HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1063
Bearbeiter: Holger Mann
Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 681/19, Beschluss v. 18.09.2019, HRRS 2019 Nr. 1063
Die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Koblenz vom 11. März 2019 - 2 Ws 77/19 Vollz - und der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Koblenz vom 4. Januar 2019 - 7c StVK 153/18 verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes.
Die Beschlüsse werden aufgehoben. Die Sache wird an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Koblenz zurückverwiesen.
Das Land Rheinland-Pfalz hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Gewährung von Ausführungen zum Erhalt der Lebenstüchtigkeit des strafgefangenen Beschwerdeführers, der sich seit vierzehn Jahren in Haft befindet.
1. Der Beschwerdeführer verbüßt seit dem 19. Januar 2005 eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes in der Justizvollzugsanstalt … . Im Strafurteil des Landgerichts Mainz vom 14. Juli 2006 wurde die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Fünfzehn Jahre der Freiheitsstrafe werden am 9. März 2020 verbüßt sein. Die Mindestverbüßungsdauer wurde am 15. März 2019 auf siebzehn Jahre festgesetzt.
2. Mit Schreiben vom 1. März 2018 beantragte der Beschwerdeführer bei der Justizvollzugsanstalt den Erhalt regelmäßiger Ausführungen zur Aufrechterhaltung seiner Lebenstüchtigkeit. Dies lehnte die Justizvollzugsanstalt mit Bescheid vom 2. Juli 2018 ab. Der Beschwerdeführer befinde sich seit dreizehn Jahren ununterbrochen in Haft. Insofern kämen Ausführungen zur Erhaltung der Lebenstüchtigkeit gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 Landesjustizvollzugsgesetz Rheinland-Pfalz (LJVollzG) grundsätzlich in Betracht. Allerdings sei zu beachten, dass der Beschwerdeführer keine derartigen Defizite aufweise, die Ausführungen zur Erhaltung der Lebenstüchtigkeit zwingend erforderlich machten. Schwerer wiege der Gesundheitszustand seiner Mutter, die an einer schweren depressiven Episode leide und ihn deshalb nicht in der Haft besuchen kommen könne. Jedoch erhalte er regelmäßig Besuch von seiner Lebensgefährtin und halte telefonisch Kontakt zu seinen Angehörigen, auch zu seiner Mutter.
Die Gewährung von Ausführungen stehe im Ermessen der Anstalt. Für die Gewährung von Ausführungen spreche grundsätzlich, dass stabile prosoziale Kontakte die Eingliederung sowie den Behandlungsprozess eines Gefangenen fördern könnten. Bislang sei bei dem Beschwerdeführer ein Einstieg in einen Behandlungsprozess hinsichtlich der Persönlichkeitsstruktur noch nicht gelungen. In den bisherigen Vollzugs- und Eingliederungsplänen sei von ihm verlangt worden, zunächst die gegenständliche Mordstraftat einzugestehen. Zu einer Reflektion seines Auftretens, beispielsweise seiner Angewohnheit, regelmäßig Drohungen als Kommunikationsmittel zu nutzen, habe er bislang nicht bewegt werden können. Darüber hinaus habe bisher nicht überprüft werden können, ob es sich bei den familiären Kontakten um prosoziale Kontakte handle und ob das familiäre Umfeld gegebenenfalls geeignet sei, ihn von weiteren Straftaten abzuhalten. Massiv gegen die Gewährung von Ausführungen spreche, dass der Beschwerdeführer über ein Facebook-Profil verfüge, welches kürzlich aktiv gewesen sei. Aktuelle Eintragungen datierten auf den 28. März 2018, den 15. Mai 2018 sowie auf den 23. Mai 2018. Auf dem Profil befänden sich Bilder vom Beschwerdeführer in seinem Haftraum, die auch Sicherheitseinrichtungen der Anstalt zeigten. Es habe der dringende Verdacht bestanden, dass er sich im Besitz eines Mobiltelefons befunden habe, welches letztendlich nicht gefunden worden sei. Wenn eine Person außerhalb der Justizvollzugsanstalt das Facebook-Profil verwalte, habe der Beschwerdeführer die Bilder jedenfalls an Personen außerhalb der Anstalt weitergegeben. Zwar habe er bestritten, im Besitz eines Handys zu sein. Die Tatsache, dass bei ihm im bisherigen Haftverlauf bereits mehrere Handys gefunden worden seien, spreche jedoch gegen seine Einlassung.
Der Beschwerdeführer wolle die in der Anstalt geltenden Regeln nicht einhalten. Die Möglichkeit, dass er zumindest zeitweise im Besitz eines Mobiltelefons gewesen sei, bedeute im Falle von Ausführungen ein erhebliches, unkalkulierbares Fluchtrisiko. Auch eine Befreiung durch dritte Personen komme in Betracht. Dieses Risiko könne selbst durch die ständige und unmittelbare Beaufsichtigung durch zwei oder mehr Bedienstete der Justizvollzugsanstalt oder durch Fesselung nicht auf ein vertretbares Mindestmaß reduziert werden. Mit Ausnahme des zuvor geschilderten Sachverhalts sei der Beschwerdeführer nicht mit Regelverstößen aufgefallen. Seine bedingte Entlassung, unabhängig von der festzusetzenden Mindestverbüßungsfrist, sei vollkommen unklar. Durch seine ablehnende Haltung habe er nicht zur Verbesserung der Legalprognose beigetragen.
3. Unter dem 16. Juli 2018 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Die beantragte Ausführung sei schon aufgrund der langen Haftzeit und des Resozialisierungsinteresses geboten. Die Behauptung, es bestehe der dringende Verdacht, dass er sich im Besitz eines Mobiltelefons befinde, entbehre jeglicher Tatsachengrundlage. Ein Telefon sei in seinem Haftraum nicht gefunden worden und die Bilder seien bereits vor über einem Jahr auf der Facebookseite hochgeladen worden. Dass seine Facebookseite seit seiner Inhaftierung von Angehörigen weitergeführt werde, sei der Justizvollzugsanstalt bekannt und rechtlich nicht zu beanstanden. Soweit die Justizvollzugsanstalt ausführe, dass ein unkalkulierbares Fluchtrisiko bestehe, verkenne sie Sinn und Zweck des § 48 Abs. 1 LJVollzG. Der Umstand, dass eine Ausführung unter ständiger und unmittelbarer Aufsicht stattfinde, sei im Rahmen der Prüfung, ob ein Versagungsgrund bestehe, zu berücksichtigen. Bei einer Begleitung durch Bedienstete der Justizvollzugsanstalt reduziere sich das Fluchtrisiko auf Null. Der Hinweis, dass eine Ausführung nicht in Betracht komme, weil eine bedingte Entlassung vollkommen unklar sei, greife zu kurz, weil dieser Umstand bei allen zu lebenslanger Haft verurteilten Gefangenen vorliege. Die Justizvollzugsanstalt verstoße gegen ihre Verpflichtung, an der Resozialisierung des Beschwerdeführers mitzuwirken und schädlichen Auswirkungen des Freiheitsentzugs im Rahmen des Möglichen zu begegnen.
4. Mit angegriffenem Beschluss vom 4. Januar 2019 wies das Landgericht Koblenz den Antrag als unbegründet zurück. Der ablehnende Bescheid vom 2. Juli 2018 sei rechtmäßig. Das Gericht folge der angefochtenen Entscheidung und ihrer Begründung. Die Ermessensausübung der Justizvollzugsanstalt habe das Gericht nur eingeschränkt dahingehend zu überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten seien oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden sei. Dies sei nicht der Fall. Die Justizvollzugsanstalt habe die Haftzeit des Beschwerdeführers berücksichtigt und ausgeführt, dass Ausführungen zur Erhaltung der Lebenstüchtigkeit zwar grundsätzlich in Betracht kämen, jedoch nicht „zwingend“ zu gewähren seien.
5. Unter dem 23. Januar 2019 erhob der Beschwerdeführer Rechtsbeschwerde und rügte die Verletzung materiellen Rechts. Dabei wiederholte und vertiefte er seine Argumentation und machte wiederum eine Verletzung seines Resozialisierungsrechts geltend.
6. Mit angegriffenem Beschluss vom 11. März 2019, zugestellt am 19. März 2019, verwarf das Oberlandesgericht Koblenz die Rechtsbeschwerde als unzulässig. Es sei nicht geboten, die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen. In der Rechtsprechung des Senats sei, gestützt auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, hinreichend geklärt, dass bei langjährig Inhaftierten, auch wenn sich eine konkrete Entlassungsperspektive für sie noch nicht abzeichne und weitergehenden Lockerungen eine Flucht- oder Missbrauchsgefahr entgegenstehe, zumindest die Gewährung von Ausführungen geboten sein könne und der damit verbundene personelle Aufwand hinzunehmen sei. Das Interesse des Gefangenen, vor den schädlichen Folgen aus der langjährigen Inhaftierung bewahrt zu werden und seine Lebenstüchtigkeit im Falle der Entlassung aus der Haft zu behalten, habe umso höheres Gewicht, je länger die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe bereits andauere. Ob diese Grundsätze im Falle des Beschwerdeführers eingehalten worden seien, sei eine Frage des Einzelfalls und einer generalisierenden Betrachtung nicht zugänglich. Von diesen Grundsätzen weiche die angefochtene Entscheidung im Übrigen auch nicht ab. Von einer weiteren Begründung wurde nach § 119 Abs. 3 StVollzG abgesehen.
1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde vom 12. April 2019 rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG.
Das Oberlandesgericht nehme billigend in Kauf, dass sich eine unterschiedliche Rechtsprechung entwickle. Trotz eindeutiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts werde er in seinen Grundrechten verletzt. Aufgrund der richterlichen Aufklärungspflicht sei zwingend zu prüfen gewesen, ob die Behauptungen der Justizvollzugsanstalt hinsichtlich der Facebookseite und des Besitzes eines Mobiltelefons zuträfen. Es sei zudem in unzulässiger Weise auf den ungewissen Entlassungszeitpunkt abgestellt worden. Außerdem stehe der Justizvollzugsanstalt kein Ermessensspielraum zu, denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seien die Vollzugsanstalten verpflichtet, schädlichen Auswirkungen des Freiheitsentzugs im Falle langjährig Inhaftierter entgegen zu wirken.
2. Mit Beschluss vom 24. April 2019 hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts den Erlass einer einstweiligen Anordnung auf der Grundlage einer Folgenabwägung abgelehnt.
3. Das Ministerium der Justiz des Landes Rheinland-Pfalz hat unter dem 18. Juli 2019 von einer Äußerung im Verfassungsbeschwerdeverfahren abgesehen.
4. Die Akte des Ausgangsverfahrens hat dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Die Annahme ist nach § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Rechte des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG angezeigt.
1. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet, soweit der Beschwerdeführer geltend macht, dass die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen gegen sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verstoßen. Die Beschlüsse des Landgerichts und des Oberlandesgerichts verletzen ihn in seinem Grundrecht auf Resozialisierung.
a) Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verpflichtet den Staat, den Strafvollzug auf das Ziel auszurichten, dem Inhaftierten ein zukünftiges straffreies Leben in Freiheit zu ermöglichen (vgl. BVerfGE 116, 69 <85 f.> m.w.N.; stRspr). Besonders bei langjährig im Vollzug befindlichen Personen erfordert dies, aktiv den schädlichen Auswirkungen des Freiheitsentzugs entgegenzuwirken und ihre Lebenstüchtigkeit zu erhalten und zu festigen (vgl. BVerfGE 45, 187 <238>; 64, 261 <277>; 98, 169 <200>; 109, 133 <150 f.>; BVerfGK 17, 459 <462>; 19, 306 <315>; 20, 307 <312>; stRspr). Dabei greift das Gebot, die Lebenstüchtigkeit des Gefangenen zu erhalten und zu festigen, nicht erst dann ein, wenn er bereits Anzeichen einer haftbedingten Depravation aufweist (BVerfGK 19, 157 <165>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Mai 2015 - 2 BvR 1753/14 -, Rn. 27). Das Interesse des Gefangenen, vor den schädlichen Folgen aus der langjährigen Inhaftierung bewahrt zu werden und seine Lebenstüchtigkeit im Falle der Entlassung aus der Haft zu behalten, hat ein umso höheres Gewicht, je länger die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe bereits andauert (vgl. BVerfGE 64, 261 <272 f.>; 70, 297 <315>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Mai 2015 - 2 BvR 1753/14 -, Rn. 27).
Androhung und Vollstreckung der Freiheitsstrafe finden ihre verfassungsrechtlich notwendige Ergänzung in einem sinnvollen Behandlungsvollzug (vgl. BVerfGE 45, 187 <238>; 64, 261 <272 f.>; 109, 133 <150 f.>). Dementsprechend hat der Gesetzgeber dem Vollzug der Freiheitsstrafe ein Behandlungs- und Resozialisierungskonzept zugrunde gelegt (vgl. BVerfGE 117, 71 <91>). Der Wiedereingliederung des Gefangenen dienen unter anderem die Vorschriften über Vollzugslockerungen beziehungsweise vollzugsöffnende Maßnahmen (vgl. BVerfGE 117, 71 <92>). Durch diese Maßnahmen werden dem Gefangenen zudem Chancen eingeräumt, sich zu beweisen und zu einer günstigeren Entlassungsprognose zu gelangen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 5. August 2010 - 2 BvR 729/08 -, Rn. 32). Erstrebt ein Gefangener diese Maßnahmen, so wird er durch deren Versagung in seinem durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützten Resozialisierungsinteresse berührt (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 5. August 2010 - 2 BvR 729/08 -, Rn. 32, und vom 26. Oktober 2011 - 2 BvR 1539/09 -, Rn. 17). Aufgrund dieser Bedeutung darf sich eine Justizvollzugsanstalt, wenn sie vollzugslockernde Maßnahmen versagt, nicht auf bloße pauschale Wertungen oder auf den Hinweis einer abstrakten Flucht- oder Missbrauchsgefahr beschränken. Sie hat vielmehr im Rahmen einer Gesamtwürdigung nähere Anhaltspunkte darzulegen, welche geeignet sind, die Prognose einer Flucht-oder Missbrauchsgefahr in der Person des Gefangenen zu konkretisieren. Ob dies geschehen ist, hat die Strafvollstreckungskammer zu überprüfen (vgl. BVerfGE 70, 297 <308>; dazu auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 5. August 2010 - 2 BvR 729/08 -, Rn. 32 m.w.N.; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Mai 2018 - 2 BvR 287/17 -, Rn. 32).
Gerade bei Gefangenen, die die Voraussetzungen für vollzugslockernde Maßnahmen im eigentlichen Sinne etwa wegen einer konkret bestehenden Flucht- oder Missbrauchsgefahr noch nicht erfüllen, dienen Ausführungen dem Erhalt und der Festigung der Lebensfähigkeit und -tüchtigkeit (vgl. BVerfGK 17, 459 <462>; 19, 306 <315 f.>; 20, 307 <312>). Bei langjährig Inhaftierten kann es daher, selbst wenn noch keine konkrete Entlassungsperspektive besteht, jedenfalls geboten sein, zumindest Lockerungen in Gestalt von Ausführungen dadurch zu ermöglichen, dass die Justizvollzugsanstalt einer von ihr angenommenen Flucht- oder Missbrauchsgefahr durch geeignete Sicherheitsvorkehrungen entgegenwirkt (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 10. September 2008 - 2 BvR 719/08 -, Rn. 3, und vom 5. August 2010 - 2 BvR 729/08 -, Rn. 32). Der damit verbundene personelle Aufwand ist dann hinzunehmen (vgl. BVerfGK 17, 459 <462 f.>; 19, 306 <316>; 20, 307 <313>).
Versagt die Justizvollzugsanstalt eine Vollzugslockerung unter Annahme einer Flucht- oder Missbrauchsgefahr, prüfen die Fachgerichte im Verfahren nach §§ 109 ff. StVollzG, ob die Vollzugsbehörde die unbestimmten Rechtsbegriffe richtig ausgelegt und angewandt hat. Zwar verlangt der Versagungsgrund der Flucht- und Missbrauchsgefahr eine Prognoseentscheidung und eröffnet der Vollzugsbehörde einen - verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden - Beurteilungsspielraum, in dessen Rahmen sie bei Achtung der Grundrechte des Gefangenen mehrere Entscheidungen treffen kann, die gleichermaßen rechtlich vertretbar sind (vgl. BGHSt 30, 320 <324 f.>). Der Beurteilungsspielraum entbindet die Vollstreckungsgerichte indes nicht von ihrer rechtsstaatlich fundierten Prüfungspflicht (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 1. April 1998 - 2 BvR 1951/96 -, Rn. 20). Das Gericht hat dementsprechend den Sachverhalt umfassend aufzuklären und dabei festzustellen, ob die Vollzugsbehörde den zugrunde gelegten Sachverhalt insgesamt vollständig ermittelt und damit eine hinreichende tatsächliche Grundlage für ihre Entscheidung geschaffen hat (vgl. BVerfGE 70, 297 <308>).
Legt das Strafvollstreckungsgericht diesen Maßstab seiner Entscheidung zugrunde, prüft das Bundesverfassungsgericht lediglich, ob das Strafvollstreckungsgericht der Vollzugsbehörde einen zu weiten Beurteilungsspielraum zugebilligt und damit Bedeutung und Tragweite des verfassungsrechtlich geschützten Resozialisierungsanspruchs verkannt hat und ob die angegriffene Entscheidung unter Zugrundelegung des dargelegten fachgerichtlichen Maßstabs schlechthin nicht mehr nachvollziehbar ist und damit den aus dem allgemeinen Gleichheitssatz abzuleitenden Anspruch auf willkürfreie Entscheidung (Art. 3 Abs. 1 GG) verletzt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 1. April 1998 - 2 BvR 1951/96 -, Rn. 21).
b) Nach diesem Maßstab können die angegriffenen Entscheidungen keinen Bestand haben.
aa) Die Entscheidung des Landgerichts genügt nicht den dargelegten verfassungsrechtlichen Anforderungen.
Das Landgericht ist umfassend den Ausführungen der Justizvollzugsanstalt im Bescheid vom 2. Juli 2018 gefolgt und hat seine Überprüfung auf den Ausspruch beschränkt, dass die Justizvollzugsanstalt ermessensfehlerfrei darauf abgestellt habe, dass Ausführungen zur Erhaltung der Lebenstüchtigkeit zwar grundsätzlich bei einer ununterbrochenen Haftdauer von dreizehn Jahren in Betracht kämen, aber nicht „zwingend“ zu gewähren seien.
Damit räumt das Landgericht der Justizvollzugsanstalt einen (deutlich) zu weiten Spielraum ein, der im Hinblick auf die Funktion von Vollzugslockerungen die Bedeutung und Tragweite des Resozialisierungsanspruchs des Beschwerdeführers verkennt. Das Landgericht verfehlt - wie zuvor schon die Justizvollzugsanstalt - den Sinn des grundrechtlichen Gebots, einem Verlust der Lebenstüchtigkeit des Beschwerdeführers nach Möglichkeit entgegenzuwirken beziehungsweise dessen Lebenstüchtigkeit zu festigen. Dieses Gebot bezieht sich als Element der staatlichen Verpflichtung, den Haftvollzug am Resozialisierungsziel auszurichten, offensichtlich nicht nur auf den drohenden Verlust von für das Leben in Haft bedeutsamen Fähigkeiten, sondern gerade auch auf die Erhaltung der Tüchtigkeit für ein Leben in Freiheit. Der Gefangene soll so lebenstüchtig bleiben, dass er sich im Falle einer Entlassung aus der Haft im normalen Leben wieder zurechtfindet (vgl. BVerfGE 45, 187 <240>; BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. November 1997 - 2 BvR 615/97 -, Rn. 10, und vom 13. Dezember 1997 - 2 BvR 1404/96 -, Rn. 15; Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 5. August 2010 - 2 BvR 729/08 -, Rn. 32, und vom 26. Oktober 2011 - 2 BvR 1539/09 -, Rn. 23). Mit der Annahme, dass Ausführungen erst dann „zwingend“ zu gewähren sind, wenn der Gefangene als „Defizite“ bezeichnete Anzeichen einer drohenden haftbedingten Depravation aufweist, die sich bereits als Einschränkung seiner Lebenstüchtigkeit unter den Verhältnissen der Haft bemerkbar macht, wird das Gebot, die Lebenstüchtigkeit des Gefangenen zu erhalten und zu festigen, grundlegend missverstanden (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 26. Oktober 2011 - 2 BvR 1539/09 -, Rn. 23). Dem hohen Gewicht, das dem Resozialisierungsinteresse des Beschwerdeführers nach mehr als dreizehnjährigem Freiheitsentzug für die Ermessensentscheidung der Justizvollzugsanstalt zukam, hat es auf diese Weise nicht hinreichend Rechnung getragen.
Auch die gerichtlich vollumfänglich zu prüfende Frage der richtigen Auslegung eines Versagungsgrundes hat das Landgericht übergangen und damit Bedeutung und Tragweite des Resozialisierungsgrundrechts verkannt. Die Annahme der Fluchtgefahr durch die Justizvollzugsanstalt ist nicht hinreichend durch auf Tatsachen gestützte aktuelle Erkenntnisse untermauert. Den Besitz eines Mobilfunkgerätes konnte sie dem Beschwerdeführer nicht nachweisen. Der Beschwerdeführer hat unter Beweisantritt geltend gemacht, dass das Hochladen der Bilder aus der Justizvollzugsanstalt, auf die diese anlässlich ihrer Ablehnung der Ausführungen verwiesen hatte und die ihrer Auffassung nach den Verdacht erhärteten, dass der Beschwerdeführer unzulässigerweise ein Handy besessen habe, nicht durch ihn veranlasst worden sei und zum Zeitpunkt des Antrags auf gerichtliche Entscheidung bereits ein Jahr zurücklag. Überdies verkennt das Landgericht wie zuvor schon die Justizvollzugsanstalt, dass die bei Ausführungen vorgesehene Begleitung des Gefangenen durch Vollzugsbedienstete gerade dem Zweck dient, einer Fluchtgefahr entgegenzuwirken (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 21. September 2018 - 2 BvR 1649/17 -, Rn. 33; und vom 15. Mai 2018 - 2 BvR 287/17 -, Rn. 39; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Juni 2012 - 2 BvR 865/11 -, Rn. 17). Dass eine solche Begleitung und mögliche weitere Anordnungen und Weisungen im Fall des Beschwerdeführers nicht hinreichend sicherstellen können, dass eine etwaig bestehende Fluchtgefahr eingehegt wird, hat weder die Justizvollzugsanstalt konkret dargelegt, noch hat das Landgericht dies in der Sache geprüft. Dabei gilt, dass es dem Grunde nach nicht zu beanstanden ist, Ausführungen von Gefangenen, die etwa über enge Kontakte zur Bandenkriminalität verfügen, wegen Fluchtgefahr zu versagen, wenn eine Befreiung durch dritte Personen konkret zu befürchten ist. Umstände, die dies im Falle des Beschwerdeführers nahelegen würden, hat die Justizvollzugsanstalt allerdings in ihrer Ablehnungsentscheidung nicht dargetan.
bb) Der Beschluss des Oberlandesgerichts vom 11. März 2019 verletzt den Beschwerdeführer ebenfalls in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG.
Zwar hat das Oberlandesgericht gemäß § 119 Abs. 3 StVollzG weitgehend von einer Begründung der Rechtsbeschwerdeentscheidung abgesehen. Allerdings hat es seinem Beschluss ergänzende Bemerkungen hinzugefügt, die es ermöglichen, ihn an dem oben dargelegten Maßstab zu messen. Indem das Oberlandesgericht ausführt, dass die Entscheidung des Landgerichts nicht von den - auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gestützten - eigenen Rechtsprechungsgrundsätzen abgewichen sei, wonach bei langjährig Inhaftierten zumindest die Gewährung von Ausführungen geboten sein könne und das Interesse des Gefangenen, vor den schädlichen Folgen aus der langjährigen Inhaftierung bewahrt zu werden und seine Lebenstüchtigkeit im Falle der Entlassung aus der Haft zu behalten, umso höheres Gewicht habe, je länger die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe bereits andauere, hat es sich die landgerichtliche Entscheidung in den zu beanstandenden Erwägungen zu eigen gemacht. Darin liegt eine eigenständige Verkennung der Bedeutung und Tragweite des Resozialisierungsgrundrechts.
2. Da die angegriffenen Entscheidungen schon wegen Verstoßes gegen das Resozialisierungsgrundrecht verfassungswidrig sind, kann offenbleiben, ob sie auch weitere Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte des Beschwerdeführers verletzen.
Nach § 93c Abs. 2, § 95 Abs. 2 BVerfGG sind die angegriffenen Beschlüsse aufzuheben. Die Sache ist zur erneuten Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Koblenz zurückzuverweisen.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1063
Bearbeiter: Holger Mann