HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 964
Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi
Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 232/22, Beschluss v. 28.06.2022, HRRS 2022 Nr. 964
Auf die Revision des Angeklagten A. C. wird das Urteil des Landgerichts Stade vom 10. Dezember 2021 im Schuldspruch dahin geändert, dass er im Fall II.B.7.b) der Urteilsgründe wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln verurteilt ist.
Die weitergehende Revision des Angeklagten A. C. sowie die Revisionen des Angeklagten R. C. und der Staatsanwaltschaft gegen das vorgenannte Urteil werden verworfen.
Die Beschwerdeführer A. und R. C. haben die Kosten ihres jeweiligen Rechtsmittels zu tragen. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten A. C. fallen der Staatskasse zur Last.
Das Landgericht hat den Angeklagten A. C. unter Freispruch im Übrigen wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zehn tateinheitlich zusammentreffenden Fällen, wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen sowie wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Den Angeklagten R. C. hat es unter Freispruch im Übrigen wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz einer Schusswaffe und Besitz von Munition sowie wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwölf Fällen, davon in fünf Fällen in Tateinheit mit Beihilfe zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten A. C. hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist sie ebenso unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO wie die gleichfalls auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten R. C. und die auf die Rüge der Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützte, zuungunsten des Angeklagten A. C. eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft.
1. Der Schuldspruch gegen den Angeklagten A. C. hält im Fall II.B.7.b) rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Nach den Feststellungen kaufte der Angeklagte bei seinem Bruder R. C. auf Kommissionsbasis in zehn Fällen jeweils 300 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von drei Prozent, von denen je 120 Gramm zum Selbstkonsum und der Rest zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt waren. Die Bezahlung der vorhergehenden Lieferung erfolgte stets erst bei Aushändigung der nächsten Betäubungsmittel. Zugleich mit der letzten Lieferung erlangte A. C. den Besitz an weiteren Betäubungsmitteln (Kokain, Amphetamin, MDMA, Haschisch in jeweils nicht geringer Menge).
b) Die rechtliche Wertung des Landgerichts - der Angeklagte sei insoweit neben dem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge tateinheitlich auch des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zehn tateinheitlichen Fällen schuldig - begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Denn die monatliche Handelsmenge von 180 Gramm wies nur einen Wirkstoffgehalt von 5,4 Gramm THC auf und erreichte damit nicht den Grenzwert zur nicht geringen Menge (7,5 Gramm THC; vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 1984 - 3 StR 183/84, BGHSt 33, 8, 14). Dieser wurde auch nicht dadurch überschritten, dass sich die gesamte zu verkaufende Menge auf 1.800 Gramm belief. Denn die Wirkstoffgehalte der einzelnen Teilmengen, deren Ankäufe wegen der Bezahlung einer zuvor auf Kommission erhaltenen Betäubungsmittelmenge aus Anlass der Übernahme einer weiteren Betäubungsmittelmenge zwar zu einer einheitlichen Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit verbunden werden (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2017- GSSt 4/17, BGHSt 63, 1, 10), aber keine Bewertungseinheit bilden, werden nicht addiert (vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember 2019 - 1 StR 364/18 Rn. 15; Beschlüsse vom 24. Januar 2017 - 3 StR 487/16, NStZ 2017, 711, 712; vom 15. März 2022 - 4 StR 10/22; Patzak in Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG 10. Aufl., § 29 Rn. 484).
Der Senat hat den Schuldspruch daher entsprechend § 354 Abs. 1 StPO geändert. Aus Gründen der Übersichtlichkeit hat er davon abgesehen, die mehrfache tateinheitliche Verwirklichung in der Entscheidungsformel zum Ausdruck zu bringen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 31. Mai 2016 - 3 StR 54/16, NStZ-RR 2016, 274, 275; vom 23. März 2022 - 6 StR 62/22). § 265 StPO steht der Änderung des Schuldspruchs nicht entgegen, weil der Angeklagte sich nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
c) Der Strafausspruch kann trotz des geänderten Schuldspruchs bestehen bleiben. Die Strafkammer hat die Strafe dem weiterhin anwendbaren Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG entnommen, der auch den Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge als Verbrechen einstuft. Ausgehend vom Tatbild kann der Senat ausschließen, dass die Strafkammer bei zutreffender rechtlicher Beurteilung eine niedrigere Strafe verhängt hätte, zumal sich der Schuldgehalt der Tat, der maßgebend auch von der Gesamthandelsmenge bestimmt wird (vgl. zur Bedeutung der Größe der Handelsmenge für die Strafzumessung Maier in Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 29a Rn. 54 mit zahlreichen Nachweisen), nicht geändert hat.
2. Der Strafausspruch gegen den Angeklagten R. C. ist in mehrfacher Hinsicht rechtlich zu beanstanden.
a) Soweit zu besorgen ist, dass die Strafkammer hinsichtlich Fall II.A.6 der Urteilsgründe im Rahmen der Strafzumessung einen zu hohen Schuldgehalt angelastet hat, weil sie davon ausgegangen ist, dass „es sich um eine professionell betriebene Indoor-Plantage größeren Umfangs handelte, die einen Gesamtertrag von etwa zwölf Kilogramm abwarf“, während ausweislich der rechtsfehlerfreien Feststellungen aus der bereits verkauften Ernte und den sichergestellten Pflanzen und Setzlingen nur ein Gesamtertrag von acht Kilogramm zu erwarten gewesen wäre, setzt der Senat, um jede Benachteiligung des Angeklagten auszuschließen, entsprechend § 354 Abs. 1 StPO die Strafe auf die Mindeststrafe von einem Jahr (§ 29a Abs. 1 BtMG) herab. Er kann im Hinblick auf den immer noch beträchtlichen Wirkstoffgehalt von 800 Gramm THC ausschließen, dass die Strafkammer bei Berücksichtigung des geringeren Ernteertrages einen minder schweren Fall nach § 29a Abs. 2 BtMG angenommen hätte.
b) Das Landgericht hat in den Fällen II.B.1 bis 6 strafschärfend gewertet, dass „die Wirkstoffgehalte nicht unterdurchschnittlich waren“. Damit hat es das Fehlen eines möglichen Strafmilderungsgrundes rechtsfehlerhaft zu Lasten des Angeklagten R. C. berücksichtigt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. November 2013 - 4 StR 480/13; vom 15. Februar 2022 - 2 StR 223/21). Um auch insoweit jede Benachteiligung des Angeklagten auszuschließen, setzt der Senat die Strafen ebenfalls auf das jeweilige Mindestmaß von einem Jahr herab. Die Annahme minder schwerer Fälle hat die Strafkammer mit rechtsfehlerfreien Erwägungen ausgeschlossen.
c) Die Herabsetzung der Strafen lässt angesichts der Einsatzstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten sowie der weiteren zwölf Strafen (dreimal zwei Jahre und sechs Monate, einmal zwei Jahre und neun Monate, einmal ein Jahr und sechs Monate, siebenmal ein Jahr) die Gesamtfreiheitsstrafe unberührt. Der Senat schließt aus, dass die Strafkammer bei zutreffenden Strafzumessungserwägungen auf eine niedrigere Gesamtstrafe erkannt hätte.
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 964
Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi