HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 176
Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 421/24, Beschluss v. 30.09.2024, HRRS 2025 Nr. 176
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 25. März 2024 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten K. wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung unter Einbeziehung eines früheren Urteils und Aufrechterhaltung einer dort verhängten Fahrerlaubnissperre zu einer Jugendstrafe von vier Jahren und zehn Monaten verurteilt. Gegen den Angeklagten M. hat es wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen und wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung eine Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und zehn Monaten verhängt. Darüber hinaus hat es die Unterbringung beider Angeklagten in einer Entziehungsanstalt mit einem Vorwegvollzug eines Teils der Strafe angeordnet und Einziehungs- sowie Adhäsionsentscheidungen getroffen. Die auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten haben mit der Sachrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO), so dass es auf die erhobenen Verfahrensbeanstandungen nicht mehr ankommt.
1. a) Nach den Feststellungen begaben sich die beiden mit Sturmhauben maskierten Angeklagten am 13. Februar 2023 in einen Supermarkt. Unter Vorhalt einer Gaspistole und eines Messers veranlassten sie zwei Mitarbeiter des Supermarkts und die Verkäuferin einer dort befindlichen Bäckerei zum Öffnen der jeweiligen Ladenkassen und entnahmen diesen insgesamt 608,78 Euro. Im Zuge dieses Geschehens versetzte M. einem Kunden einen Faustschlag in das Gesicht; K. schlug einem Mitarbeiter des Supermarkts mit der Gaspistole gegen die Stirn (Fall II.1 der Urteilsgründe; besonders schwerer Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung).
Am 11. April 2023 betraten die beiden Angeklagten, wiederum mit Sturmhauben maskiert, eine Lotto-Annahmestelle. M. hielt einer Mitarbeiterin ein Messer vor die Brust und verlangte die Herausgabe von Geld. K. zog eine Gaspistole hervor und zielte damit in Richtung ihres Kopfes. Dem aus einem hinteren Aufenthaltsraum hinzukommenden Ladeninhaber gelang es, die Angeklagten zu vertreiben, indem er mit einem Wischmopp nach ihnen schlug (Fall II.2 der Urteilsgründe; versuchte besonders schwere räuberische Erpressung).
M. und ein nicht identifizierter Mittäter begaben sich am 5. April 2023 mit Sturmhauben maskiert zum Kassenbereich eines Supermarkts. Dort bedrohten sie einen Verkäufer und einen Kunden unter Vorhalt eines Messers sowie eines pistolenähnlichen Gegenstandes und brachten auf diese Weise den Verkäufer dazu, ihnen aus der Kasse Bargeld in Höhe von 1.282,82 Euro auszuhändigen (Fall II.3 der Urteilsgründe; besonders schwere räuberische Erpressung).
Am 19. Mai 2023 bedrohte M., dessen Gesicht durch eine Mütze und eine Atemschutzmaske verborgen war, an der Kasse eines Lebensmittelgeschäfts eine dort tätige Mitarbeiterin und eine Kundin mit einem pistolenähnlichen Gegenstand sowie einem Pfefferspray und veranlasste so die Mitarbeiterin, ihm das Bargeld aus der Kasse zu geben (Fall II.4 der Urteilsgründe; besonders schwere räuberische Erpressung).
b) Das Landgericht hat sich die Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten M. in allen vier Fällen und von derjenigen des Angeklagten K. in den Fällen II.1 und II.2 der Urteilsgründe jeweils aufgrund einer Zusammenschau von Indizien, unter anderem aufgrund der Bekundungen von Zeugen vom Hörensagen, verschafft. Die Geschädigten vermochten die Gesichter und Haare der Angeklagten wegen deren Maskierung bei den Taten nicht näher zu beschreiben.
2. Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen entbehren einer tragfähigen Beweiswürdigung. Es fehlen Angaben dazu, ob und gegebenenfalls wie sich die Angeklagten zur Sache eingelassen haben.
a) Es entspricht gefestigter Rechtsprechung, dass in den Urteilsgründen wiederzugeben ist, ob und gegebenenfalls wie sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung zur Sache eingelassen hat (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 2. Februar 2021 - 4 StR 471/20, Rn. 4; vom 14. Dezember 2022 ? 6 StR 449/22, Rn. 7). Hat er von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht, so ist auch dies mitzuteilen (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Dezember 2014 - 2 StR 403/14, NStZ 2015, 299, 300).
b) Diesen Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht. Zwar ist den Urteilsgründen zu entnehmen, dass die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen auf den Angaben der Angeklagten beruhen; auf diejenigen des Angeklagten M. hat die Strafkammer auch ihre Feststellungen zu dessen Stimme und Sprechweise gestützt. Ferner hat der Angeklagte K. in der Hauptverhandlung Angaben bestätigt, die er gegenüber der Jugendgerichtshilfe gemacht hatte, und der Angeklagte M. hat Ausführungen der Sachverständigen zu seinem Lebenslauf bestätigt. Aus diesen von der Strafkammer mitgeteilten Angaben der Angeklagten zu ihren persönlichen Verhältnissen kann der Senat aber nicht den sicheren (Umkehr-)Schluss ziehen, dass sich die Angeklagten nicht zur Sache eingelassen haben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. August 2020 ? 4 StR 629/19, Rn. 5; vom 12. Dezember 2019 - 5 StR 444/19, NStZ 2020, 625, Rn. 5; vom 30. Dezember 2014 - 2 StR 403/14, NStZ 2015, 299, 300).
c) Angesichts der schwierigen Beweislage vermag der Senat ein Beruhen des Urteils auf diesem Rechtsfehler nicht auszuschließen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2019 - 5 StR 444/19, NStZ 2020, 625, Rn. 6). Die Feststellungen unterliegen insgesamt der Aufhebung (§ 353 Abs. 2 StPO).
3. Das zur erneuten Verhandlung und Entscheidung berufene Tatgericht wird Gelegenheit haben, die nach § 64 Satz 2 StGB erforderliche Erfolgsaussicht einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, die eine durch Tatsachen belegte Wahrscheinlichkeit höheren Grades verlangt (vgl. BGH, Beschluss vom 16. November 2023 - 6 StR 452/23), hinsichtlich beider Angeklagten eingehender als bislang geschehen zu prüfen. Insbesondere ist es nicht gehalten, die von der Sachverständigen aus pauschalen Äußerungen der Angeklagten abgeleitete Therapiebereitschaft kritiklos zu übernehmen; es hat sich vielmehr selbst mit den prognosegünstigen und -ungünstigen Faktoren kritisch auseinanderzusetzen. Bei dem Angeklagten M. werden zudem die Auswirkungen der diagnostizierten dissozialen Persönlichkeitsstörung auf den Behandlungserfolg eingehender in den Blick zu nehmen sein (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. November 2023 - 6 StR 452/23, Rn. 6; vom 1. März 2022 - 2 StR 28/22, NStZ-RR 2022, 240, 241).
HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 176
Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede