HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Mai 2025
26. Jahrgang
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Schrifttum

Richard Soyer: Unternehmensstrafrecht, Wettbewerb und Menschenrechtsschutz, Nomos Verlagsgesellschaft, 928 Seiten, EUR 249, 2023.

I. Die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben und interner Regelungen ist etablierter Bestandteil des Werteverständnisses und der Compliance-Kultur heutiger Unternehmen. Erfasst sind dabei auch die Identifizierung, Bewertung und Steuerung von Risiken, die aus dem nicht gesetzeskonformen Verhalten von Dritten in deren Eigenschaft als Geschäftspartner des eigenen Unternehmens resultieren. Das eigene Unternehmen ist sowohl von

Auswirkungen des Geschäftsgebarens unmittelbarer als auch mittelbarer Geschäftspartner in der Lieferkette betroffen. Es liegt daher im grundlegenden Interesse von Unternehmen, Compliance innerhalb der Lieferkette zu fördern und zu überwachen. Eigeninteresse der Unternehmen und freiwillige Selbstverpflichtungen führten in der Vergangenheit indes nicht flächendeckend zu den von Politik und Gesellschaft gewünschten Verbesserungen. Hieraus resultierten in letzter Zeit vor allem auf europäischer Ebene zahlreiche Verschärfungen der Vorgaben im Zusammenhang mit der sozialen oder gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen.

Am 23. 2. 2022 hat die EU-Kommission den Vorschlag für eine "Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Bereich der Nachhaltigkeit" bzw "Corporate Sustainability Due Diligence Directive" (CSDDD) veröffentlicht. Mit diesem Vorhaben sollen bestimmte Unternehmen dazu verpflichtet werden, Risiken für Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu ermitteln und Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Erforderlich sind dabei neben Risikoanalysen sowie Präventions- und Abhilfemaßnahmen zur Aufdeckung, Vermeidung und Beendigung negativer Auswirkungen auch ein Beschwerdemechanismus sowie ein jährlicher Rechenschaftsbericht über die Erfüllung der Sorgfaltspflichten. Zudem werden die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, Bestimmungen über die Haftung für Verstöße gegen dieses Pflichtenprogramm vorzusehen. Nach langwierigen Verhandlungen einigten sich die EU-Mitgliedstaaten am 15. 3. 2024 auf eine abgeschwächte Fassung der CSDDD (im Folgenden vereinfacht abgekürzt mit RL), der das Europaparlament am 24. 4. 2024 zustimmte. Am 24. 5. 2024 erteilte auch der Rat der Europäischen Union seine endgültige Zustimmung, am 5. 7. 2024 erfolgte die Veröffentlichung des Rechtsakts im Amtsblatt der EU, so dass die Richtlinie 25. 7. 2024 in Kraft getreten ist. Für die Umsetzung der RL in nationales Recht haben die EU-Mitgliedsstaaten bis zum 26. 7. 2026 Zeit.

In Deutschland ist freilich bereits zum 1. 1. 2023 das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) in Kraft getreten, das Unternehmen, die in den gesetzlichen Anwendungsbereich fallen, zur Erfüllung bestimmter Sorgfaltspflichten verpflichtet, die sich auf die Einhaltung menschenrechts- und umweltbezogener Vorschriften innerhalb ihrer Lieferkette beziehen. Dabei bestehen im Vergleich zu den Vorgaben der Lieferketten-RL durchaus Unterschiede, die in Bezug auf eine europarechtskonforme Umsetzung einige Anpassungen des LkSG erforderlich machen werden. Im Juni 2024 ließ Vize-Kanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck mit der Äußerung aufhorchen, das LkSG für zwei Jahre eventuell auszusetzen. Diese durchaus fragwürdige Überlegung sorgte nicht nur in der Ampelkoalition für Unruhe, sondern offenbarte zugleich, wie groß die Unsicherheit oder Vorbehalte bei der Gesetzesanwendung in der Praxis sind.

II. Die Thematik der Lieferkettenverantwortung hat zahlreiche neue, bislang weitgehend unerforschte Wege der Strafrechtswissenschaft geebnet, die durch das vom renommierten österreichischen Universitätsprofessor und Rechtsanwalt Richard Soyer herausgegebene umfangreiche Werk beschritten werden. Das Buch stellt den ersten Band der Publikationsreihe eines an der Johannes Kepler Universität Linz angesiedelten Forschungsprojektes dar und ist in Kooperation von Nomos sowie Verlag Österreich in der Schriftenreihe zum deutschen, europäischen und internationalen Wirtschaftsstrafrecht (herausgegeben von Michael Kubiciel) erschienen. Die Autoren Richard Soyer, Stefan Schumann, Sergio Pollak, Nikolai Schäffler, Nihad Amara und Christoph Kathollnig widmen sich in sechs Kapiteln der Frage, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen im Rahmen von Lieferketten eine (völker-)strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmensangehörigen und – de lege ferenda auch von Unternehmen – in Betracht kommt bzw. wie diese ausgestaltet werden könnte.

Im Kapitel 1 stellt Richard Soyer die Eckpunkte des Forschungsprojekts dar. Anschließend erstattet der Herausgeber im Kapitel 2 gemeinsam mit Stefan Schumann einen "Werkstattbericht" zum Wirtschaftsvölkerstrafrecht und zur supranationalen Gerichtsbarkeit über Verbände und Verbandspersonen. Dabei werden insbesondere der Trend zur Unternehmenshaftung und Hintergründe sowie Einzelheiten zum seit 1. 1. 2006 geltenden österreichischen Verbandsverantwortlichkeitsgesetz (VbVG) erläutert. Aufgezeigt werden Regelungslücken und Durchsetzungsdefizite, die nicht nur im Völker(straf)recht, sondern auch im nationalen Strafrecht hinsichtlich der Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen im Ausland bestehen. Sie bilden den Ausgangspunkt für die im Buch vertieft behandelten Schwerpunktthemen.

Den Anfang der Spezialbeiträge macht Sergio Pollak im 3. Kapitel mit einer beeindruckenden Darstellung (knapp 400 Seiten), wie de lege ferenda eine völkerstrafrechtliche Verantwortlichkeit von Verbänden ausgestaltet werden könnte. Er entwickelt in seinem Beitrag wegweisende Ansätze für die Einführung eines supranationalen Verbandsstrafrechts, das vor allem der Ächtung und Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen dienen soll. Aufbauend auf seiner Dissertation untersucht er die Voraussetzungen und Möglichkeiten, transnationale Wirtschaftsverbände in einer supranationalen Strafrechtsordnung rechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Im Zentrum seiner Überlegungen steht das Konzept eines "Völkerstrafrechts zweiter Ordnung" und die Frage, wie eine globale Verbandsverantwortlichkeit rechtsdogmatisch, rechtstheoretisch sowie rechtssoziologisch begründet werden kann. Der Autor bezieht sich dabei auf grundlegende Entwicklungen des Völkerstrafrechts, wie etwa die Präambel des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) sowie die Lehren aus den Nürnberger Prozessen, und entwickelt einen theoretischen Rahmen, der eine zukünftige Ausdehnung des Völkerstrafrechts auf Verbände ermöglichen könnte.

Ein Schwerpunkt in Pollaks Analyse liegt auf der Frage, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit Verbände als strafrechtlich verantwortliche Akteure gelten können. Der Verfasser kommt zu dem Schluss, dass nur solche Verbände, die eine spezifische interne Kohärenz und Selbstreferenz aufweisen, als strafrechtlich verantwortliche Subjekte adressiert werden können. Dabei verfolgt er einen umfassenden interdisziplinären Ansatz und integriert Erkenntnisse aus der Philosophie und den Neurowissenschaften, um grundlegende strafrechtliche Konzepte wie Schuld und Willensfreiheit neu zu beleuchten.

Als mögliche Sanktion für Verbände schlägt er eine Geldstrafe vor, die er als "Entzug flüssiger Freiheit" versteht.

Angesichts der Komplexität und der grenzüberschreitenden Aktivitäten globaler Wirtschaftsakteure argumentiert Pollak, dass diese einer speziell zugeschnittenen rechtlichen Verantwortlichkeit bedürfen. Mit seinem Konzept der "strukturellen Verantwortlichkeit" schlägt er einen Rechtsrahmen vor, der die bestehenden Lücken der nationalen Gesetzgebung im Bereich der internationalen Kriminalität schließt. Seine Arbeit liefert nicht nur eine fundierte Analyse, sondern entwirft auch eine zukunftsweisende Vision für die Weiterentwicklung des Völkerstrafrechts und gibt einen wichtigen Impuls für die Etablierung eines supranationalen Verbandsstrafrechts, das den Anforderungen der global vernetzten Wirtschaft gerecht werden könnte.

Ein weiterer umfangreicher Beitrag im Kapitel 4 stammt aus der Feder von Nikolai Schäffler, der sich auf über 300 Seiten mit dem Völkerstrafrecht und der Rolle von Unternehmensangehörigen befasst. In dem auf seiner Dissertation basierenden Beitrag untersucht Schäffler die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmensangehörigen im Völkerstrafrecht und beleuchtet die Herausforderungen der Zurechnung von Menschenrechtsverletzungen entlang globaler Lieferketten. Er zeigt, dass sich westliche Unternehmen, die in Ländern mit schwachen staatlichen Strukturen operieren, nicht von ihrer Verantwortung für Verbrechen zu Beginn der Lieferkette freisprechen (sollen) können.

Schäfflers Analyse konzentriert sich auf Art 25 Abs 3 IStGH-Statut und macht deutlich, dass hier ein funktionales Einheitstätersystem verankert ist, das unter bestimmten Voraussetzungen eine strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmensangehörigen ermöglicht. Anhand prägnanter Fallgruppen, wie etwa dem Erwerb von Produkten aus Zwangsarbeit oder unternehmerischen Aktivitäten, die zur Vertreibung von Menschen führen, verdeutlicht Schäffler, wie die Beihilfestrafbarkeit im internationalen Rahmen zur Anwendung kommen könnte. Dabei betont er, dass "neutrale Unternehmensaktivitäten" nicht automatisch eine strafrechtliche Mittäterschaft an Verbrechen gegen die Menschlichkeit begründen. Unter bestimmten Umständen könne jedoch aus neutralen Handlungen eine rechtliche Verantwortung erwachsen.

In seinem abschließenden Ausblick plädiert Schäffler für eine globale Harmonisierung von Sorgfaltspflichten, um eine grenzüberschreitende Standardisierung und Durchsetzung menschen­rechtlicher Verantwortung zu gewährleisten. Ein solcher Ansatz könnte Unternehmen langfristig an international einheitliche Standards binden und die Umsetzung von Menschenrechtsstandards in Lieferketten effektiver gestalten. Schäffler betont, dass die Stärkung einer solchen Harmonisierung nicht nur zu einem besseren Schutz der Menschenrechte beitragen würde, sondern auch eine verlässliche Grundlage für Unternehmensverantwortung im internationalen Kontext schaffen könnte. Seine Ausführungen bieten nicht nur eine fundierte analytische Grundlage, sondern geben auch wichtige Anstöße für die rechtspolitische Diskussion und die Weiterentwicklung des Völkerstrafrechts, das sich zunehmend der transnationalen Unternehmensverantwortung widmen sollte.

Das Verhältnis der Corporate Social Responsibility (CSR) behandelt Nihad Amara im Kapitel 5. Der Begriff CSR entzieht sich einem einheitlichen Begriffsverständnis und wurde erstmals 1953 von Bowen in seiner Schrift Social Responsibility of Businessmen geprägt, der dabei die Frage aufgeworfen hat, welche gesellschaftliche Verantwortung man vernünftigerweise von Geschäftsleuten erwarten kann. Der Fokus verlagerte sich in der Folgezeit von der individuellen zur korporativen Verantwortung. Im Laufe der Zeit hat CSR unzählige Definitionen erfahren. In ihrer Strategiemitteilung im Jahr 2011 definiert die EU-Kommission CSR als die "Verantwortung von Unternehmen für ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft". Die Einhaltung geltenden Rechts (Compliance) ist danach das Minimum unternehmerischer Verantwortung, soll jedoch darauf nicht begrenzt sein. Um ihrer Verantwortung vollumfänglich gerecht zu werden, sollen Unternehmen darüber hinaus Prozesse einführen, die soziale, ökologische, wirtschaftsethische, menschenrechtliche und Verbraucherbelange in enger Zusammenarbeit mit ihren Stakeholdern in ihrer Strategie und ihre Aktivitäten integrieren. Dieser (weiten) CSR-Definition folgten alle wesentlichen internationalen CSR-Initiativen.

Aus der Fülle der aktuell bestehenden internationalen CSR-Ansätze stellt der Verfasser im Rahmen seines Beitrags mit den UN Guiding Principles on Business and Human Rights (UNGP) und den Leitsätzen für multinationale Unternehmen der OECD zwei wichtige Quellen von "Soft Law" im Bereich der Nachhaltigkeit in einem Überblick vor. Im Anschluss daran wird die Entwicklung der zunehmenden Verrechtlichung der Verantwortung von Unternehmen für ihr soziales und ökologisches Umfeld nachgezeichnet, die vor allem von Rechtsakten auf europäischer Ebene geprägt ist.

Im Abschnitt "CSR und das Strafrecht" erläutert der Autor u.a. die praxisrelevante Frage, welche negativen Konsequenzen bei einer fehlerhaften Nachhaltigkeitsberichterstattung in Bezug auf das österreichische Bilanzstrafrecht drohen können. Inwiefern ein fehlerhaft erstellter Nachhaltigkeitsbericht als Bestandteil des Lageberichts künftig zu einer strafrechtlichen Sanktionierung nach § 163a öStGB führt, ist in Österreich umstritten. Auf der einen Seite wird der Standpunkt vertreten, dass das Vorliegen des nichtfinanziellen Charakters jener Nachhaltigkeitsberichterstattung bereits auf Tatbestandsebene zum Ausschluss der Strafbarkeit nach § 163a öStGB führe. Gemäß dem Wortlaut des § 163a Abs 1 Z 1 öStGB bestehe eine Strafbarkeit wegen einer unvertretbaren Darstellung wesentlicher Informationen über bestimmte Verbände nämlich nur dann, wenn der Bericht "eine die Vermögens-, Finanz- oder Ertragslage des Verbandes betreffende oder für die Beurteilung der künftigen Entwicklung der Vermögens-, Finanz- oder Ertragslage bedeutsame wesentliche Information" enthalte. Nach der Gegenansicht hänge die Begründung der Strafbarkeit maßgeblich von der Klassifizierung der "bedeutsamen wesentlichen Information" als vermögensrelevant ab. Letzteres sei der Fall, wenn die im Nachhaltigkeitsbericht wiedergegebenen Informationen hinsichtlich der Bestrebungen des Unternehmens zum Menschenrechts- und Umweltschutz neben den

rein monetären Faktoren einen wichtigen Steuerungsfaktor für die Bildung des Unternehmenswertes darstellen könnten. Der zuletzt genannten Auffassung schließt sich auch der Autor an, so dass eine Aktivierung des Bilanzstrafrechts im Zusammenhang mit der Nachhaltigkeitsberichterstattung aus seiner Sicht durchaus in Betracht komme.

In Deutschland scheiterte in der letzten Legislaturperiode bekanntlich die Einführung eines Verbandssanktionengesetzes, welches das nach wie vor geltende Sanktionsregime von Unternehmen nach Maßgabe von § 30 OWiG rechtspolitisch und dogmatisch auf neue Füße gestellt hätte. In Österreich existiert seit dem 1. 1. 2006 mit dem sog. Verbandsverantwortlichkeitsgesetz (öVbVG) eine strafrechtliche Verantwortlichkeit von Verbänden für Straftaten ihrer Entscheidungsträger und sonstigen Mitarbeiter. Die strafrechtliche Verbandshaftung greift nicht bei jeder Straftat ein. Nach § 3 Abs 1 Z 1 öVbVG muss die Straftat entweder zu Gunsten des Verbands begangen worden sein (z.B. Bestechung) oder es wurden durch die Tat Pflichten verletzt, die den Verband treffen. Das öVbVG verfolgt ein modifiziertes Individualtatmodell und knüpft die Verbandsverantwortlichkeit neben der Begehung der Tat durch eine Führungsperson auch an die mangelnde Aufsicht oder Kontrolle einer Führungsperson, die eine Straftat erst ermöglicht hat: Für Straftaten von Entscheidungsträgern ist der Verband gemäß § 3 Abs 2 öVbVG verantwortlich, wenn die Tat rechtswidrig und schuldhaft begangen worden ist. Bei Straftaten von Mitarbeitern haftet der Verband demgegenüber nach § 3 Abs 3 öVbVG nur, sofern der betreffende Mitarbeiter rechtswidrig (nicht: auch schuldhaft) den objektiven Tatbestand ("das gesetzliche Tatbild") verwirklicht, der betreffende Mitarbeiter vorsätzlich gehandelt bzw. (bei Fahrlässigkeitsdelikten) die nach den Umständen gebotene Sorgfalt außer Acht gelassen hat und die Begehung der Tat dadurch ermöglicht oder wesentlich erleichtert wurde, dass Entscheidungsträger die nach den Umständen gebotene und zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben, insbesondere indem sie wesentliche technische, organisatorische oder personelle Maßnahmen zur Verhinderung solcher Taten unterlassen haben. Letzteres verdeutlicht die Notwendigkeit der Vornahme geeigneter unternehmensinterner Präventivmaßnahmen, um nicht zuletzt auch das Risiko der Verbandsverantwortlichkeit zu minimieren. Der Autor geht insoweit der Frage nach, wie CSR-Regulatorien als "Soft Law" dazu herangezogen werden können, um den im Einzelfall maßgeblichen Sorgfaltsmaßstab für die strafrechtliche Beurteilung etwaiger Verletzungen von Organisations- und Aufsichtspflichten, die prinzipiell gesetzlich verankert sind, zu konkretisieren.

Im Fall von öffentlich gemachten CSR-Erklärungen eines Unternehmens können bei irreführenden Angaben über vermeintlich getätigte unternehmerische Maßnahmen zur Verfolgung nachhaltiger und gesellschaftlicher Geschäftsmodelle wettbewerbsrechtliche Konsequenzen drohen. Für nachhaltige Werbemaßnahmen besteht im UWG bislang noch kein Sondertatbestand, weshalb auf die allgemeinen Grundsätze des UWG zurückgegriffen wird. Der Verfasser vertieft Letztere zwar nicht, weist jedoch zutreffend auf unterschiedliche Möglichkeiten hin, in welcher Gestalt man irreführenden Geschäftspraktiken in der Praxis begegnen kann.

Den krönenden Abschluss bildet Kapitel 6, in dem Christoph Kathollnig die Regulierung der Nachhaltigkeit in der EU beschreibt und sehr anschaulich auf den Zusammenhang von Sustainable Finance und die Betrugsstrafbarkeit von Greenwashing eingeht. Aufgrund seiner enormen Weite wird der Begriff der Nachhaltigkeit häufig auch mit den sog. ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance) umschrieben. Der Begriff ESG wurde erstmals 2005 in einer wegweisenden Studie mit dem Titel "Who Cares Wins" geprägt – einer Konferenz, die erstmals institutionelle Anleger, Vermögensverwalter, globale Berater sowie Regierungs- und Aufsichtsbehörden zusammenbrachte, um die Rolle von ökologischen, sozialen und Governance-Werttreibern in der Vermögensverwaltung sowie in der Finanzforschung zu untersuchen. Die ESG-Kriterien sind folglich auf Anlagekriterien institutioneller Investoren in den USA zurückzuführen, wo sie nicht auf Rendite oder Risiko bezogene Anlagekriterien bezeichnen, welche die Auswahlentscheidung auf mit ESG-Faktoren vereinbar erscheinende Anlageobjekte beschränken sollen. Im Rahmen der heute auch als Responsible Finance bezeichneten Anlagestrategien ist vor allem die positive Auswahl von Anlagen, die zur Verwirklichung von Nachhaltigkeitszielen beitragen können, maßgeblich und nicht nur der Ausschluss nicht nachhaltiger Investitionsobjekte. Es liegt auf der Hand, dass dies Anbieter von Finanzprodukten zur Grünfärberei (Greenwashing) mit Blick auf angeblich nachhaltige Finanzprodukte verleiten kann. Dass dies unter bestimmten Voraussetzungen auch zum Vorwurf der Strafbarkeit wegen Betruges führen kann, machen bereits (in Deutschland) öffentlich bekannt gewordene Ermittlungen deutlich.

Vor diesem Hintergrund zeichnet der Autor zunächst die wesentlichen Meilensteine nach, die in den vergangenen Jahren die Entwicklung von Sustainable Finance in der EU geprägt haben, etwa vom Aktionsplan Finanzierung nachhaltigen Wachstums bis zum Green Deal. Daran anschließend erfolgt eine Analyse der relevantesten Rechtsakte der EU im Kampf gegen Greenwashing von Finanzprodukten, wobei der Verfasser einen Schwerpunkt auf die sog. Taxonomie-Verordnung sowie der Offenlegungsverordnung (SFDR) legt. Vorgestellt werden auch eine Studie von KPMG zum Thema "Sustainability Fraud" sowie der "Leitfaden zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken" der österreichischen Finanzmarkaufsicht (FMA) vom Juli 2020. Laut FMA bezeichnen Nachhaltigkeitsrisiken Ereignisse oder Bedingungen in Bezug auf Nachhaltigkeitsfaktoren, deren Eintreten tatsächlich oder potenziell wesentliche negative Auswirkungen auf den Wert von Vermögenswerten bzw. auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage sowie die Reputation eines Unternehmens haben könnten. Dabei können Nachhaltigkeitsrisiken nicht nur die Performance einzelner Vermögenswerte und Finanzmarktteilnehmer negativ beeinflussen, sondern auch die Finanzstabilität. Insoweit steht die stabilitätswahrende Wirkung von Nachhaltigkeitsaspekten im Vordergrund und nicht die Beachtung von Belangen Dritter. Gegenstand der weiteren Ausführungen sind die EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (Corporate Sustainability Reporting Directive – CSRD) sowie der (damals noch) Vorschlag der EU-Kommission für die eingangs bereits erwähnte "Richtlinie über die Sorgfaltspflicht von Unternehmen im Bereich der Nachhaltigkeit" bzw "Corporate Sustainability Due Diligence Directive" (CSDDD).

Schließlich fokussiert sich der dritte Teil auf die Frage inwieweit die Täuschung mit Nachhaltigkeitsinformationen bei Finanzprodukten den Tatbestand des Betrugstatbestandes erfüllen kann. Dabei ist vor allem zu prüfen, ob Greenwashing bei Finanzprodukten bei Investoren zu einem Vermögensschaden führen kann und ob bei den vermeintlich grünen Finanzprodukten nicht nur über die Nachhaltigkeitswirkung, sondern auch über ihren Marktpreis getäuscht wird. Sollte sich herausstellen, dass über den Aufwand für das Nachhaltigkeitsmanagement und die Nachhaltigkeitsformationen getäuscht wurde, könne sich ein Vermögensschaden aus einer allfälligen Differenz zu den Kosten vergleichbarer nicht-grüner Finanzprodukte ergeben. Kathollnig ist beizupflichten, dass die Feststellung einer solchen Preisdifferenz im Einzelfall äußerst komplex sein kann – für Beschäftigung entsprechender Sachverständiger dürfte somit wohl gesorgt sein.

III. Das innovative Werk ist ein Gewinn sowohl für die Strafrechtswissenschaft als auch für die sich weiterhin stark im Fluss befindende Praxis der Lieferkettenverantwortung. Insoweit können die Beiträge nicht nur eine äußerst nützliche Grundlage für die Ausarbeitung und Weiterentwicklung zukünftiger Rechtsakte auf dem Gebiet des (völkerstrafrechtlichen) Unternehmensstrafrechts bieten. Aufgrund der sehr anschaulichen und fundierten Darstellungen der rechtlichen Zusammenhänge lassen sich den Beiträgen darüber hinaus auch wertvolle Ansätze für die Verteidigung ableiten. Die Lektüre des ersten Projektbandes lässt die Spannung und Vorfreude auf die beiden weiteren Bände steigen. Diese werden sich dann näher mit der strafrechtlichen Haftung politischen Handelns, Grundproblemen von Internal Investigations im Lichte einer kommunikativen Strafprozesstheorie und dem Strafanwendungsrecht für Auslandstaten transnationaler Unternehmen mit Sitz in Österreich befassen.

Dr. Felix Ruhmannseder, Rechtsanwalt (RAK Wien und RAK Berlin) sowie Partner der Kanzlei wkk law, Wien

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