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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 154

Bearbeiter: Holger Mann

Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 1285/20, Beschluss v. 14.01.2021, HRRS 2021 Nr. 154


BVerfG 2 BvR 1285/20 (1. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 14. Januar 2021 (Schleswig-Holsteinisches OLG)

Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen die Auslieferung an Rumänien zum Zwecke der Strafvollstreckung aufgrund eines Europäischen Haftbefehls (Unionsgrundrechte als vorrangiger Prüfungsmaßstab bei unionsrechtlich vollständig determinierten Rechtsfragen; europarechtlicher Grundrechtsschutz durch das Bundesverfassungsgericht; Menschenwürdegarantie und Haftbedingungen; Erfordernis einer Gesamtwürdigung; Bedeutung der Haftraumgröße; Vermutung eines Verstoßes bei unter 3 m2 Bodenfläche pro Gefangenem in einem Gemeinschaftshaftraum; keine Berücksichtigung der Fläche des Sanitärbereichs; grundsätzliches Vertrauen gegenüber Mitgliedsstaaten der Europäischen Union im Hinblick auf Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechtsschutz; Erschütterung des Vertrauens im Einzelfall; keine Überstellung bei „außergewöhnlichen Umständen“; Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung; gerichtliche Aufklärungspflicht; zweistufiges Prüfprogramm; Überprüfung aller zu erwartenden Haftbedingungen bei hinreichender Wahrscheinlichkeit einer künftigen Unterbringung in dem jeweiligen Haftregime).

Art. 1 Abs. 1 GG; Art. 4 GRCh; Art. 52 Abs. 3 GRCh; Art. 3 EMRK; Art. 15 Abs. 2 RbEuHb

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine Entscheidung, mit der eine Auslieferung nach Rumänien zum Zwecke der Strafvollstreckung aufgrund eines europäischen Haftbefehls für zulässig erklärt wird, berücksichtigt Bedeutung und Tragweite von Art. 4 GRCh und die damit verbundenen Aufklärungspflichten nicht in ausreichendem Maße, wenn das Oberlandesgericht bei der Überprüfung der zu erwartenden Haftbedingungen hinsichtlich mehrerer Vollzugsregime (Quarantäne und geschlossener Vollzug) ohne umfassende Gesamtwürdigung lediglich die mitgeteilte Mindesthaftraumgröße in den Blick nimmt und dabei zudem außer Acht lässt, dass die Fläche des Sanitärbereichs insoweit nicht mit einzuschließen ist. Dasselbe gilt, wenn das Gericht bei der Prüfung der Bedingungen des halboffenen Vollzuges verkennt, dass die dort zu erwartende dauerhafte Unterbringung in einem Gemeinschaftshaftraum mit einem persönlichen Raum von nur 2 m² mit Art. 4 GRCh unvereinbar ist und dieser Verstoß auch durch längere Aufschlusszeiten nicht kompensiert werden kann.

2. Im vollständig unionsrechtlich determinierten Verfahren der Überstellung im Anwendungsbereich des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl kommen die Grundrechte des Grundgesetzes nicht als unmittelbarer Prüfungsmaßstab zur Anwendung. Der Verfolgte kann sich jedoch stattdessen auch vor dem Bundesverfassungsgericht auf die Unionsgrundrechte, insbesondere auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, berufen (Folgeentscheidung zum Beschluss des Zweiten Senats vom 1. Dezember 2020 - 2 BvR 1845/18 u. a. - [= HRRS 2021 Nr. 90]).

3. Bei einem Überstellungsersuchen auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls ist dem ersuchenden Mitgliedstaat im Hinblick auf die Einhaltung des Unionsrechts einschließlich der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und des Menschenrechtsschutzes grundsätzlich Vertrauen entgegenzubringen. Allerdings können „außergewöhnliche Umstände“ einer Überstellung entgegenstehen, wenn die Gefahr besteht, dass die Übergabe zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung der betreffenden Person im Sinne von Art. 4 GRCh führt.

4. Aus Art. 4 GRCh folgt für ein mit einem Überstellungsersuchen befasstes Gericht die Pflicht, in zwei Prüfungsschritten - zunächst mit Blick auf systemische Mängel der Haftbedingungen im Ausstellungsmitgliedstaat, sodann hinsichtlich der für die Situation des Verfolgten maßgeblichen materiellen Haftbedingungen - von Amts wegen aufzuklären, ob die konkrete Gefahr besteht, dass der zu Überstellende nach einer Übergabe einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein wird.

5. Bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung der Haftbedingungen ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bei Gemeinschaftszellen hinsichtlich des einem Inhaftierten zur Verfügung stehenden Raums zu unterscheiden, ob dieser unter 3m², zwischen 3m² und 4m² oder über 4m² liegt. Bei der Berechnung der verfügbaren Fläche in einer Gemeinschaftszelle ist die Fläche der Sanitärvorrichtungen nicht einzuschließen, wohl aber die durch Möbel eingenommene Fläche, wobei es den Gefangenen möglich bleiben muss, sich in der Zelle normal zu bewegen.

6. Liegt der einem Inhaftierten zur Verfügung stehende Raum in einer Gemeinschaftszelle unter 3 m2, so besteht eine starke Vermutung für einen Verstoß gegen Art. 4 GRCh beziehungsweise Art. 3 EMRK, die regelmäßig nur widerlegt werden kann, wenn es sich kumulativ erstens um eine kurze, gelegentliche und unerhebliche Reduzierung des persönlichen Raums gegenüber dem geforderten Minimum von 3 m2 handelt, diese Reduzierung zweitens mit genügend Bewegungsfreiheit und ausreichenden Aktivitäten außerhalb der Zelle einhergeht sowie drittens die Haftanstalt allgemein angemessene Haftbedingungen bietet und die betroffene Person keinen anderen Bedingungen ausgesetzt ist, die als die Haftbedingungen erschwerende Umstände anzusehen sind.

7. Mit dem zweistufigen Prüfprogramm sind Aufklärungspflichten des mit einem Überstellungsersuchen befassten Gerichts verbunden. Dieses muss den Ausstellungsmitgliedstaat um die unverzügliche Übermittlung aller notwendigen Informationen in Bezug auf die konkret zu erwartenden Haftbedingungen bitten. Der Ausstellungsmitgliedstaat ist verpflichtet, diese Informationen innerhalb der ihm vom ersuchten Mitgliedstaat gesetzten Fristen zu übermitteln. Die Aufklärungspflicht beschränkt sich auf die Prüfung derjenigen Haftanstalten, in denen der Verfolgte nach den vorliegenden Informationen wahrscheinlich, sei es auch nur vorübergehend oder zu Übergangszwecken, konkret inhaftiert werden soll.

Entscheidungstenor

Der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 16. Juni 2020 - 1 Ausl (A) 3/16 (36/17) - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, soweit die Auslieferung für zulässig erklärt wurde.

Die Sache wird an das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Das Land Schleswig-Holstein hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren und für das Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 20.000 (in Worten: zwanzigtausend) Euro und für das einstweilige Anordnungsverfahren auf 5.000 (in Worten: fünftausend) Euro festgesetzt.

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Auslieferung eines rumänischen Staatsangehörigen zur Strafvollstreckung nach Rumänien.

I.

1. Gegen den Beschwerdeführer besteht ein Europäischer Haftbefehl vom 6. November 2014 zur Strafvollstreckung eines rechtskräftigen Strafurteils des Landgerichts Bukarest vom 21. Mai 2014. Danach ist der Beschwerdeführer wegen bandenmäßiger Schleusung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt worden.

2. Nachdem der Beschwerdeführer am 25. Januar 2016 in der Bundesrepublik Deutschland vorläufig festgenommen worden war, ordnete das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht mit Beschluss vom 28. Januar 2016 die förmliche Auslieferungshaft an.

3. Auf Nachfrage der Generalstaatsanwaltschaft Schleswig-Holstein teilten die rumänischen Behörden unter dem 9. Mai 2016 mit, dass derzeit nicht angegeben werden könne, in welcher Haftanstalt der Beschwerdeführer nach seiner Überstellung untergebracht werde. Es könne aber zugesichert werden, dass der Haftraum über eine individuelle Fläche von „2 oder 3 m²“ einschließlich Bett und Möbel verfüge. Die medizinische Betreuung und Gesundheitspflege sei gewährleistet. Im geschlossenen Vollzug dürften Gefangene, die nicht arbeiteten, mindestens drei Stunden täglich im Außenbereich spazieren. Gefangene, die arbeiteten oder an Maßnahmen teilnähmen, dürften mindestens eine Stunde täglich spazieren.

4. Mit Beschluss vom 2. Juni 2016 erklärte das Oberlandesgericht die Auslieferung für unzulässig und hob den Auslieferungshaftbefehl auf. Es bestehe die konkrete Gefahr, dass der Beschwerdeführer in Rumänien unmenschlichen Haftbedingungen ausgesetzt sei, die Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sowie die Grundrechte und allgemeine Rechtsgrundsätze, wie sie in Art. 6 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) niedergelegt seien, verletzten. Diese Bedenken hätten durch die rumänischen Behörden nicht ausgeräumt werden können. Das rumänische Justizministerium habe eine ausführliche, aber nur allgemeine Schilderung des Strafvollzugs in Rumänien abgegeben und mitgeteilt, dass eine konkrete Justizvollzugsanstalt nicht benannt werden könne.

5. Nach einem erneuten Auslieferungsersuchen der rumänischen Behörden erließ das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht mit Beschluss vom 18. September 2017 abermals einen Auslieferungshaftbefehl und setzte diesen unter Auflagen außer Vollzug. Mit Beschluss vom 1. August 2018 änderte das Gericht diesen Auslieferungshaftbefehl und einen Verschonungsbeschluss vom 23. April 2018 dahingehend ab, dass sich der Beschwerdeführer alle 14 Tage bei der Polizeibehörde melden müsse. Vor dem Senat seien mehrere parallele Verfahren anhängig, die jeweils Auslieferungen nach Rumänien beträfen. Zwischenzeitlich habe das Oberlandesgericht Hamburg in Reaktion auf den Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Dezember 2017 (BVerfGE 147, 364) ein Verfahren über eine Auslieferung nach Rumänien dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) vorgelegt. In diesem Verfahren seien dieselben Fragen entscheidungserheblich. Insbesondere gehe es um die Haftbedingungen in Rumänien, im Kern um die Frage nach den zur Verfügung stehenden Haftraumgrößen und die Frage, ob eine eventuelle Unterschreitung der Mindestgröße durch andere positive Umstände kompensiert werden könne. Die Entscheidung des Gerichtshofs sei deshalb abzuwarten.

6. Mit Schriftsatz vom 9. Mai 2018 bat der Bevollmächtigte des Beschwerdeführers um Mitteilung, ob es bereits eine Anfrage bei den rumänischen Behörden hinsichtlich der den Beschwerdeführer erwartenden Haftbedingungen gebe. Die Haftbedingungen in Rumänien genügten „bekanntermaßen“ europäischen Mindeststandards nicht.

7. Mit am 17. Januar 2020 übersandtem Schreiben führten die rumänischen Behörden auf Anfrage der Generalstaatsanwaltschaft Schleswig-Holstein vom 10. Dezember 2019 unter anderem aus, dass der Beschwerdeführer nach seiner Überstellung zunächst in der Haftanstalt Rahova für 21 Tage in Quarantänehaft genommen werde. Dort würde ihm eine individuelle Haftraumfläche von mindestens 3 m² gewährleistet. Sodann würde er unter Berücksichtigung der Höhe der Freiheitsstrafe „für den Anfang“ im geschlossenen Vollzug in der Haftanstalt Giurgiu untergebracht werden. In dieser Haftanstalt gäbe es Hafträume für zwei oder für sechs Personen. Die Gesamtfläche des Zwei-Personen-Raumes betrage im Durchschnitt 9,33 m², die des Sechs-Personen-Raums 20,35 m². Die Toilette habe eine Fläche von 2,70 m² und sei unter anderem mit einem WC, einem Waschbecken und einer Dusche ausgestattet. Die Hafträume seien möbliert, so dass die Gefangenen dort schlafen, ihre Gegenstände aufbewahren, essen sowie „an verschiedenen erzieherischen Aktivitäten teilnehmen“ könnten. Trinkwasser stehe ständig und Warmwasser „nach einem ausgehängten Programm“ zur Verfügung. Die Gefangenen dürften zweimal pro Woche duschen. Die Beleuchtung der Hafträume erfolge künstlich über Lampen sowie natürlich über Fenster. Gefangene, die nicht arbeiteten, dürften täglich für mindestens vier Stunden spazieren, sportliche oder religiöse Tätigkeiten vornehmen oder an psychologischen und sozialen Angeboten teilnehmen. Mindestens eine Stunde Spaziergang täglich stehe den Gefangenen zu, die einer Arbeit nachgingen oder an Ausbildungs- oder sozialen Programmen teilnähmen.

Das Vollstreckungsregime basiere auf einem „progressiven und regressiven System“, wonach die Art der Vollstreckung der Freiheitsstrafe wechseln könne. Dies werde von einer Fachkommission unter Berücksichtigung der Dauer der Freiheitsstrafe, des „Gefährdungsgrads“, der Vorstrafen, des Alters und Gesundheitszustandes, des Verhaltens der Person in Haft sowie Bedürfnissen und Fähigkeiten beziehungsweise der Bereitschaft, zu arbeiten und an Maßnahmen teilzunehmen, entschieden. Nach dem Vollzug eines Fünftels der Freiheitsstrafe werde der Gefangene neu bewertet und über eine Änderung des Vollzugsregimes entschieden. Danach könne der Beschwerdeführer in den halboffenen Vollzug in der Haftanstalt Jilava wechseln. Dort sei eine individuelle Haftraumgröße von 2 m² pro Person gewährleistet. Die Hafträume seien mit Hochbetten, Regalen, einem Esstisch und einer TV-Kommode möbliert. Außerhalb der Hafträume stünden Gemeinschaftsbäder zur Verfügung. Die Beleuchtung der Hafträume erfolge natürlich über Fenster sowie künstlich durch Glühbirnen. Tagsüber hätten die Gefangenen Zugang zu Höfen, einem Sportplatz und „Clubs“, einem Sportraum, einer Kirche und Schulklassen. Zu den Essenszeiten, „für verschiedene administrative Tätigkeiten und Hygiene“ und ab dem Abendappell müssten die Gefangenen in ihrem Haftraum sein. Sie hätten tagsüber die Möglichkeit, unbegleitet in bestimmten Bereichen der Haftanstalt auf im Vorfeld festgelegten Routen zu gehen und könnten ihre Freizeit selbst gestalten. Täglich dürften bis zu zehn Telefongespräche mit einer Gesamtdauer von 60 Minuten geführt werden. Pro Monat dürften fünf Besuche mit einer maximalen Dauer von zwei Stunden empfangen werden. Im offenen Vollzug seien 3 m² individuelle Haftraumfläche gewährleistet.

8. Mit Schreiben vom 28. Februar 2020 beantragte die Generalstaatsanwaltschaft, die Auslieferung für zulässig zu erklären. Gründe, die einer Auslieferung entgegenstehen könnten, seien nicht gegeben. Nach den ergänzenden Informationen der rumänischen Behörden im Schreiben vom 17. Januar 2020 bestehe weder in der Quarantänehaft, in der 3 m² individuelle Fläche gewährleistet sei, noch im geschlossenen Vollzug, in dem bei zwei Personen eine Fläche von 9,33 m² und bei sechs Personen eine Fläche von 20,35 m² zugesagt sei, eine Besorgnis menschenrechtswidriger Haftbedingungen. Für den Fall, dass der Beschwerdeführer nach Verbüßung eines Fünftels seiner Freiheitsstrafe im halboffenen Vollzug untergebracht werden sollte, sei zwar keine individuelle Mindestfläche von 3 m² pro Person zugesichert worden. Dies werde durch die „sonstigen Bedingungen“ jedoch „kompensiert“. Eine Unterschreitung von 3 m² persönlichem Raum begründe nicht per se einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK. Erforderlich sei vielmehr eine Einzelfallbetrachtung.

9. Mit angegriffenem Beschluss vom 16. Juni 2020 erklärte das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht die Auslieferung für zulässig. Durch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 15. Oktober 2019, Dorobantu, C-128/18, seien die einzuhaltenden Haftbedingungen, insbesondere betreffend die Mindestanforderungen an den persönlichen Raum pro Gefangenem in einer Gemeinschaftszelle, hinreichend bestimmt worden. Bestünden - wie im vorliegenden Fall in Rumänien - systemische Mängel im Strafvollzug, müsse sich die vollstreckende Justizbehörde Gewissheit über alle relevanten materiellen Aspekte der Haftbedingungen in der Haftanstalt verschaffen, um sicherzugehen, dass der Betroffene nach seiner Übergabe nicht einer echten Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt werde. Erteilten die rumänischen Behörden ergänzende Auskünfte, dürfe sich die vollstreckende Justizbehörde auf diese Zusicherungen grundsätzlich verlassen, es sei denn, es gebe konkrete Anhaltspunkte dafür, dass diese nicht den Tatsachen entsprächen. Die rumänischen Behörden hätten im Schreiben vom 17. Januar 2020 die Haftbedingungen in den in Betracht kommenden Haftanstalten geschildert. Nach dem Inhalt dieser Auskunft würden die Grenzen des einzuhaltenden Rahmens gewahrt. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe klargestellt, dass Inhalt und Regelungsgehalt von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) dem durch Art. 3 EMRK garantierten Recht entspreche. Deshalb habe eine Gesamtwürdigung der maßgeblichen materiellen Haftbedingungen zu erfolgen. Diese Überprüfung müsse sich aber nicht auf die allgemeinen Haftbedingungen in sämtlichen rumänischen Haftanstalten erstrecken. Ferner habe der Gerichtshof festgestellt, dass hinsichtlich der Bedeutung des dem Gefangenen zur Verfügung stehenden persönlichen Raums im Unionsrecht gegenwärtig keine Mindestvorschriften existierten. Deshalb sei die Gesamtsituation nach den vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit Blick auf Art. 3 EMRK entwickelten Kriterien zu beurteilen.

Gemessen hieran stellten sich die von den rumänischen Behörden geschilderten Haftbedingungen noch nicht als menschenrechtswidrig dar. In den genannten Haftanstalten stünden den Gefangenen ausreichende persönliche Freiräume zur Verfügung. Selbst wenn der Raum in der Haftanstalt Jilava „möglicherweise beengter“ sei, seien die dortigen Haftbedingungen in ihrer Gesamtheit nicht menschenunwürdig. Zum einen sei der nur eventuelle Aufenthalt des Beschwerdeführers dort zeitlich befristet. Zum anderen hielten sich die Gefangenen tagsüber außerhalb der Hafträume auf und könnten sich im Gebäude und auf Freiflächen frei bewegen. Für täglich acht Stunden könnten sie werktags arbeiten, seien medizinisch und sozial betreut und könnten telefonische Kontakte pflegen sowie Besuch empfangen. Bei der Frage der Menschenwürdigkeit der Haftbedingungen dürfe nicht übersehen werden, welchen „Stellenwert die Möglichkeit zur Aufrechterhaltung sozialer Beziehungen“ habe. Den Belastungen und Gefährdungen, die der Vollzug einer Freiheitsstrafe für die sozialen Beziehungen naturgemäß bedeute, müsse die Ausgestaltung des Vollzugs im Hinblick auf das verfassungsrechtlich geschützte Resozialisierungsinteresse des Gefangenen nach Kräften entgegenzuwirken suchen. Der Beschwerdeführer lebe erst seit Ende 2015 in Deutschland und habe hier weder Familie noch eine berufliche Bindung. Er könne sich in deutscher Sprache nicht hinreichend verständigen. Seine rumänische Ehefrau halte sich überwiegend in Rumänien auf. Die für eine Resozialisierung erforderlichen Kontakte würden durch einen Strafvollzug in Rumänien erleichtert und gefördert. Dies sei in die vom Gerichtshof geforderte Gesamtwürdigung der Haftbedingungen einzustellen. Es bestünden auch keine Bewilligungshindernisse.

10. Mit Schriftsatz vom 20. Juli 2020 erhob der Beschwerdeführer Anhörungsrüge und Gegenvorstellung. Das Oberlandesgericht habe fälschlicherweise angenommen, dass die zu erwartenden Bedingungen im halboffenen Vollzug nur von kurzer Dauer seien, obwohl eine Verbüßungszeit von mehr als zwei Jahren in diesem Vollzugsregime möglich sei. Die erhebliche Unterschreitung des dem Beschwerdeführer zur Verfügung stehenden Mindesthaftraums habe so großes Gewicht, dass dieser Mangel nicht kompensierbar sei. Zudem habe das Gericht den Sachverhalt unzureichend aufgeklärt. Es sei nicht klar, ob die Hafträume im geschlossenen Vollzug auch die Sanitäreinrichtungen umfassten und ob diese räumlich von der Zelle getrennt seien. Auch die Beleuchtungssituation sei in Bezug auf die Größe der Fenster und den Lichteinfall nicht konkret von den rumänischen Behörden geschildert worden.

11. Mit nicht angegriffenem Beschluss vom 28. Juli 2020 verwarf das Oberlandesgericht die als Antrag auf erneute Entscheidung über die Zulässigkeit gemäß § 33 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) ausgelegte Gegenvorstellung sowie die Anhörungsrüge als unbegründet. Der Beschwerdeführer habe keine neuen Umstände mitgeteilt und vor Erlass des Beschlusses vom 16. Juni 2020 Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt, die er auch wahrgenommen habe.

II.

Mit seiner fristgemäß am 20. Juli 2020 eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 3 EMRK durch die Zulässigerklärung der Auslieferung im Beschluss des Oberlandesgerichts vom 16. Juni 2020.

1. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union werde bei einem persönlichen Raum in einer Gemeinschaftszelle von unter 3 m² ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK angenommen, wenn nicht kumulativ besondere Umstände hinzuträten. Es sei aber weder eine „kurze Zeit“ noch eine bloße „unerhebliche“ Unterschreitung gegeben. Der Beschwerdeführer könne für mehrere Jahre im halboffenen Vollzug untergebracht sein. Eine dauerhafte Haftraumgröße von unter 4,5 m² verletze Art. 1 Abs. 1 GG. Das Oberlandesgericht sei nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verpflichtet gewesen, das Verfahren dem Gerichtshof der Europäischen Union vorzulegen. Bislang habe sich der Gerichtshof noch nicht zu den Mindeststandards bei einer Unterbringung in einer Einzelzelle oder einer Haftzelle für zwei Personen geäußert. Es sei auch noch nicht entschieden worden, ob ein Zeitraum von 21 Tagen noch eine „kurze Unterschreitung“ darstellen könne. Zudem sei nicht berücksichtigt worden, dass bei einer Quarantäne die Bewegungsfreiheit durch einen fast durchgehenden Einschluss erheblich beschränkt sei. Das Oberlandesgericht habe nicht aufgeklärt, ob bei den von den rumänischen Behörden genannten Flächen die Sanitärbereiche eingerechnet worden seien. 2. Mit Beschluss vom 24. Juli 2020 hat die 1. Kammer des Zweiten Senats die Übergabe des Beschwerdeführers an die rumänischen Behörden auf Grundlage einer Folgenabwägung bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Monaten, einstweilen untersagt.

3. Das Ministerium für Justiz, Europa und Verbraucherschutz Schleswig-Holstein hat von einer Stellungnahme abgesehen.

4. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

III.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an. Dies ist zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 4 GRCh angezeigt (vgl. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. Demnach ist die zulässige Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet (vgl. § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

1. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 4 GRCh.

a) Die Grundrechte des Grundgesetzes kommen vorliegend nicht als unmittelbarer Prüfungsmaßstab zur Anwendung (vgl. Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Dezember 2020 - 2 BvR 1845/18 und 2 BvR 2100/18 -, Rn. 34 f.). Der Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens betrifft das Verfahren der Überstellung im Anwendungsbereich des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl (im Folgenden: RbEuHb) und damit eine unionsrechtlich vollständig determinierte Materie (vgl. BVerfGE 140, 317 <343 Rn. 52>; 147, 364 <382 Rn. 46>; Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Dezember 2020 - 2 BvR 1845/18 und 2 BvR 2100/18 -, Rn. 35).

Der Beschwerdeführer kann sich auf die Rechte der Charta der Grundrechte der Europäischen Union berufen, die vom Bundesverfassungsgericht bei der Überprüfung der Entscheidungen der Fachgerichte als Kontrollmaßstab für die richtige Anwendung des einschlägigen Unionsrechts herangezogen werden (vgl. Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Dezember 2020 - 2 BvR 1845/18 und 2 BvR 2100/18 -, Rn. 36 f.). Er hat, weil die Verfassungsbeschwerde vor dem Erlass des Beschlusses des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Dezember 2020 - 2 BvR 1845/18 und 2 BvR 2100/18 -, erhoben worden ist, eine Verletzung von einzelnen Rechten der Charta zwar nicht ausdrücklich gerügt. Dies hindert das Bundesverfassungsgericht jedoch nicht, im Rahmen einer zulässigen Verfassungsbeschwerde seine Prüfung auch auf diese zu erstrecken (vgl. Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Dezember 2020 - 2 BvR 1845/18 und 2 BvR 2100/18 -, Rn. 40).

b) Aus Art. 4 GRCh folgt für ein mit einem Überstellungsersuchen befasstes Gericht die Pflicht, in zwei Prüfungsschritten von Amts wegen aufzuklären, ob die konkrete Gefahr besteht, dass die zu überstellende Person nach einer Übergabe einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein wird (vgl. Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Dezember 2020 - 2 BvR 1845/18 und 2 BvR 2100/18 -, Rn. 42 ff.).

aa) Im europäischen Rechtshilfeverkehr gelten die Grundsätze des gegenseitigen Vertrauens und der gegenseitigen Anerkennung, wobei letzterer auf dem gegenseitigen Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten beruht. Bei einem Überstellungsersuchen ist jedem ersuchenden Mitgliedstaat deshalb im Hinblick auf die Einhaltung des Unionsrechts (vgl. EuGH, Urteil vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality <Mängel des Justizsystems>, C-216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 36; Urteil vom 25. Juli 2018, Generalstaatsanwaltschaft <Haftbedingungen in Ungarn> C-220/18 PPU, EU:C:2018:589, Rn. 49; und Urteil vom 15. Oktober 2019, Dorobantu, C-128/18, EU:C:2019:857, Rn. 46) einschließlich der Einhaltung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und des Menschenrechtsschutzes (vgl. BVerfGE 109, 13 <35 f.>; 109, 38 <61>; 140, 317 <349 Rn. 68>) grundsätzlich Vertrauen entgegenzubringen. Das mit einem Überstellungsersuchen befasste Gericht ist somit grundsätzlich verpflichtet, die Beachtung der Rechte der Charta durch den ersuchenden Mitgliedstaat zu unterstellen (vgl. EuGH, Urteil vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality <Mängel des Justizsystems>, C-216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 37; Urteil vom 25. Juli 2018, Generalstaatsanwaltschaft <Haftbedingungen in Ungarn>, C-220/18 PPU, EU:C:2018:589, Rn. 50; und Urteil vom 15. Oktober 2019, Dorobantu, C-128/18, EU:C:2019:857, Rn. 47).

bb) Allerdings sind nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union unter „außergewöhnlichen Umständen“ Beschränkungen der Grundsätze der gegenseitigen Anerkennung und des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten möglich. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn die Gefahr besteht, dass die Übergabe zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung der betreffenden Person im Sinne von Art. 4 GRCh führt (vgl. EuGH, Urteil vom 5. April 2016, Aranyosi und Caldararu, C-404/15 und C-659/15 PPU, EU:C:2016:198, Rn. 84 und 104; Urteil vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality <Mängel des Justizsystems>, C-216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 44; Urteil vom 25. Juli 2018, Generalstaatsanwaltschaft <Haftbedingungen in Ungarn>, C-220/18 PPU, EU:C:2018:589, Rn. 57; und Urteil vom 15. Oktober 2019, Dorobantu, C-128/18, EU:C:2019:857, Rn. 50).

cc) Die Frage, ob „außergewöhnliche Umstände“ vorliegen, die eine Überstellung der betreffenden Person an den Ausstellungsmitgliedstaat verhindern, ist anhand einer Prüfung in zwei Schritten zu beantworten. Im ersten, die allgemeine Haftsituation betreffenden Schritt ist das mit einem Überstellungsersuchen befasste Gericht verpflichtet, sich auf objektive, zuverlässige, genaue und gebührend aktualisierte Angaben über die Haftbedingungen in den Haftanstalten des Ausstellungsmitgliedstaats zu stützen, um zu prüfen, ob konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine echte Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung von Häftlingen in diesem Mitgliedstaat besteht. Konkrete Anhaltspunkte für systemische oder allgemeine Mängel der Haftbedingungen im Ausstellungsmitgliedstaat können sich unter anderem aus Entscheidungen internationaler Gerichte, von Gerichten des Ausstellungsmitgliedstaats oder anderer Mitgliedstaaten sowie aus Entscheidungen, Berichten und anderen Schriftstücken von Organen des Europarats oder aus dem System der Vereinten Nationen ergeben (vgl. EuGH, Urteil vom 5. April 2016, Aranyosi und Caldararu, C-404/15 und C-659/15 PPU, EU:C:2016:198, Rn. 89; Urteil vom 25. Juli 2018, Generalstaatsanwaltschaft <Haftbedingungen in Ungarn>, C-220/18 PPU, EU:C:2018:589, Rn. 60; und Urteil vom 15. Oktober 2019, Dorobantu, C-128/18, EU:C:2019:857, Rn. 52).

dd) In einem zweiten, auf die Situation des Betroffenen bezogenen Prüfungsschritt ist das Gericht verpflichtet, genau zu prüfen, ob es unter den konkreten Umständen ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme gibt, dass die gesuchte Person im Anschluss an ihre Übergabe an den Ausstellungsmitgliedstaat aufgrund der Bedingungen, unter denen sie inhaftiert sein wird, dort einer echten Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh ausgesetzt sein wird (vgl. EuGH, Urteil vom 5. April 2016, Aranyosi und Caldararu, C-404/15 und C-659/15 PPU, EU:C:2016:198, Rn. 92 und 94; Urteil vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality <Mängel des Justizsystems>, C-216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 44; Urteil vom 25. Juli 2018, Generalstaatsanwaltschaft <Haftbedingungen in Ungarn>, C-220/18 PPU, EU:C:2018:589, Rn. 61; und Urteil vom 15. Oktober 2019, Dorobantu, C-128/18, EU:C:2019:857, Rn. 55). Dies erfordert eine aktuelle und eingehende Prüfung der Situation, wie sie sich zum Entscheidungszeitpunkt darstellt (vgl. EuGH, Urteil vom 15. Oktober 2019, Dorobantu, C-128/18, EU:C:2019:857, Rn. 57 unter Bezugnahme auf EGMR, Romeo Castaño v. Belgium, Urteil vom 9. Juli 2019, Nr. 8351/17, § 86). Da das Verbot einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung absoluten Charakter hat, darf die vom Gericht vorzunehmende Prüfung der Haftbedingungen nicht auf offensichtliche Unzulänglichkeiten beschränkt werden, sondern muss auf einer Gesamtwürdigung der maßgeblichen materiellen Haftbedingungen beruhen (vgl. EuGH, Urteil vom 15. Oktober 2019, Dorobantu, C-128/18, EU:C:2019:857, Rn. 61 f.).

ee) Im Urteil vom 15. Oktober 2019 (Dorobantu) hat der Gerichtshof der Europäischen Union ausdrücklich klargestellt, dass das in Art. 4 GRCh enthaltene Recht im Wesentlichen dem durch Art. 3 EMRK garantierten Recht entspricht und gemäß Art. 52 Abs. 3 Satz 1 GRCh die gleiche Bedeutung und Tragweite hat, wie sie ihm in der Europäischen Menschenrechtskonvention verliehen wird (vgl. EuGH, Urteil vom 15. Oktober 2019, Dorobantu, C-128/18, EU:C:2019:857, Rn. 58; vgl. auch EuGH, Urteil vom 5. April 2016, Aranyosi und Caldararu, C-404/15 und C-659/15 PPU, EU:C:2016:198, Rn. 90; und Urteil vom 25. Juli 2018, Generalstaatsanwaltschaft <Haftbedingungen in Ungarn>, C-220/18 PPU, EU:C:2018:589, Rn. 90 f.). Eine Misshandlung muss, um unter Art. 3 EMRK zu fallen, ein Mindestmaß an Schwere erreichen, wofür sämtliche Umstände des Falles, wie die Dauer der Behandlung, deren physische und psychische Auswirkungen sowie, in manchen Fällen, Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers bedeutsam sind (vgl. EuGH, Urteil vom 25. Juli 2018, Generalstaatsanwaltschaft <Haftbedingungen in Ungarn>, C-220/18 PPU, EU:C:2018:589, Rn. 91; und Urteil vom 15. Oktober 2019, Dorobantu, C-128/18, EU:C:2019:857, Rn. 59, jeweils unter Bezugnahme auf EGMR <GK>, Muršic v. Croatia, Urteil vom 20. Oktober 2016, Nr. 7334/13, § 97 und § 122).

ff) Bei der von dem mitgliedstaatlichen Gericht vorzunehmenden Gesamtwürdigung der Haftbedingungen ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bei Gemeinschaftszellen hinsichtlich des einem Inhaftierten zur Verfügung stehenden Raums zu unterscheiden, ob dieser unter 3 m² (1), zwischen 3 m² und 4 m² (2) oder über 4 m² (3) liegt. Bei der Berechnung der verfügbaren Fläche in einer Gemeinschaftszelle ist die Fläche der Sanitärvorrichtungen nicht einzuschließen, wohl aber die durch Möbel eingenommene Fläche, wobei es den Gefangenen möglich bleiben muss, sich in der Zelle normal zu bewegen (vgl. EuGH, Urteil vom 15. Oktober 2019, Dorobantu, C-128/18, EU:C:2019:857, Rn. 77; EGMR <GK>, Muršic v. Croatia, Urteil vom 20. Oktober 2016, Nr. 7334/13, § 75 und § 114).

(1) In Anbetracht der Bedeutung des Raumfaktors bei der Gesamtbeurteilung der Haftbedingungen begründet nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte der Umstand, dass der einem Inhaftierten zur Verfügung stehende Raum in einer Gemeinschaftszelle unter 3 m² liegt, eine starke Vermutung für einen Verstoß gegen Art. 4 GRCh beziehungsweise Art. 3 EMRK. Diese starke Vermutung kann normalerweise nur widerlegt werden, wenn es sich kumulativ erstens um eine kurze, gelegentliche und unerhebliche Reduzierung des persönlichen Raums gegenüber dem geforderten Minimum von 3 m² handelt, diese Reduzierung zweitens mit genügend Bewegungsfreiheit und ausreichenden Aktivitäten außerhalb der Zelle einhergeht sowie drittens die Haftanstalt allgemein angemessene Haftbedingungen bietet und die betroffene Person keinen anderen Bedingungen ausgesetzt ist, die als die Haftbedingungen erschwerende Umstände anzusehen sind (vgl. EuGH, Urteil vom 25. Juli 2018, Generalstaatsanwaltschaft <Haftbedingungen in Ungarn>, C-220/18 PPU, EU:C:2018:589, Rn. 92 f.; und Urteil vom 15. Oktober 2019, Dorobantu, C-128/18, EU:C:2019:857, Rn. 72 f.; EGMR <GK>, Muršic v. Croatia, Urteil vom 20. Oktober 2016, Nr. 7334/13, §§ 124 f. und § 138).

(2) Verfügt ein Gefangener in einer Gemeinschaftszelle über einen persönlichen Raum, der zwischen 3 m² und 4 m² beträgt, kann ein Verstoß gegen Art. 4 GRCh beziehungsweise Art. 3 EMRK vorliegen, wenn zu dem Raummangel weitere defizitäre Haftbedingungen hinzutreten, wie etwa fehlender Zugang zum Freistundenhof beziehungsweise zu Frischluft und Tageslicht, schlechte Belüftung, eine zu niedrige oder zu hohe Raumtemperatur, fehlende Intimsphäre in den Toiletten oder schlechte Sanitär- und Hygienebedingungen (vgl. EuGH, Urteil vom 15. Oktober 2019, Dorobantu, C-128/18, EU:C:2019:857, Rn. 75 unter Bezugnahme auf EGMR <GK>, Muršic v. Croatia, Urteil vom 20. Oktober 2016, Nr. 7334/13, § 139). (3) Bei mehr als 4 m² persönlichem Raum in einer Gemeinschaftszelle bleiben die weiteren Aspekte der Haftbedingungen für die erforderliche Gesamtbeurteilung relevant (vgl. EuGH, Urteil vom 15. Oktober 2019, Dorobantu, C-128/18, EU:C:2019:857, Rn. 76 mit Verweis auf EGMR <GK>, Muršic v. Croatia, Urteil vom 20. Oktober 2016, Nr. 7334/13, § 140).

gg) Mit dem zweistufigen Prüfprogramm sind Aufklärungspflichten des mit einem Überstellungsersuchen befassten Gerichts verbunden (vgl. Beschluss des Zweiten Senats vom 1. Dezember 2020 - 2 BvR 1845/18 und 2 BvR 2100/18 -, Rn. 52 f.). Aus Art. 4 GRCh folgt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union die Pflicht, im Einzelfall zu prüfen und durch zusätzliche Informationen aufzuklären, ob das Grundrecht des zu Überstellenden aus Art. 4 GRCh gewahrt ist.

(1) Zunächst muss sich das Gericht auf objektive, zuverlässige, genaue und gebührend aktualisierte Angaben über die Haftbedingungen in den Haftanstalten des Ausstellungsmitgliedstaats stützen, die das Vorliegen systemischer oder allgemeiner, bestimmte Personengruppen oder bestimmte Haftanstalten betreffende Mängel belegen können (vgl. EuGH, Urteile vom 25. Juli 2018, Generalstaatsanwaltschaft <Haftbedingungen in Ungarn>, C-220/18 PPU, EU:C:2018:589, Rn. 60; und vom 15. Oktober 2019, Dorobantu, C-128/18, EU:C:2019:857, Rn. 52). Für die gründlich vorzunehmende Prüfung, ob es unter den konkreten Umständen ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme gibt, dass die zu überstellende Person im Anschluss an ihre Übergabe aufgrund der Haftbedingungen einer echten Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh ausgesetzt sein wird, muss das Gericht innerhalb der nach Art. 17 RbEuHb zu beachtenden Fristen den Ausstellungsmitgliedstaat um die unverzügliche Übermittlung aller notwendigen zusätzlichen Informationen in Bezug auf die Bedingungen bitten, unter denen die betreffende Person in diesem Mitgliedstaat inhaftiert werden soll (vgl. EuGH, Urteile vom 25. Juli 2018, Generalstaatsanwaltschaft <Haftbedingungen in Ungarn>, C-220/18 PPU, EU:C:2018:589, Rn. 63; und vom 15. Oktober 2019, Dorobantu, C-128/18, EU:C:2019:857, Rn. 57 unter Bezugnahme auf EGMR, Romeo Castaño v. Belgium, Urteil vom 9. Juli 2019, Nr. 8351/17, § 86 sowie Rn. 63 und 67). Der Ausstellungsmitgliedstaat ist verpflichtet, die ersuchten Informationen innerhalb der ihm vom ersuchten Mitgliedstaat gesetzten Frist zu übermitteln (vgl. EuGH, Urteile vom 5. April 2016, Aranyosi und Caldararu, C-404/15 und C-659/15 PPU, EU:C:2016:198, Rn. 97 und 104; und vom 25. Juli 2018, Generalstaatsanwaltschaft <Haftbedingungen in Ungarn>, C-220/18 PPU, EU:C:2018:589, Rn. 64).

(2) Diese zusätzlichen Informationen sind Voraussetzung dafür, dass die Prüfung einer bestehenden Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung einer Person auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage beruht (vgl. EGMR, Romeo Castaño v. Belgium, Urteil vom 9. Juli 2019, Nr. 8351/17, §§ 83 ff., §§ 89 ff.). Das mit einem Übermittlungsersuchen befasste Gericht muss deshalb die Entscheidung über die Zulässigkeit der Übergabe so lange aufschieben, bis es die zusätzlichen Informationen erhalten hat, die es ihm gestatten, das Vorliegen einer solchen Gefahr auszuschließen (vgl. EuGH, Urteil vom 5. April 2016, Aranyosi und Caldararu, C-404/15 und C-659/15 PPU, EU:C:2016:198, Rn. 104). Kann das Vorliegen einer solchen Gefahr nicht innerhalb einer angemessenen Frist ausgeschlossen werden, muss das Gericht darüber entscheiden, ob das Übergabeverfahren zu beenden ist (vgl. EuGH, Urteil vom 5. April 2016, Aranyosi und Caldararu, C-404/15 und C-659/15 PPU, EU:C:2016:198, Rn. 104).

hh) Art. 15 Abs. 2 RbEuHb verpflichtet das mit einem Überstellungsersuchen befasste Gericht zur Einholung zusätzlicher, für die Übergabeentscheidung notwendiger Informationen. Als Ausnahmebestimmung kann diese Regelung nicht dazu herangezogen werden, die Behörden des Ausstellungsmitgliedstaats systematisch um allgemeine Auskünfte zu den Haftbedingungen in den Haftanstalten zu ersuchen. Die gerichtliche Aufklärungspflicht bezieht sich nicht auf die allgemeinen Haftbedingungen in sämtlichen Haftanstalten. Unter Berücksichtigung des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens und der für den europäischen Rechtshilfeverkehr vorgesehenen Fristen beschränkt sich diese vielmehr auf die Prüfung derjenigen Haftanstalten, in denen die gesuchte Person nach den vorliegenden Informationen wahrscheinlich, sei es auch nur vorübergehend oder zu Übergangszwecken, konkret inhaftiert werden soll (vgl. EuGH, Urteile vom 25. Juli 2018, Generalstaatsanwaltschaft <Haftbedingungen in Ungarn>, C-220/18 PPU, EU:C:2018:589, Rn. 84 bis 87 und Rn. 117; und vom 15. Oktober 2019, Dorobantu, C-128/18, EU:C:2019:857, Rn. 64 bis 66).

c) Nach diesen Maßstäben hält die angegriffene Entscheidung einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht stand. Das Oberlandesgericht ist seiner Verpflichtung nach Art. 4 GRCh, auf der zweiten Prüfungsstufe im Einzelfall zu prüfen und durch zusätzliche Informationen aufzuklären, ob der Beschwerdeführer nach seiner Überstellung in den genannten Haftanstalten einer Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt sein wird, nicht hinreichend nachgekommen.

aa) Das Oberlandesgericht hat es versäumt, für die Quarantänezeit in der Haftanstalt Rahova sowie für die Zeit im geschlossenen Vollzugsregime in der Haftanstalt Giurgiu weitere notwendige Informationen von den rumänischen Behörden anzufordern, damit die erforderliche Gesamtwürdigung der Haftbedingungen auch für diese Zeiträume auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage erfolgen kann. Das bloße Abstellen auf die von den rumänischen Behörden für diese beiden Haftanstalten mitgeteilten Mindesthaftraumgrößen pro Person ist für die erforderliche Gesamtwürdigung der Haftbedingungen nicht ausreichend (vgl. Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Dezember 2020 - 2 BvR 1845/18 und 2 BvR 2100/18 -, Rn. 72).

Hinsichtlich der Haftraumgröße hat das Oberlandesgericht ferner nicht berücksichtigt, dass bei der Berechnung der verfügbaren Fläche in einer Gemeinschaftszelle die Fläche des Sanitärbereichs nicht einzuschließen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 15. Oktober 2019, Dorobantu, C-128/18, EU:C:2019:857, Rn. 77; EGMR <GK>, Muršic v. Croatia, Urteil vom 20. Oktober 2016, Nr. 7334/13, § 75 und § 114). Für das geschlossene Vollzugssystem in der Haftanstalt Giurgiu lässt sich der Mitteilung der rumänischen Behörden nicht entnehmen, ob die 2,7 m² des Sanitärbereichs in die für Gemeinschaftszellen mit sechs Gefangenen angegebene Mindesthaftraumgröße von 20,35 m² einberechnet wurden. Wäre dies der Fall, läge der dem Beschwerdeführer im Falle einer Unterbringung in einer solchen Gemeinschaftszelle zur Verfügung stehende Raum unter 3 m².

Soweit das Oberlandesgericht darauf verweist, dass durch einen Strafvollzug in Rumänien die Aufrechterhaltung und Pflege der familiären und sozialen Beziehungen des Beschwerdeführers erleichtert und gefördert würden, hat das Gericht nicht berücksichtigt, dass die rumänischen Behörden lediglich für das halboffene Vollzugsregime, nicht aber für den geschlossenen Vollzug in der Haftanstalt Giurgiu mitgeteilt haben, dass die Möglichkeit für Besuche und Telefonate bestehe, und damit hinsichtlich dieses Aspekts insoweit keine ausreichende Tatsachengrundlage vorliegt.

bb) Soweit das Oberlandesgericht darauf abstellt, dass der Haftraum in der Haftanstalt Jilava im halboffenen Vollzugsregime „möglicherweise beengter“ sei, hat es verkannt, dass eine dauerhafte Unterbringung in einer Gemeinschaftszelle mit einem persönlichen Raum von nur 2 m² mit Art. 4 GRCh unvereinbar ist, da es sich nicht um eine kurze, gelegentliche und unerhebliche Reduzierung des persönlichen Raums gegenüber dem geforderten Minimum von 3 m² handelt (vgl. Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Dezember 2020 - 2 BvR 1845/18 und 2 BvR 2100/18 -, Rn. 73 ff.). Da es sich um kumulative Kriterien handelt, könnten auch längere Aufschlusszeiten, die für die Haftanstalt Jilava überdies nicht konkret benannt wurden, bei einer dauerhaften Unterbringung in einem Haftraum mit nur 2 m² persönlichem Raum die Vermutung einer Grundrechtsverletzung für sich genommen nicht widerlegen (vgl. Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Dezember 2020 - 2 BvR 1845/18 und 2 BvR 2100/18 -, Rn. 78).

2. Da die Verfassungsbeschwerde bereits wegen der Verletzung von Art. 4 GRCh Erfolg hat, bedarf es keiner Entscheidung, ob die angegriffene Entscheidung auch andere Unionsgrundrechte des Beschwerdeführers verletzt.

IV.

Der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 16. Juni 2020 - 1 Ausl (A) 3/16 (36/17) - wird, soweit er die Zulässigkeit der Auslieferung betrifft, aufgehoben; die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2, § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG).

V.

Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

Die Festsetzung des Gegenstandswertes für die anwaltliche Tätigkeit stützt sich auf § 37 Abs. 2 Satz 2, § 14 Abs. 1 RVG in Verbindung mit den Grundsätzen über die Festsetzung des Gegenstandswertes im verfassungsgerichtlichen Verfahren (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 154

Bearbeiter: Holger Mann