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HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 8

Bearbeiter: Stephan Schlegel

Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 2314/04, Beschluss v. 09.12.2004, HRRS 2005 Nr. 8


BVerfG 2 BvR 2314/04 (3. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 9. Dezember 2004 (LG Mainz/AG Worms)

Unschuldsvermutung; Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung (Erforderlichkeit einer Verurteilung, Ausreichen eines glaubwürdigen Geständnisses; konventionskonforme Auslegung).

Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 6 Abs. 2 EMRK; § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Es spricht vieles dafür, dass mit Blick auf die Unschuldsvermutung von Verfassungs wegen der Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB wegen einer neuen Straftat regelmäßig voraussetzt, dass der Täter wegen dieser neuen Straftat verurteilt worden ist.

2. Der Widerruf der Strafaussetzung wegen einer neuen Tat des Betroffenen ist jedenfalls aber auch ohne deren Aburteilung zulässig und widerstreitet insoweit nicht der Unschuldsvermutung, wenn der Betroffene die neue Straftat glaubhaft gestanden hat.

Entscheidungstenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil ein Annahmegrund nach § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.

Die angegriffenen Entscheidungen verletzen keine Grundrechte des Beschwerdeführers. Sie verstoßen insbesondere nicht gegen die Unschuldsvermutung.

1. Die im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde, Verfassungsrang beanspruchende Unschuldsvermutung (vgl. auch Art. 6 Abs. 2 EMRK) enthält - wie auch das Recht des Beschuldigten auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren - keine in allen Einzelheiten bestimmten Ge- und Verbote; ihre Auswirkungen auf das Verfahrensrecht bedürfen vielmehr der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten. Dies ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 74, 358 <372>; Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 1989 - 2 BvR 1741/89 -, NStZ 1991, S. 30 <31>, und vom 21. April 1993 - 2 BvR 1706/92 -, NJW 1994, S. 377). Allerdings spricht vieles dafür, dass mit Blick auf die Unschuldsvermutung von Verfassungs wegen der Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB wegen einer neuen Straftat regelmäßig voraussetzt, dass der Täter wegen dieser neuen Straftat verurteilt worden ist (vgl. EGMR, Urteil vom 3. Oktober 2002, NJW 2004, S. 43 ff.).

2. Diese Frage bedarf hier jedoch keiner Entscheidung. Der Widerruf der Strafaussetzung wegen einer neuen Tat des Betroffenen ist jedenfalls auch ohne deren Aburteilung zulässig und widerstreitet insoweit nicht der Unschuldsvermutung, wenn der Betroffene - wie der Beschwerdeführer entsprechend den nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts Mainz - die neue Straftat glaubhaft gestanden hat (vgl. OLG Köln, NStZ 2004, S. 685 f.; OLG Düsseldorf, NJW 2004, S. 790; OLG Nürnberg, NZV 2004, S. 540). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seinem Urteil ausdrücklich hervorgehoben, dass der entschiedene Einzelfall keine Entsprechung zu einem vorangegangenen Fall aufweise, in dem der Widerruf der Strafaussetzung auf das Schuldgeständnis des Betroffenen zurückzuführen gewesen sei (vgl. EGMR, NJW 2004, S. 43 <45>).

3. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann nicht festgestellt werden. Zwar stehen Anlasstaten geringen Gewichts einer günstigen Prognose nicht stets entgegen (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl., § 56f Rn. 8a m.w.N.). Von Verfassungs wegen ist aber nichts dagegen zu erinnern, dass die Fachgerichte bei ihren Entscheidungen die Einschlägigkeit des Rückfalls in die Delinquenz sowie die besonders hohe Rückfallgeschwindigkeit berücksichtigt haben. Der Beschwerdeführer beging die Anlasstat wenige Tage, nachdem er zu der nunmehr widerrufenen Bewährungsstrafe verurteilt worden war.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 8

Externe Fundstellen: NJW 2005, 817; NStZ 2005, 204

Bearbeiter: Stephan Schlegel