HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 509
Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 324/23, Urteil v. 10.01.2024, HRRS 2024 Nr. 509
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 29. März 2023 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels sowie die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten ist unbegründet.
1. Das Landgericht hat - soweit hier von Belang - folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
a) Der sozial weitgehend isoliert lebende und intelligenzgeminderte Angeklagte entwickelte jedenfalls zum Ende des Jahres 2021 eine Vorliebe für Pornographie mit Gewaltbezug sowie mit nekrophilen Inhalten. Er konsumierte fortan ausschließlich Pornofilme, in denen Frauen zunächst erschlagen oder erschossen wurden und deren Leichname sodann sexuell missbraucht wurden. Den Angeklagten stimulierte das Gefühl von Macht und Kontrolle. Er empfand dieses als Genugtuung und Ausgleich für die von ihm seit Jahren gefühlte Zurückweisung durch Frauen. Seine sich ständig steigernden Gewaltphantasien spitzten sich in der Folge weiter zu. Die Umsetzung seines Lebensplans, eine Familie bis zum 35. Lebensjahr zu gründen, sah er als endgültig gescheitert an.
Am Tattag, seinem 28. Geburtstag, war ihm und einem Kollegen von seinem Arbeitgeber der Austausch eines Fensters in der Wohnung der 27-jährigen Nebenklägerin aufgetragen worden. Nachdem der Angeklagte seinen Kollegen gegen 10 Uhr aufgefordert hatte, Werkzeug aus dem Tischlereibetrieb zu holen, wurde ihm spontan bewusst, dass er mit der Nebenklägerin allein in der Wohnung war. Ihn überkamen rasch immer stärker werdende sexuelle Gewaltphantasien. Er entschloss sich, die Nebenklägerin mit einem Hammer zu töten, um anschließend an ihr den Geschlechtsverkehr zu vollziehen. Auf seine Frage, ob es noch weitere beschädigte Fenster in der Wohnung gebe, zeigte die Nebenklägerin ihm das Badezimmerfenster. Beim Verlassen dieses Raumes ließ er ihr den Vortritt und schlug ihr von hinten einmal wuchtig mit der stumpfen Schlagseite des Hammers auf den Kopf. Die hiervon überraschte Nebenklägerin stürzte verletzt zu Boden und versuchte zu entkommen. Dies unterband der Angeklagte, indem er sie festhielt und ihr noch elf weitere wuchtige Hammerschläge gegen den Kopf versetzte. Seine durch die Schläge aufgetretene Erektion ließ angesichts des für ihn unerwartet massiven Verletzungsbildes nach, und er ließ von der Nebenklägerin ab, ohne sexuelle Handlungen vorzunehmen. Dabei ging er davon aus, dass die Nebenklägerin ohne sofortige Hilfe an ihren schweren Verletzungen versterben werde.
Der Angeklagte begab sich sodann in das Badezimmer und reinigte seine Hände sowie den Hammer. Hier wurden ihm die Ausweglosigkeit seiner Lage und die ihm - als bislang Unbestraftem - drohenden sozialen, beruflichen und strafrechtlichen Konsequenzen bewusst. Er geriet in einen Schockzustand, verließ die Wohnung und zog die Wohnungstür ins Schloss.
Vor dem Wohnhaus lief er ziellos auf und ab. Er war aus Sorge um seine Zukunft nicht mehr in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen und suchte verzweifelt nach einem Ausweg. Spontan kam ihm die Idee, den Tatverdacht auf einen vermeintlichen Einbrecher zu lenken und dessen Verfolgung vorzutäuschen. Er warf den Hammer in ein Gebüsch und rief, um seine Geschichte glaubhaft zu machen, laut: „Wo ist der Wichser“. Sodann forderte er - weiterhin aus panischer Angst um seine Zukunft - zwei Zeuginnen auf, für eine von einem Einbrecher verletzte Frau Hilfe zu holen; diese benötige einen Krankenwagen. Eine Zeugin setzte um 10:12 Uhr einen Notruf ab. Dabei handelte er indes nicht aus „freien Stücken“, sondern in einem Schockzustand, wobei ihm der gefühlte „innere seelische Druck keine andere Handlungsalternative ließ“.
Anschließend sprach er eine weitere Zeugin an, um die Fortsetzung seiner Suche vorzutäuschen, und unterrichtete seinen Kollegen und seinen Arbeitgeber telefonisch davon, dass jemand mit einem Hammer auf die Nebenklägerin eingeschlagen hätte und er jemanden verfolge. Wenige Minuten später nahm er wahr, dass Zeugen die Nebenklägerin aus dem Gebäude führten und auf einer Bank versorgten. Auf seine Frage, ob diese Zeugen bereits einen Notruf abgesetzt hätten, setzte eine Zeugin einen weiteren Notruf ab. Der Angeklagte begab sich sodann in den Einfahrtsbereich des Grundstücks und wies die auf den Notruf hin eintreffenden Polizei- und Rettungskräfte vor Ort ein.
Die Nebenklägerin konnte trotz mehrfacher offener Schädel-Hirn-Traumata und Kopfplatzwunden durch die eingeleitete intensivmedizinische Behandlung gerettet werden.
b) Die Strafkammer hat das Geschehen rechtlich als mit Ermöglichungsabsicht begangenen Versuch des Mordes gewertet (§§ 211, 22 StGB) und zudem die Mordmerkmale der Heimtücke und der Tötung zur Befriedigung des Geschlechtstriebs sowie - idealkonkurrierend - eine gefährliche Körperverletzung angenommen (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5, § 52 StGB). Weiter hat sie - sachverständig beraten - wegen einer schweren anderen seelischen Störung eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit angenommen (§ 21 StGB). Einen strafbefreienden Rücktritt vom beendeten Versuch hat das Landgericht abgelehnt (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 StGB).
2. Der Revision des Angeklagten bleibt der Erfolg versagt. Schuld- und Rechtsfolgenausspruch halten revisionsgerichtlicher Prüfung stand. Insbesondere hat das Landgericht - auf Grundlage einer tragfähigen Beweiswürdigung - einen Rücktritt des Angeklagten vom beendeten Mordversuch mit rechtsfehlerfreien Erwägungen abgelehnt.
a) Für den unbeendeten Versuch im Sinne von § 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB ist anerkannt, dass ein Rücktritt dann nicht strafbefreiend wirkt, wenn der Täter meint, den Erfolg theoretisch noch herbeiführen zu können, er sich jedoch infolge übermächtiger Angst, eines Schocks, einer psychischen Lähmung oder einer vergleichbaren seelischen Erschütterung praktisch außerstande sieht, eine weitere auf die Tatbestandsverwirklichung ausgerichtete Handlung vorzunehmen (vgl. BGH, Urteile vom 14. April 1955 - 4 StR 16/55, BGHSt 7, 296, 298; vom 28. Februar 1956 - 5 StR 352/55, BGHSt 9, 48, 53; vom 10. Mai 1994 - 1 StR 19/94, NStZ 1994, 428; Beschlüsse vom 13. Januar 1988 - 2 StR 665/87, BGHSt 35, 184, 186; vom 22. März 2012 - 4 StR 541/11, NStZ-RR 2012, 239, 240; vom 14. Februar 2023 - 4 StR 442/22, NStZ 2023, 599; vom 7. November 2023 - 2 StR 302/23). Dabei kommt es darauf an, ob sich der betreffende Umstand für den Täter als ein „zwingendes Hindernis“ darstellt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. August 1982 - 3 StR 284/82, MDR 1982, 969; vom 17. Oktober 1985 - 4 StR 516/85; MDR 1986, 271; vom 13. Januar 1988 - 2 StR 665/87, aaO; Bottke in Festschrift 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe aus der Wissenschaft, Bd. IV, S. 135, 169 f.).
Für die Bewertung einer freiwilligen Vollendungsverhinderung beim beendeten Versuch (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 StGB) sind grundsätzlich dieselben rechtlichen Maßstäbe anzulegen (vgl. BGH, Urteile vom 22. August 1985 - 4 StR 326/85, BGHSt 33, 295, 301; vom 11. Juni 1987 - 4 StR 31/87, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, beendeter 5; SK/Jäger, StGB, 9. Aufl., § 24 Rn. 98; LK/Murmann, 13. Aufl., § 24 Rn. 367; NK/Engländer, StGB, 6. Aufl., § 24 Rn. 53). Entscheidend ist auch in diesen Fällen, ob der Täter „Herr seiner Entschlüsse“ bleibt und auf der Grundlage einer willensgesteuerten Entscheidung die Vollendung der Tat verhindert. Daran kann es im Ausnahmefall fehlen, wenn gerade die seelische Erschütterung des Täters ein zwingender Grund für die Verhinderung des Erfolgseintritts war (vgl. zu § 46 Nr. 2 StGB aF BGH, Urteil vom 9. März 1967 - 5 StR 38/67, BGHSt 21, 216, 217).
b) So liegt es hier. Rechtsfehlerfrei hat die sachverständig beratene Strafkammer angenommen, dass der Angeklagte die Rettungskette erzwungenermaßen in Gang gesetzt und deshalb den Erfolg nicht freiwillig verhindert hat (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 StGB). Bei der zum Zeitpunkt der Ansprache von Zeugen vorliegenden akuten Belastungsreaktion hatte sich eine so große panische Angst und ein großer innerer Druck aufgebaut, dass er zu selbstbestimmtem Handeln nicht mehr in der Lage war.
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 509
Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede