HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 1030
Bearbeiter: Stephan Schlegel
Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 1826/09, Beschluss v. 03.09.2009, HRRS 2009 Nr. 1030
Der Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 10. August 2009 - OLG Ausl. 15 Ausl. A 501/09 (99/09) - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 16 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht München zurückverwiesen.
Die Bewilligungsentscheidung der Generalstaatsanwaltschaft München vom 12. August 2009 - 15 Ausl A 501/09 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 16 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes. Die Bewilligungsentscheidung wird aufgehoben.
Damit erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Die Verfassungsbeschwerde und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betreffen die Auslieferung des Beschwerdeführers aufgrund eines Europäischen Haftbefehls an die Republik Griechenland zum Zwecke der Strafverfolgung.
1. Der Beschwerdeführer besitzt die deutsche und die griechische Staatsangehörigkeit. Die griechischen Behörden haben um seine Festnahme zur Sicherung der Auslieferung nach Griechenland ersucht. Der Beschwerdeführer wurde daraufhin am 25. Juni 2009 vorläufig festgenommen und befindet sich derzeit in der Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim. Gegen den Beschwerdeführer bestehen zwei Europäische Haftbefehle. Grundlage des vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahrens ist der zuerst ausgestellte Europäische Haftbefehl vom 21. Mai 2009; darin wird dem Beschwerdeführer Bestechung im geschäftlichen Verkehr sowie Geldwäsche vorgeworfen.
2. Das Oberlandesgericht München erließ am 1. Juli 2009 unter Zugrundelegung des Europäischen Haftbefehls vom 21. Mai 2009 einen Auslieferungshaftbefehl gegen den Beschwerdeführer, soweit die darin aufgeführten Taten nach dem 19. April 2003 begangen worden waren. In den Gründen führt das Oberlandesgericht im Wesentlichen aus: Einer Auslieferung des Beschwerdeführers zur Strafverfolgung stehe nicht die Verjährung nach deutschem Recht entgegen, die bei den erhobenen Tatvorwürfen (§ 261 und § 299 StGB) fünf Jahre betrage und damit im September 2008 eingetreten wäre; eine Auslieferung zur Strafverfolgung sei auch dann zulässig, wenn die Tat im Inland wegen Verfolgungsverjährung nicht mehr geahndet werden könne, die Strafverfolgungsbehörden des ersuchenden Staates aber Handlungen vorgenommen hätten, die ihrer Art nach geeignet wären, die Verjährung nach deutschen Rechtsvorschriften zu unterbrechen. Es sei davon auszugehen, dass die Verjährung durch die Anordnung einer Beschuldigtenvernehmung beziehungsweise die erste Vernehmung am 18. April 2008 durch griechische Strafverfolgungsbehörden unterbrochen worden sei.
3. Mit angegriffenem Beschluss vom 10. August 2009 erklärte das Oberlandesgericht München die Auslieferung des Beschwerdeführers an die griechischen Behörden zur Strafverfolgung für zulässig und ordnete Haftfortdauer an. In seinem Beschluss führte das Oberlandesgericht München - unter Wiederholung und Vertiefung seiner Ausführungen im Auslieferungshaftbefehl vom 1. Juli 2009 - im Wesentlichen aus: § 9 Nr. 2 IRG stehe einer Auslieferung des Beschwerdeführers nicht entgegen. Die ergänzenden Ermittlungen seitens der Generalstaatsanwaltschaft München sowie die von den griechischen Strafverfolgungsbehörden übersandten Dokumente bestätigten die vom Senat im Auslieferungshaftbefehl angenommene Verjährungsunterbrechung jedenfalls durch die erste Vernehmung des Beschwerdeführers zu den gegen ihn vorliegenden Anzeigen am 18. April 2008 durch die griechischen Behörden. Für die Unterbrechung der Verjährung im Sinne von § 9 Nr. 2 IRG genüge es, dass durch die griechischen Behörden im Rahmen dieser Vernehmung des Beschwerdeführers eine mit § 78c Abs. 1 Nr. 1 StGB gleichzusetzende Handlung vorgenommen worden sei. Nach der deutschen Prozessordnung werde eine Person spätestens dann zum Beschuldigten, wenn sie nach § 136 Abs. 1 StPO belehrt werde. Eine entsprechende Belehrung sehe Art. 31 Abs. 2 der griechischen Strafprozessordnung vor; nach dieser Bestimmung werde, wenn konkrete Verdachtsmomente bestünden, der Verdächtige vom Staatsanwalt mit einer Frist von 48 Stunden vorgeladen, müsse erscheinen, um unbeeidigt Erklärungen abzugeben, dürfe mit einem Verteidiger erscheinen und auch eine Aussage teilweise oder vollständig verweigern. Der Verdächtige habe ferner das Recht, eine Frist zur Stellungnahme zu beantragen und erhalte Kopien der Klageschrift, er dürfe Zeugen benennen sowie Beweismittel zu seiner Entlastung vorlegen. Nur gegenüber einem Tatverdächtigen erfolge diese Belehrung in der Ladung zur Vernehmung; auch werde im Gegensatz zu einem Zeugen ein Beschuldigter uneidlich vernommen. Die vom Verfolgten aufgezeigten Übersetzungsdifferenzen seien für die Beurteilung ohne Belang: Ungeachtet widerstreitender Bezeichnungen des Beschwerdeführers als Zeuge beziehungsweise als Beschuldigter in den diesbezüglichen griechischen Schriftstücken sei der Verfolgte am 15. April 2008 unter Hinweis auf Art. 31 Abs. 2 der griechischen Strafprozessordnung geladen und am 18. April 2008 durch den die Ermittlungen führenden griechischen Staatsanwalt nach Belehrung gemäß Art. 31 Abs. 2 der griechischen Strafprozessordnung gehört worden; diese Belehrung sei auch ausdrücklich in das Protokoll aufgenommen worden. Dass dem Verfolgten in dieser Vernehmung unter anderem der verfahrensgegenständliche Tatvorwurf gegen ihn vorgehalten wurde, ergebe sich aus seiner schriftlichen Einlassung vom 26. Mai 2008 und in Übereinstimmung damit aus der Erklärung des Leitenden Oberstaatsanwalts am Oberlandesgericht Athen vom 2. Juli 2009 gegenüber der Generalstaatsanwaltschaft München. Darauf, welchen konkreten Ermittlungsstand das Verfahren in Griechenland zu diesem Zeitpunkt hatte, ob die Maßnahme in Griechenland verjährungsunterbrechende Wirkung entfaltete beziehungsweise entfalten sollte und überhaupt konnte, komme es nicht an; maßgeblich sei vielmehr die Beurteilung, ob die durchgeführte Vernehmung, soweit sie in Deutschland vorgenommen worden wäre, eine Beschuldigtenvernehmung wäre, was der Fall sei.
Diese Grundsätze über die Berücksichtigung verjährungsunterbrechender Handlungen im ersuchenden Staat beruhten auf der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, namentlich der Entscheidung des 4. Strafsenats vom 26. Juli 1984. Diese Entscheidung sei zwar zu Art. 10 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens (EuAlÜbk) ergangen, entspreche jedoch inhaltlich § 9 Nr. 2 IRG, soweit auf die Verjährung nach deutschem Recht abgestellt werde. Danach solle bei konkurrierender Gerichtsbarkeit die Auslieferung zur Strafverfolgung auch dann zulässig sein, wenn die Tat im Inland wegen Verfolgungsverjährung nicht mehr geahndet werden könne, die Strafverfolgungsbehörden des ersuchenden Staates jedoch Handlungen vorgenommen hätten, die ihrer Art nach geeignet wären, die Verjährung nach deutschen Rechtsvorschriften zu unterbrechen. Sinn und Zweck solle es sein, mit dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen den Auslieferungsverkehr zwischen den Vertragsstaaten zu erleichtern; der Bundesgerichtshof habe in der genannten Entscheidung klargestellt, dass das Auslieferungsrecht kein Strafverfahren im ersuchten Staat, sondern lediglich ein Verfahren zur Unterstützung einer ausländischen Strafverfolgung darstelle; es seien keine Gründe ersichtlich, weshalb diese Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht auch auf den Anwendungsbereich des Rahmenbeschlusses des Rates über den Europäischen Haftbefehl vom 13. Juni 2002 beziehungsweise das Gesetz über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen anwendbar wären; das Auslieferungsverfahren diene der Unterstützung einer ausländischen Strafverfolgung/Strafvollstreckung und sei damit Bestandteil des Rechtshilfeverkehrs, weshalb die eigenen Rechtsregeln des ersuchenden Staates nicht alleiniger Maßstab sein könnten; mit der Vorschrift des § 9 Nr. 2 IRG werde nicht etwa die Einrichtung von neuen Auslieferungshindernissen bezweckt, sondern vielmehr solle im Gegenteil der Abbau bestehender Hindernisse und die Erleichterung des Auslieferungsverkehrs erreicht werden.
Die Nichtberücksichtigung verjährungshemmender oder -unterbrechender Handlungen des ersuchenden Staates würde in Fallkonstellationen wie der vorliegenden zu einer ungerechtfertigten Privilegierung des Täters führen, wenn sich dieser dem Verfahren durch einen Aufenthalt im Ausland entziehen könnte.
Eine Vorlage der Rechtsfrage betreffend die Auslegung von § 9 Nr. 2 IRG an den Bundesgerichtshof sei auch unter Berücksichtigung des Vorlagebeschlusses des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 6. April 2009 nicht erforderlich gewesen, zumal der Senat weder von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs noch von der Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte abweichen wolle. Die Vorlage des Oberlandesgerichts Oldenburg entfalte für den Senat keine Bindungswirkung; denn dieses Oberlandesgericht habe lediglich eine Rechtsfrage vorgelegt, bislang aber noch keine Entscheidung getroffen, da es die Auslieferung nicht für unzulässig erklärt habe; soweit das Oberlandesgericht Oldenburg im dortigen Verfahren den bereits erlassenen Auslieferungshaftbefehl aufgehoben habe, sei dies keine Entscheidung über die Auslieferung; daher sei das Oberlandesgericht München nicht gehindert, in der Sache selbst zu entscheiden.
4. Mit Verfügung vom 12. August 2009 bewilligte die Generalstaatsanwaltschaft München die Auslieferung des Beschwerdeführers.
Der Beschwerdeführer sieht sich durch den angegriffenen Beschluss in seinem Grundrecht aus Art. 16 Abs. 2 GG verletzt.
Das Oberlandesgericht München habe in der angefochtenen Entscheidung den hohen Rang des Grundrechts aus Art. 16 GG bei Auslegung des § 9 Nr. 2 IRG verkannt. Das Oberlandesgericht München habe diese Vorschrift über ihren Wortlaut hinaus ausgeweitet. Tatsächlich seien die dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Taten in Deutschland und damit nach deutschem Recht verjährt; für die vom Oberlandesgericht München vorgenommene Gleichstellung der Verfahrenshandlungen griechischer und deutscher Strafverfolgungsbehörden bestehe keine Rechtsgrundlage, obgleich Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG eine solche voraussetze.
Das Bayerische Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz nahm Stellung. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Bewilligungsentscheidung der Generalstaatsanwaltschaft München richte, erscheine die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde und damit des Antrags auf einstweilige Anordnung zumindest fraglich; sowohl der Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 10. August 2009 als auch die auf Grundlage der Überprüfung der Abwägungsentscheidung der Generalstaatsanwaltschaft durch das Oberlandesgericht ergangene Bewilligungsentscheidung der Generalstaatsanwaltschaft München vom 12. August 2009 enthielten jedenfalls keinerlei Auslegungsfehler, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des betroffenen Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 16 Abs. 2 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor.
Der Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 10. August 2009 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip in der Ausprägung als Bestimmtheitsgebot. Eine Auslegung von § 9 Nr. 2 IRG in der Weise, dass bei konkurrierender Gerichtsbarkeit die Auslieferung Deutscher zur Strafverfolgung auch dann zulässig ist, wenn die Tat im Inland wegen Verfolgungsverjährung nicht mehr geahndet werden kann, die Strafverfolgungsbehörden des ersuchenden Staates jedoch Handlungen vorgenommen haben, die "ihrer Art nach" geeignet wären, die Verjährung nach deutschen Rechtsvorschriften zu unterbrechen, ist unvereinbar mit Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG.
Deutsche Staatsangehörige sind durch das Grundrecht aus Art. 16 Abs. 2 GG vor Auslieferung geschützt ( BVerfGE 113, 273 <292>). Das Verbot der Auslieferung (Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG) ist ebenso wie das damit in Zusammenhang stehende Verbot der Ausbürgerung (Art. 16 Abs. 1 GG) nicht nur Ausdruck staatlich beanspruchter Verantwortlichkeit für die eigenen Staatsangehörigen, sondern beide Verbote sind als Freiheitsrechte gewährleistet ( BVerfGE 113, 273 <293>). Der qualifizierte Gesetzesvorbehalt, der nach dem zweiten Satz dieser Vorschrift durch Gesetz für bestimmte Fälle eine Einschränkung des Grundrechts erlaubt, ändert nichts daran, dass das Grundrecht, das die Staatsangehörigkeit und den Verbleib in der eigenen Rechtsordnung garantiert, einen hohen Rang hat ( BVerfGE 113, 273 <294>).
Der Zweck des Freiheitsrechts auf Auslieferungsschutz liegt dabei nicht darin, den Betroffenen einer gerechten Bestrafung zu entziehen ( BVerfGE 29, 183 <193>; 113, 273 <293>). Vielmehr sollen Bürger nicht gegen ihren Willen aus der ihnen vertrauten Rechtsordnung entfernt werden. Jeder Staatsangehörige soll - soweit er sich im Staatsgebiet aufhält - vor den Unsicherheiten einer Aburteilung unter einem ihm fremden Rechtssystem und in für ihn schwer durchschaubaren fremden Verhältnissen bewahrt werden ( BVerfGE 29, 183 <193>; 113, 273 <293>). Damit das Auslieferungsverbot dabei nicht zu einem Freibrief für kriminelles Handeln eigener Staatsangehöriger im Ausland wird und um der mit dem Schutzversprechen einhergehenden Verantwortung für deren Handeln gerecht zu werden, erstreckt sich die Strafgewalt der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich auch auf Straftaten im Ausland (vgl. §§ 5 ff. StGB und § 1 VStGB).
Überdies gewährleistet Art. 16 GG nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als Grundrecht mit seinem Ausbürgerungs- und Auslieferungsverbot die besondere Verbindung der Bürger zu der von ihnen getragenen freiheitlichen Rechtsordnung. Der Beziehung des Bürgers zu einem freiheitlichen demokratischen Gemeinwesen entspricht es, dass der Bürger von dieser Vereinigung grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden kann ( BVerfGE 113, 273 <294>).
Diese Grundsätze haben alle Stellen deutscher Staatsgewalt - auch im Bereich der Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl - zu beachten.
So war der Gesetzgeber bei Erlass des Umsetzungsgesetzes zum Rahmenbeschluss verpflichtet, das Ziel des Rahmenbeschlusses in der Weise umzusetzen, dass die dabei unumgängliche Einschränkung des Grundrechts auf Auslieferungsfreiheit verhältnismäßig ist. Insbesondere hatte der Gesetzgeber über die Beachtung der Wesensgehaltsgarantie hinaus dafür Sorge zu tragen, dass der Eingriff in den Schutzbereich des Art. 16 Abs. 2 GG schonend erfolgt. Dabei musste er insbesondere beachten, dass mit dem Auslieferungsverbot gerade auch die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes für den von einer Auslieferung betroffenen Deutschen gewahrt werden. Die Verlässlichkeit der Rechtsordnung ist wesentliche Voraussetzung für Freiheit, das heißt für die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und seine Umsetzung ( BVerfGE 113, 273 <301 f.>).
Gleiche Bindungen bestehen aber auch für Exekutive und Judikative. Sie aktualisieren sich unter anderem dann, wenn auf der Grundlage eines grundrechtseinschränkenden Gesetzes im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG in das Grundrecht aus Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG eingegriffen werden soll.
Jede Anforderung, die an grundrechtseinschränkende Gesetze im Allgemeinen gestellt wird, muss auch - und gerade - im Kontext des Schutzes vor Auslieferungen gemäß Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG gewahrt sein. So verdrängt die besondere im Wortlaut des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG genannte Schranke nicht die für jedes grundrechtseinschränkende Gesetz bestehenden Grenzen der Verfassung. Jedes einschränkende Gesetz muss daher seinerseits allen verfassungsrechtlichen Bindungen entsprechen, darf keine Kollisionen mit anderen Verfassungsbestimmungen hinnehmen und muss unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes den Eingriff schonend ausgestalten ( BVerfGE 113, 273 <299 f.>). Zu den Anforderungen an Grundrechtsbeschränkungen in diesem Sinne zählt namentlich das Bestimmtheitserfordernis, das in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seit langem als wesentlicher rechtsstaatlicher Bestandteil der Rechtssicherheit im Sinne einer Vorhersehbarkeit von (insbesondere belastenden) Rechtsfolgen für den Grundrechtsträger anerkannt ist.
Ausdrücklich mit Blick auf den Europäischen Haftbefehl hat das Bundesverfassungsgericht die Einhaltung des verfassungsrechtlichen Gebotes der Bestimmtheit von grundrechtseinschränkenden Gesetzen angemahnt. Danach muss der Gesetzgeber die Vollstreckungsbehörde mit rechtsstaatlich bestimmten Tatbeständen zumindest in den Stand setzen, das insoweit geschützte Vertrauen seiner Staatsangehörigen in die deutsche Rechtsordnung im Einzelfall entsprechend dieser verfassungsrechtlichen Grundsätze zu gewichten, sofern er auf der Grundlage des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG den Auslieferungsschutz Deutscher in verfassungsgemäßer Weise einschränken will ( BVerfGE 113, 273 <308>). Die allgemeine Bindung des Richters an Grundrechte in Verbindung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 1 Abs. 3 GG) allein genügt diesen Anforderungen an ein grundrechtsbeschränkendes Gesetz nicht.
Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Auslieferung Deutscher sowie die Grundsätze der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit gebieten es vielmehr, dass jedes Ausführungsgesetz zu Art. 16 Abs. 2 GG aus sich heraus verständlich ist und die Auslieferungsentscheidungen hinreichend vorherbestimmt. In jedem Fall bedarf die verfassungsrechtlich gebotene Konkretisierung einer Abbildung im Gesetzestext ( BVerfGE 113, 273 <315 f.>). Denn neben der verfahrensrechtlichen Absicherung der Grundrechtssphäre des Bürgers dienen Bestimmtheit und Klarheit von Normen dazu, die Verwaltung zu binden und ihr Verhalten nach Inhalt, Zweck und Ausmaß zu begrenzen ( BVerfGE 56, 1 <12>; stRspr). Die Entscheidung über die Grenzen der Freiheit des Bürgers wird nur bei hinreichender Gesetzesklarheit nicht einseitig in das Ermessen der Verwaltung gestellt ( BVerfGE 78, 214 <226>); Normenbestimmtheit und Normenklarheit versetzen die Gerichte erst in die Lage, die Verwaltung anhand rechtlicher Maßstäbe zu kontrollieren. Umgekehrt beeinträchtigen etwaige Mängel hinreichender Normenbestimmtheit und -klarheit insbesondere die Beachtung des verfassungsrechtlichen Übermaßverbots ( BVerfGE 114, 1 <53 f.>; 118, 168 <186 f.>; 120, 274 <316>; 120, 378 <407 f.>).
Die Bestimmtheitsanforderungen gelten gerade auch im Falle von Verweisungsketten (vgl. dazu BVerfGE 110, 33 <63 f.>; 118, 168 <192>) beziehungsweise bei der Regelung einer Materie durch das Zusammenspiel von Normen (vgl. dazu BVerfGE 108, 52 <75>; 110, 33 <53 f.>) wie vorliegend durch die Anwendbarkeit von § 9 Nr. 2 IRG in Verbindung mit § 78c StGB.
An diesen Maßstäben gemessen, beruhen Auslegung und Anwendung von § 9 Nr. 2 IRG durch das Oberlandesgericht München auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des Art. 16 Abs. 2 GG, insbesondere vom Umfang dessen Schutzbereichs.
§ 9 Nr. 2 IRG bestimmt:
Ist für die Tat auch die deutsche Gerichtsbarkeit begründet, so ist die Auslieferung nicht zulässig, wenn [...], die Verfolgung oder Vollstreckung nach deutschem Recht verjährt oder auf Grund eines deutschen Straffreiheitsgesetzes ausgeschlossen ist.
Die Auslegung von § 9 Nr. 2 IRG in der Weise, dass bei konkurrierender Gerichtsbarkeit die Auslieferung Deutscher zur Strafverfolgung auch dann zulässig sei, wenn die Tat im Inland wegen Verfolgungsverjährung nicht mehr geahndet werden kann, die Strafverfolgungsbehörden des ersuchenden Staates jedoch Handlungen vorgenommen haben, die "ihrer Art nach" geeignet wären, die Verjährung nach deutschen Rechtsvorschriften zu unterbrechen, berücksichtigt die Tragweite des Grundrechts nicht hinreichend und greift unverhältnismäßig in die Auslieferungsfreiheit nach Art. 16 Abs. 2 GG ein.
Dabei kann offen bleiben, ob - jedenfalls bei Auslieferung Deutscher - die Auslegung des § 9 Nr. 2 IRG durch das Oberlandesgericht München sogar das Willkürverbot berührt.
Die Auslegungsproblematik resultiert im vorliegenden Fall aus der Heranziehung einer Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 33, 26 ff.) zu Art. 10 EuAlÜbk im Rahmen der Auslegung von § 9 Nr. 2 IRG (siehe dazu Vogel/Burchard, in: Grützner/Pötz/Kreß (Hrsg.), Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, Kommentar, 3. Auflage, Bd. I, Loseblatt <Stand: Mai 2009>, § 9 Rn. 66). Art. 10 EuAlÜbk hat folgenden Wortlaut:
Die Auslieferung wird nicht bewilligt, wenn nach den Rechtsvorschriften des ersuchenden oder des ersuchten Staates die Strafverfolgung oder Strafvollstreckung verjährt ist.
Einfachrechtlich problematisch ist die Übertragung der Rechtsprechung zu Art. 10 EuAlÜbk auf § 9 Nr. 2 IRG erstens deswegen, weil der Bundesgerichtshof seinerzeit ausdrücklich die Gültigkeit seiner Überlegungen für die ähnliche Bestimmung in § 9 Nr. 2 IRG offen ließ (BGHSt 33, 26 <28 f.>), weil - zweitens - der Wortlaut von Art. 10 EuAlÜbk nicht übereinstimmt mit § 9 Nr. 2 IRG und - drittens - deswegen, weil die Regelung in Art. 10 EuAlÜbk nach damaliger Verfassungslage gar nicht die Auslieferung von Deutschen betraf.
Verfassungsrechtlich problematisch in einer Weise, die jedenfalls in die Nähe des Willkürvorwurfs gerät, ist die Annahme des Oberlandesgerichts München, dass keine Gründe ersichtlich [seien], weshalb diese Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht auch auf den Anwendungsbereich des Rahmenbeschlusses des Rates über den Europäischen Haftbefehl vom 13. Juni 2002 beziehungsweise das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen anwendbar wären.
Diese Ausführungen legen es nahe, dass das Oberlandesgericht München die veränderte Verfassungsrechtslage mit der nunmehr nur ausnahmsweise möglichen Auslieferung auch deutscher Staatsangehöriger im Rahmen der grundrechtlichen Vorgabe des Art. 16 Abs. 2 GG in neuer Gestalt nicht für die Auslegung der Norm berücksichtigt hat. Ebenfalls nicht berücksichtigt werden die Grundsätze der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2005 zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl, namentlich die dort entwickelten Anforderungen an die innerstaatlichen Vorschriften zum Europäischen Haftbefehl beziehungsweise zu deren Anwendung.
Die entscheidend veränderte verfassungsrechtliche Rahmensituation wird nicht nur nicht aufgegriffen, sondern durch das Oberlandesgericht München sogar in ihr Gegenteil verkehrt, wenn das Gericht auch im Anwendungsbereich des Rahmenbeschlusses des Rates über den europäischen Haftbefehl es als maßgeblich hervorhebt, dass es "Sinn und Zweck [sei], den Auslieferungsverkehr zwischen den Vertragsstaaten zu erleichtern". Diese einseitig auslieferungsfreundliche Deutung übersieht den aus dem Statusrecht als Deutscher folgenden Schutzanspruch der Grundrechtsträger, der im Rahmen einer stets erforderlichen Abwägung als eigenständiger Wertungsgesichtspunkt mit dem grenzüberschreitenden europäischen Strafverfolgungsinteresse in Ausgleich gebracht werden muss (vgl. dazu BVerfGE 113, 273 <307>).
Ungeachtet dieses (möglichen) Willkürvorwurfs verkennt das Oberlandesgericht München im Zuge seiner Auslegung von § 9 Nr. 2 IRG jedenfalls Inhalt und Tragweite von Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG. Der Beschluss wird insoweit dem hohen Rang des betroffenen Grundrechts nicht gerecht, weil er die gesteigerten verfassungsrechtlichen Anforderungen unterschreitet, die angesichts der Schwere der grundrechtlichen Beeinträchtigung im Falle einer Auslieferung an die Vorhersehbarkeit verfassungskonformer Grundrechtsbeeinträchtigungen zu stellen sind. Die Auslegung von § 9 Nr. 2 IRG, die das Oberlandesgericht München vornimmt, führt im Zusammenspiel mit § 78c StGB sowie durch die spezifische Kombination mit den jeweils in Bezug genommenen Hoheitsakten ausländischer Strafverfolgungsbehörden zu verfassungsrechtlich nicht hinreichend vorhersehbaren Eingriffen in das Grundrecht auf Auslieferungsfreiheit gemäß Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG. Beeinträchtigt wird die Vorhersehbarkeit des Auslieferungsverfahrens insbesondere durch die so erforderlich gewordenen Ausführungen zum ausländischen Prozessrecht. Die verfahrensrechtliche Abhängigkeit einer Auslieferung von Akten ausländischer Hoheitsträger, deren Funktionsäquivalenz trotz des generellen Vertrauens in die Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze durch Mitgliedstaaten der Europäischen Union für alle Beteiligten nur wenig verlässlich ermittelbar ist, konfrontiert den von einer Auslieferung betroffenen Grundrechtsträger mit nicht hinreichend vorhersehbaren Rechtsfolgen.
Die sogenannte Substitution ist zwar nicht generell verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt (1). Die bei der Suche nach Funktionsäquivalenten in fremden Rechtsordnungen regelmäßig entstehenden Übersetzungs-, Einordnungs- und Bewertungsfragen (vgl. Sonnenberger, in: Münchener Kommentar zum BGB, 4. Auflage 2006, Einleitung, Rn. 614) sind aber als verfassungskonforme Beschränkungen von Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG nicht hinnehmbar (2), sie genügen nicht dem qualifizierten Gesetzesvorbehalt von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG.
Die Auslegung von § 9 Nr. 2 IRG in Verbindung mit § 78c StGB (sogenannte Substitution) ist eine dogmatische Besonderheit, die ihrer Art nach jedoch nicht einmalig in der deutschen Rechtsordnung ist. Der Begriff der Substitution bezeichnet grundsätzlich die Ersetzung eines inländischen durch einen ausländischen (Verwaltungs-)Akt. Anlass dafür ist stets, dass Rechtsnormen auf Rechtserscheinungen Bezug nehmen, ohne klar zu entscheiden, ob darunter auch sogenannte fremdrechtliche Vorgänge zu verstehen sind (Sonnenberger, in: Münchener Kommentar zum BGB, 4. Auflage 2006, Einleitung, Rn. 614). Das Problem der Substitution wird daher meist im Kontext von international-privatrechtlichen Konstellationen diskutiert (vgl. nur BGHZ 109, 1 <6> m.w.N.; Thorn, in: Palandt, BGB, 68. Auflage 2009, Einleitung Art. 3 EGBGB, Rn. 31). Verbreitet wird dort von einem Grundsatz der Nichtanerkennung und erst recht des Nichtvollzugs ausländischer Verwaltungsakte ausgegangen, doch lockert sich diese Haltung im jüngeren Schrifttum auf. Substitution ist für sich betrachtet jedoch kein Gegenstand des Internationalen Privatrechts, sondern kann prinzipiell in allen Rechtsgebieten auftreten (so ausdrücklich Sonnenberger, in: Münchener Kommentar zum BGB, 4. Auflage 2006, Einleitung, Rn. 618). Allgemein verbirgt sich dahinter jeweils das Problem der Gleichwertigkeit fremder Rechtserscheinungen.
Nach herrschender Auffassung im einschlägigen Schrifttum handelt es sich bei Fragen der Substitution stets um einen Aspekt der Auslegung der betreffenden Sachnormen, die bisweilen erleichtert wird, wenn der Gesetzgeber selbst entsprechende Anweisungen erläutert (vgl. m.w.N. Sonnenberger, in: Münchener Kommentar zum BGB, 4. Auflage 2006, Einleitung, Rn. 614). Derartige Hinweise des Gesetzgebers sind selten, eines der wenigen Gegenbeispiele liefert § 34 Abs. 1 SGB I. Typische Auslegungsprobleme der Sachnorm sind in diesem Zusammenhang etwa die Frage, ob Gleichartigkeit der fremden Rechtserscheinung erforderlich ist oder ob Ähnlichkeit in den wesentlichen Punkten genügt (vgl. BGHZ 109, 1 <6>). Ist einer Sachnorm nichts Besonderes zu entnehmen, wird häufig als Faustregel auf Funktionsäquivalenz abgestellt.
Im Rahmen von § 9 Nr. 2 IRG in Verbindung mit § 78c StGB genügt die vom Oberlandesgericht München vorgenommene Substitution nicht den Anforderungen des Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG. Die unzuverlässige und mit Unsicherheiten behaftete Ermittlung funktionsäquivalenter Unterbrechungstatbestände bietet jedenfalls im grundrechtssensiblen verfahrensrechtlichen Kontext der Auslieferung deutscher Staatsangehöriger keine hinreichende Vorhersehbarkeit der Grundrechtsbeeinträchtigungen.
Der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts München enthält erhebliche Unwägbarkeiten bei der Bestimmung von Funktionsäquivalenten: so muss das Oberlandesgericht mit Art. 31 Abs. 2 (gemeint ist wohl: Art. 31 § 2) eine Bestimmung der griechischen Strafprozessordnung heranziehen, um das Handeln der griechischen Behörden überhaupt im richtigen normativen Kontext erfassen zu können, wobei der fremdsprachliche Kontext hinzutritt; denn die von den griechischen Behörden vorgelegten Schriftstücke lassen nach Auffassung des Oberlandesgerichts München nicht eindeutig erkennen, ob der Beschwerdeführer als "Zeuge" oder aber als "Beschuldigter" von den griechischen Behörden geführt wurde.
Diese grundrechtsrelevanten Unsicherheiten, die durch die Substitution entstehen, hat das Oberlandesgericht München "sehenden Auges" hingenommen, ohne die Notwendigkeit der Substitution im Lichte von Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG kritisch zu hinterfragen. Dabei hätte insbesondere der Vorlagebeschluss des Oberlandesgerichts Oldenburg (OLG Oldenburg, NJW 2009, S. 2320 f.) vom 6. April 2009 einen Anlass geben müssen, sich mit den grundrechtlichen Aspekten verjährungsunterbrechender Substitution zu befassen; in diesem Beschluss legte das Oberlandesgericht Oldenburg dem Bundesgerichtshof gemäß § 42 Abs. 1 IRG die folgende Rechtsfrage vor:
Ist die Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen aufgrund eines Europäischen Haftbefehls an die Republik Polen - zur Strafverfolgung wegen in Polen begangener Straftaten, die nach deutschem Recht verjährt wären und für die wegen der deutschen Staatsangehörigkeit des Verdächtigten auch die deutsche Gerichtsbarkeit begründet ist - auch dann unzulässig, wenn in der Republik Polen Handlungen vorgenommen worden sind, die ihrer Art nach geeignet wären, die Verjährung nach deutschen Rechtsvorschriften zu unterbrechen?
An die dabei zentrale Aussage des Oberlandesgerichts Oldenburg (OLG Oldenburg, NJW 2009, S. 2320 <2321>), vor dem Hintergrund der [...] grundrechtsschonenden Auslegung der Vorschriften kommt nach Auffassung des Senats eine Auslegung dahingehend, dass die polnischen Haftbefehle auch die deutsche Verjährung unterbrochen haben, nicht in Betracht. Die praktischen Erwägungen, die von Bubnoff in seinem Aufsatz schildert, vermögen daran nichts zu ändern, knüpft das Oberlandesgericht München in seinem Beschluss inhaltlich nicht an, sondern beschränkt sich ausschließlich auf die Diskussionen von Fragen der formellen Bindungswirkung (§ 42 Abs. 1 IRG).
Für die Beurteilung der am verfassungsrechtlichen Maßstab gemessen mangelnden Vorhersehbarkeit der "funktionsäquivalenten Unterbrechungstatbestände" ist unerheblich, ob der Gesetzgeber - was vorliegend dahinstehen kann - bei der Umsetzung des Rahmenbeschlusses zum Europäischen Haftbefehl an der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 9 Nr. 2 IRG aus dem Jahr 1984 festhalten wollte (vgl. zum Willen des historischen Gesetzgebers Vogel/Burchard, in: Grützner/Pötz/Kreß (Hrsg.), Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, Kommentar, 3. Auflage, Bd. I, Loseblatt <Stand: Mai 2009>, § 9 Rn. 68). Denn dieser mögliche Wille des Gesetzgebers hätte mit hinreichender Deutlichkeit in der gesetzlichen Grundlage Ausdruck finden müssen; insbesondere hätten dafür die relevanten Tatbestände ausländischer Vollstreckungsbehörden in nachvollziehbarer Weise sichtbar werden müssen. Nur unter diesen qualifizierten Voraussetzungen an die Nachvollziehbarkeit des Auslieferungsverfahrens kann der Forderung des Bundesverfassungsgerichts nachgekommen werden, dass die verfassungsrechtlich gebotene Konkretisierung einer "Abbildung im Gesetzestext" ( BVerfGE 113, 273 <315 f.>) bedarf.
Aus dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der europäischen justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen ergibt sich nichts anderes. Denn namentlich der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl eröffnet in Art. 4 Nr. 4 die Möglichkeit einer Auslieferungsverweigerung für den Fall der "Verjährung nach den Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaates". Jedenfalls können die Zugeständnisse im Rahmen der gegenseitigen Anerkennung nicht weiter gehen, als dies die grundrechtlichen Spielräume bei der Auslieferung deutscher Staatsangehöriger zulassen (vgl. auch Vogel/Burchard, in: Grützner/Pötz/Kreß (Hrsg.), Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, Kommentar, 3. Auflage, Bd. I, Loseblatt <Stand: Mai 2009>, § 9 Rn. 84).
Eine verfassungskonforme Auslegung von § 9 Nr. 2 IRG setzt in Konstellationen der Auslieferung deutscher Staatsangehöriger notwendigerweise voraus, dass lediglich inländische Unterbrechungstatbestände anerkannt werden können, um zu hinreichend voraussehbaren Rechtsfolgen für die von Auslieferung betroffenen deutschen Staatsangehörigen zu gelangen.
Die Bewilligungsentscheidung der Generalstaatsanwaltschaft München vom 12. August 2009 verletzt den Beschwerdeführer insofern in seinem Grundrecht aus Art. 16 Abs. 2 GG als sie die bereits durch den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 10. August 2009 eingetretene Grundrechtsverletzung bestätigt und vertieft.
Mit der Stattgabe der Verfassungsbeschwerde erledigt sich der Antrag des Beschwerdeführers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 34a Abs. 2 Alternative 1 BVerfGG.
HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 1030
Bearbeiter: Stephan Schlegel