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HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 389

Bearbeiter: Stephan Schlegel

Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 2391/07, Beschluss v. 16.01.2008, HRRS 2008 Nr. 389


BVerfG 2 BvR 2391/07 (1. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 16. Januar 2008 (LG Hamburg/AG Hamburg-Barmbek)

Recht auf informationelle Selbstbestimmung (molekulargenetische Untersuchung); Straftat von erheblicher Bedeutung (Besitz und Mitsichführen einer Waffe samt Munition).

Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 1 Abs. 1 GG; § 81g StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die in § 81g StPO geregelte molekulargenetische Untersuchung von Körperzellen und die Speicherung des dadurch gewonnenen DNA-Identifizierungsmusters zum Zweck der Vorsorge für die Verfolgung von Straftaten setzt eine auf bestimmte Tatsachen gestützte Prognose voraus, dass gegen den Betroffenen künftig weitere Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sein werden. Dazu bedarf es einer zureichenden Sachverhaltsaufklärung.

2. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn im Besitz einer Waffe über einen Zeitraum von mehreren Monaten hinweg und dem Mitsichführen auf offener Straße mitsamt zugehöriger Munition, durch einen Täter, gegen den bereits ein Kontaktverbot nach dem GewSchG ergangen ist, eine Straftat von erheblicher Bedeutung gesehen wird, welche die Prognose rechtfertigt, dass vom Täter auch zukünftig Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen werden können.

Entscheidungstenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

Ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG liegt nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg; sie ist teilweise unzulässig und ansonsten unbegründet.

1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sie sich gegen die Entscheidung des Amtsgerichts richtet. Diese ist durch die Entscheidung des Landgerichts prozessual überholt.

2. Eine Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung liegt nicht vor.

a) Das Bundesverfassungsgericht hat bereits festgestellt, dass die in § 81g StPO geregelte molekulargenetische Untersuchung von Körperzellen und die Speicherung des dadurch gewonnenen DNA-Identifizierungsmusters zum Zweck der Vorsorge für die Verfolgung von Straftaten keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen (BVerfGE 103, 21 ff.). Da die Maßnahme eine auf bestimmte Tatsachen gestützte Prognose voraussetze, dass gegen den Betroffenen künftig weitere Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sein werden, sei sie auf besondere Fälle beschränkt und also verhältnismäßig. Eine tragfähig begründete Entscheidung setze allerdings voraus, dass ihr eine zureichende Sachaufklärung, insbesondere durch Beiziehung der verfügbaren Straf- und Vollstreckungsakten, des Bewährungshefts und zeitnaher Auskünfte aus dem Bundeszentralregister, vorausgehe. Notwendig und ausreichend für die Anordnung sei, dass wegen der Art oder Ausführung der bereits abgeurteilten Straftat, der Persönlichkeit des Verurteilten oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme bestehe, dass gegen ihn künftig erneut Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen seien. Dabei sei eine auf den Einzelfall bezogene Entscheidung, die auf schlüssigen, verwertbaren und in der Entscheidung nachvollziehbar dokumentierten Tatsachen beruhe und die richterliche Annahme der Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten von erheblicher Bedeutung belege, erforderlich (vgl. BVerfGE 103, 21 <34 ff.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 15. März 2001 - 2 BvR 1841/00, 2 BvR 1876/00, 2 BvR 2132/00, 2 BvR 2307/00 -, NJW 2001, S. 2320; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 16. Februar 2006, - 2 BvR 561/03 -, juris).

b) Die Entscheidung des Landgerichts genügt im Hinblick auf diesen Maßstab den Anforderungen an eine verfassungsgemäße Anordnung.

Das Landgericht stützt seine Entscheidung darauf, dass der Beschwerdeführer über einen Zeitraum von mehreren Monaten hinweg die Waffe besessen und am Tag ihrer Beschlagnahme auf offener Straße mitsamt zugehöriger Munition bei sich geführt habe. Dies berge ein erhebliches Gefährdungspotential und eine damit einhergehende Verunsicherung der Rechtsgemeinschaft in sich, zumal der Beschwerdeführer keine plausiblen Gründe für das Mitsichführen der Waffe habe angeben wollen. Vor diesem Hintergrund konnte das Landgericht auf der Grundlage des von ihm zutreffend benannten Maßstabs das Vorliegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise annehmen.

Grund zu der Annahme gegen den Beschwerdeführer künftig zu führender Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung sieht das Landgericht in der Art und Weise der Tatbegehung, ferner darin, dass der Beschwerdeführer einen Hang zu Waffen habe, was die Tatsache nahelege, dass in seinem Fahrzeug auch eine Gaspistole sichergestellt worden sei, und in dem Umstand, dass gegen ihn ein Kontaktverbot nach dem Gewaltschutzgesetz ergangen ist. Damit würdigt das Landgericht Umstände, die im Sinne des § 81g Abs. 1 Satz 1 StPO die Art der Tat und die Persönlichkeit des Beschwerdeführers betreffen. Indem das Landgericht auf den Gesichtspunkt der Kontaktverbote nach dem Gewaltschutzgesetz abstellt, bezieht es außerdem sonstige Erkenntnisse im Sinne des § 81g Abs. 1 Satz 1 StPO in Form kriminalistischer Erfahrungswerte über die Häufigkeit von im Zusammenhang mit solchen Verboten sich ereignenden erheblichen Straftaten mit ein.

Die Würdigung des Landgerichts ist insgesamt auf den Einzelfall bezogen und lässt erkennen, dass das Gericht seiner Entscheidung Erkenntisse aus den Strafverfahrens-, Vollstreckungs- und Zivilverfahrensakten zugrunde gelegt und die persönliche Situation des Beschwerdeführers in seine Erwägungen einbezogen hat.

3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 389

Bearbeiter: Stephan Schlegel