Alle Ausgaben der HRRS, Aufsätze und Anmerkungen ab dem Jahr 2000.
HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
August 2004
5. Jahrgang
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Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
die August-Ausgabe konzentriert sich bei den Publikationen thematisch auf Fragen des Internets. Prof. Hans Kudlich untersucht, inwiefern im Zuge der E-Commerce-Richtlinie über § 4 TDG die Anwendung des deutschen Strafrechts modifiziert wird. Ulf Buermeyer stellt dar, inwiefern die Nutzung fremder drahtloser Computernetzwerke (WLAN) als strafbar einzuschätzen ist.
Aus der Fülle wichtiger Entscheidungen sei hier insbesondere die Vielzahl an Entscheidungen hervorgehoben, die sich dem Recht auf Verfahrensbeschleunigung und den rechtsstaatlichen Grenzen des Deals widmen, unter denen vielleicht die Vorlage des dritten Strafsenats an den Großen Senat für Strafsachen zur (Un-) Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts herausragt. Viele weitere materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Entscheidungen sind lesenswert.
Mit freundlichen Grüßen für die Redaktion
Karsten Gaede
Wiss. Ass.
1. Auch die staatliche Überwachung eines pager-Systems greift in Art. 8 EMRK (Recht auf Privatleben und vertrauliche Korrespondenz) ein. Die Rechtfertigung eines solchen Eingriffs setzt mindestens eine gesetzliche Grundlage im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK voraus. Im Kontext der geheimen Überwachung durch staatliche Stellen muss das nationale Recht einen Schutz gegen willkürliche Eingriffe in das Individualrecht des Art. 8 EMRK vorsehen. Das Gesetz muss hinreichend bestimmt sein, um dem Einzelnen adäquat die Umstände und Bedingungen zu beschreiben, unter denen staatliche Stellen zu geheimen Überwachungsmaßnahmen greifen dürfen.
2. Art. 13 EMRK garantiert einen nationalen Rechtsbehelf zur Durchsetzung der Substanz der Konventionsrechte und Konventionsfreiheiten. Die Form des Rechtsbehelfs ist den nationalen Rechtsordnungen nicht vorgegeben. Entscheidend ist, dass der Rechtsbehelf den zuständigen nationalen Stellen eine Befassung mit der Substanz der relevanten Konventionsbeschwerde ermöglicht und eine angemessene Abhilfe herbeiführen kann. Eine Inkorporation der EMRK ist hierfür nicht zwingend erforderlich.
3. Der von Art. 13 EMRK gewährte Rechtsschutz wird bei geheimen Überwachungsmethoden im Rahmen der Strafverfolgung nicht bereits dadurch gewährt, dass eine Möglichkeit besteht, im Wege der Abwägung eine Verwertung der durch die Überwachung gewonnenen Beweismittel auszuschließen.
1. Die Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 EMRK repräsentieren einzelne Bestandteile des Rechts auf ein faires Verfahren nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK.
2. Das Recht des Angeklagten, mit seinem Verteidiger unüberwacht zu kommunizieren zu können, stellt ein grundlegendes Erfordernis eines fairen Strafverfahrens dar, das aus Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK abzuleiten ist. Wäre der Verteidiger nicht im Stande, unüberwacht mit seinem Mandanten zu kommunizieren und von diesem vertrauliche Instruktionen zu erhalten, würde der Verteidigerbeistand viel von seinem Nutzen verlieren, obgleich die Konvention gerade darauf abzielt, praktisch wirksame Rechte zu gewähren.
3. Der Einsatz eines V-Mannes, der seine rechtlich bestehenden Einsatzgrenzen überschreitet und mit dem Anwalt des späteren Beschuldigten in eigener Initiative persönlich Kontakt aufnimmt, berührt den von Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK gewährten Schutzbereich und kann zu Verletzungen der Konvention führen. Zu einem Einzelfall, in dem eine Verletzung verneint wurde, weil der V-Mann in keiner Weise verfahrensrelevante Informationen erlangt hat, in keiner Weise derartige Informationen zum Nachteil des Beschuldigten verwertet worden sind.
1. Eine Richtervorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG ist nur dann zulässig, wenn das vorlegende Gericht ausführt, inwiefern seine Entscheidung von der Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Rechtsvorschriften abhängt, die Vorlage aus sich heraus und ohne Beiziehung der Akten verständlich ist, der Vorlagebeschluss den entscheidungserheblichen Sachverhalt und eine umfassende Darlegung der die rechtliche Würdigung tragenden Erwägungen enthält, das Gericht sich eingehend mit der einfachrechtlichen Rechtslage auseinander gesetzt und die in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Rechtsauffassungen berücksichtigt hat, soweit diese für die Entscheidung von Bedeutung sein können. Das vorlegende Gericht muss auch seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Norm näher darlegen und deutlich machen, mit welchem verfassungsrechtlichen Grundsatz die zur Prüfung gestellte Regelung seiner Ansicht nach nicht vereinbar ist. Auch bedarf es einer Auseinandersetzung mit nahe liegenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten sowie einer eingehenden, Rechtsprechung und Schrifttum einbeziehenden Darstellung der Rechtslage.
2. Bei einer erneuten Richtervorlage gelten darüber hinaus besondere Begründungsanforderungen. Das vorlegende Gericht muss es im Einzelnen die Gründe dafür darlegen, dass die Rechtskraft der früheren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine erneute Sachprüfung nicht hindert. Diese ist dann der Fall, wenn das vorlegende Gericht sich auf neue Tatsachen beruft, die erst nach der früheren Entscheidung entstanden oder bekannt geworden sind. Eine erneute Vorlage ist in solchen Fällen aber nur dann zulässig, wenn sie von der Begründung der früheren Entscheidung ausgeht. Das vorlegende Gericht hat dazu den in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dokumentierten Rechtsstandpunkt einzunehmen und neue Tatsachen darlegen, die vor diesem Hintergrund geeignet sind, eine von dem früheren Erkenntnis des Bundesverfassungsgerichts abweichende Entscheidung zu ermöglichen.
3. Zwar sind die von Cannabisprodukten ausgehenden Gesundheitsgefahren geringer als der Gesetzgeber dies bei Erlass der pönalisierenden gesetzlichen Regelung angenommen hatte, gleichwohl verbleiben aber "nicht unbeträchtliche Gefahren und Risiken", sodass die Gesamtkonzeption des Gesetzes in Bezug auf Cannabisprodukte auch weiterhin vor der Verfassung Bestand hat (Festhalten an BVerfGE 90, 145).
4. Bei der Wahl zwischen mehreren potentiell geeigneten Wegen zur Erreichung eines Gesetzesziels hat der Gesetzgeber die Einschätzungs- und Entscheidungsprärogative.
5. Den Gerichten ist die Verantwortung übertragen, in Fällen des Erwerbs oder des Besitzes von Cannabisprodukten in kleineren Mengen zum gelegentlichen Eigenverbrauch im Einzelfall, dem verfassungsrechtlichen Übermaßverbot durch Absehen von Strafe angemessen Rechnung zu tragen.
6. Die unterschiedliche Behandlung von Cannabis und Alkohol durch den Gesetzgeber verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG (BVerfGE 90, 145, 195 ff.).
1. Der Erlaubnisvorbehalt für die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten gemäß Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 1 RBerG ist verfassungsgemäß.
2. Was geschäftsmäßige Rechtsberatung im Sinne des Rechtsberatungsgesetzes ist, bedarf angesichts der generalklauselartigen Umschreibung der Abklärung im Einzelfall, die einerseits die durch das Gesetz geschützten Belange und andererseits die Freiheitsrechte des Einzelnen berücksichtigt und dabei auch den Veränderungen der Lebenswirklichkeit Rechnung trägt. Alle diese Gesichtspunkte sind bei der Gesetzesauslegung und der Rechtsanwendung zum Ausgleich zu bringen (vgl. BVerfGE 97, 12, 28, zu Art. 12 GG).
3. Zum Begriff der "Geschäftsmäßigkeit" bei einem berufserfahrenen Juristen (ehemaliger Richter), der auch als Wahlverteidiger nach § 138 Abs. 2 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG zugelassen worden war.
4. Die Gerichte haben bei der Auslegung eines Gesetzes auch zu berücksichtigen, dass ein Gesetz vor dem Hintergrund geänderter sozialer Verhältnisse und gesellschaftspolitischer Anschauungen einem Alterungsprozess unterworfen sein kann. In einem solchen Fall haben die Gerichte zu prüfen, ob das Gesetz für alle Fälle, auf die seine Regelung abzielt, eine gerechte Lösung bereithält. Sie sind daher befugt und verpflichtet zu prüfen, was unter den veränderten Umständen "Recht" im Sinne des Art. 20 Abs. 3 GG ist (vgl. BVerfGE 82, 6, 12). Dabei haben sie unter Anwendung der allgemein anerkannten Auslegungsmethoden - zu denen auch die teleologische Reduktion gehört (vgl. BVerfGE 35, 263, 279; 88, 145, 166 f.) - zu prüfen, ob die gesetzliche Regelung zwischenzeitlich lückenhaft geworden ist. Am Wortlaut einer Norm braucht der Richter dabei nicht Halt zu machen. Seine Bindung an das Gesetz (Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. 1 GG) bedeutet nicht Bindung an dessen Buchstaben mit dem Zwang zur wörtlichen Auslegung, sondern Gebundensein an Sinn und Zweck des Gesetzes. Sind mehrere Deutungen einer Norm möglich, so verdient diejenige den Vorzug, die den Wertentscheidungen der Verfassung entspricht (vgl. BVerfGE 8, 210, 220 f.).
5. Das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG ist dann verletzt, wenn die Rechtsgrundlage für die Verurteilung in einer mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbarenden Weise ausgelegt wird. Das ist auch dann der Fall, wenn die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts die grundrechtliche Freiheit unverhältnismäßig einschränkt (vgl. BVerfGE 92, 191, 196).
6. Da sich nach Einlegung eines zulässigen Einspruchs gegen einen Bußgeldbescheid das weitere Verfahren nach den Vorschriften der Strafprozessordnung über den Einspruch gegen einen Strafbefehl (§ 71 Abs. 1 OWiG)