HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 60
Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 326/23, Urteil v. 12.12.2023, HRRS 2024 Nr. 60
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Cottbus vom 16. Januar 2023 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) abgelehnt. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts - soweit hier von Belang - hielt sich der obdachlose Beschuldigte am Tattag in einer aus Wohnwagen und Zelten bestehenden Siedlung in einem Waldgebiet nahe Königs Wusterhausen auf. Im Anschluss an einen Streit mit einer Bewohnerin der Siedlung und aufgrund seines „grenzüberschreitenden Verhaltens“ wurde er zum Verlassen der Siedlung aufgefordert. Daraufhin begab er sich zu dem einige hundert Meter entfernt im Wald befindlichen „Tiny-House“ des Geschädigten, einem kleinen Holzhaus, das über eine Koch- und eine Schlafgelegenheit verfügte und von dem Geschädigten regelmäßig für Übernachtungen genutzt wurde. Dort setzte der Beschuldigte zunächst ein freistehendes hölzernes Toilettenhaus in Brand, das vollständig niederbrannte. Anschließend entzündete er unter dem „Tiny-House“ gelagerte Holzscheite und entfernte sich dann. Der ortsabwesende Geschädigte beobachtete das Geschehen über eine von ihm installierte Wildkamera, die bei Bewegungen Bilder auf sein Mobiltelefon übertrug, und benachrichtigte einen Bekannten. Diesem gelang es, den Brand unter dem Holzhaus, der sich mittlerweile auf drei bis vier Scheite ausgebreitet hatte, zu löschen; hierbei erlitt er Verbrennungen an den Fingern.
2. Das Landgericht ist sachverständig beraten davon ausgegangen, dass der Beschuldigte an einer paranoiden Schizophrenie leidet. Zur Tatzeit habe bei ihm eine psychotische Symptomatik vorgelegen, die zu einer Aufhebung seiner Steuerungsfähigkeit geführt habe.
Eine Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB hat es abgelehnt. Zwar seien die übrigen Voraussetzungen dieser Maßregel gegeben, es könne aber nicht die Prognose gestellt werden, dass von dem Beschuldigten infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien. Allerdings sei es sehr wahrscheinlich, dass er krankheitsbedingt auch künftig Straftaten begehen werde. Dabei sei mit Bedrohungen, Sachbeschädigungen und Beleidigungen ebenso zu rechnen wie mit Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz. Ein erhöhtes Risiko für die Begehung schwerer Gewaltdelikte oder Brandstiftungen bestehe jedoch nicht. Aus den bisherigen Strafverfahren lasse sich eine Neigung des Beschuldigten zu solchen Taten nicht erkennen; mit Brandstiftungsdelikten oder einem sonstigen unverantwortlichen Umgang mit offenem Feuer sei er „nie in Erscheinung getreten“.
1. Die Ablehnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine Gefährlichkeit des Beschuldigten im Sinne des § 63 StGB verneint hat, begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
a) Die für die Anordnung einer Maßregel nach § 63 StGB erforderliche Gefährlichkeitsprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu stellen und muss sich darauf erstrecken, ob und welche rechtswidrigen Taten von dem Beschuldigten infolge seines Zustands in Zukunft drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist und welches Gewicht den betroffenen Rechtsgütern zukommt (vgl. BGH, Urteile vom 21. Dezember 2022 - 2 StR 245/22, Rn. 9; vom 17. Februar 2022 - 4 StR 380/21, Rn. 7; Beschluss vom 1. Juli 2020 - 6 StR 106/20, Rn. 12).
b) Aus dem angefochtenen Urteil ergibt sich nicht hinreichend nachvollziehbar, warum es zwar die Begehung weiterer krankheitsbedingter Taten durch den Beschuldigten für sehr wahrscheinlich erachtet hat, zugleich aber ein „erhöhtes Risiko“, dass er auch Taten wie die Anlasstaten begehen werde, verneint hat. Die diesbezüglichen Erwägungen des Landgerichts erweisen sich als lückenhaft.
Zwar hat es bei seiner Gefährlichkeitsprognose zu Recht auch die den Anlasstaten vorangegangene Delinquenz des Beschuldigten berücksichtigt. Die Ausführungen des Landgerichts lassen aber besorgen, dass es die Anlasstaten selbst, denen im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose eine erhebliche Indizwirkung zukommt (vgl. MüKoStGB/van Gemmeren, 4. Aufl., § 63 Rn. 50), nicht hinreichend in den Blick genommen hat.
aa) So setzt sich das Landgericht nicht ausreichend damit auseinander, dass es aus der bisherigen Delinquenz des Beschuldigten selbst den Schluss gezogen hat, er könne „mit Konfliktsituationen nicht angemessen umgehen“, und es sich der Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen angeschlossen hat, das Verhalten des Beschuldigten bleibe aufgrund seiner psychotischen Symptomatik „unberechenbar und unvorhersehbar“. Vor diesem Hintergrund und angesichts des Umstands, dass auch die Anlasstaten auf die psychische Erkrankung des Beschuldigten zurückgehen, erschließt sich nicht und hätte eingehenderer Begründung bedurft, wieso von ihm zukünftig lediglich bestimmte Straftaten wie Bedrohungen, Sachbeschädigungen, Beleidigungen und Betäubungsmitteldelikte sehr wahrscheinlich zu erwarten seien, indes für eine der Anlasstaten vergleichbare Tat noch nicht einmal ein „erhöhtes Risiko“ bestehen soll.
bb) Soweit die Strafkammer - allerdings ohne dies ausdrücklich zu erwähnen - die verfahrensgegenständlichen Brandstiftungen als für den Beschuldigten gänzlich untypische Einzeltaten, gleichsam als „Ausreißer“, gewertet hat, erweisen sich ihre Erwägungen ebenfalls als lückenhaft.
Eine solche Bewertung versteht sich hier keineswegs von selbst, sondern hätte angesichts der weiteren Feststellungen näherer Erörterung bedurft. So ist etwa ein nachvollziehbares Motiv - welches die Brandstiftungsdelikte als Einzeltaten erscheinen lassen könnte - nicht festgestellt worden.
Zudem hat sich die Strafkammer nicht ausreichend damit auseinandergesetzt, dass der Beschuldigte nach den zu seiner Person getroffenen Feststellungen in der Vergangenheit bereits zweimal mit Brandlegungen gedroht hatte. So hatte er im Januar 2015 mit benzindurchtränkter Hose und Schuhen angekündigt, dass er sich „anzünden“ werde. Zwar hat das Landgericht dies vor dem Hintergrund der Einlassung des Beschuldigten, ihm sei versehentlich beim Befüllen eines Gefäßes an der Tankstelle Benzin auf seine Hose und seine Schuhe gelangt, „nicht objektivieren“ können. Den Urteilsgründen lässt sich jedoch nicht entnehmen, dass es die dahingehende Einlassung des Beschuldigten einer kritischen Überprüfung unterzogen hat. Dies war hier aber insbesondere angesichts des Umstandes geboten, dass sich der Beschuldigte nach Überzeugung der Strafkammer krankheitsbedingt „sehr wechselhaft und nur bruchstückweise“ eingelassen hat. Zudem hat das Landgericht insoweit nicht beachtet, dass - selbst wenn das Benzin versehentlich auf die Hose und die Schuhe des Beschuldigten gelangt sein sollte - seine Drohung, sich anzuzünden, davon unberührt bleibt.
Überdies hatte er im April 2015 dem für ihn zuständigen Betreuungsrichter angedroht, er würde dessen „Büro abbrennen“, wenn dieser nicht „zügig“ die Beendigung des Betreuungsverfahrens veranlasse. Der Umstand, dass der Betreuungsrichter diese Drohung nicht ernst nahm, steht ihrer Berücksichtigung bei der Frage, ob zu besorgen ist, dass der Beschuldigte in Konfliktsituationen zu einem Umgang mit Feuer neigen könnte, nicht von vornherein entgegen.
2. Die Sache bedarf, gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines anderen psychiatrischen Sachverständigen, neuer tatgerichtlicher Verhandlung und Entscheidung. Auch die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu den rechtswidrigen Taten können nicht bestehen bleiben, weil der Beschuldigte das Urteil, das die Begehung der Taten durch ihn festgestellt hat, mangels Beschwer nicht hätte anfechten können (vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 2022 - 4 StR 380/21, Rn. 22).
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 60
Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede