HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 225
Bearbeiter: Stephan Schlegel
Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 2486/06, Beschluss v. 11.07.2008, HRRS 2009 Nr. 225
Die Beschlüsse des Landgerichts Berlin vom 30. Oktober 2006 - 502 Qs 134/06 - und 27. November 2006 - 502 Qs 134.06 - und des Amtsgerichts Tiergarten vom 22. Mai 2006 - 349 Gs 1853/06 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 13 Absätze 1 und 2 des Grundgesetzes.
Die Beschlüsse werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Berlin zur Entscheidung über die Kosten zurückverwiesen.
Das Land Berlin hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Anordnung der Durchsuchung in einem Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz.
1. Die Beschwerdeführerin ist kamerunische Staatsangehörige. Seit September 2004 ist sie mit dem deutschen Staatsangehörigen A. verheiratet. Im Oktober 2004 gaben die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann in einer gemeinsamen schriftlichen Erklärung gegenüber der Ausländerbehörde an, einen gemeinsamen Hausstand in der Sch-Straße 39 in Berlin zu führen, in ehelicher Gemeinschaft zu leben und keine weiteren oder getrennten Wohnsitze zu unterhalten. Kurz darauf wurde der Beschwerdeführerin eine bis Oktober 2005 befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt. Im Oktober 2005 wurde das gemeinsame Kind der Eheleute geboren. Im Dezember 2005 gab die Beschwerdeführerin in einer schriftlichen Erklärung gegenüber der Ausländerbehörde an, mit ihrem Ehemann seit der Eheschließung bis November 2005 in ehelicher Lebensgemeinschaft unter Gründung eines eigenen Hausstandes zusammengelebt zu haben. Im Januar 2006 gab der Ehemann der Beschwerdeführerin gegenüber der Ausländerbehörde an, mit der Beschwerdeführerin bis Oktober 2005 in ehelicher Lebensgemeinschaft zusammengelebt zu haben. Im Januar 2006 schloss die Beschwerdeführerin einen Mietvertrag über eine Wohnung in der S-Straße 15 in Berlin; seitdem lebt sie dort.
2. Anlässlich eines gegen einen anderen Beschuldigten geführten Ermittlungsverfahrens erhielt die Polizei Hinweise darauf, dass die Beschwerdeführerin seit Beginn ihrer Ehe nicht mit ihrem Ehemann in der Sch-Straße 39, sondern in der Wohnung jenes Beschuldigten gelebt hatte. Daraufhin leitete die Staatsanwaltschaft gegen die Beschwerdeführerin und ihren Ehemann ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts eines Vergehens nach § 95 Abs. 2 Ziff. 2 AufenthG ein.
3. Das Amtsgericht ordnete mit dem angegriffenen Beschluss vom 22. Mai 2006 die Durchsuchung der Wohnräume der Beschwerdeführerin in der S-Straße 15 in Berlin zu dem Zweck der Auffindung von Beweismitteln an, die belegen, dass die Beschwerdeführerin "in der genannten Wohnung ohne ihren Ehemann lebt". Die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann seien eines Vergehens nach § 95 Abs. 2 Ziff. 2 AufenthG verdächtig. Ihnen werde vorgeworfen, den Aufenthaltstitel der Beschwerdeführerin durch Eingehung einer Scheinehe erschlichen zu haben. Am 6. Juli 2006 wurde der Durchsuchungsbeschluss vollzogen. Dabei wurden mehrere Lichtbilder und zwei Schreiben der Unterhaltsvorschussstelle sichergestellt.
4. Die gegen den Durchsuchungsbeschluss gerichtete Beschwerde der Beschwerdeführerin wurde mit angegriffenem Beschluss des Landgerichts vom 30. Oktober 2006 als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführerin sei zwar zuzugeben, dass sowohl nach ihrer Erklärung als auch nach der Erklärung ihres Ehemannes die Ehegatten bereits zum Zeitpunkt der Durchsuchungsanordnung gegenüber der Ausländerbehörde erklärt hatten, nicht mehr zusammenzuleben. Daher wäre der konkret aufgeführte Durchsuchungszweck für sich allein auch nicht tragfähig gewesen, die Durchsuchung zu rechtfertigen. Dies habe aber nicht die Rechtswidrigkeit der Durchsuchungsanordnung zur Folge, da der Zweck nur beispielhaft aufgeführt gewesen sei. Zweck der Durchsuchung sei insgesamt die Suche nach Beweismitteln zur Bestätigung des Tatvorwurfs gewesen.
Die dagegen gerichtete Gegenvorstellung der Beschwerdeführerin wurde mit angegriffenem Beschluss des Landgerichts Berlin vom 27. November 2006 zurückgewiesen.
Die Beschwerdeführerin rügt die Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 13 GG. Der im Durchsuchungsbeschluss angegebene Ermittlungszweck widerspreche dem Ermittlungsstand zum Zeitpunkt der Durchsuchungsanordnung und sei zu pauschal. Der Beschluss enthalte auch keine Konkretisierung der zu suchenden Beweismittel. Es hätte annäherungsweise dargelegt werden müssen, welche Beweismittel gesucht werden und inwieweit diese mit dem Tatvorwurf im Zusammenhang stehen sollen. Die angegriffene Durchsuchungsanordnung habe einer unzulässigen Ausforschung gedient. Die Angaben zum Tatvorwurf seien unzureichend, weil nicht angegeben worden sei, welches konkrete Verhalten der Beschwerdeführerin vorgeworfen wurde. Schließlich gebe der Durchsuchungsbeschluss nicht die Beziehung der gesuchten Beweismittel zum Tatvorwurf an.
1. Dem Land Berlin wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben; es hat hiervon keinen Gebrauch gemacht.
2. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten 61 Js 2095/06 der Staatsanwaltschaft Berlin vorgelegen.
Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Zu dieser Entscheidung ist die Kammer berufen, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden sind und die Verfassungsbeschwerde zulässig und offensichtlich begründet ist (§ 93c Abs. 1 BVerfGG). Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2 GG.
1. Art. 13 Abs. 1 GG garantiert die Unverletzlichkeit der Wohnung. Damit wird dem Einzelnen zur freien Entfaltung der Persönlichkeit ein elementarer Lebensraum gewährleistet. In seinen Wohnräumen hat er das Recht, in Ruhe gelassen zu werden. In diese grundrechtlich geschützte Lebenssphäre greift eine Durchsuchung schwerwiegend ein (vgl. BVerfGE 42, 212 <219 f.>; 59, 95 <97>; 96, 27 <40>). Die Durchsuchung bedarf vor allem einer Rechtfertigung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Sie muss im Blick auf den bei der Anordnung verfolgten Zweck Erfolg versprechend sein. Ferner muss gerade diese Zwangsmaßnahme zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat erforderlich sein. Schließlich muss der jeweilige Eingriff in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen (vgl. BVerfGE 42, 212 <220>). Der Richter darf die Durchsuchung nur anordnen, wenn er sich aufgrund eigenverantwortlicher Prüfung der Ermittlungen überzeugt hat, dass die Maßnahme verhältnismäßig ist (vgl. BVerfGE 96, 44 <51>).
Der gerichtliche Durchsuchungsbeschluss dient auch dazu, die Durchführung der Eingriffsmaßnahme messbar und kontrollierbar zu gestalten (vgl. BVerfGE 20, 162 <224>; 42, 212 <220>). Dazu muss der Beschluss insbesondere den Tatvorwurf so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist. Dies versetzt den von der Durchsuchung Betroffenen zugleich in den Stand, die Durchsuchung seinerseits zu kontrollieren und etwaigen Ausuferungen im Rahmen seiner rechtlichen Möglichkeiten von vornherein entgegenzutreten (vgl. BVerfGE 42, 212 <221>; 103, 142 <151 f.>). Um die Durchsuchung rechtsstaatlich zu begrenzen, muss der Richter die aufzuklärende Straftat, wenn auch kurz, doch so genau umschreiben, wie es nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist (vgl. BVerfGE 20, 162 <224>; 42, 212 <220 f.>). Der Richter muss weiterhin grundsätzlich auch die Art und den vorgestellten Inhalt derjenigen Beweismittel, nach denen gesucht werden soll, so genau bezeichnen, wie es nach Lage der Dinge geschehen kann. Nur dies führt zu einer angemessenen rechtsstaatlichen Begrenzung der Durchsuchung (vgl. BVerfGE 20, 162 <224>). Der Schutz der Privatsphäre, die auch von übermäßigen Maßnahmen im Rahmen einer an sich zulässigen Durchsuchung betroffen sein kann, darf nicht allein dem Ermessen der mit der Durchführung der Durchsuchung beauftragten Beamten überlassen bleiben (vgl. BVerfGE 42, 212 <220>).
2. Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen wird der angegriffene Beschluss des Amtsgerichts nicht gerecht, und die Entscheidungen des Landgerichts beheben die Mängel nicht.
a) Die Durchsuchung der Wohnung der Beschwerdeführerin war nicht erforderlich, um den Nachweis zu führen, dass die Beschwerdeführerin in ihrer Wohnung ohne ihren Ehemann lebte. Denn nach dem Stand des Ermittlungsverfahrens bei Erlass der Durchsuchungsanordnung konnte nicht zweifelhaft sein, dass die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann seit Beginn des Jahres 2006 nicht mehr einen gemeinsamen Hausstand unterhielten. Die Erklärungen der Beschwerdeführerin und ihres Ehemannes von Dezember 2005 und Januar 2006 waren aus der Ausländerakte kopiert und in die Ermittlungsakte aufgenommen worden. In der Ermittlungsakte befanden sich außerdem Auszüge des Anfang Januar 2006 von der Beschwerdeführerin abgeschlossenen Mietvertrags über die Wohnung in der S-Straße. Es war daher offensichtlich, dass die Beschwerdeführerin in der Wohnung, die sie nach der Trennung der Eheleute angemietet hatte, ohne ihren Ehemann lebte.
b) Der Durchsuchungsbeschluss war auch nicht hinreichend bestimmt. Tatsächliche Angaben zur Umschreibung des Tatvorwurfs fehlten. Die Strafbarkeit nach § 95 Abs. 2 Ziff. 2 AufenthG setzt voraus, dass der Täter unrichtige oder unvollständige Angaben macht, um für sich oder einen anderen einen Aufenthaltstitel zu beschaffen. Der Durchsuchungsbeschluss lässt offen, ob sich der Tatvorwurf auf unzutreffende Angaben der Beschwerdeführerin bei Eingehung der Ehe oder auf zu einem späteren Zeitpunkt gemachte Angaben gegenüber der Ausländerbehörde bezieht. Zudem wurde im Durchsuchungsbeschluss die Art der gesuchten Beweismittel nur allgemein umschrieben. Dies war nicht geeignet, den Mangel der Tatkonkretisierung als Möglichkeit zur Eingrenzung der Vollziehung der Durchsuchung auszugleichen. Da jeglicher inhaltliche Bezug der Beweismittel zum Tatvorwurf fehlte, konnte den mit der Vollziehung der Durchsuchungsanordnung betrauten Beamten nicht ansatzweise aufgezeigt werden, worauf sie ihr Augenmerk zu richten hatten. Der Hinweis auf Beweismittel, die belegen, dass die Beschwerdeführerin in der S-Straße ohne ihren Ehemann lebt, war zur Eingrenzung der Vollziehung bereits deshalb evident ungeeignet, weil es sich dabei um einen für den Tatvorwurf nicht erheblichen Umstand handelte.
c) Die Beschwerdeentscheidung und die Entscheidung des Landgerichts auf die Gegenvorstellung haben den Verfassungsverstoß des Amtsgerichts fortgesetzt.
Die angegriffenen Entscheidungen werden gemäß § 95 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht zurückverwiesen, das noch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben wird.
Die Entscheidung über die notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 225
Bearbeiter: Stephan Schlegel