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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1483

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 398/23, Beschluss v. 19.09.2023, HRRS 2023 Nr. 1483


BGH 6 StR 398/23 - Beschluss vom 19. September 2023 (LG Hannover)

Kurze Freiheitsstrafe nur in Ausnahmefällen (Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände: umfassendes Geständnis, Unbestraftheit des Angeklagten, untergeordnete Stellung im Bandengefüge, nicht eigennützige Tatmotivation).

§ 47 StGB

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 4. Mai 2023, soweit es ihn betrifft, aufgehoben

a) im Ausspruch über die in den Fällen II.3 und II.4 verhängten Einzelstrafen;

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen, jeweils in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, zu einer bedingten Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Während die Überprüfung des Schuldspruchs und des Strafausspruchs im Fall II.6 (sechs Monate Freiheitsstrafe) der Urteilsgründe keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat, können die in den Fällen II.3 und II.4 jeweils verhängten Freiheitsstrafen von fünf Monaten keinen Bestand haben.

a) Die Strafkammer hat angenommen, dass insoweit kurze Freiheitsstrafen zur Verteidigung der Rechtsordnung (§ 47 Abs. 2 Satz 1 StGB) unerlässlich seien. Der Angeklagte habe sich der Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gemacht; eine Straftat, die der Gesetzgeber „grundsätzlich mit einer Mindestfreiheitsstrafe von fünf Jahren bedacht“ habe. Die Verhängung einer Geldstrafe hierfür sei der Allgemeinheit weder mit Blick auf die Teilnahme des Angeklagten noch eingedenk des angenommenen minder schweren Falls zu vermitteln.

b) Dies hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.

aa) Zwar hat die Strafkammer im rechtlichen Ausgangspunkt ihre Sanktionsentscheidung zutreffend an § 47 Abs. 2 StGB und nicht an Art. 12 Abs. 1 EGStGB gemessen. Das Landgericht hat insoweit bedacht, dass nicht die durch Annahme des minder schweren Falles (§ 30a Abs. 3 BtMG) und durch eine obligatorische Strafrahmenverschiebung (§ 27 Abs. 2 Satz 2 StGB in Verbindung mit § 49 Abs. 1 Nr. 3 StGB) ermittelte Mindestfreiheitsstrafe von einem Monat (§ 38 Abs. 2) zugrunde zu legen, sondern die Sperrwirkung der Mindeststrafe des tateinheitlich verwirklichten minder schweren Falles des § 29a Abs. 2 BtMG (vgl. Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 10. Aufl., § 30a Rn. 115 mwN) zu beachten war.

bb) Die Begründung der kurzen Freiheitsstrafen weist aber einen durchgreifenden Rechtsfehler auf.

(1) Die Festsetzung einer Freiheitsstrafe unter sechs Monaten aus generalpräventiven Gründen hat regelmäßig nur Bestand (vgl. SSW-StGB/Eschelbach, 5. Aufl., § 47 Rn. 25 und 35; LK/Schneider, StGB, 13. Aufl., § 47 Rn. 38 mwN), wenn sie sich aufgrund einer Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände als unerlässlich erweist (§ 47 Abs. 1 StGB) und dies in den Urteilsgründen dargestellt wird (vgl. BGH, Urteile vom 8. Mai 1996 - 3 StR 133/96, BGHR StGB § 47 Abs. 1 Umstände 7; vom 8. April 2004 - 3 StR 465/03, NStZ 2004, 554; Beschluss vom 3. Mai 2023 - 6 StR 161/23; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 47 Rn. 7 und 11 mwN).

(2) Die notwendige Gesamtwürdigung, insbesondere der besonderen Umstände in der Persönlichkeit des Angeklagten, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Die Strafkammer hat hier weder das umfassende Geständnis und die Unbestraftheit des Angeklagten noch seine untergeordnete Stellung im Bandengefüge bei nicht eigennütziger Tatmotivation in den Blick genommen. Der Senat vermag dies auch nicht dem pauschalen Hinweis auf den bejahten minder schweren Fall zu entnehmen, zumal da die Formulierung des Landgerichts besorgen lässt, dass es die Verhängung einer Geldstrafe für Fälle der Teilnahme am Bandenhandel mit Betäubungsmitteln (§ 30a Abs. 1 BtMG) schlechthin, also ohne dem Einzelfall gerecht werden zu müssen, für ausgeschlossen hält (vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 1970 - 1 StR 353/70, BGHSt 24, 40, 46; Beschluss vom 18. Juli 1989 - 4 StR 338/89, BGHR § 56 Abs. 3 Verteidigung 5).

c) Der Senat vermag ein Beruhen der Einzelstrafaussprüche auf diesem Wertungsfehler nicht auszuschließen (§ 337 Abs. 2 StPO).

2. Die Aufhebung dieser Strafen entzieht der Gesamtstrafe die Grundlage. Die dem Strafausspruch zugrunde liegenden Feststellungen haben Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1483

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede