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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1250

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 16/24, Beschluss v. 27.06.2024, HRRS 2024 Nr. 1250


BGH 6 StR 16/24 - Beschluss vom 27. Juni 2024 (LG Göttingen)

Betrug; Kapitalanlagebetrug (Verjährungsfrist: Beginn, Tatbeendigung).

§ 264a StGB; § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB; § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB; § 78a Satz 1 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine Tat ist beendet im Sinne von § 78a Satz 1 StGB, wenn der Täter das Tatunrecht in vollem Umfang verwirklicht hat (st. Rspr.).

2. Der 6. Strafsenat schließt sich der in Rechtsprechung und Schrifttum überwiegend vertretenen Ansicht an, dass beim Kapitalanlagebetrug (§ 264a StGB) das Tatunrecht in vollem Umfang verwirklicht - also die Tat beendet ist -, wenn die Prospekte einem größeren Kreis von Personen zugänglich gemacht worden sind.

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 8. August 2023 wird verworfen, jedoch entfällt die tateinheitliche Verurteilung wegen Kapitalanlagebetrugs.

Seine sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seiner Rechtsmittel zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Betrugs in Tateinheit mit Kapitalanlagebetrug zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Seine hiergegen gerichtete Revision hat mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die tateinheitliche Verurteilung wegen Kapitalanlagebetrugs hat zu entfallen, weil bei Verkündung des angefochtenen Urteils die absolute Verjährungsfrist von zehn Jahren (§ 78c Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB) abgelaufen war. Maßgeblich für den Beginn dieser Frist ist der Zeitpunkt der Beendigung der Tat (§ 78a Satz 1 StGB). Die Tat war beendet, als der vom Angeklagten unterzeichnete Prospekt mit Vertriebsbeginn am 24. Oktober 2012 einem Kreis von Anlageinteressenten zugänglich gemacht wurde.

a) Bei tateinheitlichem Zusammentreffen mehrerer Gesetzesverletzungen bestimmt sich die Verjährung für jede Gesetzesverletzung gesondert (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. Oktober 2007 - 2 StR 441/07, Rn. 3; vom 9. Mai 2023 - 4 StR 3/23, Rn. 3 mwN). Für den tateinheitlich verwirklichten Kapitalanlagebetrug gilt die an der Strafandrohung des § 264a StGB orientierte Verjährungsfrist von fünf Jahren (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB). Der Anwendung der kürzeren presserechtlichen Verjährungsfrist von sechs Monaten (§ 24 Abs. 1 Satz 1 NdsPrG) steht entgegen, dass das Niedersächsische Pressegesetz nicht für Druckwerke gilt, die nur Zwecken des Gewerbes dienen (§ 7 Abs. 3 Nr. 2 NdsPrG; vgl. zum Hessischen Landespressegesetz BGH, Urteil vom 21. Dezember 1994 - 2 StR 628/94, BGHSt 40, 385, 389).

b) Eine Tat ist beendet im Sinne von § 78a Satz 1 StGB, wenn der Täter das Tatunrecht in vollem Umfang verwirklicht hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 14. Juli 2022 - 6 StR 227/21, Rn. 27; vom 24. März 2022 - 3 StR 375/20, Rn. 28).Der Senat schließt sich der in Rechtsprechung und Schrifttum überwiegend vertretenen Ansicht an, dass dies beim Kapitalanlagebetrug nach § 264a StGB der Fall ist, wenn die Prospekte einem größeren Kreis von Personen zugänglich gemacht worden sind (vgl. OLG Köln, NJW 2000, 598, 600; OLG Naumburg, Urteil vom 5. August 2004 - 2 U 42/04; LK/Tiedemann, StGB, 12. Aufl., § 264a Rn. 127; Schönke/Schröder/Perron, StGB, 30. Aufl., § 264a Rn. 42; SSW-StGB/Bosch, 6. Aufl., § 264a Rn. 20; Matt/Renzikowski/Schröder/Bergmann, StGB, 2. Aufl., § 264a Rn. 46; Park, Kapitalmarktstrafrecht, 5. Aufl., Teil 3, Kapitel 4.2 Rn. 46; Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambibakis, Wirtschaftsstrafrecht, § 264a StGB Rn. 24; Graf/Jäger/Wittig/Bock, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 3. Aufl., StGB § 264a Rn. 73; Achenbach/Ransiek/Rönnau/Hüls, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 6. Aufl., 12. Teil, 1. Kapitel Rn. 95; Momsen/Grützner/Schröder, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl., § 18 Rn. 304; Zieschang, GA 2012, 607, 615; MüKoStGB/Ceffinato, 4. Aufl., § 264a Rn. 99, der auf das „Machen von Angaben“ abstellt).

aa) Für diese Auffassung spricht, dass es sich bei § 264a StGB nach dem Willen des Gesetzgebers (vgl. BT-Drucks. 10/318, S. 23) um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handelt (vgl. OLG Köln, NJW 2000, 589, 599; MüKoStGB/Ceffinato, aaO, Rn. 12 mwN; Schönke/Schröder/Perron, aaO; SSW-StGB/Bosch, aaO, Rn. 2; Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl., § 264a Rn. 2; Park, aaO, Rn. 5; Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambibakis, aaO, Rn. 1; Graf/Jäger/Wittig/Bock, aaO, Rn. 6; Achenbach/Ransiek/Rönnau/Hüls, aaO, Rn 4; Momsen/Grützner/Schröder, aaO, Rn. 279; differenzierend LK/Tiedemann, aaO, Rn. 23 ff.). Der Tatbestand ist bereits dann erfüllt, wenn ein unrichtiger Prospekt einem größeren Kreis von Personen zugänglich gemacht wird. Tatbestandsmäßig können auch erfolglose Werbemaßnahmen sein; der Eintritt eines Schadens ist gerade nicht erforderlich (Achenbach/Ransiek/Rönnau/Hüls, aaO, Rn. 98).

Vor diesem Hintergrund kommt es - anders als in der Literatur vereinzelt vertreten (vgl. NK-StGB/Hellmann, 6. Aufl., § 264a Rn. 88; HK-GS/Duttge, 5. Aufl., § 264a Rn. 26) - für die Frage der Beendigung der Tat nicht auf die Leistung der jeweiligen Anleger an. Auch wenn sich die Gefährdung lange hinzieht, führt sie als ein durch die Tat verursachter Zustand nicht zu einer Verzögerung des Verjährungsbeginns über das Ende der diesen Zustand herbeiführenden Handlung hinaus (vgl. zu § 241a StGB BGH, Urteil vom 7. März 1984 - 3 StR 550/83, BGHSt 32, 293, 294 und zu § 326 Abs. 1 StGB BGH, Urteil vom 3. Oktober 1989 - 1 StR 372/89, BGHSt 36, 255, 257).

bb) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 264a Abs. 3 StGB. Hierbei handelt es sich um eine Sonderregelung der tätigen Reue, die der Gesetzgeber gerade deshalb vorgesehen hat, weil der Tatbestand als Gefährdungsdelikt ausgestaltet ist, bei dem mangels Versuchsstrafbarkeit keine Strafbefreiung nach § 24 StGB erlangt werden kann (vgl. BT-Drucks. 10/318, S. 25; OLG Köln, NJW 2000, 598, 600; Park, aaO, Rn. 38; Graf/Jäger/Wittig/Bock, aaO, Rn. 73). Im Hinblick darauf, dass den Täter das Risiko trifft, die durch die Falschangabe geschaffene Gefahr vollständig zu beseitigen, kommt eine tätige Reue auch nach Beendigung der Tat in Betracht (vgl. SSW-StGB/Bosch, aaO, § 264a Rn. 20).

2. Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO. Diese Änderung lässt den Strafausspruch unberührt. Der Senat schließt aus, dass die Strafkammer ohne die tateinheitliche Verurteilung zu einer niedrigeren Strafe gelangt wäre, zumal sie die Verwirklichung mehrerer Straftatbestände bei ihrer Strafzumessung nicht berücksichtigt hat und verfahrensordnungsgemäß festgestellte verjährte Taten strafschärfend berücksichtigt werden dürfen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. März 2016 - 1 StR 619/15; vom 16. Dezember 2020 - 6 StR 251/20; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 663 mwN).

3. Die sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung hat aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen keinen Erfolg.

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1250

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede