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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 213

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 490/23, Beschluss v. 28.11.2023, HRRS 2024 Nr. 213


BGH 6 StR 490/23 - Beschluss vom 28. November 2023 (LG Amberg)

Gefährliche Körperverletzung (Begehung mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich: Zusammenwirken; kein Zusammenwirken, wenn sich mehrerer Tatopfer jeweils nur einem Angreifer ausgesetzt sehen).

§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Der Qualifikationstatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB liegt nicht vor, wenn sich mehrere Tatopfer jeweils nur einem Angreifer ausgesetzt sehen, ohne dass die Positionen ausgetauscht werden.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten A. B. wird das Urteil des Landgerichts Amberg vom 19. Januar 2023, auch soweit es den Mitangeklagten M. B. betrifft,

a) dahin geändert, dass die Angeklagten jeweils der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Körperverletzung, der Angeklagte M. B. zudem der Nötigung schuldig sind,

b) in den Strafaussprüchen aufgehoben; die zugehörigen Feststellungen bleiben jedoch aufrechterhalten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils der gefährlichen Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen, den Angeklagten M. B. zudem der Nötigung schuldig gesprochen. Den Angeklagten A. B. hat es zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und neun Monaten, den Angeklagten M. B. unter Strafaussetzung zur Bewährung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten A. B. hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Verurteilung des Angeklagten A. B. wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen hält rechtlicher Überprüfung nicht in jeder Hinsicht stand.

a) Nach den Feststellungen wurde A. B. am 11. November 2022 von einer ihm bis dahin unbekannten Person „grundlos körperlich attackiert“, wodurch er „ein blaues und geschwollenes Auge“ davontrug. Da er und sein Bruder, der Mitangeklagte M. B., dies als „Angriff auf die Familienehre empfanden und somit Vergeltung üben wollten“, kamen sie überein, den Angreifer „gemeinschaftlich mittels einfacher körperlicher Gewalt zur Rechenschaft“ zu ziehen und ihm ebenfalls ein „blaues Auge“ zuzufügen. Nachdem es ihnen gelungen war, den Angreifer als Bu. zu identifizieren, suchten sie am nächsten Tag nach ihm. Als sie mit einem von M. B. geführten Pkw durch die Innenstadt fuhren, wurden sie auf eine Personengruppe um Bu. aufmerksam, in der A. B. den Angreifer vom Vortag zu entdecken meinte. Deshalb wollten die Angeklagten die Mitglieder der Personengruppe ihrem Plan entsprechend „körperlich attackieren“, um dadurch insbesondere an dem vermeintlichen Täter Vergeltung zu üben.

Zu diesem Zweck fuhr M. B. mit überhöhter Geschwindigkeit auf die Personengruppe zu. Der Geschädigte S. und eine weitere Person, die der Gruppe angehörten, wichen dem Fahrzeug aus, woraufhin M. B. dieses mittels einer Vollbremsung zum Stillstand brachte. Dann ergriff er ein in der Seitenablage der Fahrertür befindliches Pfefferspray, stieg aus, „stürzte“ auf die Gruppe zu und sprühte der ihm am nächsten stehenden Person, bei der es sich um Bu. handelte, Pfefferspray ins Gesicht, wodurch dieser Schmerzen erlitt. Gleichzeitig stieg A. B. auf der Beifahrerseite aus und stach mit einem Stichwerkzeug zweimal von oben in Richtung des Halses des Geschädigten S., den er irrtümlich für Bu. hielt. S. setzte sich zur Wehr, indem er seinen linken Arm nach oben riss. Infolgedessen traf ihn das Stichwerkzeug am linken Oberarm und an der linken Oberkörperseite. „Unmittelbar nach dem Versprühen des Pfeffersprays“ stiegen die Angeklagten wieder in den Pkw ein und fuhren davon.

Aufgrund ihres gemeinsamen Tatplans rechneten beide Angeklagten mit einem körperlichen Angriff des jeweils anderen auf die Personengruppe und nahmen daraus resultierende Verletzungen bzw. Schmerzen des durch den anderen Angegriffenen zumindest billigend in Kauf. Beide waren sich auch „darüber bewusst, dass ihrem gemeinschaftlichen Vorgehen eine besondere Gefährlichkeit zukam, da hierdurch die Verteidigungsmöglichkeiten der Angegriffenen erheblich reduziert wurden“. Sie waren sich überdies der Gefährlichkeit des jeweils von ihnen eingesetzten Tatmittels - Pfefferspray bzw. Stichwerkzeug - bewusst. Beide wussten aber nicht, dass der jeweils andere ein Tatwerkzeug einsetzen wollte, und rechneten auch nicht damit, weil der Einsatz von Tatmitteln nicht von ihrem gemeinsamen Tatplan umfasst war.

b) Die Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten A. B. wegen gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des Geschädigten S. nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB. Auch die Annahme des Landgerichts, dass A. B. sich die von M. B. zum Nachteil des Geschädigten Bu. begangene Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) gemäß § 25 Abs. 2 StGB als Mittäter zurechnen lassen muss, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Urteilsgründe belegen jedoch nicht, dass A. B. jeweils auch den Qualifikationstatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB verwirklicht hat.

Dieser setzt dem Grund der Strafschärfung entsprechend ein einverständliches Zusammenwirken von mindestens zwei Angreifern in dem Sinne voraus, dass diese dem Geschädigten körperlich gegenüberstehen und jener deshalb in seiner Verteidigungsmöglichkeit tatsächlich oder vermeintlich eingeschränkt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Juni 2015 - 3 StR 171/15, BGHR StGB § 224 Abs. 1 Nr. 4 Gemeinschaftlich 5). Dafür kann genügen, dass ein Tatgenosse die Wirkung der Körperverletzungshandlung des anderen bewusst in einer Weise verstärkt, welche die Lage des Verletzten zu verschlechtern geeignet ist (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juli 2012 - 3 StR 158/21, BGHR StGB § 224 Abs. 1 Nr. 4 Gemeinschaftlich 4). An dem erforderlichen Zusammenwirken fehlt es jedoch, wenn sich mehrere Opfer jeweils nur einem Angreifer ausgesetzt sehen, ohne dass die Positionen ausgetauscht werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. Juni 2015, aaO; vom 25. Juli 2017 - 3 StR 93/17, NStZ-RR 2017, 339, 340).

So verhält es sich hier. Die Angeklagten standen jeweils nur einem Tatopfer körperlich gegenüber und stiegen unmittelbar nach der von ihnen ausgeführten Tathandlung wieder in das Fahrzeug ein, um den Tatort zu verlassen. Den Feststellungen lässt sich nicht entnehmen, dass sich die Angeklagten bei der Ausführung ihrer jeweiligen Tathandlung gegenseitig unterstützten.

c) Der Senat ändert den Schuldspruch in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO und erstreckt die Entscheidung gemäß § 357 Satz 1 StPO auf den gleichermaßen von dem Rechtsfehler betroffenen nichtrevidierenden Mitangeklagten M. B., der im Fall B.I der Urteilsgründe (nur) der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB zum Nachteil des Geschädigten Bu. in Tateinheit mit Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) zum Nachteil des Geschädigten S. schuldig ist. Es ist auszuschließen, dass in einer neuen Hauptverhandlung Feststellungen getroffen werden können, die zur Annahme einer gemeinschaftlichen Begehungsweise im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB führen würden. § 265 Abs. 1 StPO steht nicht entgegen. Die geständigen Angeklagten hätten sich nicht wirksamer als geschehen verteidigen können.

2. Die Änderung der Schuldsprüche zieht die Aufhebung der gegen den Angeklagten A. B. verhängten Jugendstrafe sowie der im Fall B.I der Urteilsgründe gegen den Mitangeklagten M. B. verhängten Strafe und der Gesamtstrafe nach sich. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Jugendkammer bei zutreffender rechtlicher Würdigung auf niedrigere Strafen erkannt hätte. Sie hat die tateinheitliche Verwirklichung zweier gefährlicher Körperverletzungen „zum Nachteil zweier Geschädigter“ jeweils ausdrücklich zum Nachteil der Angeklagten gewertet. Die zugehörigen Feststellungen sind von dem Rechtsfehler unberührt und können deshalb bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 213

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede