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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 866

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß

Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 249/21, Beschluss v. 30.06.2021, HRRS 2021 Nr. 866


BGH 6 StR 249/21 - Beschluss vom 30. Juni 2021 (LG Braunschweig)

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Hang: Beweiswürdigung, wechselnde und widersprüchliche Angaben des Angeklagten zu seinem Drogenkonsum; Darstellungsfehler hinsichtlich eines Gutachtens).

§ 64 StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 12. Januar 2021 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und einen Vorwegvollzug von neun Monaten der Strafe bestimmt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die sachlich-rechtliche Überprüfung des Urteils hat weder im Schuld- noch im Strafausspruch einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

2. Keinen Bestand hat hingegen die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB. Bereits der von dieser Vorschrift vorausgesetzte Hang zum übermäßigen Konsum berauschender Mittel ist nicht hinreichend belegt.

Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Antragsschrift ausgeführt:

Die Strafkammer sieht als „erstes Indiz“ [sc. für einen Hang] die eigenen Angaben des Angeklagten zu Dauer und Umfang seines Konsums. Darüber hinaus hat sich das Landgericht von einem Hang des Angeklagten „nach erfolgter eigenständiger Überprüfung von der Richtigkeit des gewissenhaft erstellten, in sich widerspruchsfreien, im Einzelnen nachvollziehbaren und von großer Sachkunde getragenen Gutachten des Sachverständigen überzeugt“. Dieser hat „die medizinischen Voraussetzungen des § 64 StGB bejaht“ und ausgeführt, dass bei dem Angeklagten die langjährige Abhängigkeit von Amphetaminen im Vordergrund der psychiatrischen Störungsbilder stehe. Wesentliche Grundlage für diese Einschätzung des Sachverständigen waren wiederum die eigenen Angaben des Angeklagten (…).

Die eigenen Angaben des Angeklagten zu seinem Konsum, welche nach der Argumentation des Landgerichts nicht nur das erste, sondern letztlich das einzige Indiz darstellen, sind ohne nähere Erörterung nicht geeignet, einen Hang zu belegen. Der Angeklagte hat bei der Exploration durch den Sachverständigen sowie in der Hauptverhandlung wechselnde, teils widersprüchliche Angaben zu seinem Drogenkonsum gemacht; zunächst hat der Angeklagte seinen Konsum als gelegentlich bezeichnet, vor Gericht dann aber angegeben, Amphetamine regelmäßig und sehr oft genommen zu haben, jede Woche mehrmals und immer zu viel. Auf der Grundlage dieser Angaben hat das Landgericht ohne nähere Begründung festgestellt, dass der Angeklagte phasenweise Amphetamine in unterschiedlicher Menge, jedenfalls im Durchschnitt zweimal wöchentlich, im Monat ca. ein Gramm „Speed“ zu sich genommen hat. (…) Es ist bereits nicht nachvollziehbar, wie das Landgericht anhand der sehr knappen (…) Angaben des Angeklagten konkrete Konsummengen über einen längeren Zeitraum hinweg festgestellt hat. Unberücksichtigt bleibt auch der Widerspruch zwischen der im März 2019 von einer Ärztin im Rahmen einer Begutachtung zur Betreuungsbedürftigkeit des Angeklagten getroffenen Feststellung, dass bei diesem vor März 2019 eine Polytoxikomanie vorgelegen habe, er aber zum Zeitpunkt dieser Begutachtung suchtmittelabstinent gewesen sei, einerseits und der Einschätzung des gehörten Sachverständigen, der von einer langjährigen Abhängigkeit von Amphetaminen (…) ausgegangen ist, andererseits. Die zugrundeliegende Beweiswürdigung ist damit entscheidungserheblich lückenhaft.

Das Urteil begegnet auch durchgreifenden rechtlichen Bedenken, soweit sich die Strafkammer auf die Ausführungen des Sachverständigen stützt. Wenn sich der Richter ohne weitere eigene Erwägungen den Ausführungen des Sachverständigen angeschlossen hat, dann muss er im Urteil die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen des Sachverständigen so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (…). Die Darstellung des Gutachtens in den Urteilsgründen beschränkt sich aber auf die Mitteilung, dass der Sachverständige die Angaben des Angeklagten aus sachverständiger Perspektive bewertet hat und widerspruchsfrei, nachvollziehbar etc. zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Voraussetzungen eines Hanges zu bejahen sind. Eine Beurteilung der Schlüssigkeit des Gutachtens wird so nicht ermöglicht.

Ein Hang des Angeklagten versteht sich auch nicht von selbst. Das Landgericht hat ausdrücklich festgestellt, dass es sich nicht um Beschaffungskriminalität gehandelt hat. Ausgehend von den (nicht hinreichend belegten) Feststellungen war der durchschnittliche Konsum des Angeklagten auf 0,125 Gramm Amphetamin alle drei bis vier Tage beschränkt und damit sehr gering.

Dem schließt sich der Senat an.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 866

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß