HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 324
Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 133/22, Urteil v. 10.01.2023, HRRS 2023 Nr. 324
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 28. September 2021 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -
Das Landgericht hat die Angeklagten vom Vorwurf der Untreue freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihren jeweils auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen. Die vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmittel haben bereits mit der Sachrüge Erfolg.
Die Staatsanwaltschaft legt den Angeklagten zur Last, als Vorstand beziehungsweise als Personalleiter der V. AG den Betriebsratsmitgliedern O., Fr., Wo. und Ble. unzulässig hohe Arbeitsentgelte gewährt zu haben.
1. Dem Urteil liegen im Wesentlichen folgende Feststellungen zugrunde:
a) Der Angeklagte N. war seit 2005 Vorstand der V. AG für den Bereich Personal. In dieser Funktion wurde er mit Beginn des Jahres 2016 vom Angeklagten Bl. abgelöst. Der Angeklagte S., dem 1997 Prokura erteilt worden war, wurde 2008 Leiter P. Deutschland. Im Juli 2011 übernahm der Angeklagte R. diese Position von S. ; er war ebenfalls Prokurist. Die Angeklagten waren für die Bemessung der Betriebsratsvergütungen zuständig.
Bei der V. AG bestand seit 1991 eine „Kommission Betriebsratsvergütung“. Sie befasste sich mit der Vergütung von für die Tätigkeit als Betriebsrat freigestellten Arbeitnehmern. Ihr gehörten die Angeklagten als Vertreter der Unternehmensseite an. Die Entscheidungen der Kommission setzten die Angeklagten mit Schreiben an die Betriebsräte um, mit denen sie höhere Monatsentgelte oder „freiwillige Bonuszahlungen“ bewilligten. Von 2011 bis 2016 wurden in dieser Weise Zahlungen an die freigestellten Betriebsräte O., Fr., Wo. und Ble. veranlasst, die die Zahlungen an die betriebsverfassungsrechtlich zutreffenden Vergleichsgruppen erheblich überstiegen. Hierdurch entstand der V. AG ein Schaden von mehr als 4,5 Millionen Euro.
Die Angeklagten bewilligten folgende Zahlungen:
aa) Dem Betriebsrat O. wurden in den Jahren 2011 (durch die Angeklagten N. und S.) und 2012 bis 2015 (durch die Angeklagten N. und R.) jährlich Steigerungen des monatlichen Entgelts auf zuletzt 17.000 Euro brutto bewilligt. Zudem bewilligten ihm die Angeklagten N. und R. von 2012 bis 2015 jährlich „freiwillige Bonuszahlungen“ von 432.600 Euro bis 560.000 Euro und die Angeklagten Bl. und R. 2016 eine Zahlung von 374.000 Euro.
O. absolvierte nach dem Abschluss der Hauptschule eine Ausbildung zum Industriekaufmann. Bei der V. AG wurde er als Montagewerker, später als „Beanstandungsbeheber“ beschäftigt. 2005 wurde er unter anderem Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats und Aufsichtsrat. Im selben Jahr wurde er in den „Oberen Managementkreis“ berufen. Später absolvierte er ein unternehmensinternes „Management Assessment Center“. 2011 war er der Entgeltstufe 35 zugeordnet, die unternehmensintern dem „Top-Managementkreis“ vorbehalten war.
bb) Dem Betriebsrat Fr. wurden von 2013 bis 2015 durch die Angeklagten N. und R. sowie im Jahr 2016 durch die Angeklagten Bl. und R. jährlich freiwillige Boni von 111.400 Euro bis 159.700 Euro gewährt.
Fr. hat Abitur und ist Radio- und Fernsehmechaniker, bei der V. AG war er als Montagearbeiter und Güteprüfer beschäftigt, zuletzt in der Entgeltgruppe 10. Mit der Wahl zum Vorsitzenden des Betriebsrats W. B. wurde er in den „Managementkreis“ (Entgeltstufe 29), später in den „Oberen Managementkreis“ (Entgeltstufe 31) berufen. Auch er bestand das „Management Assessment Center“.
cc) Der Angeklagte R. bewilligte 2013 dem Betriebsrat Wo. unter Umstufung in die Entgeltgruppe 30, die dem „Managementkreis“ zugeordnet war, ein monatliches Entgelt von 7.800 Euro und daneben einen freiwilligen Bonus von 81.000 Euro. Der Angeklagte N. und der gesondert Verfolgte Wi. schlossen mit Wo. im Juli 2014 einen Arbeitsvertrag über dessen Berufung in den „Oberen Managementkreis“, der mit einer Erhöhung der monatlichen Bezüge (Entgeltstufe 31) verbunden war. Die Angeklagten N. und R. hoben 2014 und 2015 sein monatliches Entgelt auf zuletzt 9.800 Euro an und gewährten ihm 2015 einen freiwilligen Bonus von 146.000 Euro. Die Angeklagten Bl. und R. veranlassten 2016 eine freiwillige Bonuszahlung von 101.600 Euro.
Wo. absolvierte nach einem Hauptschulabschluss eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker. In diesem Beruf arbeitete er bei der V. AG. Zwar ist er auch geprüfter Personalfachkaufmann, wurde aber als solcher nicht beschäftigt. In unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Übernahme des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzes im W. W. wurde er als „außertariflicher Mitarbeiter in den Managementkreis“ berufen. Kurz zuvor hatte er das unternehmensinterne „Management Assessment Center“ absolviert. Weniger als zwei Jahre später stieg er in den „Oberen Managementkreis“ auf.
dd) Dem Betriebsrat Ble. gewährten die Angeklagten N. und R. von 2013 bis 2015 jährlich freiwillige Boni von 135.300 Euro bis 141.600 Euro, die Angeklagten Bl. und R. 2016 einen solchen von 98.000 Euro.
Ble. hat einen Hauptschulabschluss, aber keine Berufsausbildung. Er arbeitete an der Montagelinie (Entgeltstufe 5 oder 6). Nachdem er Betriebsratsvorsitzender im W. S. geworden war, wurde er in den „Managementkreis“, später in den „Oberen Managementkreis“ eingestuft. Mehr als zehn Jahre später bestand er das „Management Assessment Center“.
b) Die Angeklagten hielten ihr Handeln für pflichtgemäß. Der Angeklagte N. verließ sich auf die Einschätzung interner und externer Berater, derzufolge das angewandte System rechtmäßig sei. Der Angeklagte S. wurde von seinem Vorgänger als Leiter Personal Deutschland über den Inhalt der rechtlichen Beratung informiert und fand ein bestehendes Vergütungssystem vor. Der Angeklagte R. hatte den gleichen Wissenstand wie S. und kannte die Auffassungen der internen und externen Berater. Dem Angeklagten Bl. wurde „von allen Seiten erklärt und versichert“, alles sei rechtlich in Ordnung.
2. Das Landgericht hat angenommen, die Angeklagten hätten den objektiven Tatbestand der Untreue (§ 266 Abs. 1 StGB) erfüllt, jedoch ohne Vorsatz gehandelt. Ihre irrige Überzeugung, pflichtgemäß und gesetzeskonform zu handeln, stelle einen vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum im Sinne von § 16 Abs. 1 StGB dar.
Das Urteil hat keinen Bestand. Es begegnet durchgreifenden sachlich-rechtlichen Bedenken.
1. Das Landgericht ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass der objektive Tatbestand der Untreue nach § 266 Abs. 1 StGB erfüllt sein kann, wenn ein Vorstand oder Prokurist einer Aktiengesellschaft unter Verstoß gegen das betriebsverfassungsrechtliche Begünstigungsverbot einem Mitglied des Betriebsrats ein überhöhtes Arbeitsentgelt gewährt.
a) Die hierfür erforderliche Vermögensbetreuungspflicht ergibt sich im Hinblick auf das Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft aus § 93 Abs. 1 AktG (vgl. BGH, Urteile vom 12. Oktober 2016 - 5 StR 134/15, NJW 2017, 578, 579; vom 17. September 2009 - 5 StR 521/08, BGHSt 54, 148, Rn. 36; vom 21. Dezember 2005 - 3 StR 470/04, BGHSt 50, 331, Rn. 13; Achenbach/Ransiek/Rönnau/Seier/Lindemann, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 5. Aufl. 2019, § 266 StGB, S. 879 f.; Stam, JR 2022, 200; aA, aber nicht tragend, BGH, Beschluss vom 13. September 2010 - 1 StR 220/09, BGHSt 55, 288, Rn. 38; Koch/Kudlich/Thüsing, ZIP 2022, 1, 4; Johnson, CCZ 2021, 75, 80). Prokuristen trifft eine Vermögensbetreuungspflicht bereits aus der Prokura als solcher (vgl. Hessisches LAG, Urteil vom 9. Juni 2009 - 12 Sa 942/06, Rn. 39; Kindhäuser/Hilgendorf, StGB, 9. Aufl., § 266 Rn. 35; Leitner/Rosenau/Jahn/Ziemann, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl., StGB § 266 Rn. 74). Eine strafrechtliche Ausfüllung dieser Vermögensbetreuungspflicht durch weitere - namentlich vermögensschützende - Vorschriften, Satzungsbestimmungen, vertragliche Verpflichtungen, den vom Landgericht herangezogenen Deutschen Corporate Governance Kodex oder hierzu abgegebene Entsprechenserklärungen ist aus Rechtsgründen nicht erforderlich (vgl. BGH, Urteile vom 10. Oktober 2012 - 2 StR 591/11, NJW 2013, 401, 403; vom 17. September 2009 - 5 StR 521/08, aaO; vom 21. Dezember 2005 - 3 StR 470/04, aaO).
b) Diese Vermögensbetreuungspflicht wird verletzt, wenn einem Betriebsrat ein Arbeitsentgelt bewilligt wird, das gegen das betriebsverfassungsrechtliche Begünstigungsverbot (§ 78 Satz 2 BetrVG) verstößt. Eine solche begünstigende Verfügung führt zu einem verbotenen Vermögensabfluss und ist nichtig (§ 134 BGB; vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2009 - 5 StR 521/08, aaO, Rn. 34; BAG, Urteile vom 21. März 2018 - 7 AZR 590/16, Rn. 16; vom 8. November 2017 - 5 AZR 11/17, Rn. 31; Beschluss vom 20. Januar 2010 - 7 ABR 68/08, Rn. 10; Fitting, BetrVG, 31. Aufl., § 37 Rn. 11). Sie überschreitet die in § 93 Abs. 1 AktG normierten und auch der Prokura eigenen äußersten Grenzen des (unternehmerischen) Ermessens und verletzt eine Hauptpflicht gegenüber dem zu betreuenden Vermögen.
Steht fest, dass gegen § 93 Abs. 1 AktG verstoßen worden ist, bleibt kein Raum für die Prüfung, ob dieser Verstoß gravierend oder evident ist (vgl. BGH, Urteil vom 12. Oktober 2016 - 5 StR 134/15, aaO; Rönnau, NStZ 2006, 214, 220; aA Koch/Kudlich/Thüsing, aaO, S. 5). Auch das Einverständnis des Vermögensinhabers steht der Pflichtverletzung nicht entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2009 - 5 StR 521/08, aaO, Rn. 37; Esser, Die Begünstigung von Mitgliedern des Betriebsrats, 2013, S. 185). Ein hierdurch verursachter Vermögensnachteil ist nicht kompensiert; dies gilt selbst dann, wenn durch die Zahlungen die vertrauensvolle Zusammenarbeit zum Wohle des Unternehmens gefördert worden sein sollte (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juni 2018 - 4 StR 561/17, NStZ-RR 2018, 349, 350; Urteil vom 17. September 2009 - 5 StR 521/08, aaO, Rn. 38; Esser, aaO, S. 183; Rieble, CCZ 2008, 32, 35; Strauß, NZA 2018, 1372, 1377; aA Koch/Kudlich/Thüsing, aaO, S. 5; Zwiehoff in FS Puppe, 2022, S. 1337, 1343, 1350).
c) Zutreffend hat das Landgericht auch die Kriterien für einen Verstoß gegen § 78 Satz 2 BetrVG bestimmt. Demnach schließt die gesetzliche Regelung des § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG - wonach das einem Betriebsrat zu zahlende Arbeitsentgelt nach der Vergütung vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher Entwicklung zu bemessen ist - eine Bewertung der Betriebsratstätigkeit für Vergütungszwecke aus (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2009 - 5 StR 521/08, aaO, Rn. 33; Dzida/Mehrens, NZA 2013, 753, 755; Rüthers, NJW 2007, 195, 196). Das gilt auch für im Betriebsratsamt erworbene Qualifikationen, soweit sie nicht im Zusammenhang mit der bisherigen Arbeitstätigkeit stehen (vgl. Fitting, aaO, § 37 Rn. 120; Byers, NZA 2014, 65, 66). Denn die Betriebsratstätigkeit ist unentgeltlich auszuüben, wobei im Interesse der Unabhängigkeit ein strenger Maßstab anzulegen ist (vgl. Fitting, aaO, § 37 Rn. 7). Dieser verbietet es, auf die hypothetische Gehaltsentwicklung des Betriebsrats bei einer Sonderkarriere abzustellen. Vergleichbar ist vielmehr nur, wer im Zeitpunkt der Amtsübernahme ähnliche, im Wesentlichen gleich qualifizierte Tätigkeiten ausgeführt hat und dafür in gleicher Weise wie der Betriebsrat fachlich und persönlich qualifiziert war (vgl. BAG, Urteil vom 18. Januar 2017 - 7 AZR 205/15 mwN; LAG Düsseldorf, Urteil vom 17. April 2019 - 7 Sa 1065/18, Rn. 152). Üblich ist eine Entwicklung, wenn die überwiegende Anzahl der vergleichbaren Arbeitnehmer eine solche typischerweise bei normaler betrieblicher und personeller Entwicklung genommen hat. Diese Regeln gelten auch für Beförderungen (vgl. Fitting, aaO, § 37 Rn. 8). Ein Aufstieg ist insbesondere nur dann betriebsüblich, wenn die Mehrzahl der vergleichbaren Arbeitnehmer einen solchen erreicht hat (vgl. BAG, Urteile vom 22. Januar 2020 - 7 AZR 222/19, Rn. 22; vom 21. Februar 2018 - 7 AZR 496/16, Rn. 17; vom 18. Januar 2017 - 7 AZR 205/15, Rn. 16; Fitting, aaO, § 37 Rn. 123). Die Zahlung einer höheren Vergütung setzt voraus, dass der Betriebsrat nur infolge der Amtsübernahme nicht in die entsprechend vergütete Position aufgestiegen ist (vgl. BAG, Urteil vom 22. Januar 2020 - 7 AZR 222/19, Rn. 30 mwN). Darüber hinaus gehende Vergütungserhöhungen verstoßen gegen das Begünstigungsverbot aus § 78 Satz 2 BetrVG (vgl. BAG, Urteile vom 27. Juli 2017 - 6 AZR 438/16; vom 18. Januar 2017 - 7 AZR 205/15; vom 4. November 2015 - 7 AZR 972/13; LAG Düsseldorf, Urteil vom 17. April 2019 - 7 Sa 1065/18, Rn. 149; Fitting, aaO, § 78 Rn. 22).
d) Ebenfalls zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die für die Bewilligungen maßgeblichen Vergleichspersonen nicht diesen Grundsätzen entsprechend ausgewählt wurden. Denn diese haben zum Zeitpunkt der Amtsübernahme weder ähnliche Tätigkeiten wie die betreffenden Betriebsräte ausgeführt, noch waren sie in gleicher Weise qualifiziert.
Unzutreffend ist die von den Angeklagten in Anspruch genommene Auffassung, wonach es bei besonderen Umständen abweichend von den vorbezeichneten Grundsätzen auf eine individuelle hypothetische Ausnahmekarriere des Betriebsrats als Manager ankomme und dementsprechende Vergleichspersonen zu bestimmen seien. Hieran ändert nichts, dass die betreffenden Betriebsräte nach ihrer Amtsübernahme die unternehmenseigene Managementprüfung bestanden oder mit Vorständen und Managern „auf Augenhöhe verhandelt“ (UA S. 42, 44, 111) und als Betriebsrat komplexe Aufgaben wahrgenommen hätten (UA S. 118), in „unternehmerische Entscheidungskomplexe eingebunden“ gewesen seien (UA S. 45), Angebote zum Wechsel in Managementpositionen erhalten oder in der Zusammenarbeit vergütungsrelevante Leistungen gezeigt hätten (UA S. 111). Erst recht kann aus der Betriebsratstätigkeit als solcher nicht geschlussfolgert werden, der Betriebsrat habe „den Marschallstab im Tornister“ (UA S. 118) und könne fortan mit Führungskräften verglichen werden. Denn diese Maßstäbe knüpfen in unzulässiger Weise an die Bewertung der Betriebsratstätigkeit als solcher an und finden keine Stütze im Betriebsverfassungsgesetz (vgl. NK-ArbR/Waskow, 2016, BetrVG § 78 Rn. 25; Byers, aaO, S. 65; Dzida/Mehrens, aaO, S. 755; Giesen, RdA 2020, 155, 164, 166; Jacobs, NZA 2019, 1606, 1609; Joussen, RdA 2018, 193, 196; Rieble, aaO, S. 34; Schrader/Klagges/Siegel/Lipski, NZA 2022, 456, 459; Schweibert/Buse, NZA 2007, 1080, 1081; Stück, ArbRAktuell 2017, 512, 513; ders. CCZ 2020, 338, 341; Zwiehoff, aaO, S. 1340; aA Annuß, NZA 2020, 20, 23; ders. NZA 2022, 247, 248; ders. NStZ 2020, 201, 204; Baade/Reiserer, DStR 2022, 155, 159; Bachner/Engesser Means, NZA 2020, 422, 425; Koch/Kudlich/Thüsing, aaO, S. 2; Strauß, aaO, S. 1373; Thüsing, NZA 2022, 831).
2. Das Urteil hält gleichwohl sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Denn die vom Landgericht getroffenen Feststellungen zu den objektiven Voraussetzungen des Untreuetatbestandes genügen nicht den Anforderungen (vgl. § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO).
a) Bei einem Freispruch wegen fehlenden Vorsatzes muss das Tatgericht die für erwiesen gehaltenen Tatsachen so darstellen, dass dem Revisionsgericht eine Überprüfung des Urteils auf Rechtsfehler möglich ist. Die hierzu erforderliche geschlossene Darstellung der äußeren Tatsachen hat insbesondere solche zu umfassen, die einen Rückschluss auf innere Umstände zulassen können (vgl. BGH, Urteile vom 18. Dezember 2012 - 1 StR 415/12, Rn. 25; vom 27. Februar 1991 - 3 StR 449/90, NStZ 1991, 400; LR-StPO/Stuckenberg, 27. Aufl., § 267 Rn. 165; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 267 Rn. 33a; MüKo-StPO/Wenske, § 267 Rn. 487). Dem werden die Urteilsgründe im Hinblick auf das bei der V. AG im Tatzeitraum geltende Vergütungssystem, die Maßstäbe für einen Aufstieg in höhere Managementkreise und die für die Bemessung von Bonuszahlungen maßgeblichen Kriterien nicht gerecht.
b) Das Landgericht hat das Vorliegen des objektiven Tatbestands der Untreue darauf gestützt, den Betriebsräten seien unzulässig hohe Vergütungen in Form von monatlichen Entgelten und Bonuszahlungen gewährt worden. Zwar hat es festgestellt, in welcher Höhe die Angeklagten Bonuszahlungen und Steigerungen der monatlichen Entgelte zu Gunsten der Betriebsräte bewilligten. Die Urteilsgründe verhalten sich aber nicht dazu, an welchen Maßstäben sich die jeweilige Entscheidung ausrichtete. Hierzu wäre mitzuteilen gewesen, nach welchem System die Vergütung von Angestellten der V. AG generell geregelt war, welche Kriterien für die Einordnung in „Kostenstellen“ und „Entgeltgruppen“ galten, nach welchen Maßstäben ein Aufstieg in höhere „Entgeltgruppen“ vorgesehen und unter welchen Voraussetzungen das Entgelt ohne Wechsel der Entgeltgruppe zu erhöhen war.
Darüber hinaus ergibt sich aus dem angefochtenen Urteil nicht, welche Regeln für die Aufnahme in die verschiedenen „Managementkreise“ sowie die Teilnahme am „Management Assessment Center“ galten und welche Entgelterhöhungen und Sachleistungen damit verbunden waren.
Mit Blick auf die gewährten Boni lässt sich dem Urteil schließlich nicht entnehmen, welche Maßstäbe den Entscheidungen der Angeklagten N., Bl. und R. über die Gewährung von Bonuszahlungen und über deren Höhe zugrunde lagen. Unklar bleibt in diesem Zusammenhang auch, ob und in welcher Höhe dem Betriebsrat O. im Jahr 2011 oder für dieses Jahr ein Bonus bewilligt worden ist.
c) Der Senat kann wegen dieser unzureichenden Feststellungen nicht beurteilen, ob - wie vom Landgericht angenommen - die Bewilligung der Arbeitsentgelte den aufgezeigten betriebsverfassungsrechtlichen Grundsätzen widerspricht. Dies betrifft sowohl die Einordnung in Entgeltgruppen - zumal, wenn diese an „Managementkreise“ und den Zugang zum „Management Assessment Center“ gebunden waren - als auch die Gewährung von Boni. Zwar können letztere zum Arbeitsentgelt im Sinne von § 37 Abs. 2 BetrVG zählen (vgl. BAG, Urteil vom 29. April 2015 - 7 AZR 123/13; Fitting, aaO, § 37 Rn. 127). Hierzu ist aber erforderlich, dass sich der Bonus als eine (zusätzliche) Gegenleistung für die erbrachte Arbeit darstellt. Es kommt darauf an, ob diese Leistung als Fortzahlung des Arbeitsentgelts für die Dauer der Freistellung des Betriebsrats anzusehen ist (vgl. BAG, Urteil vom 29. April 2015 - 7 AZR 123/13, Rn. 16). Zur Beantwortung dieser Frage wäre mitzuteilen gewesen, nach welchen Regeln über die Gewährung von Boni und deren Höhe für die zutreffenden Vergleichspersonen und die Betriebsräte entschieden wurde.
3. Darüber hinaus begegnet die Beweiswürdigung zum Vorsatz der Angeklagten N., S. und R. durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht grundsätzlich hinzunehmen. Die Beweiswürdigung erweist sich aber etwa dann als rechtsfehlerhaft, wenn sie lückenhaft ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 14. Juli 2022 - 6 StR 227/21, Rn. 36; vom 11. März 2021 - 3 StR 316/20, NStZ 2022, 161; vom 25. November 2020 - 5 StR 493/19, Rn. 42); dies ist hier der Fall.
Im Hinblick auf die Angeklagten N., S. und R. hat das Landgericht bei seiner Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite des § 266 Abs. 1 StGB ausschließlich auf die Einstufung der Betriebsräte in bestimmte Entgeltstufen und die damit verbundene Höhe ihrer Bezüge abgestellt.
So hat es etwa bei dem Angeklagten S. dessen fehlenden Vorsatz damit begründet, dass sich aus der von ihm bewilligten „geringen anteiligen Erhöhung“ des Monatsgehalts des Betriebsrats O. „um weitere 500 Euro“ von 12.400 Euro auf 12.900 Euro „keine Zweifel an der Höhe der gewährten Vergütung“ ergeben hätten (UA S. 115, 117); auch bei der Prüfung des Vorsatzes der Angeklagten N. und R. hat das Landgericht allein die Einordnung der Betriebsräte in bestimmte Entgeltstufen in den Blick genommen. Die den Betriebsratsmitgliedern über ihre jeweiligen Grundgehälter hinaus gewährten Bonuszahlungen hat es bei der Prüfung des Vorsatzes hingegen vollständig außer Betracht gelassen. Dies erweist sich als lückenhaft.
Denn die sich aus der Eingruppierung in eine bestimmte höhere Entgeltstufe ergebende Vergütung des Betriebsrats oder die Aufstockung seiner monatlichen Zahlungen etwa um einen Betrag von 500 Euro mögen zwar für sich gesehen nicht außergewöhnlich hoch gewesen sein. In die erforderliche Gesamtwürdigung (vgl. BGH, Urteile vom 7. Juli 2022 - 4 StR 28/22, Rn. 9; vom 8. Juni 2022 - 2 StR 503/21, Rn. 11; vom 6. September 2006 - 5 StR 156/06, Rn. 16) hätte das Landgericht - gegebenenfalls nach den gebotenen Feststellungen über eine Bonuszahlung an O. für das Jahr 2011 - aber einstellen müssen, dass die zusätzliche Gewährung eines Bonus die jährlichen Zuwendungen auf teils sehr hohe sechsstellige Beträge ansteigen ließ. Diese für Arbeitnehmer außergewöhnlichen Zahlungen können ein gewichtiges Indiz für den Vorsatz sein.
Die Freisprüche der Angeklagten haben daher keinen Bestand. Eine Aufrechterhaltung von Feststellungen kommt nicht in Betracht, weil die Angeklagten deren rechtsfehlerfreies Zustandekommen nicht überprüfen lassen konnten.
Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin:
1. Sollte das neue Tatgericht wiederum die von den Ermittlungsbehörden als vergleichbar erachteten Personen berücksichtigen wollen, wird es deren berufliche Qualifikation darstellen und sorgfältig beurteilen müssen, vor allem, wenn - wie bei den für O. ausgewählten Vergleichspersonen T. und We. - diese im Gegensatz zum Betriebsratsmitglied nicht über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen. Zudem wird das neue Tatgericht Feststellungen dazu treffen müssen, welche arbeitsvertragliche Bedeutung die Berufung der Angeklagten in die verschiedenen Managementkreise hatte (vgl. Schrader/Klagges/Siegel/Lipski, aaO; Bachner/Engesser Means, aaO, S. 427). Einem damit verbundenen Statuswechsel kann indizielle Wirkung beim subjektiven Tatbestand zukommen.
2. Sofern auch das neue Tatgericht die objektiven Voraussetzungen einer Untreue gemäß § 266 Abs. 1 StGB als gegeben erachtet, wird es Gelegenheit haben, eingehender als bislang geschehen zu prüfen, ob es sich bei einer etwaigen Fehlvorstellung der Angeklagten zur Rechtmäßigkeit ihres Handelns um einen Irrtum über tatsächliche Umstände (§ 16 StGB) oder einen Verbotsirrtum (§ 17 StGB) handelt (vgl. BGH, Urteile vom 14. Juli 2021 - 6 StR 282/20, Rn. 40; vom 17. September 2009 - 5 StR 521/08, aaO, Rn. 47; vom 21. Dezember 2005 - 3 StR 470/04, Rn. 85). Gegebenenfalls wird zu bedenken sein, dass ausreichende Unrechtseinsicht hat, wer bei Begehung der Tat mit der Möglichkeit rechnet, Unrecht zu tun, und dies billigend in Kauf nimmt (vgl. BGH, Urteile vom 24. März 2021 - 6 StR 240/20, BGHSt 66, 76, Rn. 33; vom 21. Juli 1999 - 2 StR 24/99, BGHSt 45, 148, Rn. 18; vom 7. März 1996 - 4 StR 742/95, NStZ 1996, 338). Das gilt insbesondere, wenn dem Handelnden bewusst war, dass er sich in einem rechtlichen Grenzbereich bewegte (vgl. BGH, Urteil vom 3. April 2008 - 3 StR 394/07, Rn. 41).
Sofern das neue Tatgericht zur Annahme eines Verbotsirrtums gelangt, ist der Frage nach dessen Vermeidbarkeit besonderes Augenmerk zu widmen. Das Vertrauen auf eingeholten anwaltlichen Rat vermag nicht in jedem Fall einen unvermeidbaren Verbotsirrtum des Täters zu begründen. Ein Gutachten, das „rechtlichen Flankenschutz für die tatsächliche Handhabung“ (UA S. 123) bieten soll, wird besonders kritischer Würdigung bedürfen (vgl. BGH, Urteil vom 3. April 2008 - 3 StR 394/07, Rn. 40). Mit Blick auf die zahlreichen Wortmeldungen in der Fachöffentlichkeit im Vorfeld und während der verfahrensgegenständlichen Taten, welche die von den Angeklagten angewandten Bemessungskriterien für die Vergütung von Betriebsräten - teils auch speziell für die V. AG - für unzulässig erachteten (vgl. etwa Dzida/Mehrens, aaO, S. 755; Rieble, aaO, S. 34; Rüthers, aaO, S. 195; Schweibert/Buse, aaO, S. 1080), läge die Unvermeidbarkeit jedenfalls nicht auf der Hand.
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 324
Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede