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HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 657

Bearbeiter: Stephan Schlegel

Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 703/09, Beschluss v. 06.07.2009, HRRS 2009 Nr. 657


BVerfG 2 BvR 703/09 (3. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 6. Juli 2009 (OLG Frankfurt/Main/LG Marburg)

Anspruch auf faires Verfahren (Voraussetzungen für eine notwendige Verteidigung im Verfahren der jährlichen Überprüfung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus).

Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 2 Abs. 1 GG; § 463 StPO; § 67d Abs. 2, § 67e Abs. 2 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Vorschriften der Strafprozessordnung über die notwendige Verteidigung und die Bestellung eines Verteidigers (§§ 140 ff. StPO) stellen sich als Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips in seiner Ausgestaltung als Gebot fairer Verfahrensführung dar. Die Verfassung will sicherstellen, dass der Beschuldigte auf den Gang und das Ergebnis des gegen ihn geführten Strafverfahrens Einfluss nehmen kann (vgl. BVerfGE 70, 297, 322 f.; BVerfGK 6, 326, 331). Dies gilt auch für den Vollzug der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus.

2. Verfassungsrechtlich ist die Beiordnung eines Pflichtverteidigers jedenfalls dann geboten, wenn es nach der konkreten Fallgestaltung wegen Besonderheiten und Schwierigkeiten im Diagnose- und Prognosebereich evident erscheint, dass der Untergebrachte sich angesichts seiner Erkrankung nicht selbst verteidigen kann (vgl. BVerfGE 70, 297, 322 f.; BVerfGK 6, 326, 331). Es ist von Verfassungs wegen aber auch im Hinblick auf die komplexe Regelung des § 463 StPO nicht zu beanstanden, wenn nicht jedem Untergebrachten für die Überprüfungsentscheidung, soweit dies nicht von § 463 Abs. 4 Satz 5 StPO angeordnet ist, ein Verteidiger bestellt wird. Vielmehr ist es geboten, aber auch ausreichend, von Fall zu Fall zu entscheiden, ob die Bestellung erforderlich ist.

Entscheidungstenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund nach § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Sie hat keine Aussicht auf Erfolg.

Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG muss in einer Verfassungsbeschwerde in substantiierter Weise dargelegt sein, inwiefern der Beschwerdeführer sich durch hoheitliches Handeln in seinen Grundrechten verletzt sieht.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Ablehnung der Bestellung eines Verteidigers in einem Verfahren zur jährlichen Überprüfung der Unterbringung in einem psychiatrischem Krankenhaus nach § 67d Abs. 2, § 67e Abs. 2 StGB. Er ist der Auffassung, dass in solchen Fällen generell und unabhängig vom Einzelfall wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage sowie der mangelnden Verteidigungsfähigkeit der Untergebrachten die Beiordnung in entsprechender Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO geboten sei. Dementsprechend werden keine weiteren Tatsachen zu seinem Fall vorgetragen.

Die Vorschriften der Strafprozessordnung über die notwendige Verteidigung und die Bestellung eines Verteidigers (§§ 140 ff. StPO) stellen sich als Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips in seiner Ausgestaltung als Gebot fairer Verfahrensführung dar. Die Verfassung will sicherstellen, dass der Beschuldigte auf den Gang und das Ergebnis des gegen ihn geführten Strafverfahrens Einfluss nehmen kann (vgl. BVerfGE 70, 297 <322 f.> ; BVerfGK 6, 326 <331>). Dies gilt auch für den Vollzug der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (vgl. BVerfG a.a.O.). Verfassungsrechtlich ist die Beiordnung eines Pflichtverteidigers jedenfalls dann geboten, wenn es nach der konkreten Fallgestaltung wegen Besonderheiten und Schwierigkeiten im Diagnose- und Prognosebereich evident erscheint, dass der Untergebrachte sich angesichts seiner Erkrankung nicht selbst verteidigen kann (vgl. BVerfG a.a.O.). Es ist von Verfassungs wegen aber auch im Hinblick auf die komplexe Regelung des § 463 StPO nicht zu beanstanden, wenn nicht jedem Untergebrachten für die Überprüfungsentscheidung, soweit dies nicht von § 463 Abs. 4 Satz 5 StPO angeordnet ist, ein Verteidiger bestellt wird. Vielmehr ist es geboten, aber auch ausreichend, von Fall zu Fall zu entscheiden, ob die Bestellung erforderlich ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 2. Mai 2002 - 2 BvR 613/02 -, NJW 2002, S. 2773 <2774> zur Frage der Strafrestaussetzung). Warum die angegriffenen Entscheidungen im konkreten Fall bei der Auslegung und Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO spezifisches Verfassungsrecht verletzt haben sollen, trägt der Beschwerdeführer nicht anhand der tatsächlichen Umstände seines Falls und unter Berücksichtigung der Gründe der angegriffenen Entscheidungen vor.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 657

Externe Fundstellen: NJW 2009, 3153

Bearbeiter: Stephan Schlegel