsbehelf des Einspruchs mit anschließender Hauptverhandlung verbürgt (vgl. BVerfGE 3, 248 <253>; 25, 158 <165>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. März 2001 - 2 BvR 2211/97 -, juris, Rn. 13; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Februar 1995 - 2 BvR 1950/94 -, juris, Rn. 17 f.). Das Gebot effektiven Rechtsschutzes erfordert es, die Vorschriften über die Berechnung der Frist zur Einlegung des Einspruchs in einer für den Rechtsuchenden eindeutigen und voraussehbaren Weise auszulegen und anzuwenden, sodass der Zugang zum Gericht nicht unzumutbar erschwert wird. Bei der Prüfung der Frage, ob ein Einspruch rechtzeitig innerhalb der Frist des § 410 Abs. 1 StPO erhoben worden ist, hat das Gericht besondere Sorgfalt anzuwenden (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. März 2001 - 2 BvR 2211/97 -, juris, Rn. 13).
bb) Das als wesentlicher Grundsatz eines rechtsstaatlichen Verfahrens für jedermann geltende Recht auf ein faires Verfahren gewährleistet dem Beschuldigten einen Mindestbestand an aktiven verfahrensrechtlichen Befugnissen (vgl. BVerfGE 57, 250 <275>); ihm muss die Möglichkeit eingeräumt sein, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen (vgl. BVerfGE 26, 66 <71>; 46, 202 <210>). Dies verbietet es, den von einer persönlichen Beeinträchtigung betroffenen Beschuldigten zu einem Objekt des Verfahrens herabzuwürdigen; er muss in die Lage versetzt werden, die ihn betreffenden wesentlichen Verfahrensvorgänge verstehen und sich im Verfahren verständlich machen zu können. Welche verfahrensrechtlichen Befugnisse und Hilfestellungen dem von einer persönlichen Beeinträchtigung betroffenen Beschuldigten im Einzelnen einzuräumen und wie diese auszugestalten sind, ist der Konkretisierung durch den Gesetzgeber und sodann, in den vom Gesetz gezogenen Grenzen, den Gerichten bei der ihnen obliegenden Rechtsauslegung und -anwendung aufgegeben. Eine Verletzung des aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Rechts auf ein faires Verfahren liegt erst vor, wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht auch in seiner Auslegung und Anwendung durch die Gerichte ergibt, dass rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben worden ist (vgl. BVerfGE 64, 135 <145 f.>).
b) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen tragen die angegriffenen Entscheidungen des Amtsgerichts und des Landgerichts Augsburg bei der Verwerfung des Einspruchs nicht hinreichend Rechnung. Die Gerichte haben sich nicht mit einer der Wirksamkeit der Zustellung entgegenstehenden Verhandlungsunfähigkeit des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der Zustellung befasst. Dies ist angesichts der Anhaltspunkte für die erheblichen krankheitsbedingten Einschränkungen des Beschwerdeführers nicht mehr verständlich.
Bei einem Einspruch gegen den Strafbefehl ist vom Gericht zunächst von Amts wegen zu prüfen, ob die Einspruchsfrist des § 410 Abs. 1 Satz 1 StPO gewahrt ist (vgl. Maur, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 8. Aufl. 2019, § 411 Rn. 1). Dabei ist es von Verfassung wegen erforderlich, dass das Gericht sich die erforderliche Überzeugung vom Beginn der Einspruchsfrist verschafft (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. März 2001 - 2 BvR 2211/97 -, juris, Rn. 14).
aa) Nach dem Wortlaut des § 410 Abs. 1 StPO beginnt die Frist zur Einlegung des Einspruchs gegen den Strafbefehl mit seiner Zustellung. Voraussetzung für die Wirksamkeit der Zustellung im Strafverfahren ist die Verhandlungsfähigkeit des Empfängers (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14. Juli 1992 - 4 Ws 230/92 -, MDR 1993, S. 70; KG Berlin, Beschluss vom 20. November 2001 - 1 AR 1353/01 - 5 Ws 702/01 u.a. -, juris; OLG Brandenburg, Beschluss vom 23. Dezember 2008 - 1 Ws 242/08 -, juris; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. 2020, § 37 Rn. 3; Maul, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 8. Aufl. 2019, § 37 Rn. 9). Die Zustellung eines Strafbefehls an eine nicht verhandlungsfähige Person ist hingegen unwirksam und setzt die Einspruchsfrist des § 410 StPO schon nicht in Gang (vgl. LG Zweibrücken, Beschluss vom 29. April 2011 - Qs 31 - 32/11 -, juris).
bb) Nach der vom Bundesverfassungsgericht gebilligten allgemeinen Auffassung bedeutet Verhandlungsfähigkeit im strafprozessualen Sinn, dass der Betroffene in der Lage sein muss, seine Interessen in und außerhalb der Verhandlung vernünftig wahrzunehmen und die Verteidigung in verständiger und verständlicher Weise zu führen sowie Prozesserklärungen abzugeben oder entgegenzunehmen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Februar 1995 - 2 BvR 345/95 -, juris, Rn. 29; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 7. März 1995 - 2 BvR 1509/94 -, juris, Rn. 27; BGH, Urteil vom 4. Juli 2018 - 5 StR 46/18 -, juris, Rn. 9; Beschluss vom 8. Februar 1995 - 5 StR 434/94 -, juris, Rn. 11). Dies bedeutet umgekehrt aber nicht, dass der Betroffene auch tatsächlich fähig sein muss, die ihm gesetzlich eingeräumten Verfahrensrechte in jeder Hinsicht selbständig und ohne fremden Beistand wahrzunehmen. Verhandlungsunfähigkeit ist deshalb nur bei solchen Einschränkungen der geistigen, psychischen oder körperlichen Fähigkeiten anzunehmen, deren Auswirkungen auf die tatsächliche Wahrnehmung der Verfahrensrechte durch verfahrensrechtliche Hilfen für den Beschuldigten nicht hinreichend ausgeglichen werden können. Die Grenze zur Verhandlungsunfähigkeit ist erst dann überschritten, wenn dem Beschuldigten auch bei Inanspruchnahme solcher verfahrensrechtlicher Hilfen eine selbstverantwortliche Entscheidung über grundlegende Fragen seiner Verteidigung und eine sachgerechte Wahrnehmung der von ihm persönlich auszuübenden Verfahrensrechte nicht mehr möglich ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Februar 1995 - 2 BvR 345/95 -, juris, Rn. 30; BGH, Urteil vom 4. Juli 2018 - 5 StR 46/18 -, juris, Rn. 9; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. 2020, Einl. Rn. 97). Beurteilungsmaßstab ist dabei jeweils der konkret anstehende Verfahrensabschnitt mit seinen spezifischen Anforderungen an die physische und psychische Leistungsfähigkeit des Betroffenen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Juni 2004 - 2 BvR 785/04 -, Rn. 31).
cc) Die Auslegung und Subsumtion des Begriffes der Verhandlungsunfähigkeit ist dabei in erster Linie Sache der Fachgerichte. Es ist zuvörderst Aufgabe der in der praktischen Handhabung der Strafprozessordnung erfahrenen Strafgerichte, im Rahmen der oben dargestellten verfassungsrechtlichen Grundsätze näher zu bestimmen, welche geistigen, psychischen oder körperlichen Fähigkeiten zur sachgerechten Wahrnehmung der dem Beschuldigten eingeräumten Verteidigungsrechte in dem jeweils in Betracht kommenden Verfahrensabschnitt unabdingbar sind. Entsprechende Feststellungen und Würdigungen der Gerichte können vom Bundesverfassungsgericht nur darauf überprüft werden, ob sie auf willkürlichen Erwägungen beruhen und ob die Gerichte die Anforderungen beachtet haben, die sich aus der Bedeutung und Tragweite der Grundrechte ergeben (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Februar 1995 - 2 BvR 345/95 -, juris, Rn. 34 ff.).
dd) Hieran gemessen kann den angegriffenen Entscheidungen nicht entnommen werden, dass sich die Fachgerichte eine ausreichende Überzeugung von der Wirksamkeit der Zustellung verschafft haben. Die Zustellung des Strafbefehls an den Beschwerdeführer erfolgte am 21. September 2019 durch Einlegen in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten, weshalb zwar keine Zweifel am Zugang des Schriftstücks als solchem bestanden. Allerdings hätten sich für die Fachgerichte hier infolge des Vortrags des Betreuers und des Verteidigers des Beschwerdeführers sowie aufgrund der Sachverständigengutachten Bedenken an der Wirksamkeit der Zustellung aufdrängen und zu einer Auseinandersetzung hiermit führen müssen.
(1) Das Amtsgericht hat im angegriffenen Beschluss zur Frage der Zustellung lediglich darauf hingewiesen, der Beschwerdeführer habe erst ab dem 16. Oktober 2019 unter Betreuung gestanden. Es hat damit erkennbar ausschließlich darauf abgestellt, dass die Zustellung an den Beschwerdeführer persönlich gerichtet werden konnte, da die Betreuung erst zu einem späteren Zeitpunkt eingerichtet wurde. Mit dem Vorbringen des Verteidigers im Schriftsatz vom 19. November 2019, der Beschwerdeführer sei infolge seiner Erkrankung „nicht prozessfähig“, hat sich das Amtsgericht indes nicht befasst. Der Umstand, dass die Betreuung zwar angeregt, aber durch das Betreuungsgericht noch nicht umgesetzt worden war, war jedenfalls ungeeignet, eine Verhandlungsfähigkeit des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der Zustellung zu belegen.
Eine Prüfung, ob der Beschwerdeführer am 21. September 2019 in der Lage war, eine selbstverantwortliche Entscheidung über grundlegende Fragen seiner Verteidigung zu treffen und die von ihm persönlich auszuübenden Verfahrensrechte sachgerecht wahrzunehmen, hat das Amtsgericht Augsburg in seinem Beschluss vom 22. Januar 2020 nicht vorgenommen. Die Schilderung des Verteidigers im Einspruchsschriftsatz und im Sachverständigengutachten vom 4. September 2019, wonach der Beschwerdeführer bei der Exploration für ein Betreuungsverfahren Ende August 2019 in hochgradig psychotischem Zustand infolge einer unbehandelten Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis angetroffen worden sei und sich in einem die Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung befunden habe, hätte das Amtsgericht veranlassen müssen, die Verhandlungsfähigkeit im Zeitpunkt der nur drei Wochen später erfolgten Zustellung zu überprüfen. Hierfür bestand umso mehr Anlass, als der Zustand des Beschwerdeführers Mitte Oktober 2019 nicht nur zur Einrichtung einer Betreuung, sondern auch zu seiner geschlossenen Unterbringung führte. Auch das Sachverständigengutachten stellt plastisch dar, in welchem Zustand sich der Beschwerdeführer in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Zustellungstermin befand. Er war hiernach nicht in der Lage, seine Lebensgrundlagen zu sichern oder auch nur Tätigkeiten wie die Entgegennahme und das Öffnen der Post selbst zu erledigen. Dass der unbehandelte und krankheitsuneinsichtige Beschwerdeführer im September 2019 in der Lage gewesen sein soll, die Bedeutung der Zustellung und des Strafbefehlsverfahrens zu erfassen, Konsequenzen hieraus zu ziehen und - gegebenenfalls unter Rückgriff auf Hilfspersonen - zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen, erscheint hiernach unwahrscheinlich. Die geistigen und psychischen Einschränkungen des Beschwerdeführers waren in diesem Zeitpunkt auch nicht durch die Inanspruchnahme verfahrensrechtlicher Hilfen ausgeglichen. Der Beschwerdeführer lebte Ende September 2019 unbetreut in seiner Wohnung. Anwaltlich beraten war er nicht. Daher lagen im vorliegenden Verfahren wesentliche Anhaltspunkte dafür vor, dass dem Beschwerdeführer die zur Verteidigung erforderlichen Fähigkeiten fehlten, er verhandlungsunfähig und die Zustellung des Strafbefehls damit unwirksam war, sodass die Einspruchsfrist nicht in Gang gesetzt werden konnte.
Für eine Verwerfung des Einspruchs als unzulässig, weil verspätet, war hiernach kein Raum. Die vom Amtsgericht getroffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer insofern in seinen grundrechtsgleichen Rechten aus Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 sowie Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Der angegriffene Beschluss beruht auf diesen Verfassungsverstößen.
(2) Das Landgericht Augsburg hat die Verfassungsverstöße des Amtsgerichts durch seine Beschwerdeentscheidung fortgesetzt. Es hat die Bedeutung der Verhandlungsfähigkeit für die Wirksamkeit der Zustellung verkannt. Das Landgericht hat sich zur Begründung seiner Entscheidung die Ausführungen des Amtsgerichts Augsburg zur Verwerfung des Strafbefehls in seinem Beschluss vom 25. Februar 2020 - ohne weitere Erwägungen - zu eigen gemacht. Auch im Beschluss über die Anhörungsrüge und Gegenvorstellung wird die Wirksamkeit der Zustellung vom Gericht nicht aufgegriffen. Soweit sich das Gericht mit dem Begriff der Verhandlungsfähigkeit befasst, geschieht dies ausschließlich mit Blick auf die für den Wiedereinsetzungsantrag erforderliche unverschuldete Fristversäumung. Eine konkrete Erörterung der individuellen Situation des Beschwerdeführers, die durch das zur Strafakte gelangte psychiatrische Betreuungsgutachten vom 4. September 2019 belegt und im fachgerichtlichen Verfahren vom Verteidiger vorgetragen wurde, hat auch das Landgericht nicht vorgenommen. Die pauschale Einschätzung des Gerichts, wonach der Beschwerdeführer nicht verhandlungsunfähig gewesen sei, erweist sich deshalb als nicht tragfähig und wird den Grundrechten des Beschwerdeführers nicht gerecht.
2. Die Verfassungsbeschwerde erweist sich auch im Hinblick auf die Ablehnung der Bestellung eines Pflichtverteidigers als begründet. Die Entscheidungen der Fachgerichte, mit denen eine Bestellung des Bevollmächtigten zum Pflichtverteidiger abgelehnt wurde, verletzen den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes). Die Gerichte waren hier von Verfassung wegen verpflichtet, dem Beschwerdeführer für das fachgerichtliche Verfahren einen Pflichtverteidiger zu bestellen.
Die Vorschriften der Strafprozessordnung über die notwendige Mitwirkung und die Bestellung eines Verteidigers (§§ 140 ff. StPO) stellen sich als Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips in seiner Ausgestaltung als Gebot fairer Verfahrensführung dar. Die Verfassung selbst will sicherstellen, dass der Beschuldigte auf den Gang und das Ergebnis des gegen ihn geführten Strafverfahrens Einfluss nehmen kann. Ihm ist von Verfassung wegen jedenfalls dann ein Pflichtverteidiger beizuordnen, wenn es nach der konkreten Fallgestaltung, insbesondere bei Besonderheiten und Schwierigkeiten im persönlichen Bereich, als evident erscheint, dass er sich angesichts seiner Erkrankung nicht selbst verteidigen kann (vgl. hierzu BVerfGE 63, 380 <391>; 70, 297 <323>). Dass diese Voraussetzungen im Fall des Beschwerdeführers vorlagen, bedarf nach dem Vorstehenden keiner näheren Erläuterung. Der Beschwerdeführer war infolge seiner Erkrankung im fachgerichtlichen Verfahren ersichtlich nicht in der Lage, die Besonderheiten des Sachverhalts und des Verfahrensgangs zu erfassen und durch geeignetes Vorbringen zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen.
1. Danach war festzustellen, dass der Beschluss des Amtsgerichts Augsburg vom 22. Januar 2020 und der Beschluss des Landgerichts Augsburg vom 25. Februar 2020 den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Art. 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzen, soweit dadurch sein Einspruch gegen den Strafbefehl vom 19. September 2019 als unzulässig verworfen wurde, und in seinem Recht auf ein faires Verfahren, soweit die Bestellung eines Pflichtverteidigers abgelehnt wurde (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG). Die Beschlüsse sind aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung über den Einspruch des Beschwerdeführers an das Amtsgericht Augsburg zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2 i. V. m. § 95 Abs. 2 BVerfGG).
2. Die Auslagenentscheidung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Mit der Anordnung der Erstattung von Auslagen erledigt sich der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (vgl. BVerfGE 105, 239 <252> m.w.N.).
HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1317
Bearbeiter: Holger Mann