HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

November 2025
26. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

1267. BGH 2 StR 156/24 – Beschluss vom 4. Juni 2025 (LG Erfurt)

Überlassen der tatsächlichen Gewalt über Kriegswaffen (tatsächliche Gewalt des Täters); nicht genehmigte Beförderung von Kriegswaffen im Bundesgebiet (Beförderung: jede Form des Transports); Handeltreiben mit Cannabis (Meistbegünstigungsgrundsatz); Konkurrenzen (Handeltreiben mit Betäubungsmitteln: Teilidentität der Ausführungshandlungen, Tateinheit); Bandenmitgliedschaft (besonderes persönliches Merkmal); Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Hang: dauernde schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, der Gesundheit, der Arbeits- oder der Leistungsfähigkeit, Mitursächlichkeit; symptomatischer Zusammenhang zwischen Hang und Anlasstat: Mitursächlichkeit, quantitatives Überwiegen des Hangs als Verursachungsbeitrag).

§ 2 Abs. 3 StGB; § 2 Abs. 6 StGB; § 28 Abs. 2 StGB; § 52 StGB; § 64 StGB; § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG; § 30a Abs. 1 BtMG; § 34 KCanG; § 22a Abs. 1 Nr. 2 KrWaffG; § 22a Abs. 1 Nr. 3 KrWaffG

1. Nach § 22a Abs. 1 Nr. 2 KrWaffG setzt das Überlassen der tatsächlichen Gewalt über Kriegswaffen voraus, dass der Täter zuvor die tatsächliche Gewalt über die Waffen ausgeübt hat.

2. Nach § 22a Abs. 1 Nr. 3 KrWaffG macht sich strafbar, wer im Bundesgebiet außerhalb eines abgeschlossenen Geländes Kriegswaffen ohne Genehmigung nach § 3 Abs. 1 oder 2 KrWaffG befördern lässt oder selbst befördert, wenn es sich nicht nach § 22a Abs. 1 Nr. 3 Halbs. 2 KrWaffG um eine Selbstbeförderung in den Fällen des § 12 Abs. 6 Nr. 1 KrWaffG oder eine Beförderung im Rahmen von Umzugshandlungen durch den Inhaber einer Waffenbesitzkarte für Kriegswaffen gemäß § 59 Abs. 4 WaffG 1972 handelt. Unter einer Beförderung im Sinne von § 3 Abs. 1 KrWaffG ist dabei jede Form des Transports der Kriegswaffe zu verstehen.

3. Überschneidungen der Ausführungshandlungen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln führen zur Annahme von Tateinheit. Dafür genügen kein allein subjektiv-motivatorischer Zusammenhang oder die bloße Gleichzeitigkeit von Geschehensabläufen. Erforderlich ist vielmehr, dass sich die tatbestandlichen Ausführungshandlungen in objektiver Hinsicht derart überschneiden, dass zumindest ein Teil der einheitlichen Handlung zur Erfüllung des einen wie des anderen Tatbestands beziehungsweise zur mehrfachen Verwirklichung desselben Tatbestands gleichermaßen beiträgt. Dabei ist bei mehreren Tatbeteiligten die konkurrenzrechtliche Bewertung für jeden einzelnen nach der Art seines Tatbeitrages selbständig vorzunehmen.

4. Die Bandenmitgliedschaft ist ein besonderes persönliches Merkmal im Sinne von § 28 Abs. 2 StGB, das auch in der Person eines Teilnehmers gegeben sein muss.

5. Die Annahme eines Hangs erfordert nach der (gem. § 2 Abs. 6 StGB auch für Altfälle maßgeblichen) Neufassung des § 64 StGB eine Substanzkonsumstörung, infolge derer eine dauernde und schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, der Gesundheit, der Arbeits- oder der Leistungsfähigkeit eingetreten ist und fortdauert. Zudem muss die Anlasstat „überwiegend“ auf den Hang zurückgehen, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Nach dem Willen des Gesetzgebers reicht eine bloße Mitursächlichkeit des Hangs für die Tat nur noch dann aus, wenn sie andere Ursachen quantitativ überwiegt. Das Vorliegen dieses Kausalzusammenhangs ist durch das Tatgericht – gegebenenfalls mit sachverständiger Unterstützung – positiv festzustellen.

6. Ein symptomatischer Zusammenhang im Sinne des § 64 StGB liegt vor, wenn der Hang alleine oder zusammen mit anderen Umständen dazu beigetragen hat, dass der Täter eine erhebliche rechtswidrige Tat begangen hat und dies bei unverändertem Verhalten auch für die Zukunft zu erwarten ist; mithin die konkrete Tat in dem Hang ihre Wurzel findet. Die hangbedingte Gefährlichkeit muss sich in der konkreten Tat äußern. Dabei ist nicht erforderlich, dass der Hang die alleinige Ursache für die Anlasstaten ist. Vielmehr ist ein symptomatischer Zusammenhang auch dann zu bejahen, wenn der Hang neben anderen Umständen mit dazu beigetragen hat, dass der Angeklagte erhebliche rechtswidrige Taten begangen hat, und dies bei einem unveränderten Suchtverhalten auch für die Zukunft zu besorgen ist. Diese Grundsätze, wonach auch bei (bloßer) Mitursächlichkeit des Hangs für die Anlasstaten der symptomatische Zusammenhang i. S. d. § 64 StGB zu bejahen sein kann, gelten im Ausgangspunkt auch für die neue Gesetzesfassung ab 1. Oktober 2023. Gleichwohl hat

das Tatgericht nunmehr darüberhinausgehend positiv festzustellen, dass der Hang im Verhältnis aller Umstände, auf die die Anlasstaten zurückgehen, überwiegt. Im Zusammenspiel der Ursachen muss er jedenfalls vorrangig sein, mithin quantitativ überwiegen.


Entscheidung

1310.BGH 4 StR 354/25 – Beschluss vom 11. September 2025 (LG Passau)

Konkurrenzen (Abgrenzung von Gesetzeskonkurrenz und Tateinheit: verbotenes Kraftfahrzeugrennen und Einschleusen von Ausländern mit verkehrsgefährdender Entziehung einer polizeilichen Kontrolle, Tateinheit, keine Konsumtion).

§ 52 Abs. 1 StGB; § 315d StGB; § 96 Abs. 1 AufenthG; § 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 AufenthG

1. Zwischen § 96 AufenthG – auch in Gestalt der Qualifikation des § 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 AufenthG – und § 315d StGB ist regelmäßig von Tateinheit und nicht von Gesetzeskonkurrenz auszugehen. Die Tatbestände unterscheiden sich bereits in ihrer Schutzrichtung und ihre Anwendungsbereiche sind nicht deckungsgleich.

2. Gesetzeskonkurrenz liegt vor, wenn ein Verhalten dem Wortlaut nach mehrere Strafvorschriften erfüllt, zur vollständigen Erfassung des Unrechtsgehalts der Tat aber ‒ anders als im Fall der Tateinheit ‒ bereits die Anwendung einer Strafnorm ausreicht. Maßgebend für die Beurteilung sind die Rechtsgüter, gegen die sich der Angriff des Täters richtet, und die Tatbestände, die das Gesetz zu ihrem Schutz aufgestellt hat.

3. Gesetzeseinheit in Form der Konsumtion liegt vor, wenn der Unrechts- und Schuldgehalt eines Delikts durch die Bestrafung wegen eines anderen Delikts deshalb hinreichend ausgeglichen wird, weil der verdrängte Tatbestand sich im Regelbild der typischen Begleittat hält und keinen eigenständigen, über die Haupttat hinausgreifenden Unrechtsgehalt aufweist. Das Unrecht des zurücktretenden Delikts muss bei der Verurteilung wegen des verbleibenden Delikts erschöpfend erfasst werden. Unterschiedliche Schutzrichtungen der in Rede stehenden Tatbestände können hingegen für die Annahme klarstellender Idealkonkurrenz sprechen.


Entscheidung

1268. BGH 2 StR 156/24 – Beschluss vom 4. Juni 2025 (LG Erfurt)

Konkurrenzen (Verstöße gegen das Waffengesetz: gleichzeitiges Ausüben der tatsächlichen Gewalt, Tateinheit, Sprengstoffgesetz).

§ 52 StGB; § 52 WaffG; § 22a KrWaffG; § 1b Abs. 1 Nr. 3 SprengG; § 40 SprengG

Das gleichzeitige Ausüben der tatsächlichen Gewalt über mehrere Waffen führt dazu, dass die verschiedenartigen Verstöße gegen das Waffengesetz tateinheitlich zusammentreffen; dies gilt auch dann, wenn sie nicht unter dieselben Strafbestimmungen fallen oder die Waffen an verschiedenen Orten gelagert werden. Für Gegenstände, die dem Sprengstoffgesetz unterfallen, gilt im Verhältnis zu Waffen nichts anderes, zumal das Sprengstoffgesetz unter Umständen Anwendung auf Munition findet.


Entscheidung

1321. BGH 5 StR 263/25 – Beschluss vom 10. September 2025 (LG Hamburg)

Tateinheit bei mehreren Taten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Teilüberschneidung; gleichzeitiger Besitz zweier zum Verkauf bestimmter Vorräte).

§ 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG; § 52 StGB

Mehrere Taten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln stehen zueinander in Tateinheit, wenn sich ihre tatbestandlichen Ausführungshandlungen – teilweise – überschneiden. Da das Vorhalten einer Handelsmenge zum Vertrieb als Teilakt des Handeltreibens anzusehen ist, kann der gleichzeitige Besitz zweier für den Verkauf bestimmter Vorräte dann Tateinheit in diesem Sinne begründen, wenn die Art und Weise der Besitzausübung über eine bloße Gleichzeitigkeit hinausgeht und die Wertung rechtfertigt, dass die tatsächliche Ausübung des Besitzes über die eine Menge zugleich die Ausübung der tatsächlichen Verfügungsgewalt über die andere darstellt.


Entscheidung

1301. BGH 4 StR 233/25 – Beschluss vom 10. September 2025 (LG Mönchengladbach)

Einbeziehung eines früheren Erkenntnisses nach § 31 Abs. 2 Satz 1 JGG (keine Aufrechterhaltung einer Fahrerlaubnissperre: Revisionsentscheidung nach Ablauf der Sperrfrist); Verwerfung von Revisionen als unbegründet.

§ 31 Abs. 2 Satz 1 JGG; § 105 Abs. 2 JGG; § 349 Abs. 2 StPO

1. Wird ein früheres Erkenntnis gemäß § 105 Abs. 2, § 31 Abs. 2 S. 1 JGG in die nunmehrige Verurteilung einbezogen, so entfallen die in der einbezogenen Entscheidung verhängten Rechtsfolgen, als wären diese nicht ergangen. Demzufolge sind auch im ersten Erkenntnis festgesetzte Maßregeln der Besserung und Sicherung nicht gemäß § 55 Abs. 2 StGB aufrechtzuerhalten, sondern ihre Voraussetzungen erneut zu prüfen und diese gegebenenfalls neu anzuordnen.

2. In diesem Fall wäre bei einer Revision grundsätzlich eine Zurückverweisung der Sache geboten, auch wenn die Sperrfrist einer Fahrerlaubnissperre aus der einbezogenen Verurteilung inzwischen abgelaufen ist, weil es auf den Zeitpunkt der tatrichterlichen Entscheidung ankommt und nur auf diese Weise das Revisionsverfahren seiner Korrekturfunktion entsprechen kann. Allerdings kann auszuschließen sein, dass der neue Tatrichter eine neue Sperrfrist verhängen würde, zumal er bei deren Bemessung einer Benachteiligung des Angeklagten entgegenwirken müsste.