HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 599
Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 138/22, Beschluss v. 20.04.2022, HRRS 2022 Nr. 599
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 30. November 2021 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen - außer denjenigen zu den Anlasstaten - aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen räuberischen Diebstahls in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung und in einem Fall in Tateinheit mit zweifacher Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt und die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Die angeordnete Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil die Urteilsgründe nicht belegen, dass die Voraussetzungen des § 63 StGB erfüllt sind. Der Generalbundesanwalt hat dazu in seiner Antragsschrift ausgeführt:
„1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defektes schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. März 2009 - 2 StR 42/09; vom 8. April 2003 - 3 StR 79/03). Dieser Zustand muss, um eine Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein (BGH, Beschluss vom 29. August 2012 - 4 StR 205/12; Urteil vom 6. März 1986 - 4 StR 40/86).
a) Das Urteil enthält hierzu keine ausreichenden Feststellungen. Im Anschluss an die Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen konnte die Strafkammer zum einen lediglich ‚eine verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten bei den räuberischen Diebstahlstaten im Sinne von § 21 StGB nicht ausschließen‘ (UA S. 18), aber nicht, was für eine Unterbringungsanordnung nach § 63 StGB erforderlich gewesen wäre (dazu BGH, Beschluss vom 30. März 2016 - 2 StR 464/15 Rn. 8; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl. 2017, Rn. 409; Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 63 Rn. 11, 21 jeweils mit Nachw.), sicher feststellen.
Dass die Strafkammer sich gleichfalls im Anschluss an den Sachverständigen davon überzeugen konnte, dass die übrigen festgestellten Taten ‚mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit‘ im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen wurden, trägt die Unterbringungsanordnung nicht, da die Strafkammer ihre Gefährlichkeitsprognose maßgeblich auf die räuberischen Diebstähle gestützt hat (UA S. 24 f.).
b) Wenn die Strafkammer zum anderen davon ausgeht, dass der Angeklagte an einer paranoiden Schizophrenie erkrankt sei, die mit einem schädlichen Gebrauch multipler psychotroper Substanzen einhergehe (UA S. 16), geben die Urteilsgründe die diese Bewertung tragenden Anknüpfungs- und Befundtatsachen nicht in ausreichendem Umfang wieder (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. September 2012 - 4 StR 348/12 Rn. 8; vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12; vom 14. September 2010 - 5 StR 229/10 Rn. 8). Die Urteilsgründe beschränken sich auf eine Mitteilung der Diagnose und knappe, allgemein gehaltene Ausführungen zu wahnhaften Gewissheiten des Angeklagten (UA S. 17) sowie dessen namentlich bei Begehung der unter Ziffer II 2 der Urteilsgründe festgestellten Tathandlung beobachtete Auffälligkeiten. Dass es sich hierbei um zeitstabile Beeinträchtigungen seines psychischen Zustandes handelt, wird nicht hinreichend deutlich aufgezeigt. Die mitgeteilten ‚mindestens 20 Einweisungen in die Psychiatrie seit dem Jahre 2007‘ (UA S. 17) sind insoweit ohne maßgebliche Aussagekraft, weil der Angeklagte nach den bisher getroffenen Feststellungen bei einigen dieser meist nur ein bis zwei Tage dauernden Aufenthalte ‚zusätzlich zu den psychiatrischen Auffälligkeiten auch unter dem Einfluss von Alkohol, Amphetaminen oder THC gestanden‘ habe und als Diagnose ‚meist‘ eine drogeninduzierte Psychose gestellt wurde (UA S. 17). Hieraus lässt sich ein Bezug zur nunmehr diagnostizierten paranoiden Schizophrenie nicht ohne weiteres herstellen (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Januar 2013 - 4 StR 520/12 Rn. 6).
2. Die getroffenen Feststellungen zu den Anlasstaten und der hierauf beruhende Schuld- und Strafausspruch können bestehen bleiben, da die auch insoweit sachverständig beratene Strafkammer eine Aufhebung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der räuberischen Diebstähle mit nachvollziehbarer Begründung ausgeschlossen hat und sich aus der Feststellung, eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten könne nicht ausgeschlossen werden (sämtlich UA S. 18), für den Angeklagten rechtliche Nachteile insoweit nicht ergeben.“ Dem schließt sich der Senat an.
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 599
Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede