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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1421

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 171/20, Urteil v. 21.10.2020, HRRS 2020 Nr. 1421


BGH 6 StR 171/20 - Urteil vom 21. Oktober 2020 (LG Hannover)

Verwerfung der Revision als unbegründet.

§ 349 Abs. 2 StPO

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hannover vom 6. Dezember 2019 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt. Seine hiergegen gerichtete, auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision ist unbegründet.

1. Nach den Feststellungen führten der Angeklagte und die im Tatzeitpunkt 25 Jahre alte O. bis zu deren Tod eine mehr als zwei Jahre andauernde Beziehung, wobei sie sich in den letzten Monaten mehrfach für jeweils kurze Zeit getrennt hatten. Bei O. bestanden eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) sowie ein Asperger-Syndrom. Hierüber und über die Auswirkungen des Krankheitsbildes auf ihr Verhalten, das im zwischenmenschlichen Bereich mitunter zu Problemen führte, war der Angeklagte von ihren Angehörigen aufgeklärt worden.

Aufgrund ihres Krankheitsbildes konnte sie sich nur schwer in einen anderen Menschen hineinversetzen. Sie war - in manchmal irritierender Weise - offen, dabei ausgesprochen gutgläubig sowie sehr verlässlich und konnte nicht gut damit umgehen, wenn mit ihr getroffene Verabredungen nicht eingehalten wurden. Dies führte zu teilweise erheblichen Konflikten mit dem in seinem Verhalten unaufrichtigen und unzuverlässigen Angeklagten. O. war deshalb bereit, eine Beziehung mit einem anderen Mann einzugehen. Dem Angeklagten war ebenfalls bewusst, dass die Beziehung mit ihr sehr problembehaftet war, was insbesondere daran lag, dass er auf ihre Persönlichkeitsstruktur immer weniger Rücksicht nahm. Er wollte jedoch vor allem nicht auf Sexualkontakte mit ihr verzichten und war daher nicht damit einverstanden, dass sie die Bekanntschaft mit anderen Männern suchte.

Im Verlauf des Tattages hatte der Angeklagte wiederum mehrere Verabredungen mit Katharina O. nicht eingehalten, woraufhin sie den Zeugen S. kontaktierte, dessen Bild auf seiner Facebook-Seite sie ansprechend fand. Sie vereinbarte mit ihm, dass er sie an ihrem Wohnort abholen und mit ihren Freundinnen in eine Diskothek begleiten würde. Nachdem sie den Angeklagten am Abend in einem Bus getroffen und lautstark mit ihm „geschimpft“ hatte, fragte sie ihn ebenfalls, ob er später mit in die Diskothek gehen wolle; der Angeklagte war letztlich hiermit einverstanden. Er begleitete sie zunächst zu ihrem Elternhaus, wo sie sich umzog. Spätestens als er vor dem Haus auf sie wartete, wusste er, dass der Zeuge S., mit dem O. weiterhin über WhatsApp Nachrichten austauschte, in Kürze erscheinen werde. Darüber verärgert beschloss er, sie zu töten. Auf einem Sportplatz, zu dem beide gemeinsam gegangen waren, griff der Angeklagte O. mit einem Messer an und stach ihr mit erheblicher Wucht in Tötungsabsicht rechts und links in den Hals, wodurch unter anderem eine große Halsvene durchtrennt und die Halsschlagader eröffnet wurden. Sie verstarb an Herzkreislaufversagen bei Verbluten nach außen.

2. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der erhobenen Sachrüge hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

3. Auch der Strafausspruch hat - entgegen dem Antrag des Generalbundesanwalts - im Ergebnis Bestand.

Die Schwurgerichtskammer hat den Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB zugrunde gelegt.

a) Einen Fall der Tatprovokation im Sinne des § 213 Alt. 1 StGB hat sie rechtsfehlerfrei abgelehnt. Die Einlassung des Angeklagten, Grund für die Messerstiche seien Beleidigungen und die Androhung von Schlägen durch O. gewesen, hat sie in rechtsfehlerfreier Weise als Schutzbehauptung gewertet (UA S. 82). Allein der Umstand, dass O. sich mit dem Zeugen S. verabredet habe, stelle keine schwerwiegende Provokation dar, zumal der Angeklagte entsprechendes Verhalten bereits in der Vergangenheit erlebt habe. Im Übrigen sei das vorausgehende Verhalten des Angeklagten, der O. nahezu während des gesamten Tages „versetzt“ habe, ursächlich für diese Verabredung gewesen.

Hiergegen ist nichts zu erinnern.

b) Auch die Voraussetzungen des § 213 Alt. 2 StGB hat die Schwurgerichtskammer ohne durchgreifenden Rechtsfehler abgelehnt.

aa) Sie hat sich eingehend mit der Frage auseinandergesetzt, inwieweit das Verhalten von O. die Tat in einem den Angeklagten entlastenden Sinn mitverursachte. Dem Gesichtspunkt, dass das Opfer eine Ursache für die Verärgerung des Angeklagten setzte, hat sie im Ergebnis keine erhebliche strafmildernde Bedeutung zugemessen. Dabei hat sie das dem Angeklagten bekannte Krankheitsbild des Opfers sowie die zurückliegende Beziehung und den hierfür beispielhaften Ablauf des Tattages berücksichtigt. Sachverständig beraten ist sie davon ausgegangen, dass der Angeklagte den problematischen Lauf der Beziehung erkannt habe. Aufgrund einer „Nutzenabwägung“ habe er sich für die Aufrechterhaltung der Beziehung entschieden.

bb) Im Übrigen hat die Schwurgerichtskammer die zugunsten und zulasten des Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte bei der Strafrahmenwahl sowie bei der Festsetzung der konkreten Strafe umfassend abgewogen.

(1) Es bestehen namentlich keine rechtlichen Bedenken gegen die strafschärfende Berücksichtigung des Umstands, dass das Tatopfer dem Angeklagten vertraut und mit einem Messerangriff nicht gerechnet habe. Zwar konnte der genaue Tathergang nicht geklärt werden, und die Schwurgerichtskammer hat es für möglich gehalten, dass es wegen des ständigen Nachrichtenaustauschs mit dem Zeugen S. vor den Messerstichen zu einem Streit zwischen O. und dem Angeklagten gekommen sei. Jedoch seien bei ihr nur sehr geringfügige und beim Angeklagten keine Abwehrverletzungen festgestellt worden. Dies spreche dafür, dass der Angeklagte O. zu einem Zeitpunkt angriff, als sie sich keines Angriffs versah und sich aus diesem Grund hiergegen nicht wehren konnte (UA S. 77). Die Urteilsgründe belegen damit hinreichend die Nähe der Tat zu einer heimtückischen Tötung.

(2) Es stellt auch keinen zur Aufhebung des Strafausspruchs nötigenden Rechtsfehler dar, dass das Landgericht ein während der Hauptverhandlung vom Angeklagten an die Staatsanwaltschaft gerichtetes Schreiben zu seinen Lasten gewertet hat, indem er den Verdacht einer Absprache zwischen den Nebenklägern und vier Zeugen aus ihrem persönlichen Umfeld äußerte.

Es kann dahinstehen, ob der - zur Tat geständige - Angeklagte hiermit die Grenzen eines zulässigen Verteidigungsverhaltens eingehalten hat (vgl. hierzu LK-StGB/Schneider, 13. Aufl., § 46 Rn. 193 ff.; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 673 ff., jeweils mwN). Denn die Schwurgerichtskammer hat diesem Umstand ersichtlich keine entscheidende Bedeutung zugemessen. Sie hat die Ablehnung eines sonstigen minder schweren Falles vielmehr „insbesondere“ auf das den Angeklagten belastende Tatbild (drei mit großer Wucht geführte Stiche in den Hals der Getöteten sowie zusätzliche, nicht versehentlich vorgenommene Schnitte in ihr Gesicht und ihren Halsbereich), den Umstand, dass O. dem Angeklagten vertraute und mit einem Messerangriff nicht rechnete sowie seine Tötungsabsicht gestützt (UA S. 115). Angesichts dessen kann der Senat ausschließen, dass die Strafzumessung auf einer etwa rechtsfehlerhaften nachteiligen Berücksichtigung des Schreibens des Angeklagten an die Staatsanwaltschaft beruht.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1421

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner