HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 207
Bearbeiter: Karsten Gaede/Sina Aaron Moslehi
Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 558/21, Beschluss v. 15.12.2021, HRRS 2022 Nr. 207
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 17. Juni 2021 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die gegen seine Verurteilung gerichtete, auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
1. Zu Recht beanstandet die Revision eine Verletzung der Mitteilungspflichten nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO.
a) Der - in zulässiger Weise erhobenen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) - Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Unmittelbar vor Beginn der Hauptverhandlung bat der Verteidiger in Abwesenheit des Angeklagten um ein Gespräch mit der Vorsitzenden der Strafkammer. Er fragte sie, ob für das Gericht im Falle eines Geständnisses eine Verständigung über die Verurteilung des Angeklagten zu einer Bewährungsstrafe denkbar sei. Während der ebenfalls anwesende Staatsanwalt sich ablehnend äußerte, weil er trotz der abweichenden rechtlichen Wertung im Eröffnungsbeschluss (noch) von der täterschaftlichen Beteiligung des Angeklagten ausging, teilte die Vorsitzende zwar ihre Bedenken mit, sagte aber gleichwohl zu, diese Frage mit den weiteren Mitgliedern der Strafkammer zu erörtern. Dies geschah. Noch vor Verhandlungsbeginn informierte die Vorsitzende den Verteidiger und den Staatsanwalt, dass nach Rücksprache mit der Strafkammer eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe auch bei einem Geständnis nicht in Betracht komme.
Nach Verlesung der Anklageschrift stellte die Vorsitzende fest, dass bisher keine Verständigungsgespräche stattgefunden hätten, was entsprechend protokolliert wurde. Sie hatte die Erörterungen nicht als mitteilungspflichtig gewertet, weil aus ihrer Sicht eine Verständigung wegen der - ihr auch aus Parallelverfahren bekannten - ablehnenden Haltung der Staatsanwaltschaft von vorneherein nicht in Frage gekommen wäre.
b) Auf dieser Tatsachengrundlage rügt der Beschwerdeführer mit Erfolg, dass die Vorsitzende ihrer Mitteilungspflicht aus § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO nicht genügt hat.
aa) Nach dieser Vorschrift ist über Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO zu berichten, die außerhalb der Hauptverhandlung stattgefunden haben und deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist. Davon ist auszugehen, sobald bei den Gesprächen ausdrücklich oder konkludent Fragen des prozessualen Verhaltens in Verbindung zum Verfahrensergebnis gebracht werden und damit die Frage nach oder die Äußerung zu einer Straferwartung naheliegt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Januar 2017 - 3 StR 216/16, BGHR StPO § 243 Abs. 4 Mitteilungspflicht 10; vom 23. Juli 2019 - 1 StR 2/19).
bb) An diesen Grundsätzen gemessen haben die Verfahrensbeteiligten vor Beginn der Hauptverhandlung ein mitteilungspflichtiges Verständigungsgespräch geführt. Denn die Vorsitzende hat auf das Ansinnen des Verteidigers zwar ihre Bedenken hinsichtlich einer Verständigung mitgeteilt, zugleich aber zugesagt, die Frage des Verteidigers nach einer Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe für den Fall des Geständnisses mit den anderen Strafkammermitgliedern zu erörtern. Dass der Staatsanwalt sich sogleich ablehnend geäußert hat, beseitigt die Mitteilungspflicht nicht. Der Umstand und der Inhalt des Verständigungsgesprächs sind auch dann mitzuteilen, wenn die Bemühungen erfolglos geblieben sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 18. November 2020 - 2 StR 317/19; Beschluss vom 16. Juni 2021 - 1 StR 92/21). Auch dass an dem Gespräch lediglich die Vorsitzende der Strafkammer teilgenommen hat, nimmt ihm nicht den Charakter einer die Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO auslösenden Erörterung über die Möglichkeit einer Verständigung nach §§ 202a, 212 StPO (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juli 2017 - 3 StR 470/14, NStZ 2016, 221, 222; Beschluss vom 5. Juli 2018 - 5 StR 180/18).
2. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des materiellrechtlich fehlerfreien Urteils. Unter Berücksichtigung der - strafprozessual freilich nicht bedenkenfreien - Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Urteil vom 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10, NJW 2013, 1058, 1067; Beschluss vom 15. Januar 2015 - 2 BvR 2055/14, NStZ 2015, 172, 173 f.) kann der Senat nicht ausschließen, dass der Schuldspruch auf der Verletzung der Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juli 2018 - 5 StR 180/18).
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 207
Externe Fundstellen: NStZ 2022, 246; StV 2022, 427
Bearbeiter: Karsten Gaede/Sina Aaron Moslehi