HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 336
Bearbeiter: Karsten Gaede/Sina Aaron Moslehi
Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 426/21, Beschluss v. 25.01.2022, HRRS 2022 Nr. 336
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 14. April 2021 wird
a) das Verfahren in den Fällen 22, 212 und 261 der Urteilsgründe eingestellt;
b) der Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte wegen Betruges in 301 Fällen verurteilt ist;
c) der Einziehungsausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in 304 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Weiterhin hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 70.284,06 Euro angeordnet. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den Feststellungen betrieb der Angeklagte gemeinsam mit dem gesondert verfolgten Arzt K. ein „Medizinisches Versorgungszentrum“ (im Folgenden: MVZ) in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Als Geschäftsführer war K. ins Handelsregister eingetragen; in tatsächlicher Hinsicht wurden die Geschäfte indes vom Angeklagten geführt. Die Kunden wurden von dem medizinisch nicht ausgebildeten Angeklagten behandelt, wobei er keine schulmedizinischen Behandlungen, sondern überwiegend „Dunkelfeldanalysen“ sowie „Klopftherapien“ durchführte. K. war in keiner Weise an Behandlungen beteiligt. Abgerechnet wurden die Leistungen gleichwohl nach der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ). Bei den Kunden wurde der Eindruck hervorgerufen, die Leistungen seien nach der GOÄ abrechenbar und daher auch erstattungsfähig, was tatsächlich, wie der Angeklagte wusste, nicht der Fall war. In der irrigen Annahme, die Leistungen seien auf der Basis der GOÄ abrechenbar, zahlten die privatversicherten Kunden in den abgeurteilten Fällen jeweils den in Rechnung gestellten Betrag an die Gesellschaft, reichten die Rechnungen bei ihren Krankenkassen ein und erhielten entsprechend dem jeweiligen Tarif Erstattungen.
2. Aus prozessökonomischen Gründen stellt der Senat das Verfahren auf Antrag des Generalbundesanwalts gemäß § 154 Abs. 2 StPO ein, soweit der Angeklagte in den Fällen 22 und 212 der Urteilsgründe verurteilt worden ist.
3. Hinsichtlich des Falls 261 der Urteilsgründe besteht ein Verfahrenshindernis, das zur Einstellung des Verfahrens führt (§ 206a StPO).
Dieser Fall betrifft eine Rechnung vom 14. September 2012 an den Geschädigten S. mit einem Rechnungsbetrag in Höhe von 127,75 Euro. Mit Beschluss vom 9. April 2021 hat die Strafkammer das Verfahren hinsichtlich der Taten, die „laut Anklage als versuchter Betrug gewertet sind“, gemäß § 154 Abs. 2 StPO (vorläufig) eingestellt. In der für die Identifikation der angeklagten Fälle maßgeblichen Tabelle auf den Seiten 4 bis 15 der Anklageschrift vom 20. April 2016 findet sich Fall 261 der Urteilsgründe als Fall 309 (S. 13 der Anklageschrift) wieder. Im abstrakten Anklagesatz wird Fall 309 als versuchter Betrug gewertet, so dass dieser Fall vom Einstellungsbeschluss der Strafkammer vom 9. April 2021 erfasst ist. Bei der doppelten Nennung dieses Falls in der (weiteren) Tabelle auf den Seiten 17 bis 25 der Anklageschrift (dort Fälle 308 und 309), die ergänzend die jeweiligen Erstattungen der Krankenkassen aufführt, handelt es sich ersichtlich um ein Versehen. Der Tatvorwurf ist nicht wieder in das Verfahren einbezogen worden, so dass die Verurteilung wegen Betruges wegen dieser Tat entfallen muss.
4. Die Verfahrenseinstellung hat die Änderung des Schuldspruchs (entsprechend § 354 Abs. 1 StPO) sowie den Wegfall der für diese Taten festgesetzten Strafen zur Folge. Die Gesamtstrafe kann bestehen bleiben, weil der Senat ausschließen kann, dass die Strafkammer angesichts der verbleibenden 301 Freiheitsstrafen von jeweils sechs oder sieben Monaten auf eine (noch) mildere Gesamtstrafe erkannt hätte.
5. Die Einziehungsanordnung hat keinen Bestand.
In den Urteilsgründen ist nicht hinreichend dargelegt, dass der Angeklagte durch die von ihm begangenen Betrugstaten etwas im Sinne von § 73 Abs. 1 StGB erlangte.
a) Nach ständiger Rechtsprechung bedarf es - was das Landgericht im Ansatz nicht verkannt hat - zur Begründung einer Einziehungsanordnung gegen den für eine Gesellschaft handelnden Täter einer über die faktische Verfügungsgewalt hinausgehenden Feststellung, ob dieser selbst etwas erlangte, was zu einer Änderung seiner Vermögensbilanz führte (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 14. November 2018 - 3 StR 447/18, NZI 2019, 305, 306 und vom 31. Juli 2018 - 3 StR 620/17, Rn. 26; Urteil vom 23. Oktober 2013 ? 5 StR 505/12, NStZ 2014, 89, 93). Es müssen besondere, den Zugriff auf das Vermögen des Täters rechtfertigende Umstände dargelegt werden. Sie können etwa darin liegen, dass der Täter die Gesellschaft lediglich als formalen Mantel seiner Tat nutzte, eine Trennung zwischen dem eigenen Vermögen und demjenigen der Gesellschaft aber nicht vornahm, oder dass jeder aus der Tat folgende Vermögenszufluss an die Gesellschaft sogleich an den Täter weitergeleitet wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. November 2018 - 3 StR 447/18 und vom 31. Juli 2018 - 3 StR 620/17, jeweils aaO; Urteil vom 23. Oktober 2013 ? 5 StR 505/12, aaO).
b) Danach tragen die Urteilsfeststellungen die Einziehungsentscheidung nicht. Die Geschädigten haben ihre Zahlungen an das MVZ „G. mbH“ geleistet, so dass eine Einziehungsanordnung nach § 73b Abs. 1 Nr. 1 StGB grundsätzlich gegen die Gesellschaft zu richten gewesen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 14. November 2018 - 3 StR 447/18, BGHR StGB § 73 Erlangtes 27 mwN). Soweit die Strafkammer das MVZ nur als „Gewand“ angesehen hat, dessen sich der Angeklagte zur Umsetzung seines Tatplans bediente, hat sie nicht ausreichend berücksichtigt, dass nach ihren Feststellungen der ursprüngliche Mitbeschuldigte O. als bei der Gesellschaft angestellter Heilpraktiker ordnungsgemäße, vom MVZ abgerechnete Behandlungen erbrachte. Angesichts dessen ist nicht hinreichend dargelegt, dass der Angeklagte keine Trennung zwischen dem eigenen Vermögen und demjenigen der Gesellschaft vornahm. Zu Einzelheiten der von der Strafkammer festgestellten „unmittelbaren“ Auszahlungen der von den Geschädigten auf das Geschäftskonto des MVZ überwiesenen Zahlungen an den Angeklagten verhalten sich die Urteilsgründe nicht. Insbesondere bleiben konkrete Zahlungswege, -beträge und -zeitpunkte offen, so dass dem Senat keine Prüfung dahin möglich ist, ob tatsächlich jeder einzelne Rechnungsbetrag unmittelbar nach Eingang auf dem Geschäftskonto des MVZ an den Angeklagten weitergeleitet wurde.
c) Im Umfang der Aufhebung der Einziehungsentscheidung weist der Senat die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück. Der Senat hält es für möglich, dass Feststellungen getroffen werden können, die eine Einziehung des Wertes von Taterträgen nach § 73 Abs. 1, § 73c StGB beim Angeklagten rechtfertigen.
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 336
Bearbeiter: Karsten Gaede/Sina Aaron Moslehi