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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1080

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 111/24, Beschluss v. 15.05.2024, HRRS 2024 Nr. 1080


BGH 6 StR 111/24 - Beschluss vom 15. Mai 2024 (LG Halle)

Entfernung des Angeklagten bei Vernehmung von Mitangeklagten und Zeugen; Verhandlung über die Entlassung eines in Abwesenheit des Angeklagten vernommenen Zeugen (Verzicht des Angeklagten auf weitere Fragen an den Zeugen; Mitteilung des Verteidigers, Abgabe einer Erklärung mit Wirkung für den anwesenden Angeklagten).

§ 247 StPO; § 338 Nr. 5 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Zwar ist die Verhandlung über die Entlassung eines in Abwesenheit des Angeklagten vernommenen Zeugen grundsätzlich ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung. Die währenddessen fortdauernde Abwesenheit des nach § 247 Satz 1 oder 2 StPO entfernten Angeklagten ist deshalb regelmäßig geeignet, den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO zu begründen (st. Rspr.). Dies gilt aber nicht, wenn der Angeklagte - nachdem er von dem Inhalt der Aussage des Zeugen unterrichtet worden ist - auf weitere Fragen an den Zeugen verzichtet hat.

2. Hatten der Angeklagte und sein Verteidiger Gelegenheit dazu, darüber zu beraten, ob der Angeklagte weitere Fragen an einen in seiner Abwesenheit vernommenen Zeugen (§ 247 StPO) habe - nachdem der Angeklagte über den Vernehmungsinhalt informiert wurde - und erklärt der Verteidiger im Anschluss hieran in Anwesenheit des Angeklagten, dass „die Verteidigung“ keine weiteren Fragen mehr an den Zeugen habe, kann diese Mitteilung nur dahin verstanden werden, dass sie auch im Namen des Angeklagten abgegeben wird.

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Halle vom 26. Januar 2023 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten verurteilt. Die auf die Rügen der Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Der Erörterung bedarf nur die auf einen Verstoß gegen § 338 Nr. 5 StPO gestützte Verfahrensrüge.

a) Das Landgericht hatte den Angeklagten während der Vernehmung des Nebenklägers nach § 247 Satz 1 StPO aus dem Sitzungszimmer entfernt. Anschließend wurde dem Angeklagten in Abwesenheit des Nebenklägers der Inhalt der Aussage mitgeteilt. Nach einer darauffolgenden Unterbrechung erklärte einer der beiden Verteidiger des Angeklagten, dass die Verteidigung keine Fragen mehr an den Nebenkläger habe. Sodann verließ der Angeklagte erneut den Sitzungssaal. In Abwesenheit des Angeklagten wurde der Nebenkläger im allseitigen Einvernehmen entlassen.

b) Die Revision macht geltend, dass der Angeklagte unter Verstoß gegen § 338 Nr. 5 StPO von der Verhandlung über die Entlassung des Nebenklägers ausgeschlossen gewesen sei.

2. Die Rüge ist unbegründet.

a) Zwar ist die Verhandlung über die Entlassung eines in Abwesenheit des Angeklagten vernommenen Zeugen grundsätzlich ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung. Die währenddessen fortdauernde Abwesenheit des nach § 247 Satz 1 oder 2 StPO entfernten Angeklagten ist deshalb regelmäßig geeignet, den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO zu begründen (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 21. April 2010 - GSSt 1/09, BGHSt 55, 87, Rn. 19 mwN). Dies gilt aber nicht, wenn der Angeklagte - nachdem er von dem Inhalt der Aussage des Zeugen unterrichtet worden ist - auf weitere Fragen an den Zeugen verzichtet hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. April 2010 - GSSt 1/09, aaO, Rn. 25; vom 19. August 1998 - 3 StR 290/98, Rn. 4; KK/Diemer, StPO, 9. Aufl., § 247 Rn. 7).

b) So liegt der Fall hier. Insoweit kann offenbleiben, ob von dem Inhalt des Protokolls nach Durchführung des Berichtigungsverfahrens auszugehen ist, wonach der Verteidiger des Angeklagten erklärte, dass die Verteidigung und der Angeklagte keine Fragen mehr an den Zeugen hätten. Bereits die ursprünglich protokollierte Erklärung des Verteidigers, „die Verteidigung“ habe keine Fragen mehr an den Zeugen, enthielt einen wirksamen Verzicht des Angeklagten.

Nach der von der Revision insoweit unwidersprochen gebliebenen Darstellung der Vorsitzenden Richterin in ihrer im Rahmen des Protokollberichtigungsverfahrens abgegebenen dienstlichen Stellungnahme hatten die Verteidiger bereits in Abwesenheit des Angeklagten Gelegenheit, den Nebenkläger zu befragen; die im Anschluss an die Information des Angeklagten über den Vernehmungsinhalt angeordnete Unterbrechung diente ausschließlich dazu, den Verteidigern und dem Angeklagten Gelegenheit zu geben, darüber zu beraten, ob dieser weitere Fragen an den Nebenkläger hatte. Die sich hieran anschließende Mitteilung, dass „die Verteidigung“ keine Fragen mehr an den Zeugen habe, kann daher nur dahin verstanden werden, dass sie auch im Namen des Angeklagten abgegeben wurde.

Der Verteidiger ist berechtigt, eine solche Erklärung mit Wirkung für den anwesenden Angeklagten abzugeben. Selbst in Fällen, in denen das Gesetz die Wirksamkeit einer seitens des Verteidigers im Namen des Angeklagten abgegebenen Prozesserklärung an dessen ausdrückliche Ermächtigung knüpft, ist anerkannt, dass sich die Ermächtigung auch aus dem konkludenten Verhalten des Angeklagten ergeben kann und hierfür regelmäßig genügt, dass er der in seiner Gegenwart abgegebenen Erklärung des Verteidigers nicht widerspricht (vgl. zu § 302 Abs. 2 StPO: BGH, Beschluss vom 20. März 2002 - 5 StR 1/02, NStZ 2002, 496; vom 21. Juni 1967 - 2 StR 291/67, GA 1968, 86; RGSt 77, 368, 369; RG HRR 1930, Nr. 1572; OLG Hamm, Beschluss vom 13. Oktober 2009 - 3 Ss 422/09, Rn. 8; zustimmend: KK/Paul, StPO, 9. Aufl., § 302 Rn. 22; Meyer-Goßner/Schmitt, 67. Aufl., § 302 Rn. 28; ablehnend: LR/Jesse, StPO, 26. Aufl., § 302 Rn. 93; SK-StPO/Frisch, 6. Aufl., § 302 StPO, Rn. 71; MüKoStPO/Allgayer, StPO, 2. Aufl., § 302 Rn. 43; Radtke/Hohmann/Radtke, StPO, § 302 Rn. 52). Dies gilt erst recht, wenn das Gesetz - wie hier - keine besonderen Anforderungen an die Ermächtigung des Verteidigers stellt. Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner Entscheidung, ob das Protokollberichtigungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt wurde.

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1080

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede