HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 832
Bearbeiter: Milan Kuhli
Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 1989/07, Beschluss v. 13.02.2008, HRRS 2008 Nr. 832
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung.
1. Das Landgericht hatte den - nicht vorbestraften, 1951 geborenen - Beschwerdeführer wegen über 20 Vermögensstrafen, die dieser zum Teil als Mitglied einer Bande, die sich zur forstgesetzten gewerbsmäßigen Begehung von Betrug und Untreue zusammengeschlossen hatte, begangen hatte, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet (Urteil des Landgerichts Bonn vom 25. August 2006).
2. Die Revision des Beschwerdeführers wurde gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Lediglich der Tenor wurde mit Blick auf drei Teilfreisprüche dahin berichtigt, dass der Beschwerdeführer "im Übrigen freizusprechen war" (Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 27. Juni 2007).
3. Eine Anhörungsrüge, mit der sich der Beschwerdeführer gegen die Anordnung der Sicherungsverwahrung wehrte, blieb ohne Erfolg (Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 6. August 2007).
Mit der gegen das Urteil des Landgerichts, den Revisionsverwerfungsbeschluss des Bundesgerichtshofs und den die Anhörungsrüge zurückweisenden Beschluss des Bundesgerichtshofs gerichteten Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung. Sie verletze sein Freiheitsgrundrecht und sei unverhältnismäßig. Außerdem habe der Bundesgerichtshof seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Ein Annahmegrund nach § 93a Abs. 2 BVerfGG liegt nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil es bereits an der Möglichkeit einer Verletzung von Grundrechten fehlt.
Eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG durch die auf § 66 Abs. 2 StGB in Verbindung mit § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB gestützte Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung hat der Beschwerdeführer nicht hinreichend dargetan.
1. Dass das Landgericht bei Auslegung und Anwendung der Vorschriften über die Sicherungsverwahrung spezifisches Verfassungsrecht verletzt, vor allem Bedeutung und Tragweite des Freiheitsgrundrechts des Beschwerdeführers grundlegend verkannt oder die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Feststellung der Voraussetzungen für eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (vgl. BVerfGE 109, 133 <164 ff.>) missachtet habe, ist nicht dargetan. Der Vortrag des Beschwerdeführers erschöpft sich in der Sache in einer eigenen Bewertung der materiellen Anordnungsvoraussetzungen.
2. a) Die Feststellung der materiellen Voraussetzungen der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung wird den verfassungsrechtlichen Vorgaben (vgl. BVerfGE 109, 133 <164>) ersichtlich gerecht.
Das Landgericht war hierzu - zum Hang des Beschwerdeführers zu erheblichen Straftaten wie zu seiner Gefährlichkeit für die Allgemeinheit - sachverständig beraten. Es hat die Ergebnisse des Gutachtens auf die gebotenen Mindeststandards kritisch untersucht und sichergestellt, dass das Gutachten nachvollziehbar und transparent ist und sich bei der Prognose künftiger Gefährlichkeit mit dem Anlassdelikt, der prädeliktischen Persönlichkeit, der postdeliktischen Persönlichkeitsentwicklung und dem sozialen Empfangsraum des Beschwerdeführers auseinandersetzt. Schließlich hat das Landgericht eine eigene kritische Würdigung der Aussagen des Gutachters zu Hand und Gefährlichkeit des Beschwerdeführers vorgenommen und hat auf dieser Grundlage die materiellen Anordnungsvoraussetzungen der Sicherungsverwahrung eigenverantwortlich bejaht.
b) Einen Hang des Beschwerdeführers zur Begehung erheblicher Straftaten (§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB) hat das Landgericht nachvollziehbar begründet.
Der Angriff des Beschwerdeführers, das Landgericht habe darlegen müssen, dass jede der 24 Taten Ausdruck eines "eingeschliffenen Verhaltensmusters" sei, und nicht einer Tat, der es selbst Sonderstatus einräume - dem Fall F. - beispielhafte Bedeutung beimessen dürfen, dringt nicht durch. Sachverständiger und Landgericht haben entgegen dem Vortrag des Beschwerdeführers das für einen Hang erforderliche "eingeschliffene Verhaltensmuster" aus der Analyse aller Taten gewonnen. Dass das Landgericht den Fall F. beispielhaft hervorhebt, ist nicht zu beanstanden. Die ausführliche Schilderung dieses Komplexes dient ersichtlich nur dazu, das Handlungsmuster des Beschwerdeführers, das in den wesentlichen Elementen allen Fällen eignete, konkreter zu beschreiben und unnötige Wiederholungen zu vermeiden. Dies wird schon daraus ersichtlich, dass das Landgericht nach der beispielhaften Schilderung des Falles F. ausdrücklich den Bezug zu anderen Taten herstellt und das in allen Taten zum Ausdruck kommende Handlungsmuster mit eingehender Begründung als seit langem eingeschliffene Verhaltensweise analysiert. Der exemplarischen Schilderung des Falles F. stand auch nicht entgegen, dass das Landgericht diesen an anderer Stelle als einen Sonderfall ansehe, wie der Beschwerdeführer meint. Der Sachverständige hatte lediglich ausgeführt, dass im Fall F. anders als in allen anderen Fällen, die von langer Hand gezielt vorbereitet gewesen seien, im Tatentschluss ein spontaneres Element zutage getreten sei. Diese Abweichung im Detail nimmt dem Fall nicht die Aussagekraft für das festgestellte Handlungsmuster, dessen Ursache das Landgericht mit dem Sachverständigen vor allem in einem extremen Schwarz-Weiß-Denken des Beschwerdeführers sieht, das alle Menschen in ein Freund-Feind-Schema einordne.
Dass die drei Teilfreisprüche, die im Revisionsverfahren eine Korrektur des Tenors erforderlich gemachte hatten, die zeitliche Kontinuität der Taten in Frage stellen und deshalb Zweifel an einem Hang begründen könnten, legt der Beschwerdeführer nicht dar. Es ist angesichts von 24 abgeurteilten, in der Zeit nach 1995 begangenen Taten auch nicht ersichtlich.
Nicht nachvollziehbar ist die Kritik des Beschwerdeführers, seine vom Landgericht bejahte tief sitzende Selbstwertproblematik verdanke sich lediglich einer über 30 Jahre zurück liegenden, unzulässigerweise für den gesamten späteren Lebenszeitraum generalisierten Beobachtung des Zeugen H. Die Bekundung des Zeugen H., wonach der Beschwerdeführer schon vor über 30 Jahren an keinem Spiegel habe vorbeigehen können, ohne sich darin zu betrachten, hat das Landgericht lediglich bestätigend für das bereits gewonnene Persönlichkeitsbild herangezogen, indem es die Taten als Ausfluss eines auf anderer Grundlage ermittelten Charaktermangels charakterisiert hat, den auch der Zeuge bereits vor 30 Jahren wahrgenommen habe. Seinen die Persönlichkeitsstruktur bestimmenden Narzissmus haben Sachverständiger und Landgericht maßgeblich aus der Analyse aller Taten und dem darin zum Ausdruck kommenden extremen Schwarz-Weiß-Denken und der gebrochenen Biographie gewonnen.
c) Auch eine Gefährlichkeit für die Allgemeinheit (§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB) hat das Landgericht nachvollziehbar begründet.
Die Kritik des Beschwerdeführers, das Gutachten des Sachverständigen stütze sich auf selektive, ohne nähere Begründung generalisierte Beobachtungen, bleibt pauschal. Der Vortrag, die Annahme eines mittleren Rückfallrisikos sei lediglich auf die - oben erwähnte - 30 Jahre zurück liegende Beobachtung des Zeugen H. gestützt worden, ist falsch. Der Sachverständige hat eine mittlere Rückfallgeschwindigkeit vor allem damit begründet, dass keine der 24 Taten im engeren Sinne anlassbezogen sei, sondern Ausdruck der Biographie und Persönlichkeit des Beschwerdeführers. Dabei hat der Sachverständige auch das professionelle Vorgehen des Beschwerdeführers und dessen Bestreben gewürdigt, seine Familie gegen wirtschaftliche Risiken abzusichern.
Dass der Sachverständige bei der Analyse der prädeliktischen Persönlichkeit des Beschwerdeführers dessen Alkoholabstinenz als Ausdruck eines Bemühens kennzeichnete, die Kontrolle über alle Lebensvorgänge zu behalten, ist nicht zu beanstanden. Dass diese Alkoholabstinenz auf andere Ursachen zurückzuführen sei, musste sich dem Sachverständigen nicht aufdrängen. Wenn der Beschwerdeführer im Verfassungsbeschwerdeverfahren auf seine Diabetes verweist, bleibt festzuhalten, dass er selbst die Diabeteserkrankung nur als "mögliche" Ursache für seine Abstinenz bezeichnet und damit selbst nur eine Vermutung äußert. Dass die Annahme des Sachverständigen von einer um Kontrolle über alle Lebensvorgänge bemühten Person in Widerspruch zu sonstigen Feststellungen stünde, wie der Beschwerdeführer meint, ist nicht ersichtlich. Der vom Beschwerdeführer vorgetragene Gegensatz zwischen einer einerseits um Kontrolle bemühten, andererseits gegenüber Tatanreizen willensschwachen Person besteht nicht. Das Landgericht hat ausführlich dargelegt, es sei kennzeichnend für die Persönlichkeit des Beschwerdeführers, dass er bei allen Taten die juristische Auseinandersetzung von vornherein einkalkuliert habe, weil er die Rechtsordnung als zu schwach einschätze, ihn an der Verfolgung seiner materiellen Ziele zu hindern. In der vom Beschwerdeführer postulierten "Willensschwäche" sah das Landgericht vor allem auch das Ausleben eines in seiner Persönlichkeit fest verankerten juristisch geprägten Überlegenheitsgefühls.
Wenn der Beschwerdeführer meint, das Landgericht habe bei Analyse der postdeliktischen Persönlichkeitsentwicklung zu seinen Lasten fehlendes Geständnis und ausbleibende Reue berücksichtigt, ist dies falsch. Die Kammer hat bei ihrer eigenen Bewertung des Sachverständigengutachtens ausdrücklich ausgeführt, bei einem bestreitenden Angeklagten könne Reue nicht verlangt werden, und ihre Prognoseentscheidung über die Gefährlichkeit des Beschwerdeführers nicht auf fehlende Reue und ausbleibendes Geständnis gestützt.
Anders als der Beschwerdeführer meint, musste das Landgericht auch unter Berücksichtigung des Lebensalters nach Haftverbüßung und dem möglichen Eindruck der Haft nicht zu einer anderen Beurteilung der Gefährlichkeit kommen. Das Landgericht hat beide Umstände erwogen. Wenn es dennoch eine künftige Gefährlichkeit bejaht, weil mit einer Änderung der Persönlichkeit nicht ohne weiteres zu rechnen sei, es auch einem 60-jährigen möglich sei, sich als erfolgreicher Kaufmann und sachkundiger Jurist zu gerieren, und vor allem angesichts des tief sitzenden Narzissmus und des gefestigten juristischen Überlegenheitsgefühls nicht abzuschätzen sei, ob die jetzige rechtskräftige Verurteilung bei ihm überhaupt einen Umdenkungsprozess in Gang setzen könne, sind diese Ausführungen nachvollziehbar und damit verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts von der des Sachverständigen abweicht. Die abweichende Beurteilung ist Ergebnis einer eigenständigen Prognoseentscheidung, bei der das Gericht dem Gutachten seine richterliche Kontrolle entgegengesetzt hat. Zu einer solchen eigenständigen und selbst verantworteten Würdigung des Sachverständigengutachtens ist das Fachgericht von Verfassungs wegen verpflichtet (vgl. BVerfGE 109, 133 <164>). Weshalb das Rückfallrisiko unter Betrachtung der prädeliktischen Persönlichkeit des Beschwerdeführers im Gegensatz zur Aussage des Sachverständigen nicht als niedrig bis mittel, sondern als hoch einzustufen sei, hat das Landgericht vor allem damit begründet, der Sachverständige habe übersehen, dass die kriminellen Praktiken des Beschwerdeführers deutlich früher als vom Sachverständigen angenommen begannen und in den Jahren nach 1995 Handlungsintensität und Raffinement bei Täuschung der Opfer und Manipulation der Sachverhalte stetig zugenommen habe.
d) Schließlich war die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung auch verhältnismäßig (vgl. § 72 Abs. 1 StGB).
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HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 832
Bearbeiter: Milan Kuhli