HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Aug./Sept. 2017
18. Jahrgang
PDF-Download

V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

718. BGH 3 StR 103/17 – Urteil vom 18. Mai 2017 (LG Verden)

BGHR; Verjährungsbeginn bei Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr (Vorteilsgewährung vor Vornahme der unlauter bevorzugenden Handlung; Abschluss und Durchführung eines Vertrages; Bezug von Waren und Dienstleistungen; Bezahlung); Gewinnabschöpfung mittels Verbandsgeldbuße (Ermessen; Ansprüche von Verletzten; Nettoprinzip; Ahndungsteil; Abschöpfungsteil; Bestimmung; Personenvereinigung; Absehen von der Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils).

§ 78a StGB; 299 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB; § 17 Abs. 4 Satz 1 OWiG; § 30 OWiG

1. Werden Bestechung oder Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr in der Form begangen, dass der Bestechende zunächst den Vorteil gewährt und der Bestochene sodann die im Wettbewerb unlauter bevorzugende Handlung vornimmt, so sind beide Taten beendet und beginnt damit die Frist für deren Verfolgungsverjährung zu laufen, wenn diese Handlung vollständig abgeschlossen ist. (BGHR)

2. Bestehen die bevorzugenden Handlungen nach der getroffenen Unrechtsvereinbarung in dem Abschluss und der Durchführung eines Vertrags, so tritt daher die Beendigung der Taten erst ein, wenn der Bestochene die letzte von ihm zur Vertragserfüllung bestimmte Leistung erbringt. (BGHR)

3. Zum tatrichterlichen Ermessen bei der Gewinnabschöpfung mittels Verbandsgeldbuße gemäß § 30 OWiG. (BGHR)

4. Die Vorschrift des § 299 Abs. 2 Nr. 1 StGB definiert die Unrechtsvereinbarung in einem weiten Sinne. Hiernach muss die für den Vorteil erstrebte Gegenleistung eine Bevorzugung beim Bezug von Waren Dienstleistungen betreffen, gleichviel ob der Bestochene oder der Bestechende Waren liefern oder Leistungen erbringen soll. Der Begriff „Bezug“ umfasst das gesamte auf die Erlangung oder den Absatz von Waren oder Leistungen gerichtete Geschäft. Darunter fallen alle wirtschaftlichen Vorgänge von der Bestellung bis zur Bezahlung, mithin gerade die als Entgelt bewirkten Geldleistungen. (Bearbeiter)

5. Der Tatrichter ist zwar nicht stets zur Bestimmung des Abschöpfungsteils der Verbandsgeldbuße neben dem Ahndungsanteil verpflichtet. Im Einzelfall können auch Gründe dafür bestehen, nur eine Ahndung auszusprechen. Der – nach herrschender Meinung auf der Grundlage des Nettoprinzips zu bestimmende – wirtschaftliche Vorteil, der der Personenvereinigung aus der Tat zugeflossen ist, stellt jedoch nach § 30 Abs. 3, § 17 Abs. 4 Satz 1 OWiG rechnerisch im Regelfall die untere Grenze der Geldbuße dar. Bleibt die für erforderlich gehaltene Ahndung hinter dem wirtschaftlichen Vorteil zurück, wird der Restbetrag regelmäßig durch den Abschöpfungsanteil zu erfassen sein. (Bearbeiter)

6. Dass aus der Anknüpfungstat erwachsene Ansprüche von Verletzten gegen die juristische Person oder Personenvereinigung bestehen oder geltend gemacht werden, hindert die Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils nicht. Das Recht der Ordnungswidrigkeiten kennt keine einschränkende Regelung, die § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB in der noch geltenden Fassung entspricht; der darin normierte Rechtsgedanke findet keine Anwendung. (Bearbeiter)

7. Von dem Grundsatz, dass durch die Geldbuße der wirtschaftliche Vorteil auch tatsächlich abzuschöpfen ist, kann im Rahmen der pflichtgemäßen Ausübung des Ermessens (s. § 17 Abs. 4 Satz 1 OWiG: „soll“) unter dem Gesichtspunkt von Ansprüchen Verletzter nur dann eine Ausnahme gemacht werden, wenn eine Abschöpfung durch die Verletzten bereits durchgeführt oder unmittelbar eingeleitet ist. (Bearbeiter)


Entscheidung

746. BGH 1 StR 394/16 – Urteil vom 12. Januar 2017 (LG Nürnberg-Fürth)

BGHR; Bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Begriff des Mitsichführens von Schusswaffen oder sonstigen Gegenständen: Voraussetzungen, erforderliche Gesamtbetrachtung, räumliche Nähe nur Indiz, Anforderungen an den Vorsatz, erforderliche Darstellung im Urteil); tatrichterlicher Beweiswürdigung (revisionsrechtliche Überprüfbarkeit).

§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG; § 16 StGB; § 261 StPO; § 267 Abs. 1 StPO

1. Maßgeblich für das Mitsichführen von Schusswaffen oder sonstigen Gegenständen i.S.v. § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG ist deren Zugänglichkeit für den Täter während irgendeines Stadiums der Tatausführung. (BGHR)

2. Für die Beurteilung dessen hat die räumliche Entfernung zwischen dem Aufbewahrungsort der Betäubungsmittel und dem der Waffe bzw. des Gegenstandes zu einem bestimmten Zeitpunkt während des Handeltreibens lediglich indizielle Bedeutung. (BGHR)

3. Ob die Voraussetzungen eines Mitsichführens gegeben sind, kann angesichts der Vielgestaltigkeit der in Frage kommenden Lebensverhältnisse lediglich anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Zu

diesen Umständen gehören neben der räumlichen Nähe des Täters während irgendeines Stadiums der Tatausführung zu der Schusswaffe oder zu dem sonstigen Gegenstand i.S.v. § 30a Abs. 2 Nr. 2 Var. 2 BtMG die individuellen Fähigkeiten des Täters und die tatsächlichen Möglichkeiten seines Zugriffs einschließlich möglicher Zugangserschwernisse. (Bearbeiter)

4. Zu dem auf das Mitsichführen von Schusswaffen oder sonstigen Gegenständen bezogenen Vorsatz gehört das aktuelle Bewusstsein des Täters zur Tatzeit, die Schusswaffe oder den Gegenstand gebrauchsbereit bei sich zu haben (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 50 f). Das erforderliche Bewusstsein, über die Waffe bzw. den Gegenstand verfügen zu können, muss gerade bei Begehung der Tat vorhanden sein, wobei es entsprechend den Anforderungen an den objektiven Tatbestand des Mitsichführens genügt, dass es zu irgendeinem Zeitpunkt der Tat vorliegt Der Wille, die Waffe oder den Gegenstand einzusetzen, ist kein Element des auf das Merkmal des Mitsichführens als solches bezogenen Vorsatzes (vgl. BGHSt 43, 8, 10). (Bearbeiter)

5. Auf der Ebene des (prozessualen) Nachweises des Bewusstseins der Verfügbarkeit von durch § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG erfasster Waffen oder Gegenstände werden in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abhängig von deren Art unterschiedliche Anforderungen gestellt. Führt der Täter eine Waffe im technischen Sinne mit sich, liegt die Feststellung, der Angeklagte habe die Waffe auch bewusst gebrauchsbereit bei sich, so nahe, dass nähere Ausführungen des Tatrichters hierzu regelmäßig entbehrlich sind. Höhere Anforderungen an den Tatrichter bezüglich der Prüfung und Darlegung des subjektiven Merkmals des Bewusstseins der Verfügbarkeit der Waffe wird man allenfalls dann zu überlegen haben, je ferner die Gefahr des Einsatzes ist und je weniger geeignet und bestimmt zur Verletzung von Personen die „sonstigen Gegenstände“ im Sinne des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG sind (vgl. BGHSt 43, 8, 14). (Bearbeiter)


Entscheidung

770. BGH 1 StR 217/17 – Beschluss vom 8. Juni 2017 (LG Darmstadt)

Steuerhinterziehung (Tatvariante des aktiven Tuns: Vollendungszeitpunkt in Fällen der Steueranmeldung unter Vorbehalt der Nachprüfung bzw. der Herabsetzung der bisher zu entrichtenden Steuer oder der Steuervergütung).

§ 168 Satz 1 AO; § 168 Satz 2 AO; § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO

1. Die Steuerhinterziehung ist nicht lediglich ein Erklärungs-, sondern auch ein Erfolgsdelikt. Vollendung tritt erst ein, wenn der Täter durch seine Tathandlung Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt hat.

2. Betreffen alle verfahrensgegenständlichen Taten des Angeklagten die Umsatzsteuer, sei es als Jahreserklärung oder als Voranmeldung, tritt für die Fälle der Herabsetzung der bisher zu entrichtenden Steuer oder der Steuervergütung der tatbestandliche Verkürzungserfolg erst aufgrund der erforderlichen Zustimmung der Finanzbehörde ein. In den Fällen einer Steueranmeldung unter Vorbehalt der Nachprüfung ist die Steuerhinterziehung dagegen bereits mit der (unrichtigen) Anmeldung selbst vollendet.

3. Die Frage, ob Versuch oder Vollendung vorliegt, entscheidet sich in diesen Fällen nach dem Saldo der jeweiligen Erklärungen.


Entscheidung

721. BGH 3 StR 166/17 – Beschluss vom 30. Mai 2017 (LG Krefeld)

Abgrenzung von Täterschaft und Beihilfe beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Aufbewahrung der Betäubungsmittel für einen Dritten; untergeordnete Beteiligung; beschränkte Eigennützigkeit bei Überlassung von Drogen zum Eigenkonsum)

§ 29 BtMG; § 25 StGB; § 27 StGB

Zwar kann das Aufbewahren von zum gewinnbringenden Umsatz bestimmten Betäubungsmitteln für einen Dritten ein Tatbeitrag sein, der die Annahme täterschaftlichen Handeltreibens bereits für sich genommen rechtfertigt. Es kommt aber zumindest dann in der Regel nur Beihilfe in Betracht, wenn der Dritte allein für Beschaffung, Portionierung und Verkauf der Betäubungsmittel zuständig ist, so dass sich die bloße Aufbewahrung als untergeordnete Hilfstätigkeit darstellt. Zudem kann die Annahme von Beihilfe bei einer lediglich beschränkten Eigennützigkeit naheliegen, wenn der Aufbewahrende als Entlohnung seiner Tätigkeit Betäubungsmittel zur Deckung seines Eigenkonsums erhält.


Entscheidung

818. BGH 4 StR 218/17 – Beschluss vom 22. Juni 2017 (LG Kaiserslautern)

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (negative Ermessensentscheidung bei ausreisepflichtigen Ausländern); unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Grenzwert zur nicht geringen Menge bei MDMA).

§ 64 StGB; § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG

1. Der Bundesgerichtshof hat den Grenzwert zur nicht geringen Menge bei MDMA auf 30 Gramm Base festgesetzt.

2. Zwar hat der 2. Strafsenat eine Herabsetzung der Grenzmenge auf 10 Gramm Base anlässlich der Bestimmung der Grenzmenge für Metamphetamin in einem früheren obiter dictum für gerechtfertigt gehalten; die bisherige Grenzmengenbestimmung auf 30 Gramm in einer späteren Entscheidung wieder bestätigt.