HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 727
Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 45/24, Beschluss v. 05.03.2024, HRRS 2024 Nr. 727
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 6. September 2023 dahin geändert, dass der Angeklagte
a) des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zehn Fällen und des sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen schuldig sowie
b) im Fall II.13 der Urteilsgründe zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt ist.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zehn Fällen, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen sowie wegen versuchten schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zudem hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die gegen seine Verurteilung gerichtete und auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des Schuldspruchs führt lediglich zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Änderung betreffend Fall II.13 der Urteilsgründe. Die tateinheitliche Verurteilung wegen versuchten schweren Missbrauchs von Kindern im Fall II.13 der Urteilsgründe (§ 176a Abs. 2 StGB in der Fassung des Gesetzes vom 21. Januar 2015 [BGBl. I S. 10]) hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Die Strafkammer hat insoweit festgestellt, dass der Angeklagte seinen Penis zwischen die Pobacken seiner mit dem Oberkörper auf ihrem Bett liegenden Ur-Enkelin S. führte, um anal in diese einzudringen. Ob ihm dies gelang, vermochte das Landgericht nicht festzustellen, sodass es von einer nur versuchten Tat ausgegangen ist.
b) Die Urteilsfeststellungen sind lückenhaft.
aa) War der Versuch - wie offensichtlich hier - unbeendet, konnte der Angeklagte durch bloßes (freiwilliges) Aufgeben seines Plans Strafbefreiung erreichen (§ 24 Abs. 1 Satz 1, Alt. 1 StGB). Ausgeschlossen wäre die Anwendung des § 24 StGB nur, wenn der Versuch zweifelsfrei fehlgeschlagen wäre, weil in einem solchen Fall ein strafbefreiender Rücktritt von vornherein ausgeschlossen ist (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 15. Januar 2020 ? 4 StR 587/19, NStZ-RR 2020, 102 mwN). Ein Versuch ist fehlgeschlagen, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst festgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 22. September 2015 ? 4 StR 359/15 mwN). Maßgeblich dafür ist ? wie für die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch ? das Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung (sog. Rücktrittshorizont).
bb) Hierzu hat das Landgericht keine Feststellungen getroffen. Aufgrund der festgestellten Tatumstände versteht es sich auch nicht von selbst, dass der Angeklagte davon ausging, dass sein Vorhaben in der konkreten Situation gescheitert war.
c) Der Senat schließt aus, dass in einem zweiten Rechtsgang tragfähige (weitergehende) Feststellungen zum Fehlschlag oder aber zur fehlenden Freiwilligkeit getroffen werden können. Die tateinheitliche Verurteilung wegen des versuchten Delikts hat daher zu entfallen. Der Senat ändert den Schuldspruch deshalb in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO. Dem steht § 265 StPO nicht entgegen.
d) Die Änderung des Schuldspruchs zieht die Aufhebung der im Fall II.13 der Urteilsgründe verhängten Strafe von einem Jahr und sechs Monaten nach sich. Der Senat setzt aus Gründen der Prozessökonomie in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO diese Strafe auf das nach § 176 Abs. 1 StGB in der Fassung des Gesetzes vom 21. Januar 2015 (BGBl. I S. 10) vorgesehene Mindestmaß von sechs Monaten fest, um jede Beschwer des Angeklagten auszuschließen. Die Herabsetzung der Strafe lässt angesichts der Einsatzstrafe von sieben Jahren und der weiteren erheblichen Strafen die Gesamtfreiheitsstrafe unberührt.
2. Im Übrigen hat der Strafausspruch Bestand.
a) Ohne Rechtsfehler hat die Strafkammer bei der Bemessung der Einzelstrafen berücksichtigt, dass der Angeklagte die Taten „über einen Zeitraum von vier Jahren begangen hat“. Zwar weist der Beschwerdeführer im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend darauf hin, dass der Zeitraum, über den sich seriell begangene Taten verteilen, grundsätzlich nicht bei jeder Einzeltat als strafschärfender Gesichtspunkt gewertet werden kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. Mai 2015 - 2 StR 535/14; vom 12. April 2016 - 2 StR 483/15). Anderes gilt aber, wenn von vornherein eine Mehrzahl von Taten geplant ist und darin die nach § 46 Abs. 2 StGB berücksichtigungsfähige „rechtsfeindliche Gesinnung“ des Täters zum Ausdruck kommt (vgl. BGH, aaO; Urteil vom 19. Dezember 2002 - 3 StR 401/02, NStZ-RR 2003, 110, 111; Hailer/Weber in Gubitz/Gerson/Hailer/Weber, Strafmaßfindung und Strafmaßverteidigung, Rn. 249; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 1209). Solches belegen die Urteilsgründe. Hiernach entschloss sich der Angeklagte vor Beginn der Tatserie, „seine sexuellen Bedürfnisse fortan an seiner zu dieser Zeit sieben Jahre alten Urenkelin S. auszuleben.“
b) Die Änderung des Schuldspruchs zieht die Aufhebung der im Fall II.13 verhängten Einzelstrafe von einem Jahr und sechs Monaten der Urteilsgründe nach sich. Der Senat setzt aus Gründen der Prozessökonomie in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO die Einzelstrafe für diesen Fall auf das nach § 176 Abs. 1 StGB in der Fassung des Gesetzes vom 21. Januar 2015 (BGBl. I S. 10) vorgesehene Mindestmaß von sechs Monaten fest, um jede Beschwer des Angeklagten auszuschließen. Die Herabsetzung der Einzelstrafe lässt angesichts der Einsatzstrafe von sieben Jahren und der weiteren erheblichen Einzelstrafen die Gesamtfreiheitsstrafe unberührt.
3. Angesichts des lediglich geringen Erfolges der Revision ist es nicht unbillig, den Angeklagten mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 727
Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede