HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 648
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 36/20, Beschluss v. 24.03.2020, HRRS 2020 Nr. 648
1. Dem Angeklagten Al. S. wird auf seinen Antrag und seine Kosten Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Ansbach vom 7. August 2019 gewährt.
2. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil in den Schuld- und Strafaussprüchen dahin geändert, dass verurteilt sind
a) der Angeklagte W. wegen versuchten gewerbsmäßigen Bandenhandels mit neuen psychoaktiven Stoffen in sieben tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten,
b) der Angeklagte Al. S. wegen versuchten gewerbsmäßigen Bandenhandels mit neuen psychoaktiven Stoffen in sechs tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten,
c) die Angeklagte An. S. wegen versuchten gewerbsmäßigen Bandenhandels mit neuen psychoaktiven Stoffen in fünf tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren, d) der Angeklagte A. wegen versuchten gewerbsmäßigen Bandenhandels mit neuen psychoaktiven Stoffen in sechs tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren.
3. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
4. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
5. Die sofortige Beschwerde des Angeklagten W. gegen die Kostenentscheidung des vorgenannten Urteils wird auf seine Kosten verworfen.
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen versuchten gewerbsmäßigen Bandenhandels mit neuen psychoaktiven Stoffen verurteilt, den Angeklagten W. in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten, den Angeklagten Al. S. in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten, die Angeklagte An. S. in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und den Angeklagten A. in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren; außerdem hat es Einziehungsentscheidungen getroffen. Dagegen richten sich die jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten; die Angeklagte An. S. beanstandet außerdem das Verfahren. Der Angeklagte W. wendet sich überdies mit sofortiger Beschwerde gegen die Kostenentscheidung.
Dem Angeklagten Al. S. ist auf seinen Antrag aus den vom Generalbundesanwalt in dessen Antragsschrift ausgeführten Gründen Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Frist zur Begründung der Revision zu gewähren. Die Revisionen führen zu den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Änderungen der Schuld- und Strafaussprüche; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die sofortige Beschwerde des Angeklagten W. hat keinen Erfolg.
1. Die von der Angeklagten An. S. erhobene Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die auf die Sachrügen gebotene umfassende Überprüfung des Urteils hat lediglich in Bezug auf die jeweilige Bewertung der Konkurrenzen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.
a) Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen vertrieb der gesondert verfolgte K. über Onlineshops Zubereitungen aus synthetischen Cannabinoiden (Cannabimimetika), die der nicht revidierende Mitangeklagte Se. produzierte. In der Zeit von Juli 2016 bis Februar 2018 erwarb dieser in 15 Fällen jeweils aufgrund eines neuen gemeinsamen Tatentschlusses mit K. Cannabimimetika und stellte daraus im Wesentlichen Kräutermischungen her, die K. anschließend über das Internet vertrieb.
Im Rahmen seines Internethandels beschäftigte K. eine Vielzahl von Personen, die insbesondere als „Verpacker“, „Supportmitarbeiter“ und „EDV´ler“ tätig waren. Die Supportmitarbeiter leiteten Bestellungen, die auf den ihnen jeweils zugeteilten Onlineshops eingegangen waren, an Verpacker weiter. Diese bewahrten die Cannabimimetika-Zubereitungen in der Regel bei sich zu Hause auf. Sie portionierten die Produkte entsprechend den Bestellungen, verpackten sie in Versandtaschen und gaben sie als Nachnahmesendungen bei der Post auf. Dabei trugen sie auf der jeweiligen Nachnahmemarke den von dem Kunden zu zahlenden Kaufpreis ein; die Inkassobelege verblieben beim „Support“. Die Post händigte die Sendungen nur gegen Barzahlung des Kaufpreises an den Besteller aus. Die Supportmitarbeiter füllten von Zeit zu Zeit auf Anweisung von K. eine bestimmte Anzahl der Inkassobelege mit den Kontodaten eines „Strohmannbankkontoinhabers“ aus und übersandten sie der Post. Diese schrieb die zwischenzeitlich bei den Kunden vereinnahmten Nachnahmebeträge auf dem betreffenden Konto gut. Die Kontoguthaben transferierte K. schließlich weiter.
Die Angeklagten waren jeweils zeitweise für K. tätig, als dieser die von Se. zubereiteten Cannabimimetika vertrieb, der Angeklagte W. in den Fällen 5 bis 10 und 13, die Angeklagten Al. S. und A. in den Fällen 8 bis 13 und die Angeklagte An. S. in den Fällen 9 bis 13. A. oblag als „EDV´ler“ die fortwährende technische Wartung mehrerer Onlineshops. Er hatte insbesondere Hacker-Angriffe abzuwehren, technische Störungen zu beheben, mit den Providern zu kommunizieren und die Webseiten zu pflegen. W., Al. S. und An. S. waren im „Support“ beschäftigt. Sie hatten neben der Weiterleitung von Bestellungen an die Verpacker u.a. dafür zu sorgen, dass die Onlinegeschäfte zügig und reibungslos abgewickelt wurden. Sie kommunizierten per E-Mail mit den Kunden und versorgten die Verpacker regelmäßig mit dem von diesen benötigten Material. W. war zudem in Geldtransfers eingebunden, bei denen er von anderen Personen Gelder in Empfang nahm, um damit Supportmitarbeiter und Verpacker zu bezahlen bzw. deren Aufwendungen zu erstatten. Al. und An. S. entwarfen ferner Werbetexte für die Webseiten und Newsletter und veranlassten von Zeit zu Zeit die Gutschrift der vereinnahmten Gelder auf „Strohmannkonten“.
b) Diese Feststellungen tragen nicht die Annahme des Landgerichts, wonach die den Angeklagten zur Last fallenden Taten jeweils im Verhältnis der Tatmehrheit (§ 53 StGB) zueinander stehen. Dazu gilt:
Sind mehrere Personen an einer Deliktsserie beteiligt, so ist bei der Bewertung des Konkurrenzverhältnisses für jeden Beteiligten gesondert zu prüfen und zu entscheiden, ob die einzelnen Straftaten in seiner Person tateinheitlich oder tatmehrheitlich zusammentreffen. Maßgeblich ist hierbei der Umfang des Tatbeitrages bzw. der Tatbeiträge des Beteiligten. Erfüllt er hinsichtlich aller oder einzelner Taten der Serie sämtliche Tatbestandsmerkmale in eigener Person oder leistet er für alle oder einige Einzeltaten zumindest einen individuellen, nur je diese fördernden Tatbeitrag, so sind ihm diese Taten, soweit nicht natürliche Handlungseinheit vorliegt, als tatmehrheitlich begangen zuzurechnen. Erbringt er dagegen im Vorfeld oder während des Laufs der Deliktsserie Tatbeiträge, durch die alle oder mehrere Einzeldelikte der Tatgenossen gleichzeitig gefördert werden, so sind ihm die gleichzeitig geförderten einzelnen Straftaten als tateinheitlich begangen zuzurechnen, da sie in seiner Person durch den jeweiligen einheitlichen Tatbeitrag zu einer Handlung im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB verknüpft werden. Ob die anderen Beteiligten die einzelnen Delikte nach obigen Grundsätzen gegebenenfalls tatmehrheitlich begangen haben, ist demgegenüber ohne Bedeutung (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 17. Juni 2004 - 3 StR 344/03, BGHSt 49, 177, 182 f.; Beschlüsse vom 7. Dezember 2010 - 3 StR 434/10, Rn. 7; vom 6. Dezember 2018 - 1 StR 186/18, Rn. 5).
Hier belegen die Feststellungen keine individuellen, die einzelnen Taten des Handeltreibens des gesondert verfolgten K. mit Cannabimimetika-Zubereitungen fördernden Tatbeiträge der Angeklagten. Deren Tatbeiträge beschränkten sich vielmehr auf eine allgemeine Mitwirkung im Gesamtvertrieb. Konkurrenzrechtlich sind die Einzeltaten deshalb jeweils zu einer Tat des versuchten gewerbsmäßigen Bandenhandels mit neuen psychoaktiven Stoffen in sieben (Angeklagter W.), in sechs (Angeklagte Al. S. und A.) sowie in fünf (Angeklagte An. S.) tateinheitlichen Fällen zusammenzufassen.
Der Senat ändert die Schuldsprüche entsprechend und lässt die im Übrigen ohne Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten gebildeten Gesamtfreiheitsstrafen als Einzelstrafen bestehen (§ 354 Abs. 1 StPO analog). Es ist auszuschließen, dass ein neues Tatgericht ergänzende Feststellungen treffen könnte, die eine tatmehrheitliche Tatbegehung durch die Angeklagten belegen. Gleichermaßen ist auszuschließen, dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Bewertung der Konkurrenzen mildere Strafen verhängt hätte. Denn die geänderte konkurrenzrechtliche Bewertung lässt den Unrechtsund Schuldgehalt der Taten unberührt. § 265 StPO steht der Änderung der Schuld- und Strafaussprüche nicht entgegen, weil sich die geständigen Angeklagten nicht wirksamer als geschehen hätten verteidigen können.
c) Der geringfügige Erfolg der Revisionen lässt es nicht unbillig erscheinen, die Beschwerdeführer mit den gesamten Kosten ihres jeweiligen Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).
2. Die nicht näher ausgeführte sofortige Beschwerde des Angeklagten W. ist unbegründet, weil die Kostenentscheidung der Rechtslage entspricht (§ 465 Abs. 1 Satz 1 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 648
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2020, 206
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner