HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 7
Bearbeiter: Stephan Schlegel
Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 2236/04, Beschluss v. 24.11.2004, HRRS 2005 Nr. 7
Die Übergabe des Beschwerdeführers an die Behörden des Königreichs Spanien wird bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Monaten, einstweilen ausgesetzt.
Die Generalstaatsanwaltschaft bei dem Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg wird mit der Durchführung der einstweiligen Anordnung beauftragt.
1. Der Beschwerdeführer besitzt die deutsche und die syrische Staatsangehörigkeit. Er soll zur Strafverfolgung an das Königreich Spanien ausgeliefert werden und befindet sich seit dem 15. Oktober 2004 in Auslieferungshaft. Gegen den Beschwerdeführer besteht ein Europäischer Haftbefehl, den das Zentrale Amtsgericht Nr. 5 der Audiencia Nacional in Madrid am 16. September 2004 erlassen hat. Dem Beschwerdeführer wird die Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung und Terrorismus vorgeworfen.
2. Mit dem angegriffenen Beschluss vom 23. November 2004 erklärte das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg die Auslieferung des Beschwerdeführers für zulässig. Die formellen und materiellen Voraussetzungen der Auslieferung lägen vor, Auslieferungshindernisse bestünden nicht. Insbesondere sei die beiderseitige Strafbarkeit gemäß § 81 Abs. 1 Nr. 4 IRG nicht zu prüfen, weil die dem Ersuchen zu Grunde liegende Tat eine spanische Strafvorschrift verletze und zu den im Rahmenbeschluss des Rates der Europäischen Union über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten vom 13. Juni 2002 aufgeführten Delikten gehöre. Auf eine Strafbarkeit des Beschwerdeführers nach deutschem Recht komme es danach nicht an. Auch werde das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG durch die Auslieferung nicht verletzt, weil es sich beim Auslieferungsrecht um Verfahrensrecht handele, in dem das im materiellen Strafrecht geltende Rückwirkungsverbot grundsätzlich keine Anwendung finde. Weitere verfassungsrechtliche Bedenken des Beschwerdeführers gegen die Neuregelung des Auslieferungsrechts wies das Gericht ebenfalls zurück.
3. Die Justizbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg hat die Auslieferung am 24. November 2004 bewilligt. Bereits am 14. Oktober 2004 hatte die Justizbehörde im Benehmen mit dem Bundesministerium der Justiz erklärt, dass von der Befugnis zur Ablehnung der Bewilligung nach § 83b Nr. 1 IRG kein Gebrauch gemacht werde.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde, die mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbunden ist, macht der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 16 Abs. 2 GG sowie aus Art. 103 Abs. 2 GG geltend.
1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln. Dabei müssen die Gründe, welche für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme sprechen, außer Betracht bleiben, es sei denn, die Hauptsache erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist jedoch nur begründet, wenn eine vorläufige Regelung zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum allgemeinen Wohl dringend geboten ist (vgl. Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Juli 2003 - 2 BvR 1198/03 -, NJW 2003, S. 2598 f., m.w.N., stRspr).
2. Die Verfassungsbeschwerde ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet.
Im Hauptsacheverfahren ist die Frage zu klären, ob die angegriffene Entscheidung und damit mittelbar das ihr zu Grunde liegende Gesetz über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen - IRG - (BGBl 1994 I S. 1537) in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 21. Juli 2004 (BGBl I S. 1748) gegen die verfassungsrechtlichen Vorgaben, insbesondere die in Art. 16 Abs. 2 GG gewährleisteten unverzichtbaren Grundsätze eines freiheitlichen Rechtsstaats verstößt.
3. Die damit gebotene Folgenabwägung führt zum Erlass der im Entscheidungsausspruch näher bezeichneten einstweiligen Anordnung. Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde später aber als begründet, so entstünden dem Beschwerdeführer durch die Übergabe an die spanischen Justizbehörden erhebliche und möglicherweise nicht wiedergutzumachende Nachteile. Die Verzögerung der Übergabe des Beschwerdeführers wiegt demgegenüber weniger schwer. Es ist nicht erkennbar, dass das Königreich Spanien bei der Durchsetzung seines Strafverfolgungsanspruchs oder die Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf ihre rechtlichen Verpflichtungen bereits durch die Verzögerung der Auslieferung unwiederbringliche Rechtsnachteile erlitten.
Wegen der besonderen Dringlichkeit, die sich daraus ergibt, dass der Beschwerdeführer am 24. November 2004 den spanischen Behörden übergeben werden soll, ergeht diese einstweilige Anordnung ohne vorherige Gelegenheit zur Stellungnahme (§ 32 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG).
Die Vollziehung des Auslieferungshaftbefehls bleibt vom Erlass der einstweiligen Anordnung unberührt.
HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 7
Externe Fundstellen: BVerfGE 112, 90; NJW 2005, 2060; StV 2005, 29
Bearbeiter: Stephan Schlegel