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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 106

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi

Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 296/21, Beschluss v. 03.11.2022, HRRS 2023 Nr. 106


BGH 6 StR 296/21 - Beschluss vom 3. November 2022 (LG Stendal)

BGHSt; „Verfüllung der Tongrube Möckern“; Erkrankung des Ergänzungsschöffens, Höchstdauer einer Unterbrechung der Hauptverhandlung, Hemmung des Fristenlaufs; Beweiserhebungsverbot, Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (Verwendung einer nicht geeichten Waage durch einen Sachverständigen, Kontrollwiegungen); Strafzumessung (straffreie Lebensführung des Angeklagten).

§ 228 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StPO; § 229 Abs. 3 aF StPO; § 192 Abs. 2 GVG; § 261 StPO

Leitsätze

1. Ein Ergänzungsrichter oder -schöffe ist auch vor seinem Eintritt in das Quorum (§ 192 Abs. 2 GVG) eine zur Urteilsfindung berufene Person im Sinne von § 229 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StPO (BGHSt).

2. Ein unter Verwendung einer nicht geeichten Waage erstelltes Gutachten führt nicht dazu, dass es im Rahmen der Überzeugungsbildung überhaupt nicht verwertet werden kann. Vielmehr hat das Tatgericht in freier Beweiswürdigung festzustellen, ob die - gleich auf welchem Weg erlangten - Messergebnisse zutreffen, wobei eine tatsächliche Vermutung bei Verwendung einer geeichten Waage für die Richtigkeit des Ergebnisses spricht. (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stendal vom 30. April 2020

a) im Schuldspruch dahin klargestellt, dass schuldig sind

aa) die Angeklagten S. und E. des unerlaubten Umgangs mit gefährlichen Abfällen in Tateinheit mit unerlaubtem Betreiben von Anlagen,

bb) die Angeklagten M., Sc. und R. der Beihilfe zum unerlaubten Umgang mit gefährlichen Abfällen in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Betreiben von Anlagen und

cc) der Angeklagte Sch. der Beihilfe zum unerlaubten Betreiben von Anlagen,

b) betreffend die Angeklagten S. und E. im Strafausspruch aufgehoben, wobei die zugehörigen Feststellungen Bestand haben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsmittel - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten und die sofortigen Beschwerden der Angeklagten M. und R. werden verworfen.

4. Die Beschwerdeführer M., Sc., Sch. und R. haben die Kosten ihrer jeweiligen Rechtsmittel zu tragen.

Gründe

Gegenstand des Urteils ist die ungenehmigte Verfüllung einer Tongrube in der Zeit von Juni 2005 bis Mai 2006 mit Abfällen. Das Landgericht hat die Angeklagten S. und E. jeweils des „unerlaubten Umgangs mit Abfällen in Tateinheit mit unerlaubtem Betreiben einer Abfallentsorgungsanlage im Sinne des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes“ schuldig gesprochen. Den Angeklagten S. hat es zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und den Angeklagten E. zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die Angeklagten M., Sc. und R. hat es jeweils der „Beihilfe zum unerlaubten Umgang mit Abfällen in Tateinheit mit unerlaubtem Betreiben einer Abfallentsorgungsanlage im Sinne des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes“ schuldig gesprochen. Es hat die Angeklagten M. und R. jeweils zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, den Angeklagten Sc. zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und den Angeklagten Sch. wegen „Beihilfe zum unerlaubten Betreiben einer Abfallentsorgungsanlage im Sinne des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes“ zu einer Freiheitsstrafe von elf Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der aussetzungsfähigen Strafen hat es zur Bewährung ausgesetzt. Hinsichtlich aller Angeklagten hat es wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung jeweils einen Vollstreckungsabschlag von vier Monaten vorgenommen. Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren auf die Rügen der Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützten Revisionen. Die Rechtsmittel der Angeklagten S. und E. erzielen den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen sind die Revisionen unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

Die Verfahrensrügen haben aus den Gründen der Antragsschriften des Generalbundesanwalts keinen Erfolg. Näherer Erörterung bedarf nur das Folgende:

1. Der Vortrag zu der von den Angeklagten S., E. und Sc. beanstandeten Verletzung von § 244 Abs. 4 StPO genügt nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Zwar haben die Beschwerdeführer S. und E. die in den Antragsschriften des Generalbundesanwalts als fehlend bezeichneten Unterlagen vorgelegt. Die Revision des Angeklagten S. teilt aber die der Antragsergänzung vom 5. Dezember 2019 beigefügten Anlagen 1 und 2 sowie den in der Antragsergänzung vom 9. Januar 2020 angeführten Bescheid nicht mit. Die Revision des Angeklagten E. unterlässt es, die Anlage 1 der Sonderbetriebsplanzulassung zur Verfüllung (Lage der Verfüllfläche) und die im Antrag vom 12. Juli 2018 in Bezug genommene Zeichnung des Sachverständigen F. mitzuteilen. Diese Unterlagen sind jedoch für die Beurteilung erforderlich, ob die Strafkammer den Antrag auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens zu Unrecht abgelehnt hat. Die Revision des Angeklagten Sc. hat zwar die vom Generalbundesanwalt vermisste staatsanwaltschaftliche Stellungnahme vom 20. September 2018 vorgelegt, es fehlt aber an weiteren in dessen Antragsschrift genannten Unterlagen. Im Übrigen wären die Rügen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts auch unbegründet.

2. Die Verfahrensrügen, mit denen die verspätete Fortsetzung der Hauptverhandlung nach der Erkrankung eines Ergänzungsschöffen geltend gemacht wird, sind jedenfalls unbegründet.

a) Diesen Rügen liegt folgendes Prozessgeschehen zugrunde:

Nach dem Hauptverhandlungstermin vom 27. Juli 2017 wurde am 7. August 2017 die Erkrankung des Ergänzungsschöffen J. bekannt. Daraufhin hob die Vorsitzende die für August 2017 anberaumten Hauptverhandlungstermine auf, und die Strafkammer stellte mit Beschluss vom 16. August 2017 die Hemmung nach § 229 Abs. 3 StPO aF ab dem 5. August 2017 fest. Mit Verfügung vom 4. September 2017 hob die Vorsitzende die Zuziehung des Ergänzungsschöffen auf, weil sich herausgestellt hatte, dass dieser auf absehbare Zeit nicht genesen werde. Die Hauptverhandlung wurde am 7. September 2017 fortgesetzt.

b) Während die von dem Beschwerdeführer R. erhobene Verfahrensbeanstandung den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt, kann der Senat offenlassen, ob dies auch für die vom Angeklagten S. erhobene Rüge gilt, die den Inhalt der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft zum Antrag des Mitangeklagten R., die Hauptverhandlung neu beginnen zu lassen, nicht mitteilt.

c) Hierauf kommt es nicht an; denn die Unterbrechungsfristen nach § 229 Abs. 1, 2 und 4 Satz 1 StPO wurden nicht überschritten, weil ihr Lauf vom 5. August bis 4. September 2017 nach § 229 Abs. 3 Satz 1 StPO aF gehemmt war.

aa) Die Hemmung ist kraft Gesetzes eingetreten (vgl. BGH, Urteil vom 12. August 1992 - 5 StR 234/92, NStZ 1992, 550, 551); die Revision kann nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht den Zeitraum der Fristhemmung in seinem deklaratorischen Beschluss (vgl. BGH, aaO) fehlerhaft festgestellt habe (§ 229 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 336 Satz 2 StPO).

bb) Der Ergänzungsschöffe ist auch vor seinem Eintritt in das Quorum nach § 192 Abs. 2 GVG eine zur Urteilsfindung berufene Person im Sinne von § 229 Abs. 3 StPO (aA KK-StPO/Gmel, 8. Aufl., § 229 Rn. 11; KMR/Eschelbach, Lfg. 42, § 229 Rn. 25; LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 229 Rn. 17; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Auflage, § 229 Rn. 5; SK-StPO/Deiters/Albrecht, 5. Aufl., § 229 Rn. 8; SSW-StPO/Grube, 5. Aufl., § 229 Rn. 17; Momsen/Willumat, NStZ 2018, 369).

(1) Der Wortlaut von § 229 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StPO trägt dieses Verständnis (aA Momsen/Willumat, aaO S. 371). Denn der Begriff der „Urteilsfindung“ lässt - gerade im Unterschied zum Begriff der „Entscheidung“ in §§ 192, 193 GVG - ohne Weiteres eine Auslegung zu, dass damit jedenfalls auch der Prozess der richterlichen Wahrheitsermittlung gemeint ist, auf dessen Ergebnis die abschließende Entscheidung beruht.

(2) Für diese Auslegung streitet auch die systematische Stellung. Die Vorschriften über die Höchstdauer der Unterbrechung finden sich in dem Abschnitt der Strafprozessordnung über die Hauptverhandlung. Zu den Aufgaben des Ergänzungsrichters oder -schöffen gehört es, der Hauptverhandlung so zu folgen, als ob er an der Urteilsberatung und der abschließenden Entscheidung teilnehmen müsse. Er hat insbesondere das Recht, Zeugen und Sachverständige zu befragen, und er wird die Bedeutung und Tragweite von Zeugenaussagen und Gutachten abzuschätzen sowie sich - wenngleich nur vorläufig - ein Urteil über die Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugen zu bilden haben. Tritt er nicht in das Quorum ein, hat er zwar nicht an einer Entscheidung (vgl. BVerfGE 30, 149, 156; RGSt 65, 40, 41), aber an der Verhandlung mitgewirkt (vgl. BVerfG, aaO), die der Entscheidung vorausgeht.

(3) Dieses Verständnis steht zudem im Einklang mit dem Willen des Gesetzgebers, durch die Erweiterung des von der Regelung erfassten Kreises der Beteiligten durch das Gesetz zur Modernisierung der Justiz vom 24. August 2004 (BGBl. I S. 2198) die Ressourcen der Justiz zu entlasten und eine Aussetzung der Hauptverhandlung wegen der Erkrankung eines der Mitglieder des Spruchkörpers zu vermeiden (vgl. BT-Drucks. 15/1508, S. 25; BGH, Beschluss vom 8. März 2016 - 3 StR 544/15, BGHSt 61, 160, 165). Denn der Gesetzgeber hatte neben den „Schöffengerichtsverfahren bzw. zwar mehrtägigen, jedoch nicht langwierigen Verfahren vor den Landgerichten, bei denen in der Regel keine Ergänzungsrichter oder -schöffen bestellt werden“, ausdrücklich auch den Entlastungseffekt bei Großverfahren im Blick, bei denen häufig Ergänzungsrichter oder -schöffen hinzugezogen werden (BT-Drucks., aaO).

(4) Entscheidend sprechen Sinn und Zweck des § 229 Abs. 3 Satz 1 StPO dafür, dass auch ein Ergänzungsrichter oder -schöffe eine zur Urteilsfindung berufene Person im Sinne dieser Vorschrift ist. Diese zielt auf die Ressourcenschonung und die Vermeidung einer Aussetzung der Hauptverhandlung ab, die gerade bei langwierigen Beweisaufnahmen und in Haftsachen den Angeklagten erheblich belasten würde. Diesem Zweck dient es, wenn auch ein Ergänzungsrichter oder -schöffe - etwa bei einer vorübergehenden Erkrankung - nicht endgültig ausscheiden muss, sondern das Verfahren mit ihm fortgesetzt werden kann und er weiterhin zur Verfügung steht, um erforderlichenfalls in das Quorum einzurücken.

Macht der Vorsitzende angesichts des Umfangs und der Schwierigkeit des Verfahrens von der Zuziehung eines Ergänzungsrichters oder -schöffen nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 192 Abs. 2 GVG) Gebrauch, hat er eher Anlass, auch bei einer voraussichtlich länger dauernden Hauptverhandlung von der Zuziehung nicht nur eines, sondern eines zweiten Ergänzungsrichters oder -schöffens (vgl. MüKo-StPO/Kulhanek, § 192 GVG Rn. 3) abzusehen. Soweit der durch Art. 6 Abs. 1 EMRK gewährleistete Beschleunigungsgrundsatz und die der Vorschrift des § 229 StPO zugrundeliegenden Konzentrationsmaxime (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2007 - 3 StR 254/07, BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhandlung 8) berührt werden, kann der Vorsitzende diese Belange dadurch berücksichtigen, dass er die Hinzuziehung des erkrankten Ergänzungsrichters oder -schöffen widerruft (vgl. BGH, Beschluss vom 2. November 2010 - 1 StR 544/09, Rn. 42).

3. Unbegründet sind auch die Verfahrensrügen, die sich gegen die Verwertbarkeit der Ergebnisse des Sachverständigen K. wenden und darauf gestützt sind, der Sachververständige habe teilweise ungeeichte Waagen verwendet.

a) Das Strafverfahrensrecht kennt keinen allgemein geltenden Grundsatz, dass jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht. Ob ein solches eingreift, ist vielmehr jeweils nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes, unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden (vgl. BGH, Urteil vom 20. Oktober 2021 - 6 StR 319/21, NStZ 2022, 188, 189).

b) Hier führt ein Verstoß gegen die zum Zeitpunkt der Wiegungen maßgebliche Norm des § 7b Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 EichO (vgl. § 62 i.V.m. § 31 Abs. 1, § 33 Abs. 1 Satz 1 MessEG) nicht dazu, dass ein unter Verwendung einer nicht geeichten Waage erstelltes Gutachten im Rahmen der Überzeugungsbildung überhaupt nicht verwertet werden kann. Es ist dem Tatgericht im Falle eines entsprechenden Verstoßes nicht untersagt, das Wiegeergebnis bei seiner Beweiswürdigung zu berücksichtigen (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 27. Februar 2019 - 4 Rb Ss 1197/18 zu § 33 MessEG; aA OLG Hamm, Beschluss vom 10. Februar 2009 - 5 Ss OWi 637/08; OLG Koblenz, Beschluss vom 19. Januar 2005 - 1 Ss 349/04). Das zum maßgeblichen Zeitpunkt geltende bußgeldbewehrte Verbot der Verwendung ungeeichter Waagen und des Messergebnisses (vgl. § 74 Nr. 17a EichO i.V.m. § 19 Abs. 1 Nr. 4 EichG) richtete sich gegen den Verwender der Waage, schränkt aber nicht die Grundsätze der Amtsermittlung und der freien richterlichen Beweiswürdigung ein. Eine solche strafprozessrechtliche Wirkung kam schon dem (früheren) Eichgesetz ausweislich dessen § 1 nicht zu und wird zudem in der Gesetzesbegründung zur Neufassung nicht erwähnt (vgl. BT-Drucks. 17/12727, S. 46). Vielmehr hat das Tatgericht in freier Beweiswürdigung festzustellen, ob die - gleich auf welchem Weg erlangten - Messergebnisse zutreffen, wobei eine tatsächliche Vermutung bei Verwendung einer geeichten Waage für die Richtigkeit des Ergebnisses spricht (vgl. BGH, Urteil vom 17. November 2010 - VIII ZR 112/10, NJW 2011, 598 Rn. 13).

Hier war sich die Strafkammer des geminderten Beweiswerts der von dem Sachverständigen unter Verwendung einer ungeeichten Waage erlangten Ergebnisse bewusst und hat ihre Überzeugung von deren Richtigkeit unter anderem auf die stichprobenartige Überprüfung der Ergebnisse durch Kontrollwiegungen mit einer geeichten Waage gestützt (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Mai 2015 - 5 StR 148/15). Im Übrigen ist die deutliche Überschreitung der genehmigten Grenzwerte auch durch weitere sachverständige Untersuchungen und die Inaugenscheinnahme von Proben belegt.

4. Zu der Verfahrensbeanstandung, die Strafkammer habe den auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens gerichteten Beweisantrag rechtsfehlerhaft abgelehnt (§ 244 Abs. 2 und 4 StPO), bemerkt der Senat ergänzend:

Die auf § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO gestützte Ablehnung des Beweisantrags hält rechtlicher Nachprüfung stand. Die Strafkammer hat keine unzulässige Beweisantizipation vorgenommen (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 9. Juli 2013 - 3 StR 132/13, NStZ-RR 2014, 281), soweit sie in ihrem Ablehnungsbeschluss zur Begründung, das Gegenteil der behaupteten Tatsache sei erwiesen, auf weitere Sachverständigengutachten abgestellt hat. Sie hat zu der Frage, ob die Untersuchung der Proben einen Schluss auf die Zusammensetzung der gesamten im fraglichen Zeitraum verfüllten Stoffe zulässt, allein das Gutachten des Sachverständigen K. herangezogen. Die im Ablehnungsbeschluss erwähnten gutachterlichen Äußerungen der Sachverständigen Ku. und W. betreffen demgegenüber allein die Methodik und damit die Plausibilität des Gutachtens K. Eine unzulässige Beweisantizipation liegt mangels Prüfung der dem früheren Sachverständigengutachten zugrundegelegten Anknüpfungstatsachen durch die weiteren Sachverständigen in der Bezugnahme auf deren sachverständige Aussagen darin nicht. Vielmehr war die methodenkritische Prüfung mit Blick auf die Regelung in § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO geboten, derzufolge eine Tatsache auf der Grundlage des früheren Gutachtens unter anderem dann nicht als erwiesen angesehen werden darf, wenn die Sachkunde des Sachverständigen zweifelhaft ist.

II.

1. Die umfassende Nachprüfung des Urteils aufgrund der Sachbeschwerden hat zu den Schuldsprüchen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Der Senat hat die Schuldsprüche hinsichtlich aller Angeklagten jedoch in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO klargestellt.

a) Maßgebend ist die gesetzliche Überschrift der angewendeten Strafnorm (§ 260 Abs. 4 Satz 2 StPO). Die sämtliche Angeklagten betreffenden Schuldsprüche beruhen auf den Vorschriften der §§ 326 und 327 StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung (§ 2 Abs. 1 StGB) und waren daher wie aus der Beschlussformel ersichtlich zu korrigieren.

b) Zudem waren die Schuldsprüche betreffend die Angeklagten M., Sc. und R. dahin klarzustellen, dass diese Angeklagten tateinheitlich der Beihilfe (§ 27 StGB) zum unerlaubten Betreiben von Anlagen schuldig sind. Aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe ergibt sich zweifelsfrei, dass die Strafkammer insoweit nicht von einer täterschaftlichen Deliktsverwirklichung ausgegangen ist.

2. Die im Übrigen rechtsfehlerfreien Strafaussprüche des Landgerichts weisen lediglich zum Nachteil der Angeklagten S. und E. einen durchgreifenden Rechtsfehler auf.

a) Das Landgericht hat - anders als bei den Mitangeklagten - die vor der verfahrensgegenständlichen Tat straffreie Lebensführung der zur Tatzeit 49 beziehungsweise 57 Jahre alten Angeklagten nicht berücksichtigt (vgl. zu diesem Strafzumessungsgesichtspunkt BGH, Beschluss vom 29. September 2016 - 2 StR 63/16, NStZ-RR 2017, 88 [dort nicht abgedruckt], Urteil vom 27. Oktober 1987 - 1 StR 492/87, NStZ 1988, 70; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 647). Da sich den Strafzumessungserwägungen auch im Übrigen nicht entnehmen lässt, ob die Strafkammer dies beim Angeklagten E. beachtet hat, ist zu besorgen, dass ihr seine bis zur Tat straffreie Lebensführung aus dem Blick geraten ist. Beim Angeklagten S. hat sie in ihre Erwägungen zur Strafaussetzung sogar eine lange nach der verfahrensgegenständlichen Tat erfolgte Verurteilung als Vorstrafe eingestellt. Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass sich der Rechtsfehler zu Lasten dieser beiden Angeklagten auf die Strafzumessung ausgewirkt hat.

b) Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen sind von dem Wertungsfehler nicht betroffen und haben daher Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann zur Strafzumessung ergänzende Feststellungen treffen, die mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.

III.

Die sofortigen Beschwerden der Angeklagten M. und R. gegen die im Urteil getroffenen Kostenentscheidungen sind unbegründet, weil diese dem Gesetz entsprechen.

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 106

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi