HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 548
Bearbeiter: Holger Mann
Zitiervorschlag: BVerfG, 1 BvR 2392/19, Beschluss v. 31.03.2020, HRRS 2020 Nr. 548
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt … wird abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wenden sich die Beschwerdeführer gegen die Bestellung einer Ergänzungspflegerin zur Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts ihres Kindes aus § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO im Rahmen eines gegen sie geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens.
1. a) Die Beschwerdeführer sind die sorgeberechtigten Eltern ihrer im Dezember 2014 geborenen Tochter. Gegen die Beschwerdeführer führt die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 StGB).
b) Auf Antrag der Staatsanwaltschaft bestellte das Amtsgericht eine Rechtsanwältin als Ergänzungspflegerin mit dem Wirkungskreis Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts in dem Ermittlungsverfahren.
c) Das Oberlandesgericht wies die hiergegen eingelegte Beschwerde der Beschwerdeführer zurück, mit der sie geltend gemacht hatten, dass das Familiengericht entgegen obergerichtlicher Rechtsprechung keine Feststellungen zur Aussagebereitschaft des Kindes getroffen habe. Es schloss sich obergerichtlicher Rechtsprechung an, die eine der Ergänzungspflegerbestellung vorausgehende Feststellung der Aussagebereitschaft des Kindes für nicht erforderlich hält.
d) Eine dagegen gerichtete Anhörungsrüge der Beschwerdeführer wies das Oberlandesgericht als unbegründet zurück und verwarf zugleich einen als „Gegenvorstellung“ bezeichneten Rechtsbehelf als unzulässig. Die Beschwerdeführer hatten mit der Anhörungsrüge geltend gemacht, das Oberlandesgericht habe ihren Vortrag in seiner Entscheidung gänzlich unberücksichtigt gelassen. Sie vertraten die Auffassung, dass zumindest ihre Anhörung sowie die Anhörung des Kindes im Hinblick auf dessen Aussagebereitschaft erforderlich gewesen sei.
2. a) Die Beschwerdeführer rügen in ihrer Verfassungsbeschwerde unter anderem aus den Gründen ihrer Anhörungsrüge eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG. Sie sehen sich außerdem - nach dem Wortlaut der Beschwerdebegründung - in ihrem Recht aus „Art. 6 Abs. 1 GG“ verletzt, weil das Oberlandesgericht ihre durch die genannte Gewährleistung geschützten Belange wegen Nichtberücksichtigung ihrer besonderen Stellung bei der Entscheidung über den Einsatz und die Auswahl des Ergänzungspflegers verkannt habe.
b) Die Beschwerdeführer beantragen zudem Prozesskostenhilfe und Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht erfüllt sind. Sie ist teils unzulässig (1.), im Übrigen jedenfalls offensichtlich unbegründet (2.).
1. a) Die gegen den Beschluss des Amtsgerichts gerichtete Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil die Beschwerdeführer durch diese Entscheidung wegen prozessualer Überholung nicht mehr beschwert sind. Das Oberlandesgericht hat vorliegend unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens mit seinem Beschluss vom 12. Juli 2019 eine eigene umfassende Sachprüfung vorgenommen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Januar 2011 - XII ZB 240/10 -, juris, Rn. 8; Sternal, in Keidel, FamFG, 20. Aufl. 2020, § 68 Rn. 42). Damit ist die vorhergehende Entscheidung des Familiengerichts prozessual überholt (vgl. BVerfGK 10, 134 <138>). Ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis (vgl. dazu BVerfGE 81, 138 <140 f.>) bezüglich des amtsgerichtlichen Beschlusses haben die Beschwerdeführer nicht dargelegt. Es ist auch nicht ersichtlich.
b) Soweit sich die Beschwerdeführer gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts vom 9. September 2019 wenden, mit dem ihre Anhörungsrüge zurückgewiesen und ein als Gegenvorstellung ausgelegter Rechtsbehelf verworfen wurde, ist die Verfassungsbeschwerde ebenfalls unzulässig. Entgegen den gesetzlichen Anforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG zeigt die Begründung der Verfassungsbeschwerde nicht einmal ansatzweise die Möglichkeit einer Verletzung der Beschwerdeführer in Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten durch die Entscheidung auf.
c) Auch die gegen die Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts vom 12. Juli 2019 gerichtete Verfassungsbeschwerde ist teilweise offensichtlich unzulässig.
aa) Soweit die Beschwerdeführer einen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 6 EMRK geltend machen, fehlt es an jeglicher Substantiierung. Damit ist den aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG resultierenden Anforderungen an die Begründung einer Verfassungsbeschwerde nicht genügt.
bb) Soweit die Beschwerdeführer sich in ihrem Recht aus Art. 6 Abs. 1 GG verletzt sehen, ist ihre Verfassungsbeschwerde unter Berücksichtigung ihres Vorbringens in der Sache dahingehend zu verstehen, dass sie einen nicht gerechtfertigten Eingriff in ihr Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG geltend machen. Die Möglichkeit einer Verletzung von Art. 6 Abs. 1 GG zeigt die Verfassungsbeschwerde nicht einmal ansatzweise auf. Ohne die vorgenommene Auslegung des Beschwerdegegenstands wäre sie auch insoweit - ungeachtet weiterer Zweifel an der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde insgesamt - offensichtlich unzulässig.
2. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde jedenfalls offensichtlich unbegründet.
Die Bestellung einer Ergänzungspflegerin für die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts für die Tochter der Beschwerdeführer ohne vorherige Ermittlung der Aussagebereitschaft des Kindes ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen weder den Anspruch der Beschwerdeführer auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG noch deren Elternrecht nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG.
a) Die Beschwerdeführer sind nicht in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.
aa) Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfGE 42, 364 <367 f.>; 47, 182 <187>). Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings nur dann verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (vgl. BVerfGE 25, 137 <140 f.>; 47, 182 <187>). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Vorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben (vgl. BVerfGE 40, 101 <104>; 47, 182 <187>). Die Gerichte sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in der Begründung der Entscheidung ausdrücklich zu befassen (vgl. BVerfGE 13, 132 <149>; 42, 364 <368>; 47, 182 <187>). Deshalb müssen, wenn das Bundesverfassungsgericht einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG feststellen soll, im Einzelfall besondere Umstände deutlich ergeben, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. BVerfGE 27, 248 <252>; 47, 182 <187 f.>). Art. 103 Abs. 1 GG gewährt grundsätzlich keinen Schutz dagegen, dass das Gericht das Vorbringen der Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lässt (vgl. BVerfGE 69, 141 <143 f.>; 96, 205 <216>; 105, 279 <311>; stRspr).
bb) Nach diesen Maßstäben liegt eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör nicht deswegen vor, weil das Oberlandesgericht den als übergangen gerügten Vortrag zur Aussagebereitschaft des Kindes für unerheblich hielt. Es hat sich in seiner Begründung - in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise - der Auffassung angeschlossen, nach der die Aussagebereitschaft des Kindes keine notwendige Voraussetzung für die Bestellung eines Ergänzungspflegers (§ 1909 Abs. 1 Satz 1 BGB) in der hier vorliegenden Fallgestaltung ist. Dabei hat es die entgegengesetzte Auffassung der Beschwerdeführer ausdrücklich in den Entscheidungsgründen ausgewiesen, ist dieser aber nicht gefolgt.
Das Oberlandesgericht hat gegen Art. 103 Abs. 1 GG auch nicht dadurch verstoßen, dass es - gestützt auf § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG - die Beschwerdeführer im Beschwerdeverfahren nicht persönlich angehört hat, obwohl bereits das Familiengericht möglicherweise entgegen § 160 Abs. 1 Satz 1 FamFG (vgl. aber Splitt, FamRZ 2019, S. 507 <510>) keine persönliche Anhörung der Beschwerdeführer durchgeführt hatte. Selbst wenn die Verfahrensweise des Oberlandesgerichts fachrechtlich fehlerhaft gewesen sein sollte, ginge das nicht mit einer Verletzung von Verfassungsrecht einher. Die Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften verstößt nicht schon als solche gegen Art. 103 Abs. 1 GG, es sei denn, das Gericht hat bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften die Bedeutung und Tragweite des Anspruchs auf rechtliches Gehör verkannt (vgl. BVerfGE 74, 228 <233>; 89, 381 <391 f.>).
Anhaltspunkte für ein solches Verkennen liegen hier nicht vor. Das Oberlandesgericht ist in verfassungsrechtlich hinzunehmender Weise von einer Heilung des dem Amtsgericht erstinstanzlich unterlaufenen Verfahrensfehlers in der Beschwerdeinstanz ausgegangen, weil die Beschwerdeführer sich mit der Beschwerdeeinlegung schriftlich haben äußern können. Die daran anknüpfende Anwendung von § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG verkennt unter den vorliegenden Umständen die Bedeutung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht. Bereits das Vorbringen der Beschwerdeführer im Ausgangsverfahren beschränkte sich im Kern darauf, eine der Ergänzungspflegerbestellung vorausgehende Feststellung der Aussagebereitschaft des Kindes zu fordern, und damit auf das Äußern einer Rechtsauffassung. Mit dieser hat sich das Oberlandesgericht näher befasst, hat sie aber aus rechtlichen Gründen nicht für durchgreifend erachtet. Außerhalb dessen liegendes entscheidungserhebliches Vorbringen der Beschwerdeführer, das Gegenstand der persönlichen Anhörung vor dem Familiensenat hätte sein können, ist nicht ersichtlich.
b) Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG ist ebenfalls nicht verletzt. Das Elternrecht erfordert nicht, § 1909 Abs. 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO fachrechtlich dergestalt anzuwenden, dass der Bestellung eines Ergänzungspflegers ausschließlich zum Zweck der Ausübung des einem Kind zustehenden strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrechts die Feststellung von dessen Aussagebereitschaft vorausgehen muss.
aa) Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Der Schutz des Elternrechts erstreckt sich auf die wesentlichen Elemente des Sorgerechts, ohne die die Elternverantwortung nicht ausgeübt werden kann (vgl. BVerfGE 84, 168 <180>; 107, 150 <173>).
Bei staatlichen Eingriffen in das Elternrecht durch gerichtliche Entscheidungen ist Grundrechtsschutz auch durch die Gestaltung des Verfahrens sicherzustellen (vgl. BVerfGE 55, 171 <182>); das gerichtliche Verfahren muss in seiner Ausgestaltung geeignet und angemessen sein, um der Durchsetzung der materiellen Grundrechtspositionen wirkungsvoll zu dienen (vgl. BVerfGE 84, 34 <49>). Diesen Anforderungen werden die Gerichte nur gerecht, wenn sie sich mit den Besonderheiten des Einzelfalles auseinandersetzen, die Interessen der Eltern sowie deren Einstellung und Persönlichkeit würdigen und auf die Belange des Kindes eingehen (vgl. BVerfGE 31, 194 <210>). Grundsätzlich ist die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und die Würdigung des Tatbestands sowie die Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlich unbedenklicher Regelungen im einzelnen Fall Angelegenheit der zuständigen Fachgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen. Ihm obliegt lediglich die Kontrolle, ob die angegriffene Entscheidung Auslegungsfehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts oder vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen. Bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben lassen sich die Grenzen der Eingriffsmöglichkeiten des Bundesverfassungsgerichts aber nicht starr und gleichbleibend ziehen. Sie hängt namentlich von der Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung ab (BVerfGE 72, 122 <138>; BVerfGK 15, 509 <516>; stRspr).
bb) Nach diesen Maßgaben verletzt der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts die Beschwerdeführer nicht in ihrem Recht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Die erfolgte Auslegung und Anwendung des Fachrechts beruht nicht auf einem grundsätzlich unrichtigen Verständnis des Elternrechts und seines Schutzbereichs.
(1) Teilweise wird in der fachgerichtlichen Rechtsprechung die Auffassung vertreten, die Bestellung eines Ergänzungspflegers zur Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts des minderjährigen Kindes in einem gegen dessen gesetzlichen Vertreter gerichteten Ermittlungsverfahren setze die Aussagebereitschaft des Kindes voraus (Hanseatisches OLG Bremen, Beschluss vom 22. September 2010 - 4 UF 91/10 -, juris, Rn. 5; Saarländisches OLG, Beschluss vom 22. März 2011 - 6 UF 34/11 -, juris, Rn. 9; Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 20. November 2012 - 10 WF 187/12 -, juris, Rn. 18; Thüringer OLG, Beschluss vom 20. Juni 2013 - 1 UF 287/13 -, juris, Rn. 22; OLG Koblenz, Beschluss vom 22. April 2014 - 13 WF 293/14 -, juris, Rn. 13). Abweichend davon hält etwa das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg die vorherige Ermittlung der Aussagebereitschaft nicht für eine Voraussetzung der Ergänzungspflegschaft (Beschluss vom 26. März 2013 - 13 UF 81/12 -, juris, Rn. 18).
(2) Art. 6 Abs. 2 GG fordert nicht, die Bestellung eines Ergänzungspflegers nach § 1909 Abs. 1 Satz 1 BGB zur ausschließlichen Ausübung des Weigerungsrechts eines minderjährigen Zeugen aus § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO von der vorherigen Feststellung der Aussagebereitschaft des Zeugen im Strafverfahren abhängig zu machen.
Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebietet eine solche der Bestellung vorausgehende Feststellung nicht. Zwar greift die Bestellung eines Ergänzungspflegers in das Elterngrundrecht gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG ein (vgl. Splitt, FamRZ 2019, S. 507 <508>; a.A. Hanseatisches OLG Hamburg, Beschluss vom 26. März 2013 - 13 UF 81/12 -, juris, Rn. 18). Denn die Anordnung der Ergänzungspflegschaft bewirkt die Übertragung der Ausübungsbefugnis über das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrechts auf eine andere Person als diejenige des sonst Sorgeberechtigten. Angesichts der auch durch die Vielzahl strafverfahrensrechtlicher beziehungsweise gerichtsverfassungsrechtlicher Regelungen zum Schutz kindlicher - häufig - (Opfer)Zeugen (etwa § 58a Abs. 1 Nr. 1, § 255a Abs. 2 StPO, § 171b Abs. 2 und 3 GVG) implizit anerkannten erheblichen Belastungen für Kinder, die mit der Zeugenaussage im Strafverfahren verbunden sind, ist die Ausübung des Weigerungsrechts ein wesentlicher Teil des Sorgerechts.
Die Ergänzungspflegerbestellung selbst greift als notwendige Konsequenz des bereits kraft Gesetzes nach § 52 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 StPO bewirkten Ausschlusses der selbst beschuldigten Eltern von der Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts allerdings nur gering in das Elternrecht ein. Sie beendet lediglich den durch gesetzliche Anordnung eingetretenen vertretungslosen Zustand hinsichtlich der Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts. Aus dem Kindeswohl, das die oberste Richtschnur der elterlichen Erziehung und Pflege ist (vgl. BVerfGE 60, 70 <88>), lässt sich ein Erfordernis der Prüfung der vorherigen Aussagebereitschaft des Kindes als Mittel zur Begrenzung des Eingriffs in das Elternrecht nicht ableiten. Das Kindeswohl legt eher nahe, eine behördliche Inanspruchnahme des Kindes vor dem Hintergrund des belastenden strafrechtlichen Verfahrens so gering wie möglich zu halten (vgl. Hanseatisches OLG Hamburg, Beschluss vom 26. März 2013 - 13 UF 81/12 -, juris, Rn. 18). Eine Auslegung des Fachrechts dahingehend, dass es Aufgabe erst des an die Stelle der Eltern tretenden Ergänzungspflegers ist, im Rahmen einer Interessenabwägung die Aussagebereitschaft des Kindes zu erörtern (vgl. Hanseatisches OLG Hamburg, Beschluss vom 26. März 2013 - 13 UF 81/12 -, juris, Rn. 18), begegnet deshalb keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Verfassungsrechtlich ist die vom Oberlandesgericht vorgenommene Rechtsanwendung auch nicht deshalb zu beanstanden, weil damit eine unverhältnismäßige Ergänzungspflegerbestellung „auf Vorrat“ erfolgen würde (so aber Splitt, FamRZ 2019, S. 507 <508>). Die Erwägung wird bereits den strafverfahrensrechtlichen Rahmenbedingungen des Zeugnisverweigerungsrechts aus § 52 StPO, insbesondere den Möglichkeiten des weigerungsberechtigten Zeugen, das Recht in verschiedenen Stadien des Verfahrens unterschiedlich auszuüben (siehe § 52 Abs. 3 Satz 2 StPO), sowie der für ihn bestehenden Option, die strafprozessuale Verwertung früherer Aussagen selbst dann zu gestatten, wenn er später von seinem Recht aus § 52 StPO Gebrauch macht (dazu ausführlich Cirener/Sander, in Löwe/Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2019, § 252 Rn. 22-25 m.w.N.), nicht gerecht. Gerade weil sich die Aussagebereitschaft auch kindlicher Zeugen im Verlauf des dynamischen Strafprozesses verändern kann (vgl. Hanseatisches OLG Hamburg, Beschluss vom 26. März 2013 - 13 UF 81/12 -, juris, Rn. 18), ist eine Ergänzungspflegerbestellung ohne vorherige Feststellung der aktuellen Aussagebereitschaft nicht ungeeignet, um die den Eltern durch gesetzliche Anordnung entzogene Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts im Interesse des Kinds zu ermöglichen, wenn und soweit sich bei diesem Aussagebereitschaft einstellt. Wegen des geringen Gewichts des Eingriffs in das Elternrecht erweist sich die Rechtsanwendung des Oberlandesgerichts auch als verhältnismäßig im engeren Sinne. Bei sich einstellender Aussagebereitschaft während des Strafverfahrens wird es regelmäßig dem Kindeswohl entsprechen, eine unmittelbare Handlungsfähigkeit des Ergänzungspflegers zu gewährleisten. Ist das zeugnisverweigerungsberechtigte Kind aussagebereit, sind sein Interesse an einer zeitnahen Aussagesicherung und das verfassungsgerichtlich fundierte staatliche Interesse an der Effektivität der Strafverfolgung (vgl. BVerfGE 113, 29 <54>) sowie an der Aufklärung der materiellen Wahrheit (vgl. BVerfGE 133, 168 <199 Rn. 56> m.w.N.) ohnehin regelmäßig kongruent.
(3) Die Gestaltung des Verfahrens durch das Oberlandesgericht lässt ebenfalls keine auf einer Verkennung der Bedeutung von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG beruhenden Verstöße erkennen. Auf der Grundlage der von dem Oberlandesgericht vertretenen Rechtsauffassung zu den Bestellungsvoraussetzungen bedurfte es keiner vorherigen Feststellung der Aussagebereitschaft des Kindes. Auch das Unterbleiben einer persönlichen Anhörung der Beschwerdeführer in beiden Instanzen des Ausgangsverfahrens begründet nach dem genannten Maßstab keinen aus der Verfahrensgestaltung resultierenden Verfassungsverstoß. Der Zweck der persönlichen Anhörung nach § 160 Abs. 1 Satz 1 FamFG, für die Entscheidung in der Kindschaftssache bedeutsame psychologische Umstände zu ermitteln und sich einen persönlichen Eindruck von den Eltern zu verschaffen, greift bei der allein auf die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts begrenzten Anordnung einer Ergänzungspflegschaft regelmäßig nicht (vgl. Splitt, FamRZ 2019, S. 507 <510 m.w.N.>), zumindest nicht in einer mit den sonstigen von der Vorschrift erfassten Kindschaftssachen vergleichbaren Weise.
3. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts ist abzulehnen. Mangels Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde sind die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht erfüllt (vgl. § 114 ZPO analog; BVerfGE 1, 109 <111>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Juli 2018 - 2 BvR 62/18 -, Rn. 1).
4. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 548
Bearbeiter: Holger Mann