HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 493
Bearbeiter: Stephan Schlegel
Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 1589/05, Beschluss v. 09.05.2006, HRRS 2006 Nr. 493
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG liegt nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.
Die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts voraus, dass der Beschwerdeführer selbst, gegenwärtig und unmittelbar durch die angegriffenen Rechtsnormen in seinen Grundrechten betroffen ist (vgl. BVerfGE 1, 97 <101 ff.>). Eine unmittelbar aus dem Gesetz folgende Beschwer hat das Bundesverfassungsgericht unter anderem anerkannt, wenn das Gesetz den Betroffenen schon vor Erlass eines Vollzugsaktes zu entscheidenden Dispositionen veranlasst, die er nach dem späteren Gesetzesvollzug nicht mehr nachholen oder korrigieren könnte (vgl. BVerfGE 90, 128 <136>; 97, 157 <164>), und wenn er erst das Risiko eines Bußgeld- oder Strafverfahrens eingehen müsste, um Rechtsschutz vor den Fachgerichten erwirken zu können (vgl. BVerfGE 20, 283 <290>; 46, 246 <256>; 81, 70 <82 f.>; 97, 157 <165>). Hierauf berufen sich die Beschwerdeführer.
Nach diesem Maßstab sind die Beschwerdeführer durch die angegriffenen Rechtsnormen nicht beschwert. Ihr unternehmerisches Betätigungsfeld, das die digitale Programmierung von Wegstreckenzählern zum Zwecke von deren Umstellung, Reparatur und Justierung und die Herstellung hierfür geeigneter Software umfasst, ist von den angegriffenen Normen nach deren Wortlaut, Systematik und der gesetzgeberischen Intention nicht betroffen.
1. Die Strafvorschrift des § 22 b Abs. 1 Nr. 1 StVG stellt das Verfälschen der Messung eines Wegstreckenzählers, mit dem ein Kraftfahrzeug ausgerüstet ist, unter Strafe. Das Verfälschen kann nach dem Gesetzeswortlaut dadurch erfolgen, dass das Ergebnis der Messung durch Einwirkung auf das Messgerät oder den Messvorgang beeinflusst wird. "Verfälschen" ist umgangssprachlich und etymologisch (vgl. Duden, Herkunftswörterbuch, Etymologie der deutschen Sprache, Eintrag "falsch") verwandt mit dem Adjektiv "falsch". Der Begriff hat einen normativen Gehalt. Verfälscht werden können Dokumentationen tatsächlicher Vorkommnisse. Ein Verfälschen liegt nach dem gewöhnlichen Gebrauch des Wortes dann vor, wenn eine Aufzeichnung so verändert wird, dass sie im Hinblick auf die tatsächlichen Vorkommnisse, über die sie Auskunft geben soll, falsch ist.
Zweck eines Wegstreckenzählers ist es, über die tatsächliche Laufleistung eines Kraftfahrzeugs Auskunft zu geben. Ein Verfälschen der Messung eines Wegstreckenzählers liegt mithin vor, wenn die durch ihn geleistete Aufzeichnung so verändert wird, dass sie nicht über die tatsächliche Laufleistung des Kraftfahrzeugs Auskunft gibt. Ein Verfälschen ist demgegenüber nicht gegeben, wenn auf den Wegstreckenzähler zu Zwecken der Reparatur, Justierung, Konvertierung oder Datenrestauration eingewirkt wird, weil diese Handlungen auf die Gewährleistung oder Wiederherstellung der ordnungsgemäßen Funktionsfähigkeit des Wegstreckenzählers, also auf die Anzeige der tatsächlichen Laufleistung des Kraftfahrzeugs, abzielen.
Diese Auslegung wird durch die Gesetzesmaterialien gestützt. Dem Gesetzgeber kam es bei der Schaffung des § 22 b Abs. 1 Nr. 1 StVG nicht darauf an, jegliche Formen des Einwirkens auf Wegstreckenzähler, etwa zum Zwecke der Justierung oder Reparatur, unter Strafe zu stellen. Die Strafnorm zielt vielmehr auf die vorbeugende Bekämpfung betrügerischer Täuschungen über die tatsächliche Laufleistung von Kraftfahrzeugen im Bereich des Gebrauchtwagenhandels (vgl. Protokoll der 182. Sitzung des Deutschen Bundestags, 15. Wahlperiode, S. 17245 A; Protokoll der 813. Sitzung des Bundesrats, S. 287 B) und ist im Hinblick auf diesen Regelungszweck auszulegen.
2. § 22 b Abs. 1 Nr. 3 StVG sanktioniert das Vorbereiten einer Straftat nach § 22 b Abs. 1 Nr. 1 und 2 StVG durch das Herstellen, Verschaffen, Feilhalten oder Überlassen von Computerprogrammen, deren Verwendungszweck die Begehung einer solchen Straftat ist. Für die Frage der Beschwer kommt es darauf an, ob der Anwendungsbereich der Norm so weit ist, dass auch das Herstellen, Verschaffen, Feilhalten oder Überlassen der von den Beschwerdeführern für die Ausübung ihrer unternehmerischen Tätigkeit benötigten Computerprogramme darunter fällt.
Nach seinem Wortlaut erfasst § 22 b Abs. 1 Nr. 3 StVG Computerprogramme, deren Zweck die Begehung einer Straftat nach § 22 b Abs. 1 Nr. 1 oder 2 StVG ist. Die Struktur der Norm entspricht der des § 263 a Abs. 3 StGB, bei dem die Straftat objektiver Zweck des Computerprogramms sein muss (vgl. BTDrucks 15/1720, S. 10 f.; Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl., § 263 a Rn. 30 f.; Kühl, 25. Aufl., § 263 a Rn. 26 b; Husemann, NJW 2004, S. 104 <108>; krit., v.a. mit Blick auf die in § 22 b Abs. 1 Nr. 3 StVG nicht enthaltene Tatbestandsalternative des Verwahrens, Duttge, in: Festschrift für Ulrich Weber, 2004, S. 285 <291 f., 301 f.>). Nach diesem Maßstab und in Abgrenzung zu den systematisch vergleichbaren Normen der §§ 149 und 275 StGB, die an die bloße Eignung der Software zur Begehung von Straftaten anknüpfen, ist es für eine Strafbarkeit nach § 22 b Abs. 1 Nr. 3 StVG nicht ausreichend, dass das Computerprogramm lediglich zur Begehung der in Bezug genommenen Straftaten geeignet ist oder im Einzelfall der Begehung solcher Straftaten dient. Die von der Vorschrift geforderte Zweckbestimmung muss vielmehr eine Eigenschaft des Computerprogramms darstellen; es muss sich also um "Verfälschungssoftware" für die strafbare Manipulation von Wegstreckenzählern oder Geschwindigkeitsbegrenzern handeln.
Dieses Normverständnis wird dadurch gestützt, dass der Gesetzgeber das Herstellen, Verschaffen, Feilhalten und Überlassen solcher Computerprogramme "in Vorbereitung auf Manipulationen an Wegstreckenzählern oder Geschwindigkeitsbegrenzern" als ebenso vorwerfbar wie das Manipulieren selbst angesehen hat (BTDrucks 15/5315, S. 10). Damit hatte er professionelle Anbieter im Blick, die durch die Bereitstellung von Computerprogrammen, "die für die Begehung von Straftaten geschrieben werden" (Protokoll der 182. Sitzung des Deutschen Bundestags, 15. Wahlperiode, S. 17245 B), ein vom Gesetzgeber als unerwünscht und strafbar angesehenes Verhalten unterstützen und daraus Kapital schlagen (vgl. BTDrucks 15/5315, S. 8; Protokoll der 182. Sitzung des Deutschen Bundestags, 15. Wahlperiode, S. 17242 B, 17245 A, B; Protokoll der 813. Sitzung des Bundesrats, S. 287 B). Maßgebend für die Strafbarkeit des Bereitstellens von Software für Manipulationszwecke ist nach Ansicht des Gesetzgebers, "dass sich der Vorsatz gerade auch auf diesen Zweck bezieht" (Protokoll der 182. Sitzung des Deutschen Bundestags, 15. Wahlperiode, S. 17245 A). Strafbar mache sich daher nur, "wer vorsätzlich handelt, wobei sich der Vorsatz auch auf künftige strafbare Manipulationen erstreckt" (a.a.O., S. 17245 B). Da objektiver Zweck der von den Beschwerdeführern hergestellten Software die Reparatur, Justierung und Umstellung von Wegstreckenzählern ist, kommt dafür eine Strafbarkeit nach § 22 b Abs. 1 Nr. 3 StVG nicht in Betracht.
3. § 22 b Abs. 3 Satz 1 StVG erlaubt die Einziehung von Gegenständen, auf die sich die Straftat nach Absatz 1 der Vorschrift bezieht. Bei solchen sog. Beziehungsgegenständen, die auch in anderen Strafvorschriften in Bezug genommen werden (vgl. etwa § 92 b Abs. 1 Nr. 2, § 261 Abs. 7 Satz 1, § 264 Abs. 6 Satz 2 StGB), handelt es sich um Sachen oder Rechte, die notwendiger Gegenstand der Tat selbst sind (vgl. Tröndle/Fischer, a.a.O., § 74 Rn. 10). Als solche Gegenstände kommen hier in Betracht Wegstreckenzähler (§ 22 b Abs. 1 Nr. 1 StVG) und Geschwindigkeitsbegrenzer (§ 22 b Abs. 1 Nr. 2 StVG), die verfälscht worden sind, und Verfälschungssoftware (§ 22 b Abs. 1 Nr. 3 StVG) im dargelegten Sinn. Solche Gegenstände werden von den Beschwerdeführern nicht zur Ausübung des Geschäftsbetriebs benötigt. Warum dieser wegen der angegriffenen Normen nicht fortgesetzt werden könnte, erschließt sich nicht.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 493
Externe Fundstellen: NJW 2006, 2318
Bearbeiter: Stephan Schlegel